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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 28.07.2003
Aktenzeichen: 1 Ws 73/03
Rechtsgebiete: BtMG


Vorschriften:

BtMG § 35
BtMG § 35 Abs. 1
BtMG § 35 Abs. 1 S. 1
BtMG § 35 Abs. 1 S. 2
BtMG § 35 Abs. 2 S. 1
BtMG § 35 Abs. 3
BtMG § 35 Abs. 3 Nr. 2
BtMG § 36 Abs. 1 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

1 Ws 73/03 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Strafvollstreckungssache

wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln

hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Richter am Oberlandesgericht ... als Vorsitzenden, den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Landgericht ...

am 28. Juli 2003

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin vom 21. Mai 2003 aufgehoben. Der Zurückstellung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil der 1. Strafkammer des Landgerichts Neuruppin vom 8. März 2001 wird zugestimmt.

Gründe:

I.

Die Verurteilte verbüßt derzeit eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten aus einem Urteil der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin vom 8. März 2001, das sie des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 14 Fällen, davon in 10 Fällen mit solchen geringer Menge, rechtskräftig schuldig gesprochen hat. Den Urteilsfeststellungen zufolge veräußerte die Verurteilte im Zeitraum Silvester 1999 bis zum 27. August 2000 mehrfach an verschiedenen Orten in ..., ... und ... Ecstasy-Tabletten, die sie zuvor zu Zwecken des Weiterverkaufs erworben hatte, an Dritte. Die Erlöse aus der Weiterveräußerung behielt die Verurteilte, die bei Begehung der Taten ständig unter Geldnot litt und schon vor einer früheren Inhaftierung wegen Betrugstaten (August 1998) regelmäßig Drogen verschiedener Art konsumierte, für sich.

Die Strafe aus dem Urteil vom 8. März 2001 wird unter Anrechnung von insgesamt 347 Tagen Untersuchungshaft seit dem 9. August 2001 vollstreckt; zwei Drittel der Freiheitsstrafe werden am 26. August 2003 abgebüßt sein.

Im Anschluss an die skizzierte Strafvollstreckung steht die Vollstreckung einer Restfreiheitsstrafe von 366 Tagen aus einem Urteil des Amtsgerichts S... vom 1. Oktober 1998 an. Das Amtsgericht hatte die Verurteilte wegen 13fachen Betruges, davon in zwei Fällen in Tat-einheit mit Urkundenfälschung, dreifachen versuchten Betruges - in einem der Fälle in Tateinheit mit Urkundenfälschung -, wegen Computerbetruges in 37 Fällen und wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Nach Vollstreckung der Hälfte dieser Strafe hatte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts R... mit Beschluss vom 26. Mai 1999 die Reststrafe ab dem 29. Juli 1999 zur Bewährung ausgesetzt; die Strafaussetzung ist zwischenzeitlich rechtskräftig widerrufen worden.

Im Anschluss an die Strafverbüßung aus dem Urteil des Amtsgerichts S... soll ab dem 27. August 2004 die Reststrafe aus dem landgerichtlichen Urteil vom 8. März 2001 vollstreckt werden. Die Entlassung der Verurteilten aus der Strafhaft ist für den 27. Februar 2006 vorgesehen.

Mit einem am 28. März 2003 zu den Vollstreckungsakten gereichten Antrag verlangt die Verurteilte die Zurückstellung der Strafrestvollstreckung aus ihrer Verurteilung durch das Landgericht Neuruppin.

Nachdem das Amtsgericht S... der Zurückstellung der Strafvollstreckung aus seiner Entscheidung vom Oktober 1998 auf entsprechenden Antrag hin zugestimmt hatte, hat die Staatsanwaltschaft Neuruppin, die ihrerseits die Zurückstellung beabsichtigt, das Landgericht Neuruppin um Zustimmungserteilung nach § 35 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 BtMG ersucht.

Das Landgericht hat die Zustimmung durch den angegriffenen Beschluss verweigert und zur Begründung ausgeführt, der Zustimmungserteilung stehe das Zurückstellungshindernis feststehender Vollstreckung weiterer Freiheitsstrafen entgegen. Die Entscheidungsgründe des amtsgerichtlichen Urteils vom 1. Oktober 1998 ergäben keine dahingehende Hinweise, dass die Verurteilte die dort verfahrensgegenständlichen - in der Zeit vom 25. September 1997 bis zum 15. Mai 1998 begangenen - Handlungen auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen habe; solches stehe auch nicht im Sinne von § 35 Abs. 1 S: 1 BtMG sonst fest. Dass die Staatsanwaltschaft S... "unter Missachtung der gesetzlichen Vorschriften bereit" sei, die Zurückstellung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts S... anzuordnen, stehe nicht entgegen, weil die Kammer die materiellen Voraussetzungen der Zurückstellung zu prüfen habe, und sich vor diesem Hintergrund "nicht dem Verdacht der Beteiligung an einer Strafvereitelung im Amt (§ 258 a StGB)" aussetzen wolle.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Beschwerde, die geltend macht, das Landgericht habe die ihm zugewiesene Prüfungskompetenz überschritten, da diese sich nicht auf Zurückstellungsentscheidungen außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs liegender Vollstreckungsbehörden erstrecke. Der instanzgerichtliche Beschluss habe sich vor diesem Hintergrund nicht zu der Frage verhalten dürfen, ob eine außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs zutreffende Zurückstellungsentscheidung zu Recht oder zu Unrecht getroffen werde.

Die Strafkammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache über die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Das nach § 35 Abs. 2 S. 1 BtMG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg. Das Landgericht hat die Zustimmung zur von der Staatsanwaltschaft Neuruppin beabsichtigten Zurückstellung der Reststrafe aus dem Urteil vom 8. März 2001 zu Unrecht verweigert. Die Voraussetzungen für eine Zurückstellung liegen tatsächlich nämlich vor, und der Senat ist als Beschwerdegericht dazu berufen, diese im gerichtlichen Ermessen stehende Zustimmung zu erteilen.

Die Verurteilte ist im Sinne von 35 Abs. 3 Nr. 2 BtMG zu einer mehr als zweijährigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden. Zu vollstrecken ist aus diesem Urteil auch eine Restfreiheitsstrafe von weniger als zwei Jahren. Aus den Gründen des landgerichtlichen Urteils vom 8. März 2001 ergibt sich zudem, dass die Antragstellerin die verfahrensgegenständlichen Taten auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hatte.

Ein Vollstreckungshindernis steht der Zustimmungserteilung entgegen der Rechtsauffassung der Kammer nicht entgegen. Zwar hat die Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG zu unterbleiben, wenn "eine weitere gegen den Verurteilten erkannte Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung zu vollstrecken ist" (§ 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG). Dies ist aber nicht der Fall. Vor allem steht die weitere Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe aus dem amtsgerichtlichen Urteil vom 1. Oktober 1998 nicht fest. Denn die Zurückstellung auch dieser Strafvollstreckung kommt nach wie vor in Betracht; sie erscheint auch naheliegend, nachdem das Amtsgericht S... die seinerseits erforderliche Zustimmung zwischenzeitlich erteilt hat. Darauf, ob das Amtsgericht S... die Zustimmung zu Recht erteilt hat, das heißt die Voraussetzungen der §§ 35 Abs. 1, 3 BtMG insoweit vorliegen, kommt es nicht an; der Senat hat insoweit ebensowenig wie das Landgericht Neuruppin eine materielle Prüfungskompetenz. Denn das Landgericht ist insoweit nicht das Gericht des ersten Rechtszuges im Sinne von § 35 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 BtMG. Davon abgesehen griffen die gegen eine Zurückstellung der Strafvollstreckung aus dem Urteil vom 1. Oktober 1998 angeführten Einwände der Strafkammer mutmaßlich auch in der Sache nicht durch. Zwar hat das Amtsgericht in seinem Urteil keine Feststellungen zur Betäubungsmittelabhängigkeit der Antragstellerin getroffen; eine solche, für die Tatbegehung bestimmende Abhängigkeit könnte aber auch anderweitig nachgewiesen sein. Die der Verurteilung des Amtsgerichts zu Grunde liegenden Straftaten haben nämlich typische Züge von Beschaffungskriminalität und belegen zudem eine - ohne weiteres aus stattgefundenem Drogenkonsum heraus erklärbare - Geldknappheit der Verurteilten. Jedenfalls sind keinerlei Umstände erkennbar, die eine beabsichtigte Zurückstellung der Strafvollstreckung auch nur in die Nähe strafrechtlich relevanten Fehlverhaltens brächten; wenn die Strafkammer insoweit von einer Strafvereitelung im Amt ausgeht, stellt sich dies als nicht vertretbar dar.

Anderweitige Vollstreckungshindernisse sind nicht erkennbar, und auch sonst besteht für den Senat keine Veranlassung, von einer Zustimmungserteilung abzusehen.

Die angefochtene Entscheidung war danach aufzuheben und die beantragte Zustimmung zur Zurückstellung der Strafvollstreckung zu erteilen.

Eine Entscheidung über die Anrechnung der Aufenthaltszeit der Verurteilten in der von ihr gewählten Rehabilitationseinrichtung auf die zu verbüßende Reststrafe nach § 36 Abs. 1 S. 2 BtMG war nicht zu treffen, da dem Senat keine ausreichenden Erkenntnisse zur staatlichen Anerkennung dieser Einrichtung vorliegen.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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