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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 11.02.2008
Aktenzeichen: 1 Ws 12/08
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 51 Abs. 1 S. 1
StGB § 57
StGB § 57 Abs. 1
StGB § 63
StGB § 67 Abs. 4
StGB § 67 Abs. 4 S. 1
StPO § 126a
StPO § 454
StPO § 458 Abs. 1
StPO § 462 Abs. 1
StPO § 462 Abs. 3 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

1 Ws 12/08 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Strafvollstreckungssache

wegen räuberischer Erpressung u. a.

hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Thaeren-Daig, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Weckbecker und die Richterin am Oberlandesgericht Michalski

am 11. Februar 2008

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam bei dem Amtsgericht Brandenburg an der Havel vom 29. November 2007 aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass mit der Entlassung des Beschwerdegegners aus dem Maßregelvollzug eine Reststrafe von 283 Tagen verbleibt.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und seine in diesem entstandenen notwendigen Auslagen hat der Verurteilte zu tragen.

4. Die Sache wird zur Entscheidung über die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung gem. § 57 Abs. 1 StGB zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die 4. große Strafkammer des Landgerichts Potsdam verurteilte den Beschwerdegegner am 8. März 2006 - rechtskräftig seit diesem Tage - wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten und ordnete daneben nach § 63 StGB seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Der Beschwerdegegner befand sich nach vorläufiger Festnahme am 11. November 2004 vom 12. November 2004 bis zum 7. März 2006 (482 Tage) in Untersuchungshaft bzw. vorläufig untergebracht gemäß § 126a StPO. Vom 8. März 2006 bis zum 18. November 2007 wurde die mit o.g. Urteil angeordnete Maßregel im Asklepios Fachklinikums Brandenburg vollzogen. Nachdem die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam bei dem Amtsgericht Brandenburg an der Havel mit Beschluss vom 7. November 2007 die angeordnete Unterbringung wegen Fehleinweisung aufgrund der Annahme falscher Tatsachen durch das Tatgericht für erledigt erklärt hatte, befindet sich der Beschwerdegegner nach Rechtskraft des vorgenannten Beschlusses seit dem 19. November 2007 im Strafvollzug in der JVA Brandenburg.

Unter dem 21. November 2007 erhob der Beschwerdegegner Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung der von der Staatsanwaltschaft errechneten 283 Tage Restfreiheitsstrafe und vertrat insbesondere die Auffassung, aufgrund der Fehleinweisung des Beschwerdegegners in den Maßregelvollzug sei die erlittene Untersuchungshaft auf den nach Anrechnung der Maßregel verbleibenden Strafrest anzurechnen.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat daraufhin gemäß § 458 Abs. 1 StPO beantragt festzustellen, dass mit der Entlassung des Beschwerdegegners aus dem Maßregelvollzug eine Reststrafe von 283 Tagen verbleibt und deren Vollstreckung zulässig sei, sowie die Reststrafe nicht zur Bewährung auszusetzen.

Durch den angefochtenen Beschluss hat die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam bei dem Amtsgericht Brandenburg an der Havel entschieden, dass durch die Anrechnung der Untersuchungshaft die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten vollständig verbüßt sei.

Gegen die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer hat nach am 3. Dezember 2007 erfolgter Zustellung die Staatsanwaltschaft Potsdam unter dem 5. Dezember 2007 sofortige Beschwerde eingelegt, der die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 11. Januar 2008 nicht entgegengetreten ist.

Mit hierauf erfolgter Stellungnahme vom 23. Januar 2008 rügt der Beschwerdegegner, die von der Staatsanwaltschaft vorgenommene Anrechnungsreihenfolge verkenne das Freiheitsgrundrecht des Beschwerdegegners nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und führe zu einer willkürlichen Verlängerung seiner Strafzeitverbüßung.

II.

Die gemäß §§ 462 Abs. 1 und 3 S.1, 458 Abs. 1 StPO statthafte und auch sonst zulässige sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

Entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer kommt die Anrechnung der Untersuchungshaft auf das letzte Strafdrittel nicht in Betracht.

In der Rechtsprechung ist die Frage, in welcher Reihenfolge auf eine vom Verurteilten zu verbüßende Freiheitsstrafe gem. § 51 Abs. 1 S.1 StGB anzurechnende Untersuchungshaft/einstweilige Unterbringung und gem. § 67 Abs. 4 S.1 StGB anzurechnender vorweg vollzogener Maßregelvollzug anzurechnen sind, allerdings umstritten.

Der Senat hat hierzu bereits mit Beschluss vom 16. April 2007 - 1 Ws 55/07 - wie folgt ausgeführt:

"...Insbesondere entspricht es auch der Rechtsauffassung des Senats, dass in Fällen, in denen - wie hier - im selben Urteil neben einer Freiheitsstrafe die (vorab zu vollziehende) Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) angeordnet worden ist, zunächst gemäß § 51 Abs. 1 S. 1 StGB die vor Beginn des Maßregelvollzuges (zudem) erlittene Untersuchungshaft und erst danach gemäß § 67 Abs. 4 S. 1 StGB die Dauer des Maßregelvollzuges auf die verhängte Freiheitsstrafe anzurechnen ist, wobei für die letztgenannte Anrechnung nur noch der durch die frühere Untersuchungshaft noch nicht erledigte Rest bis zu insgesamt zwei Dritteln der Freiheitsstrafe zur Verfügung steht (OLG Frankfurt am Main NStZ RR 1996, 380; OLG Hamm NStZ RR 1996, 381; OLG Nürnberg NStZ RR 1997, 265; OLG Stuttgart NStZ RR 2002, 191; OLG Zweibrücken NStZ 1996, 357; a.A.: OLG Celle StV 1997, 477; NStZ RR 2006, 388; OLG Düsseldorf StV 1996, 47; NStZ RR 2006, 251; LG Wuppertal StV 1996, 329). Die entsprechende Reihenfolge der Anrechnung - Untersuchungshaft vor Maßregelvollzug - folgt aus § 51 Abs. 1 S.1 StGB, ..... . Eine vollständige Anrechnung der (überschießenden) Maßregeldauer ist auch von Verfassungswegen nicht geboten (BVerfG NStZ 1998, 77; vgl. im übrigen BVerfG NStZ 1995, 175); sie liefe davon abgesehen dem normativen Zweck der in § 67 Abs. 4 StGB getroffenen Anrechnungsregel zuwider, die Bereitschaft des Verurteilten zu fördern, an seiner Rehabilitation mitzuarbeiten, weil nur bei entsprechender Anrechnung die Vollstreckung eines im Verhältnis zur verhängten Strafe noch bedeutsamen Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt werden kann, umgekehrt aber kein Anreiz bestünde, wenn das "aussetzungsfähige" Drittel infolge einer nachrangigen Anrechnung von Untersuchungshaft auf eine lediglich unbedeutende Zeitspanne reduziert oder die Reststrafe vollständig "aufgezehrt" werden würde (vgl. OLG Hamm NStZ RR 1996, 381 u.H.a. Dreher/Tröndle, StGB, 47. Aufl., § 67 Rz. 5)...."

An dieser Auffassung, die gleichsam für die Anordnung einer Maßregelanordnung nach § 63 StGB und auch für die Anrechnung einer einstweiligen Unterbringung nach § 126a StPO gilt (vgl. OLG Sachen-Anhalt, Beschluss vom 20. November 2000 - 1 Ws 534/00 -), hält der Senat nach nochmaliger Prüfung fest. Der vorliegende Fall gibt keine Veranlassung, hiervon abzuweichen.

Insbesondere stellt die Anrechnung der vollstreckten Untersuchungshaft/einstweiligen Unterbringung auf die Strafe vor Anrechnung der Dauer des Maßregelvollzugs nach § 67 Abs. 4 Satz 1 StGB keinen Verstoß gegen das Übermaßverbot dar, obwohl vorliegend eine Fehleinweisung vorlag. Es ist auch nicht geboten, wegen vorliegender Fehleinweisung die gesamte Dauer der Maßregel auf die verhängte Freiheitsstrafe anzurechnen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 24. September 2007 - 2 BvR 1844/07 - entschieden, dass die Anrechnungsregel des § 67 Abs. 4 Satz 1 StGB grundsätzlich auch dann nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verfassungsgemäß ist, wenn ein Fall einer anfänglichen Fehleinweisung vorliegt, die im Wiederaufnahmeverfahren korrigiert werden kann (vgl. auch BVerfG, NJW 1995, S. 2405). Eine Entscheidung darüber, ob die Maßregel rechtswidrig auf tatsächlich fehlerhafter Grundlage angeordnet wurde, ist nämlich nur in dem dafür vorgesehenen Wiederaufnahmeverfahren zu treffen. Darüber konnte die Strafvollstreckungskammer, die allein den gegenwärtigen Zustand des Verurteilten zu beurteilen hat, wegen der fortbestehenden Rechtskraft des erkennenden Urteils nicht (rechtswirksam) befinden. Erst wenn in einem Wideraufnahmeverfahren festgestellt worden ist, dass die Maßregelanordnung zu Unrecht erfolgt ist, obliegt es der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer, ob die auf einer Fehleinweisung beruhende Maßregel in vollem Unfang auf die im selben Urteil ausgesprochene Freiheitsstrafe anzurechnen ist (vgl. BVerfG a.a.O.). Bis dahin hat es bei der Regelung des § 67 Abs. 4 Satz 1 StGB zu verbleiben. Eine Anrechung der Dauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) auf eine in demselben Urteil erkannte Freiheitsstrafe ist mithin nur möglich, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind. Dies gilt auch für diejenigen Fälle, in denen sich - wie hier - nachträglich aus tatsächlichen Gründen erweist, dass es sich bei der Unterbringung von Anfang an um eine Fehleinweisung handelte. Die Begrenzung der Anrechnung der Unterbringungszeit auf zwei Drittel der Strafe ist grundsätzlich auch deshalb gerechtfertigt, weil die Möglichkeit der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung dazu geeignet ist, die Bereitschaft des Untergebrachten zur Mitarbeit an seiner Rehabilitierung zu stärken (vgl. BVerfGE 91, 1; Tröndle/Fischer, StGB, 55. Aufl., § 67 Rn. 11). Auch und gerade dann, wenn die Unterbringung ganz oder teilweise zu Unrecht erfolgt ist, weil der Untergebrachte entweder nicht oder nicht mehr psychisch krank ist oder weil er therapieunfähig ist, kann ihm die drohende Strafe und die Möglichkeit ihrer Aussetzung bei guter Führung zur Warnung dienen und für die Zukunft zu einer straffreien Lebensweise veranlassen (vgl. BVerfG a.a.O.).

Danach ist eine volle Anrechnung der vollzogenen Maßregel rotz Fehleinweisung hier nicht geboten. Diese kann der Beschwerdeführer gegebenenfalls im Wiederaufnahmeverfahren erreichen, weil es sich vorliegend nicht um eine Fallgestaltung handelt, bei der die Unterbringung auf einem bloßen Rechtsfehler durch das Tatgericht beruht (vgl. OLG Frankfurt, NStZ-RR 2002, 58; StV 2007, 430; BVerfG, NStZ 1995, 174).

III.

Zur Entscheidung über die Frage einer Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung gemäß § 57 StGB war der Senat nicht berufen, da diese nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens war und es zudem neben weiteren Voraussetzungen des § 454 StPO an der zwingend vorgeschriebenen mündlichen Anhörung des Beschwerdegegners fehlt. Die Sache war insoweit an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen (vgl. Meyer-Goßner StPO, 50. Aufl. § 309, Rn. 8), die unverzüglich über die Frage der Bewährungsaussetzung zu entscheiden haben wird.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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