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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 08.02.2007
Aktenzeichen: 1 Ws 209/06
Rechtsgebiete: SGB VII, SGB X, SGB IV, StPO, JKGBbg, JVKostO, KO, GKG, DRiG


Vorschriften:

SGB VII § 8
SGB VII § 110
SGB X § 1 Abs. 2
SGB X § 64 Abs. 2 S. 1
SGB X § 64 Abs. 2 S. 2
SGB X § 116
SGB IV § 1
StPO § 474 Abs. 2
JKGBbg § 1
JVKostO § 5
JVKostO § 5 Abs. 1
KO § 137 Abs. 1 Nr. 4
GKG § 28 Abs. 2
DRiG § 25
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

1 Ws 209/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In dem Ermittlungsverfahren

wegen Körperverletzung;

hier: Entrichtung der Aktenversendungspauschale

hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Thaeren-Daig, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Bachnick und die Richterin am Oberlandesgericht Michalski

am 8. Februar 2007

beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde der Landeskasse gegen den Beschluss der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin vom 10. Juli 2006 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die weitere Beschwerde der Landeskasse richtet sich gegen die durch den Beschluss der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin vom 10. Juli 2006 bestätigte Entscheidung des Amtsgerichts Neuruppin vom 14. März 2006, die Beschwerdegegnerin, die Unfallkasse ..., Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung und Körperschaft des öffentlichen Rechts, sei nicht verpflichtet, für die Übersendung von Verfahrensakten eines Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft Neuruppin eine Kostenpauschale in Höhe von 12,00 € zu entrichten.

Am 21. September 2005 hatte die Beschwerdegegnerin die Staatsanwaltschaft Neuruppin um Übersendung der Ermittlungsakte in dem Strafverfahren 372 Js 12213/05 gebeten, um prüfen zu können, ob bei dem verfahrensgegenständlichen Geschehen ein Arbeitsunfall gemäß § 8 SGB VII vorliege bzw. ob Regressansprüche nach §§ 116 SGB X, 110 SGB VII geltend zu machen seien.

Mit Kostenrechnung vom 10. Oktober 2005 forderte der Kostenbeamte der Staatsanwaltschaft Neuruppin die Beschwerdegegnerin gemäß Nr. 9003 des Kostenverzeichnisses (KV) zur Zahlung einer Aktenversendungspauschale in Höhe von 12,00 € auf. Gegen diesen Kostenansatz hat die Beschwerdegegnerin mit Anwaltsschriftsatz vom 18. Oktober 2005 Erinnerung eingelegt, der das Amtsgericht Neuruppin mit Beschluss vom 14. März 2006 abgeholfen hat. Gleichzeitig hat das Amtsgericht infolge der grundsätzlichen Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfrage die Beschwerde gegen seine Entscheidung zugelassen.

Gegen den Beschluss des Amtsgerichts hat der Bezirksrevisor als Vertreter der Landeskasse am 30. März 2006 Beschwerde erhoben, welche die 2. große Strafkammer des Landgerichts Neuruppin mit Beschluss vom 10. Juli 2006 als unbegründet verworfen hat. Ihre Entscheidung hat die Kammer darauf gestützt, dass die Beschwerdegegnerin als Sozialversicherungsträger i.S.d. § 1 SGB IV bereits nach § 64 Abs. 2 S.1 SGB X von der Verpflichtung zur Zahlung der Auslagenpauschale befreit sei. Weil die zu Grunde liegende Rechtsfrage im Bezirk des Brandenburgischen Oberlandesgerichts unterschiedlich behandelt werde und obergerichtlich noch nicht geklärt sei, hat die Strafkammer die weitere Beschwerde gegen ihre Entscheidung zugelassen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die weitere Beschwerde des Bezirksrevisors als Vertreter der Landeskasse vom 18. Juli 2006, mit der er auch unter Bezugnahme auf vorhergehende Stellungnahmen eine Kostenfreiheit der Beschwerdegegnerin nach § 64 Abs. 2 S. 1 SGB X in Abrede stellt und weiter ausführt, dass es sich bei der Gewährung von Akteneinsicht um Rechtshilfe handele, welche keine Kostenfreiheit nach sich ziehe.

Die Kammer hat der weiteren Beschwerde mit Beschluss vom 18. September 2006 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die weitere Beschwerde der Landeskasse ist statthaft, bleibt in der Sache allerdings ohne Erfolg.

Die angefochtene Entscheidung beruht nicht auf einer Verletzung des Rechts (§ 66 Abs. IV S. 2 GKG), sie ist rechtlich nicht zu beanstanden.

1. Die Landeskasse kann für die nach § 474 Abs. 2 StPO erfolgte Aktenversendung keine Auslagen geltend machen, da weder das GKG/KV noch die JVKostO/KostO eine den Auslagenerstattungsanspruch gegenüber der Beschwerdegegnerin begründende Kostennorm enthalten. Dafür ist ohne Bedeutung, ob die Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft oder ein Gericht gewährt wird und ob die Aktenversendung als Angelegenheit der Justizverwaltung oder als eine solche der Rechtspflege zu betrachten wäre. Eine Aktenversendungspauschale kann nämlich nur in Rechnung gestellt werden, wenn die Aktenversendung auf Antrag erfolgt. Sofern der Aktenübersendung demgegenüber - wie hier - ein Amtshilfeersuchen zugrunde liegt, hat eine Auslagenerstattung nicht zu erfolgen.

a) Bei der - wie vorliegend - durch die Staatsanwaltschaft nach Abschluss eines Verfahrens gewährten Akteneinsicht an eine Behörde, die nicht Verfahrensbeteiligte ist, handelt es sich um eine Justizverwaltungsangelegenheit (vgl. BGHSt 46, 261; AG Verden, JurBüro 1987, 571; AG Osnabrück NdsRpfl 1990, 156; OLG Hamm NStZ-RR 1996, 11), sodass für die Geltendmachung einer Aktenversendungsauslage grundsätzlich nicht das GKG, sondern nach § 1 JKGBbg die JVKostO unter Verweis auf die KostO herangezogen werden müsste (vgl. AG Duisburg, DOK 1972, 533; AG Bonn, JVBl 1972, 118; AG Osnabrück, NdsRpfl 1990, 156). Dies ist in Bezug auf den Rechtsmittelweg allerdings unerheblich, da dieser nach dem GKG und der JVKostO gleichermaßen gegeben ist.

Mit dem im Rahmen des KostRÄndG 1994 neu eingeführten Auslagentatbestand im KV Nr. 9003, der weitgehend die Bestimmungen des auf die KostO verweisenden § 5 JVKostO übernahm, sollte nach den Vorstellungen des Gesetzgebers die (insbesondere bei Tätigwerden der Gerichte) oft schwierige Abgrenzung zwischen Angelegenheiten der Justizverwaltung und Angelegenheiten der Rechtspflege entfallen (vgl. BT-Ds. 12/6962 Seite 87).

Eine Aktenversendungspauschale sollte dementsprechend nach dem Wortlaut des § 137 Abs. 1 Nr. 4 KO, auf den § 5 Abs. 1 JVKostO verweist, als auch des § 28 Abs. 2 GKG mit Verweis auf KV 9003 nur angesetzt werden können, wenn die Aktenversendung auf Antrag erfolgt. Sofern der Aktenübersendung demgegenüber ein Amtshilfeersuchen zugrunde liegt, kommt ein Kostenansatz nicht in Betracht (vgl. BT-Drucks. a.a.O.; OLG Hamm, NJW 2006, 1076).

b) Die Bitte der Beschwerdegegnerin um Übersendung von Straf- oder Ermittlungsakten - ob gegenüber der Staatsanwaltschaft oder gegenüber einem Gericht - stellt sich als ein Ersuchen um Amtshilfe dar.

Nach Art. 35 GG leisten sich alle Behörden des Bundes und der Länder gegenseitige Rechts- und Amtshilfe. Auch wenn im Schrifttum und in der Rechtssprechung die Begriffe der Amts- und Rechtshilfe unterschiedlich definiert werden, besteht Einigkeit dahingehend, dass ihre Unterscheidung für die Verpflichtung des Art. 35 GG zur gegenseitigen Hilfeleistung ohne praktische Bedeutung ist (vgl. Sach, GG, 1999, Art. 35, Rn.10ff; Maunz-Düring, GG, 2006, Art. 35, Rn. 1ff; Schmidt-Bleibtreu, GG, 1999, Art. 35, Rn. 1ff; Wassermann, GG, 1989, Art. 35, Rn. 13 ff). Amts- und Rechtshilfe sind gleichermaßen als Hilfeleistung zwischen Behörden unter Überwindung bestehender Kompetenz- und Zuständigkeitsgrenzen zu definieren. Hilfe im Sinne des Art. 35 GG ist demnach die Tätigkeit einer Behörde, die sie auf Ersuchen einer anderen Behörde vornimmt, um der ersuchenden Behörde die Durchführung ihrer Aufgaben zu ermöglichen oder zu erleichtern. Sowohl die Staatsanwaltschaften als auch die Gerichte sind Behörden i.S.d. Grundgesetzes. Die Beschwerdegegnerin, die als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung und Körperschaft des öffentlichen Rechts mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben nach dem SGB betraut ist, ist Behörde i.S. des § 1 Abs. 2 SGB X (vgl. von Wulffen, SGB X, 4. Aufl., § 1, Rn. 9ff). Ihr ist mithin auf ihr Ersuchen Amtshilfe - hier durch kostenfreie Gewährung von Akteneinsicht durch Aktenübersendung - zu leisten.

c) Es ist dabei letztlich unerheblich, welches Justizorgan (ob Staatsanwaltschaft, Gerichtsverwaltung oder vor Abschluss eines Verfahrens der erkennende Richter) über die Durchführung der Aktenversendung an die nicht am Verfahren beteiligte Behörde entscheidet, denn die Zulässigkeit einer Amtshilfemaßnahme richtet sich nach dem Recht der ersuchenden Behörde, die Durchführung der Amtshilfe nach dem Recht der ersuchten Behörde (vgl. BVerwG NVwZ 1986, 467; OLG Celle, Rpfleger 1983, 160).

Bei der durch die Staatsanwaltschaft nach Abschluss eines Verfahrens veranlassten Aktenübersendung an die Unfallkasse, die nicht Verfahrensbeteiligte ist, handelt es sich zwar, wie bereits ausgeführt, um eine Justizverwaltungsangelegenheit. Gleiches gilt jedenfalls für die Veranlassung der Aktenversendung durch die Gerichtsverwaltung, wenn die Entscheidung nicht im laufenden Verfahren, mithin nicht von einem erkennenden Richter getroffen wird (vgl. Rohs/Wedewer KostO 2006, Einl. Vor § 1 Rn. 8). Dies steht der Behandlung des Begehrens der Beschwerdegegnerin als Ersuchen um Amtshilfe aber nicht entgegen (vgl. OLG Celle, MDR 1990, 360; BGHSt 46, 261) und hat allenfalls Bedeutung für den eröffneten Rechtsweg, sofern dem Ersuchen nach Akteneinsicht nicht stattgegeben würde. Die Entscheidung über Akteneinsicht in einem schwebenden Verfahren ist zwar richterliche Tätigkeit, die der Unabhängigkeitsgarantie des § 25 DRiG unterfällt. Der Richter entscheidet allerdings insoweit auch als Vertreter der rechtsprechenden Gewalt gegenüber anderen Behörden im Rahmen der ersuchten Amtshilfe (so BGHZ 51, 193; BayerOLG, FamRZ 1989, 33).

Selbst wenn die Entscheidung über die Aktenversendung durch den erkennenden Richter als judikative Leistung, mithin als Rechtshilfe zu qualifizieren wäre, stellte sie jedenfalls eine der Amtshilfe durch Behörden entsprechende Unterstützung durch die Gerichte dar (vgl. Wassermann, GG, a.a.O.). Diese Unterstützung ist gegenüber einer nicht am Verfahren beteiligten Behörde als kostenfreie Amtshilfe zu behandeln, weil kein die Auslagenfolge auslösender Antrag i.S. des § 28 Abs. 2 GKG i.V.m. KV Nr. 9003 bzw. nach § 137 Abs. 1 Nr. 4 KO, sondern ein Ersuchen um Amtshilfe vorliegt (vgl. Oestreich/Winter/Hellstab, GKG, 2005, § 28, Rn.8). Etwas anderes kann nur gelten, wenn die Entscheidung über die Akteneinsicht gegenüber den Verfahrensbeteiligten zu treffen ist (vgl. OLG Hamm JMBl NW 2004, 235; Zöller/Gummer, ZPO, 24. Aufl., § 23 EGGVG, Rn. 12; Kissel, GVG, 3. Aufl., § 23 EGGVG, Rn. 29, § 12, Rn. 109).

d) Vorliegend konnte der Senat von einer Entscheidung darüber absehen, ob der Beschwerdegegnerin, wie das Landgericht meint, nach § 64 Abs. 2 S. 1 SGB X Kostenfreiheit zusteht. Zweifelhaft ist insofern aber bereits, ob § 64 Abs. 2 S. 1 SGB X auch auf Kosten anzuwenden ist, die nach dem GKG oder der JVKostO entstanden sind. Nach § 64 Abs. 2 Satz 2 soll die beschriebene Kostenfreiheit auch für die in der KostO bestimmten Gerichtskosten gelten. Dies schränkt den Anwendungsbereich des Satz 1 dahingehend ein, dass Gerichtskosten von ihm nicht erfasst sein sollen. Ein ausdrücklicher Hinweis auf die Gerichtskosten nach der KostO in Satz 2 der genannten Vorschrift wäre nämlich überflüssig, wenn von deren Satz 1 ohnehin alle Gerichtskosten mit umfasst sein sollten. (vgl. Pickel, SGB X, § 64, Rn.18; Dr. Neumann-Duesberg, ErsK 1980, 478 (489)).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 66 Abs. VIII GKG sowie aus § 14 Abs. 9 KostO i.V.m. § 1 JKGBb, § 5 Abs. 1 JVKostO.

Ende der Entscheidung

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