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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 16.11.2009
Aktenzeichen: 1 Ws 179/09
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 172
Durch Rechtspflegedelikte (§§ 153 bist 165, 339, 356 StGB) Verletzte im Sinne der §§ 171, 172 StPO sind die durch diese Straftaten beeinträchtigten Verfahrensbeteiligten anzusehen. Verletzt ist daher diejenige Prozesspartei (Angeklagter, Privatkläger, Kläger, Beklagter, Nebenintervenient, Beigeladener), bei der durch die Falschaussage, den Meineid, die falsche eidesstattliche Bekräftigung oder die Rechtsbeugung die Entscheidung zu ihrem Nachteil beeinflusst worden ist, nicht aber die beteiligten Organe der Rechtspflege wie Richter, Staatsanwälte und Verteidiger.
Tenor:

Der Antrag des Anzeigeerstatters auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg vom 27. Juli 2009 wird als unzulässig verworfen.

Gründe:

1. Der Antragsteller wirft mit seiner Strafanzeige vom 12. März 2007 dem Beschuldigten die Begehung eines Meineides gemäß § 154 StGB vor, begangen am 14. Mai 2004 vor dem Amtsgericht Perleberg oder am 6. Januar 2005 vor dem Landgericht Neuruppin.

Sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung richtet sich gegen den Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg vom 27. Juli 2009, durch den diese dem Anzeigeerstatter mit näheren Ausführungen mitgeteilt hat, dass sie keinen Anlass sehe, in Abänderung des angefochtenen Einstellungsbescheids der Staatsanwaltschaft Neuruppin vom 3. März 2009 die Wiederaufnahme der Ermittlungen und die Erhebung der öffentlichen Klage gegen den Beschuldigten anzuordnen.

2. Der Antrag des Anzeigenden auf gerichtliche Entscheidung hat keinen Erfolg. Er ist bereits unzulässig.

a) Er ist bereits unzulässig, weil der Antragsteller nicht Verletzter im Sinne von § 172 Abs. 1 Satz 1 StPO ist. Dem Antragsteller steht die Beschwerde an den Generalstaatsanwalt gegen den Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft nur zu, wenn er zugleich Verletzter ist (§ 172 Abs. 1 Satz 1 StPO). Infolgedessen setzt auch der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 172 Abs. 2 S. 1 StPO voraus, dass der Antragsteller durch die dem Beschuldigten zur Last gelegte Straftat verletzt worden ist. Nach allgemeiner Ansicht sind durch Rechtspflegedelikte (§§ 153 bist 165, 339, 356 StGB) als Verletzte im Sinne der §§ 171, 172 StPO die durch diese Straftaten beeinträchtigten Verfahrensbeteiligten anzusehen. Verletzt ist daher diejenige Prozesspartei (Angeklagter, Privatkläger, Kläger, Beklagter, Nebenintervenient, Beigeladener), bei der durch die Falschaussage, den Meineid, die falsche eidesstattliche Bekräftigung oder die Rechtsbeugung die Entscheidung zu ihrem Nachteil beeinflusst worden ist (vgl. OLG Bremen NStZ 1988, 39; OLG Düsseldorf JZ 1989, 404; OLG Düsseldorf StraFo 2001, 165; KG, Beschluss vom 3. Februar 2006, 3 Ws 312/05; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10.11.2000, 3 Ws 220/99, zitiert nach juris). Nicht als Verletzte der Rechtspflegedelikte sind dagegen die betreffenden Rechtspflegeorgane bzw. deren Mitglieder (Richter, Mitglieder eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, Staatsanwalt, Rechtsanwalt) anzusehen (vgl. Löwe/Rosenberg-Graalmann-Scheerer, StPO, 25. Aufl. 2004, § 172 Rn. 72).

Das Klageerzwingungsverfahren sichert das Legalitätsprinzip, hat seinen Ursprung jedoch im Begriff des Verletzten und dessen Interessen, wie die Entstehungsgeschichte verdeutlicht. Das Institut der Klageerzwingung ist das Ergebnis eines Kompromisses zwischen der Regelung des im Jahr 1874 vom damaligen Bundesrat eingebrachten Entwurfs, der - abgesehen von den Privatklagedelikten - bei Einstellung des Verfahrens nur die Beschwerde an den vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft, und zwar durch den Verletzten, vorsah, und der Forderung der Reichstagskommission, jedem Anzeigeerstatter die Erzwingung der öffentlichen Klage zu ermöglichen. Dem Kompromiss war eine scharfe Auseinandersetzung zwischen den Regierungsvertretern und dem Reichstag vorausgegangen, die im Hinblick auf die Frage der Notwendigkeit einer Kontrolle der Entscheidungen durch die Staatsanwaltschaft durch eine unabhängige Instanz überhaupt grundsätzlichen Charakter angenommen hatte (siehe § 146 Abs. 2 des Entwurfs einerseits und § 148 der Kommissions-Fassung andererseits, Hahn, Materialien II, 2. Aufl. 1886, S. 2216 f.; vgl. auch v. Liszt, Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge I, 1905, S. 30 ff.).

Durch die Verankerung prozessförmiger Verfahren erfüllt der Staat nicht nur Bedürfnisse der Allgemeinheit wie vorliegend die Gewährung des Legalitätsprinzips, sondern zugleich auch - durch Justizgewährung - gewisse Individualinteressen. Nur insoweit diese konkret unterstützend zu den öffentlichen Interessen hinzutreten, wird das Klageerzwingungsverfahren zulässig (vgl. Frisch JZ 1974, S. 7, 9; Maiwald GA 1970, S. 33, 52; Hefendehl GA 1999, S. 584, 587). Das Verhältnis zum oben angeführten Zweck des Klageerzwingungsverfahrens, der Sicherung des Legalitätsprinzips, ist dahin zu konkretisieren, dass es nicht um die Gewährleistung des § 152 Abs. 2 StPO als eines objektiven Rechtsprinzips geht, sondern das Klageerzwingungsverfahren den Schutz des Verletzten bezweckt, soweit dieser durch die Einstellung des Verfahrens beschwert erscheint; erst insoweit dient das Klageerzwingungsverfahren dem Legalitätsprinzip (vgl. OLG Stuttgart NJW 2001, S. 840; OLG Düsseldorf VRS 98, S. 136; OLG Düsseldorf NStZ 1995, S. 49; OLG Düsseldorf NJW 1992, S. 2370; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2001, S. 112; OLG Koblenz NJW 1985, S. 1409; OLG Bremen NStZ-RR 2000, S. 270; OLG Hamm NJW 1972, S. 1874; OLG Köln NJW 1972, S. 1338; Frisch JZ 1974, S. 7, 9 f.; Krehl in: Heidelberger Kommentar, StPO, 2. Aufl. 1999, § 172 Rdnr. 1; KK-Schmid, StPO, 5. Aufl. 2003, § 172 Rdnr. 1, 18; Pfeiffer, StPO, 5. Aufl. 2005, S. 172 Rdnr. 1; Roxin, Strafverfahrensrecht, 25. Aufl. 1998, § 39 Rdnr. 2; Beulke, Strafprozeßrecht, 7. Aufl. 2004, Rdnr. 344; Maiwald GA 1970, S. 33, 52; Hefendehl GA 1999, S. 584, 587; Karlsbach, Die gerichtliche Nachprüfung von Maßnahmen der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren, 1967, S. 82). Der Gesetzgeber hat durch das "limitierende Prinzip" (Frisch aaO.) - das Erfordernis der Verletzung - darauf verzichtet, der Sicherung und Durchsetzung des Legalitätsprinzips uneingeschränkte Priorität einzuräumen. Mithin kann ein Organ der Rechtspflege - wie im vorliegenden Fall der Antragsteller als Verteidiger in einem Strafverfahren - jedenfalls so lange keine Verletzteneigenschaft zukommen, so lange er nicht in eigenen Individualinteressen betroffen ist. Im vorliegenden Verfahren ist der Antragsteller durch den behaupteten Meineid nicht unmittelbar in einem eigenen Rechtsgut betroffen.

b) Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass das Klageerzwingungsgesuch vom 2. September 2009 überdies nicht den Darlegungserfordernissen des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO genügt. Nach dieser Vorschrift muss der Klageerzwingungsantrag diejenigen Tatsachen bezeichnen, die die Erhebung der öffentlichen Klage gegen die Beschuldigte begründen sollen. Hierzu gehört eine in sich verständliche Sachdarstellung unter besonderer Berücksichtigung der (möglichen) Beweismittel. (vgl. BVerfG Beschl. v. 3. März 1993 - 2 BvR 125/94 - ; OLG Koblenz NJW 1977, S. 1461 f.; OLG Stuttgart NStZ-RR 2002, S. 79; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. statt vieler: Beschluss vom 8. Mai 2006 - 1 Ws 85/06 -; Beschluss vom 26. Januar 2007 - 1 Ws 5/07 - ; Beschluss vom 26. Februar 2007 - 1 Ws 13/07; Beschluss vom 16. Januar 2008 - 1 Ws 310/07).

Die Ausführungen im Klageerzwingungsantrag sollen den erkennenden Senat in die Lage versetzen, zu prüfen, ob die Staatsanwaltschaft unter Verstoß gegen das Legalitätsprinzip das Verfahren gegen den Beschuldigten eingestellt hat anstatt öffentliche Klage zu erheben. Der Antrag muss es dem zur Entscheidung berufenen Gericht deshalb ermöglichen, allein aufgrund seines Inhalts und ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten sowie etwa vorhandener Beiakten oder Beistücke oder Anlagen eine dahingehende Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen, ob er in zulässiger Weise - auch fristgemäß - gestellt worden ist und ob nach dem Vorbringen des Antragstellers ein für die Erhebung der öffentlichen Klage hinreichender Tatverdacht gegeben ist (vgl. OLG Stuttgart a.a.O.; OLG Karlsruhe, Die Justiz 2001, S. 166 f.).

Diesen skizzierten Vorgaben wird der Klageerzwingungsantrag nicht gerecht. Es fehlt bereits an einer in sich geschossenen Sachverhaltsdarstellung. Da der Antragsteller dem Beschuldigten die Begehung eines Meineides vorwirft, bedarf es einer Schilderung des zugrunde liegenden Strafverfahrens gegen Ralf P., dessen Ausgang durch die vermeintlich vorsätzliche falsche Aussage, deren Wahrheit durch den Beschuldigten beschworen wurde, beeinflusst worden sein soll. Daran fehlt es hier, so dass unklar ist, worum es in den Verfahren, in denen der Beschuldigte als Zeuge aufgetreten ist, ging. Des Weiteren beschränkt sich die Wahrheitspflicht eines Zeugen auf den Vernehmungsgegenstand (vgl. BGHSt 7, 127; BGHSt 25, 244, 246, Geppert Jura 2002, 173, 174 f.). Ausführungen zum Beweisthema bzw. zum Vernehmungsgegenstand sind der Antragsschrift - wie auch schon der Strafanzeige vom 12. März 2007 - ebenfalls nicht zu entnehmen. Vor diesem Hintergrund ist die in der Strafanzeige vom 12. März 2007 und in der Antragsschrift vom 2. September 2009 wiedergegebene, aus dem Zusammenhang gerissene, Aussage des hier Beschuldigten vor dem Amtsgerichts Perleberg vom 14. Mai 2004 hinsichtlich des Sinngehalts und des Kontextes nicht nachvollziehbar. Soweit den - teils konfusen und wenig systematischen - Ausführungen in der Antragsschrift entnommen werden kann, dass es offenbar um die Anzahl von Fahrzeugen am Tatort ging (wobei die Bedeutung dessen weiter unklar bleibt) und dem Beschuldigten durch den Antragsteller offenbar vorgeworfen wird, nicht auch einen Notarztwagen erwähnt zu haben, wird dies gerade durch das Protokoll über die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Perleberg am 14. Mai 2004 widerlegt, wonach der hier Beschuldigte in derselben Vernehmung, wenige Zeit vorher, auch den Notarztwagen erwähnt (vgl. Bl. 16 des Protokolls, Bl. 315 R Sonderband).

Soweit der Antragsteller einen (weiteren) Meineid darin sieht, dass der Beschuldigte unterschiedliche Aussagen zur Ausrichtung abgestellter Kraftfahrzeuge gemacht haben will, bleibt auch hier die Bedeutung der Aussage für das Verfahren unklar, da der Verfahrensgegenstand bzw. die dem damals Angeklagten P. vorgeworfene Straftat nicht mitgeteilt wird. Es fehlen auch Angaben zur Tatzeit hinsichtlich der dem damals angeklagten P. vorgeworfenen Tat, so dass für den erkennenden Senat nicht nachprüfbar ist, ob möglicherweise Erinnerungslücken Grund für die behaupteten unterschiedliche Aussagen des Beschuldigten sein können, was einem Meineid entgegenstehen würde. Schließlich sind die Angaben zur Ausrichtung abgestellter Fahrzeuge je nach Blickwinkel des Betrachters auslegungsfähig, so dass sich daraus nicht zwingend Rückschlüsse auf eine bewusste Falschaussage ergeben.

Soweit der Antragsteller der Antragsschrift zahlreiche Kopien aus Akten beifügt, kann dies den eigenen Sachvortrag nicht ersetzen und ist unzulässig (vgl. OLG Hamm VRS 197, S. 197; OLG Koblenz NJW 1977, S. 1461). Dies gilt jedenfalls so weit, als erst durch die Kenntnisnahme von Inhalten dieser Anlagen bzw. Aktenbestandteile die erforderliche geschlossene Sachdarstellung erreicht wird (vgl. KG NStE, Nr. 28; OLG Düsseldorf StV 1983, S. 498; OLG Saarbrücken wistra 1995, S. 36; OLG Schleswig SchlHA 1988, S 109; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. statt vieler: Beschluss vom 26. Mai 2008, 1 Ws 34/08).

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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