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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 21.05.2007
Aktenzeichen: 1 Ws 92/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 216 Abs. 1
StPO § 230 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

1 Ws 92/07 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Strafsache

wegen Mordes u. a.

hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Thaeren-Daig, den Richter am Oberlandesgericht Heck und die Richterin am Oberlandesgericht Michalski

am 21. Mai 2007

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Haftbefehl der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 21. Dezember 2006 (21 KLs 2/06) aufgehoben.

Gründe:

I.

Am 21. Dezember 2006 erließ die 1. große Strafkammer des Landgerichts Potsdam gegen den in Polen lebenden polnischen Angeklagten gem. § 230 Abs. 2 StPO Haftbefehl, da er "ungeachtet ordnungsgemäßer Ladung" zum Hauptverhandlungstermin nicht erschienen sei.

Seinen Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls lehnte die Kammer mit Beschluss vom 12. März 2007 ab.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde vom 27. März 2007, der die Kammer nicht abgeholfen hat.

II.

Die Beschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des Haftbefehls. Der gemäß § 230 Abs. 2 StPO wegen Ausbleibens des Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 21. Dezember 2006 erlassene Haftbefehl kann keinen Bestand haben.

Die in der Ladung gem. § 216 Abs. 1 StPO erfolgte (unzulässige) Ankündigung, bei unentschuldigtem Ausbleiben könne die Verhaftung oder die Vorführung angeordnet werden, kann vorliegend die für den Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO erforderliche Warnung nicht entfalten, denn nach Nr. 116 Abs. 1 RiVASt ist es unzulässig, bei der Zustellung von Ladungen im Ausland Zwangsmaßnahmen für den Fall des Ausbleibens anzudrohen. Auch wenn den Vorschriften der RiVASt keine Gesetzeskraft zukommt, so schreiben die Richtlinien doch fest, welche internationalen Rechtsbräuche bestehen und zu beachten sind. Nicht zuletzt kommt durch die Richtlinie zum Ausdruck, dass die Ausübung hoheitlicher Gewalt auf dem Gebiet eines fremden Staates unzulässig ist.

Das OLG Köln (Beschluss vom 18. Oktober 2005 - 2 Ws 488/05 - NStZ-RR 2006, 22ff) hat, dem OLG Frankfurt (Beschluss vom 21. Januar 1998 - 1 Ws 189/97 - NStZ-RR 1999, 18ff) folgend, die Frage der Zulässigkeit eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO gegen einen dauernd im Ausland lebenden Angeklagten wie folgt beantwortet:

" ... Ein Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO kommt gegen eine Person - unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit - mit dauerndem Wohnsitz im Ausland nur ganz ausnahmsweise in Betracht. Voraussetzung ist eine ordnungsgemäße Ladung gemäß § 216 StPO (OLG Frankfurt NStZ-RR 1999, 18 m. w. N.; OLG Oldenburg StV 2005, 432). Die darin vorgesehene Androhung von Zwangsmitteln für den Fall des unentschuldigten Ausbleibens darf jedoch nur im Inland erfolgen und nicht Inhalt einer in einen anderen Staat gerichteten Ladung sein. Dies ergibt sich aus dem allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts (Art. 25 GG), dass die Ausübung hoheitlicher Gewalt auf dem Gebiet eines fremden Staates unzulässig ist. Die Ausübung hoheitlicher Gewalt liegt aber bereits in der Androhung von Zwangsmitteln (OLG Frankfurt NStZ-RR 1999, 18, 19) und nicht erst in deren Festsetzung oder Vollzug. ...

... Die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Wahrung der allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts gebietet es, aus diesem Verstoß keine nachteiligen Folgen für den Angeklagten herzuleiten.

Eine Ladung gemäß § 216 StPO mit Androhung von Zwangsmitteln kann auch nicht im Wege der internationalen Rechtshilfe zugestellt werden (vgl. Hackner/Lagodny/ Schomburg/Wolf, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2003, Rdnr. 185). Die Beschreitung dieses Weges ändert nichts daran, dass die Androhung von Zwangsmitteln eine Ausübung hoheitlicher Gewalt darstellt, die im Ausland unzulässig ist. Soweit in Rechtsprechung (vgl. OLG Karlsruhe StV 2004, 325, 326; 2005, 33, 35; OLG Oldenburg StV 2005, 432) und Schrifttum (Lagodny, StV 1999, 36; Hilger, StV 2005, 36, 38) teilweise der Erlass eines Haftbefehls gemäß § 230 Abs. 2 StPO befürwortet bzw. zumindest für möglich gehalten wird, fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der Frage, wie eine ordnungsgemäße Ladung gemäß § 216 StPO im Ausland erfolgen soll. In Betracht kommt diese Möglichkeit aufgrund des Verbots der Ladung im Ausland unter Androhung von Zwangsmitteln nur, wenn es gelingt, dem Angeklagten im Inland, etwa bei einem Besuch, eine ordnungsgemäße Ladung i. 5. des § 216 StPO zuzustellen. ..."

Das OLG Frankfurt hat in seiner Entscheidung vom 21. Januar 1998 bereits ausgeführt:

"... Die uneingeschränkte Androhung von Zwangsmitteln zur Durchsetzung des hoheitlichen Befehls zum Erscheinen in der Hauptverhandlung in einer im Ausland zuzustellenden Ladung beinhaltet im übrigen für sich gesehen bereits die Ausübung von deutscher Hoheitsgewalt auf ausländischem Hoheitsgebiet und damit eine Beeinträchtigung der Souveränität des um die Zustellung ersuchten Staates. Sicher kann dieser darin in internationalen Übereinkommen einwilligen. Eine derartige Einwilligung bedarf jedoch einer - in den weiteren aus dem EuRHÜbK und der SDÜ angeführten Fällen auch enthaltenen - ausdrücklichen Regelung. An einer solchen fehlt es vorliegend. ... ... In Übereinstimmung damit schreiben die Nummern 116 Abs. 1 und 129 Abs. 3 RiVASt denn auch das Absehen von Androhungen auch bei Zustellungen an den Beschuldigten ausdrücklich vor. Wenn dem auch keine Gesetzeskraft zukommt, so ist doch der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht zuzustimmen, dass die Richtlinien festschreiben, welche internationalen Rechtsbräuche bestehen und zu beachten sind. ..."

Dieser Rechtsansicht, der im Weiteren auch das Landgericht Münster gefolgt ist (LG Münster, Beschluss vom 04. August 2004 - 7 Qs 86/04 - NStZ-RR 2005, 382), ist zuzustimmen. Soweit die Kammer unter Hinweis auf die Ausführungen in Schomburg/Hacker in Internationale Rechtshilfe in Strafsachen 4. Aufl. Rn. 30 vor § 68 IRG annimmt, dem Erlass eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO stünde nicht entgegen, dass der Angeklagte im Ausland wohne, da im Rahmen der Ladung eine Warnung nach § 216 Abs. 1 StPO erfolgt sei, ist dem aus vorgenannten Erwägungen nicht zu folgen. Der angeführte Kommentar bezieht sich ausschließlich auf eine Anmerkung des Prof. Dr. Lagodny zu einer Entscheidung des OLG Stuttgart vom 11. März 1998 (StV 1999, 33ff), die sich zu der Frage der Berücksichtigung der Vorschriften der RIVASt nicht verhält und von der obergerichtlichen Rechtsprechung bislang nicht getragen wird.

Der Senat weist darauf hin, dass im konkreten Fall auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für den Fall wiederholten Fernbleibens von der Hauptverhandlung der Erlass eines Untersuchungshaftbefehls (§ 112 StPO) nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint.

Ende der Entscheidung

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