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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 07.12.2006
Aktenzeichen: 1 Ws 253/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 142 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

1 Ws 253/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Strafsache

wegen gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung

hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Thaeren-Daig, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Bachnick und die Richterin am Oberlandesgericht Michalski

am 7. Dezember 2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin (Jugendschöffengericht) vom 22. Februar 2006 unter Aufhebung des Beschlusses der 2. großen Strafkammer (große Jugendkammer) des Landgerichts Neuruppin vom 6. Oktober 2006 dahingehend abgeändert, dass die darin enthaltene Beschränkung der Vergütung des Pflichtverteidigers auf die Kosten eines ortsansässigen Rechtsanwalts entfällt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten in diesem erwachsenen notwendigen Auslagen hat die Landeskasse zu tragen.

Gründe:

I.

Gegen den Angeklagten ist ein Strafverfahren wegen des Vorwurfs der gemeinschaftlichen räuberischen Erpressung anhängig. Das erstinstanzlich mit der Sache befasste Amtsgericht Neuruppin (Jugendschöffengericht) bestellte Rechtsanwalt .....aus Hamburg im Hauptverhandlungstermin vom 22. Februar 2006 auf seinen Antrag hin mit der Maßgabe zum Pflichtverteidiger, dass "sich die Bestellung hinsichtlich der Kosten auf gerichtsbezirksansässigen Anwalt bezieht". Seine hiergegen gerichtete Beschwerde nahm der Angeklagte zurück, nachdem die zuständige Beschwerdestrafkammer ihm mitgeteilt hatte, sie beabsichtige die Bestellung eines anderen, innerhalb des Gerichtsbezirks ansässigen, Pflichtverteidigers.

Gegen seine am 14. Juni 2006 erfolgte erstinstanzliche Verurteilung wegen der verfahrensgegenständlichen Tat zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und zwei Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung wendet sich der Angeklagte mit der Berufung. Im Termin zur Berufungshauptverhandlung vom 6. Oktober 2006 ließ er beantragen, ihm Rechtsanwalt Wiedemann ohne kostenrechtliche Beschränkungen als notwendigen Verteidiger beizuordnen. Dies hat die 2. große Strafkammer (große Jugendkammer) des Landgerichts Neuruppin mit Beschluss vom gleichen Tage ihrerseits abgelehnt; zur Begründung führt die Kammer aus, die Beiordnung eines nicht im Bezirk des mit der Sache befassten Gerichts ansässigen Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger habe nach einer Abwägung aller berührten Interessen, deshalb auch unter Würdigung fiskalischer Gesichtspunkte, zu erfolgen; fallbezogen bestehe zwar zwischen Angeklagten und Pflichtverteidiger eine enge Vertrauensbeziehung; doch stelle sich die Verteidigung weder als besonders schwierig dar noch erfordere sie Spezialkenntnisse, die der derzeitige Pflichtverteidiger besitze; bei dieser Sachlage erscheine es als angemessen, die Beiordnung des auswärtigen Rechtsanwalts aus Kostengründen auf die Vergütung eines ortsansässigen Verteidigers zu beschränken.

Mit der erneut erhobenen Beschwerde verfolgt der Angeklagte sein Begehren weiter. Das Berufungsverfahren ist bislang, nach Aussetzung der Hauptverhandlung, noch nicht zum Abschluss gekommen.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Abänderung der der Pflichtverteidigerbestellung zugrundeliegenden amtsgerichtlichen Entscheidung vom 22. Februar 2006 und Aufhebung des entgegenstehenden Kammerbeschlusses vom 6. Oktober 2006.

Jedenfalls nunmehr hat der Angeklagte einen Anspruch darauf, dass ihm Rechtsanwalt ....(ohne Einschränkungen) zum notwendigen Verteidiger bestellt wird. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger unter Beschränkung auf die Vergütung eines ortsansässigen Rechtsanwalts war unzulässig, weil sie gesetzlich nicht vorgesehen ist (allgemeine Auffassung: OLG Celle AnwBl 1981, 196; OLG Düsseldorf MDR 1985, 343; OLG Frankfurt am Main StV 1989, 241; OLG Hamm NJW 1954, 1541; 1968, 854; OLG Saarbrücken AnwBl 1982, 214; StV 1983, 362; OLG Zweibrücken AnwBl 1979, 440). Die Vorschriften der Zivilprozessordnung (§ 121 ZPO) für die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Prozesskostenhilfeverfahren sind auf den hier vorliegenden Fall der Beiordnung eines notwendigen Verteidigers (§ 140 StPO) mangels gesetzlicher Verweisung unanwendbar. Dies hat zur Folge, dass die dem Zivilrichter im Fall der Gewährung von Prozesskostenhilfe gegebene (theoretische; vgl. insoweit zu den neueren Entwicklungen im Zivilprozessrecht: Zöller/ Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 121 Rn. 12 m.w.N.) Möglichkeit, die Entstehung von Mehrkosten für den Justizfiskus durch die Beiordnung eines nicht beim Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalts zu vermeiden, dem Strafrichter im Rahmen der Pflichtverteidigerbestellung nicht in gleicher Weise zusteht.

Angesichts dieser Sachlage stand dem Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts Neuruppin bei seiner - entsprechend ihrem Wortlaut nicht allein für das erstinstanzliche Verfahren getroffenen - Entscheidung über die Pflichtverteidigerbestellung zwar entsprechend § 142 Abs. 1 StPO ein Auswahlermessen zu.

Aber abgesehen davon, dass dieses auch unter Berücksichtigung fiskalischer Gesichtspunkte (vgl. § 142 Abs. 1 S. 1 StPO) im Verhältnis zu demjenigen Rechtsanwalt, zu dem der Angeklagte bereits ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hat, nur erheblich eingeschränkt besteht (vgl. § 142 Abs. 1 S. 3 StPO), hat sich das skizzierte Ermessen im Laufe des Verfahrens weiter reduziert. Der Angeklagte hat nämlich das Vertrauensverhältnis zu seinem Verteidiger während der Dauer dessen Beiordnung weiter vertiefen können; einer Auswechslung des notwendigen Verteidigers stehen zudem Gesichtspunkte der Verfahrensökonomie entgegen, da sich ein neuer Pflichtverteidiger erst einarbeiten und zum Angeklagten seinerseits ein Vertrauensverhältnis aufbauen müsste. Zudem hat der Rechtsmittelführer ein dahingehendes schützenswertes Vertrauen entwickeln können, dass ihm Rechtsanwalt Wiedemann, der ihn bereits seit nunmehr nahezu einem Jahr und damit fast während des gesamten bisherigen Verfahrensganges vertritt, weiter zugeordnet bleibt: Denn es sind bislang keine Umstände eingetreten, die von Gesetzes wegen eine Rücknahme seiner Bestellung rechtfertigten. Die Beiordnung des bisherigen Pflichtverteidigers muss daher bestehen bleiben.

Die Unzulässigkeit der vergütungsmäßigen Beschränkung der Pflichtverteidigerbeiordnung im vorliegenden Verfahren führt zugleich dazu, dass diese rückwirkend ab Antragstellung (22. Februar 2006) entfällt. Auch wenn sich der Pflichtverteidiger mit einer Beschränkung seiner Vergütung auf diejenige eines ortsansässigen Rechtsanwalts einverstanden erklären kann (OLG Hamm JurBüro 1979, 1668; OLG Koblenz MDR 1979, 472), worauf die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 28. November 2006 zu Recht hingewiesen hat, lag ein solches, schon aus Gründen der Rechtsklarheit ausdrücklich zu erklärendes (vgl. OLG Hamm NJW 1968, 854), Einverständnis hier doch nicht vor. Dass der Angeklagte den amtsgerichtlichen Beschluss vom 22. Februar 2006 nach Rücknahme seiner ursprünglich eingelegten Beschwerde zunächst hingenommen hat, gerät ihm nicht zum Nachteil, weil aus diesem prozessualen Verhalten kein Einverständnis im dargestellten Sinne hergeleitet werden kann (unzutreffend: Landgericht Frankfurt am Main StV 1987, 158). Vor diesem Hintergrund braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob das Einverständnis in eine beschränkte Vergütung (nur) mit Wirkung für die Zukunft (so wohl zutreffend: OLG Zweibrücken NStZ-RR 1997, 287) zurückgenommen werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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