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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 20.02.2007
Aktenzeichen: 10 UF 151/06
Rechtsgebiete: Regelbetrag-VO, ZPO, BGB, SGB III, SGB II


Vorschriften:

Regelbetrag-VO § 2
ZPO § 533
ZPO § 287
BGB § 1603 Abs. 2 Satz 1
BGB § 1612 b Abs. 5
SGB III § 2
SGB III § 134
SGB II § 11 Abs. 1 Nr. 7
SGB II § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

10 UF 151/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 20. Febr. 2007

Verkündet am 20. Febr. 2007

In der Familiensache

hat der 2. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 30. Januar 2007 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Prof. Schael, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Liceni-Kierstein und den Richter am Oberlandesgericht Gutjahr

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Prenzlau vom 31. Mai 2006 teilweise abgeändert.

Die Abänderungsklage des Klägers wird abgewiesen.

Auf die Widerklage der Beklagten zu 1. wird der Kläger in Abänderung der Urkunde des Landkreises ..., Jugendamt ..., vom 11. Februar 2002 (Urk.-Reg.-Nr. 58/2002) verurteilt, an die Beklagte zu 1. zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreterin einen monatlichen Unterhalt in Höhe von - 153 € für Juli und August 2006 zu zahlen.

Auf die Widerklage des Beklagten zu 2. wird der Kläger in Abänderung der Urkunde des Landkreises ..., Jugendamt ..., vom 11. Februar 2002 (Urk.-Reg.-Nr. 59/2002) verurteilt, an den Beklagten zu 2. zu Händen seiner gesetzlichen Vertreterin einen monatlichen Unterhalt in Höhe von

- 130 € für Juli und August 2006,

- 228 € von September 2006 bis Februar 2007,

- 269 € von März bis Juni 2007 und

- 100 % des Regelbetrages der 3. Altersstufe gemäß § 2 Regelbetrag-VO

ab Juli 2007 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden dem Kläger zu 85 % und den Beklagten zu 15 % auferlegt.

Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Kläger zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I. Die Parteien streiten über die Abänderung titulierten Kindesunterhalts ab 7/2005.

Die in 7/1989 geborene Beklagte zu 1. und der in 3/1995 geborene Beklagte zu 2. sind die Kinder des Klägers aus seiner geschiedenen Ehe. Nach Erlangung der Fachoberschulreife befindet sich die Beklagte zu 1. seit 9/2006 in einer Berufsausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten. Der Beklagte zu 2. ist Schüler.

Der als Putzer tätige Kläger hat sich zuletzt in zwei Urkunden des Landkreises ..., Jugendamt ..., (Urk.-Reg.-Nr. 58/2002 und 59/2002) vom 11.2.2002 zu Unterhaltszahlungen von monatlich 111,97 € für die Tochter A... und 94,59 € für den Sohn F... verpflichtet.

Das Amtsgericht hat der auf vollständigen Wegfall seiner Unterhaltsverpflichtung gerichteten Abänderungsklage des Klägers teilweise stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei unter Berücksichtigung seiner beruflich veranlassten Fahrtkosten zu auswärtigen Baustellen nur in Höhe von 54 € monatlich leistungsfähig. Deshalb schulde er ab 7/2005 nur noch einen monatlichen Unterhalt von 29 € für A... und 25 € für F.... Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem amtsgerichtlichen Urteil wird verwiesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der beiden Beklagten. Zur Begründung machen sie insbesondere geltend, berufsbedingte Fahrtkosten seien mangels substanziierter Darlegung nicht einkommensmindernd zu berücksichtigen. Im Übrigen müsse sich der Kläger wegen Verletzung seiner gesteigerten Erwerbsobliegenheit als fiktiv leistungsfähig behandeln lassen. Da der Kläger nach ihrer Auffassung in der Lage ist, mehr als die titulierten Unterhaltsbeträge zu zahlen, haben die Beklagten im Senatstermin ihre Berufung erweitert und vom Kläger im Wege der Widerklage die Zahlung eines erhöhten Unterhalts ab 7/2006 verlangt. Seit 9/2006 verfügt die Beklagte zu 1. über bedarfsdeckende Eigeneinkünfte. Nachdem sie insoweit auf die Rechte aus ihrem Unterhaltstitel vom 11.2.2002 (Urk.-Reg.-Nr. 58/2002) verzichtet hat, haben die Beklagte zu 1. und der Kläger im Senatstermin die Hauptsache für die Zeit ab 9/2006 übereinstimmend für erledigt erklärt.

Im Übrigen beantragen die Beklagten zu erkennen wie geschehen.

Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung. Er beruft sich auf seine eingeschränkte Leistungsfähigkeit. Diese beruhe insbesondere auf seinen erhöhten berufsbedingten Fahrtkosten, auf einer krankheitsbedingten Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit und auf seiner zeitweiligen Arbeitslosigkeit.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Das gilt auch für die nach § 533 ZPO in zulässiger Weise im Wege der Berufungserweiterung erhobene Abänderungswiderklage der Beklagten.

Der Kläger kann keine Herabsetzung der titulierten Unterhaltsbeträge verlangen. Er schuldet seiner Tochter A... von 7/2005 bis 8/2006 und seinem Sohn F... auch darüber hinaus den titulierten bzw. einen erhöhten Kindesunterhalt nach Maßgabe des Urteilstenors. Die für den Unterhaltsanspruch der beiden minderjährigen Beklagten maßgebenden Einkommensverhältnisse des Klägers sind nach Zeitabschnitten zu beurteilen.

1. Unterhaltszeitraum 7/2005 bis 1/2006

Für diese im Streit stehende Zeit muss sich der Kläger auf der Grundlage seines tatsächlichen Arbeitseinkommens und unter Hinzurechnung eines fiktiven Nebenverdienstes als leistungsfähig in Höhe der titulierten Unterhaltsbeträge behandeln lassen.

a)

Ausweislich seiner Einzelverdienstabrechnungen hat der Kläger während seines vom 16.3.2005 bis zum 27.1.2006 befristeten Arbeitsverhältnisses ein Gesamtnettoeinkommen von 10.889,88 € erzielt.

Einkommenserhöhend zu berücksichtigen sind die Steuererstattungen, die der Kläger in den Jahren 2005 und 2006 erhalten hat. Der Einkommenssteuerbescheid aus 2005 weist eine Steuererstattung von 743,52 € aus. In 2006 hat das Finanzamt eine Steuererstattung von 383,84 € festgesetzt. Bezogen auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses (mit ca. 9 1/2 Monaten im Jahr 2005 und rund 1 Monat in 2006) errechnet sich eine anteilige Steuererstattung in Höhe von (743,52 € : 12 x 9,5 =) 588,62 € und (383,84 € : 12 =) 31,99 €, zusammen 620,61 €. Diese ist einkommenserhöhend zu berücksichtigen. Das führt zu Gesamteinkünften des Klägers von Mitte 3/2005 bis Ende 1/2006 in Höhe von 11.510,49 €. Unter Zugrundelegung von 10,5 Monaten entspricht das rund 1.096 € im Monatsdurchschnitt.

b)

Das Amtsgericht hat im Hinblick auf die im Jahr 2004 vom Kläger mit dem eigenen Pkw im Umfang von 14.080 km zurückgelegten Fahrten zu wechselnden Arbeitsstellen berufsbedingte Aufwendungen von monatlich 176 € als abzugsfähig anerkannt. Auf diesen Betrag beruft sich der Kläger auch in der Berufungsinstanz. Zu Gunsten des Klägers kann angenommen werden, dass er berufsbedingte Aufwendungen in dieser Höhe von seinem Einkommen absetzen darf.

Mit tatsächlichen Einkünften in Höhe von monatlich (1.096 € - 176 € =) 920 € wäre der Kläger allerdings eingeschränkt leistungsfähig. Unter Beachtung des notwendigen Selbstbehalts in Höhe von monatlich 820 € (seit dem 1.7.2005) könnte er nur noch einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 100 € aufbringen. Der Kläger hat jedoch eine ihm im Rahmen seiner gegenüber den beiden minderjährigen Kindern gesteigerten Unterhaltspflicht mögliche und zumutbare Nebenerwerbstätigkeit unterlassen. Er muss sich daher fiktive Einkünfte in einer Höhe von rund 107 € monatlich zurechnen lassen, die er benötigt, um die titulierten Beträge von 111,97 € (für die Beklagte zu 1.) und 94,59 € (für den Beklagten zu 2.), insgesamt also rund 207 €, zu leisten.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. zuletzt BVerfG, FamRZ 2007, 273 ff.) trifft Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB eine erheblich gesteigerte Verpflichtung zur Ausnutzung ihrer Arbeitskraft. Daher sind nicht nur die tatsächlichen, sondern auch die fiktiv erzielbaren Einkünfte zu berücksichtigen, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese bei gutem Willen ausüben könnte. Dieser Grundsatz gilt auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit. Er gilt ferner, wenn die aus einer tatsächlichen Erwerbstätigkeit erzielten Einkünfte nicht ausreichen, den geschuldeten Unterhalt zu leisten. Jedenfalls dann, wenn die Tätigkeit nicht vollschichtig geleistet wird, muss sich der Unterhaltspflichtige entweder eine neue Vollzeitarbeitsstelle oder eine weitere Beschäftigung suchen, um zusätzliche Mittel für den Kindesunterhalt zu erwirtschaften. Die Elternverantwortung erfordert, für die Ausübung einer Nebentätigkeit auch Zeiten in Betracht zu ziehen, die üblicherweise dem Freizeitbereich zuzuordnen sind sowie jede Art von Tätigkeit anzunehmen. Diese strengen, auch vom BGH in ständiger Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen (vgl. hierzu etwa FamRZ 2003, 1471/1473) hat der Kläger nicht erfüllt. Er hat sich im streitigen Unterhaltszeitraum nicht um die Aufnahme einer Nebentätigkeit bemüht, obwohl dies für ihn möglich und zumutbar war.

Aus den vorgelegten Verdienstabrechnungen ergibt sich, dass der Kläger in der Zeit von Mitte 3/2005 bis Ende 1/2006 keiner vollschichtigen Beschäftigung von 40 Wochenstunden bzw. 173 Monatsstunden nachgegangen ist, wie es zunächst in § 2 seines schriftlichen Arbeitsvertrages vereinbart war. Die tatsächliche Arbeitszeit des Klägers ging ab 4/2005 bis auf einen Monat nicht über 140 Stunden monatlich hinaus. Angesichts seiner nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB erheblich gesteigerten Verpflichtung zur Ausnutzung seiner Arbeitskraft war das zu wenig.

Ohne Erfolg beruft sich der Kläger auf eine krankheitsbedingte Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit, die er mit seiner im Jahr 2001 festgestellten Alkoholabhängigkeit begründet.

Ein Unterhaltspflichtiger, der sich auf eine krankheitsbedingte Erwerbseinschränkung beruft, muss im Einzelnen seine Krankheit dartun. Dazu gehört, dass er die Art und den Umfang der gesundheitlichen Beeinträchtigung oder Leiden substanziiert erläutert und aussagefähige ärztliche Atteste beibringt. Ferner ist konkret vorzutragen, wie sich die Krankheit auf die Erwerbsfähigkeit auswirkt, d. h. welche quantitativen oder qualitativen Leistungseinschränkungen vorhanden sind (vgl. hierzu etwa BGH, FamRZ 2001, 1291/1292). Diesen Anforderungen genügt der Prozessvortrag des Klägers nicht.

Soweit sich der Kläger nur ganz allgemein auf eine "eingeschränkte psychische Belastbarkeit" beruft, reicht das zur Darlegung einer krankheitsbedingten Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit nicht aus. Auch das vorgelegte Schreiben der Beratungshilfe für Abhängigkeitskranke aus 2/2005 genügt nicht. Dieses erfüllt inhaltlich nicht die dargestellten Voraussetzungen, die an einen detaillierten Vortrag des Unterhaltspflichtigen zu seinen konkreten Erwerbsbeeinträchtigungen zu stellen sind. Der Kläger hat auch im weiteren Verlauf des Verfahrens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung ein genaues, durch ärztliche Atteste belegtes Krankheitsbild, welches zu einer konkret aufgezeigten Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit führen könnte, nicht dargetan. Da es an einem hinreichend substanziierten Sachvortrag des Klägers fehlt, ist die streitige Frage seiner krankheitsbedingten Erwerbseinschränkung nicht durch ein medizinisches Sachverständigengutachten aufzuklären. Der darauf gerichtete Beweisantrag des Klägers läuft auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinaus.

Der Kläger durfte sich danach im Unterhaltszeitraum 7/2005 bis 1/2006 nicht auf eine Teilzeitbeschäftigung beschränken. Ihm war es zur Aufrechterhaltung seiner Leistungsfähigkeit zumutbar, neben seiner tatsächlichen Erwerbstätigkeit - also nach Feierabend oder auch am Wochenende - seine Einkünfte durch Aufnahme einer Nebentätigkeit zur Sicherung zumindest der titulierten Unterhaltsbeträge zu verbessern. Dass durch eine solche Nebenbeschäftigung die physische/psychische Belastbarkeitsgrenze des Klägers überschritten worden wäre oder sie sich auf Grund seiner konkreten Lebenssituation als unzumutbar dargestellt hätte, lässt sich auf der Grundlage seines nur pauschalen Vorbringens nicht feststellen.

Der Senat geht davon aus, dass der Kläger im Unterhaltszeitraum 7/2005 bis 1/2006 in der Lage gewesen wäre, mit einer stundenweisen Nebentätigkeit einen Nebenverdienst mindestens in Höhe des Fehlbetrages zu erzielen. Er muss sich daher wegen Verletzung seiner gesteigerten Erwerbsobliegenheit nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB 107 € monatlich fiktiv zurechnen lassen. Dieser Betrag zusammen mit seinen tatsächlichen Einkünften hätte dem Kläger in der Zeit von 7/2005 bis 1/2006 die Erfüllung seiner titulierten Unterhaltspflicht ermöglicht.

2. Unterhaltszeitraum 2 und 3/2006

Auch in dieser Zeit war es für den arbeitslosen Kläger möglich und zumutbar, den zur Aufrechterhaltung seiner Leistungsfähigkeit fehlenden Betrags neben dem von ihm bezogenen Arbeitslosengeld (ALG II) durch eine stundenweise Erwerbstätigkeit zu erwirtschaften.

Das nach Kalendertagen berechnete ALG II wurde für den Kläger auf einen Leistungsbetrag von 25,01 € festgesetzt. Nach §§ 2, 134 SGB III wird das Arbeitslosengeld in monatlich gleich bleibender Höhe gezahlt. Der volle Kalendermonat ist mit 30 Tagen anzusetzen. Das an den Kläger in 2 und 3/2006 ausgezahlte monatliche Arbeitslosengeld beläuft sich folglich auf rund 750 €. Durch Hinzurechnung der im vorangegangenen Unterhaltszeitraum festgestellten Steuererstattung nur in 2006 von monatsanteilig 32 € erhöht sich das Monatseinkommen des Klägers auf 782 €.

Während der Zeit seiner Arbeitslosigkeit beläuft sich der notwendige Selbstbehalt des Klägers auf 710 €, sodass für den Kindesunterhalt rechnerisch nur 72 € monatlich zur Verfügung stehen. Im Rahmen seiner gesteigerten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB gegenüber seinen beiden minderjährigen Kindern war es für den Kläger jedoch tatsächlich und rechtlich möglich sowie zumutbar, den zur Erfüllung seiner titulierten Unterhaltsverpflichtungen benötigten Fehlbetrag von rund (207 € - 72 € =) 135 € durch eine stundenweise Tätigkeit anrechnungsfrei neben dem ALG II zu erwirtschaften.

Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II sind seit dem 1.8.2006 Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag vom Einkommen des Hilfsbedürftigen abzusetzen. Das bedeutet, dass ein zur Erfüllung titulierter Unterhaltsansprüche erzieltes Einkommen über die in § 30 SGB II hinaus definierten Freibeträge bei der Berechnung des ALG II anrechnungsfrei bleibt, soweit es auf Grund eines Titels tatsächlich geleistet wird. Um solche Ansprüche handelt es sich bei den hier geschuldeten Unterhaltsbeträgen, soweit sie in den beiden in Frage stehenden Jugendamtsurkunden vom 11.2.2002 tituliert worden sind. Die mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (vom 20.7.2006 - BGBl. I S. 1706) eingeführte Regelung des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II entspricht der auch zuvor bereits geltenden Weisungslage. Auch nach Ziffer 11.5 der damaligen internen und im Internet auf ihren Seiten veröffentlichten Verwaltungshinweise der Bundesagentur für Arbeit zu § 11 SGB II waren Zahlungen auf Unterhaltsansprüche vom bereinigten Einkommen des arbeitslosen Unterhaltspflichtigen abzuziehen, wenn nachgewiesen wurde, dass die Unterhaltsforderungen tituliert sind und eine tatsächliche Zahlung darauf erfolgt. Eine entsprechende Beurteilung des bei der Berechnung von ALG II anrechnungsfreien Einkommens wurde bis zum In-Kraft-Treten des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II sowohl von der sozialgerichtlichen Rechtsprechung bestätigt (vgl. etwa SozG Dortmund, FamRZ 2005, 1935 f.) als auch in der Literatur (vgl. z. B. Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung,

3. Aufl., § 11 SGB II, Rn. 2) vertreten (vgl. in diesem Zusammenhang ferner OLG Koblenz, FamRZ 2006, 1296).

Der Kläger musste sich daher rechtzeitig vor dem Ende seines befristeten Arbeitsverhältnisses zur Aufrechterhaltung seiner Leistungsfähigkeit im Umfang der titulierten Unterhaltsansprüche seiner beiden minderjährigen Kinder um eine stundenweise Tätigkeit kümmern. Bemühungen in dieser Richtung hat der Kläger nicht unternommen. Er muss sich daher einen fiktiven Nebenverdienst in Höhe des fehlenden Betrages von 135 € netto monatlich zurechnen lassen. Wegen hinreichender Leistungsfähigkeit ist folglich das Abänderungsbegehren des Klägers auch für die Monate 2 und 3/2006 nicht gerechtfertigt.

3. Unterhaltszeitraum 4 bis 10/2006

Ausweislich seiner Verdienstabrechnungen hat der Kläger im Rahmen seines neuen bis zum 31.10.2006 befristeten Arbeitsverhältnisses in den Monaten 4 bis 9/2006 ein Gesamtnettoeinkommen von 7.490,14 € erzielt. Für 10/2006 ist ein Nettoeinkommen wie im Vormonat (von 1.235,90 €) zu Grunde zu legen. Die Einkünfte des Klägers erhöhen sich damit auf 8.726,04 €. Das entspricht bei rund sieben Monaten 1.246,58 € im Monatsdurchschnitt. Unter Hinzurechnung der in 2006 geleisteten Steuererstattung von monatsanteilig rund 32 € ergeben sich tatsächliche Gesamteinkünfte des Klägers von rund 1.279 € im Monatsdurchschnitt.

a) Unterhaltszeitraum 4 bis 6/2006

Auf der Grundlage seines tatsächlichen Arbeitseinkommens ist eine ausreichende Leistungsfähigkeit des Klägers in Höhe der titulierten Unterhaltsbeträge von insgesamt rund 207 € monatlich auch in diesem Zeitabschnitt zu bejahen. Auf die zwischen den Parteien umstrittene Frage der Abzugsfähigkeit von berufsbedingten Fahrtkosten kommt es für den im Streit befindlichen Unterhaltszeitraum 4 bis 6/2006 nicht an. Selbst nach Abzug der vom Kläger geltend gemachten Fahrtkosten in Höhe von 176 € monatlich verbleiben 1.103 €. Unter Berücksichtigung des notwendigen Selbstbehalts von 820 € stehen für Unterhaltszwecke monatlich noch 283 € zur Verfügung.

b) Unterhaltszeitraum 7 bis 10/2006

Das Herabsetzungsverlangen des Klägers für diesen Zeitabschnitt bleibt aus den für den vorangegangenen Unterhaltszeitraum 4 bis 6/2006 dargelegten Gründen ohne Erfolg. Dagegen ist das von den Beklagten im Wege der Berufungserweiterung geltend gemachte Widerklagebegehren gemäß § 1613 Abs. 1 BGB rückwirkend ab 7/2006 begründet. Es führt für die Beklagte zu 1. bis einschließlich 8/2006 und für den Beklagten zu 2. auch darüber hinaus zu der von ihnen beantragten Erhöhung des titulierten Kindesunterhalts.

aa)

Für die Unterhaltsbemessung ist von dem Arbeitseinkommen auszugehen, das der Kläger von 4 bis 10/2006 tatsächlich erzielt hat. Nach den vorstehend getroffenen Feststellungen beläuft es sich auf 1.279 € netto im Monatsdurchschnitt. Eine fiktive Erhöhung dieses Einkommens ist nicht vorzunehmen. Anders als im Zeitraum bis 1/2006 übte der Kläger von 4 bis 10/2006 eine vollschichtige Tätigkeit als Putzer aus. Er erzielte mit ihr auch einen der Höhe nach angemessenen Bruttostundenlohn von 10,50 €.

bb)

Entgegen der Auffassung der Beklagten kann der Kläger berufsbedingte Fahrtkosten in Höhe von 176 € monatlich einkommensmindernd geltend machen.

Der Kläger ist als Putzer tätig und wird auf auswärtigen Baustellen eingesetzt. Das ziehen auch die Beklagten nicht in Zweifel. Ausweislich der vorgelegten Verdienstabrechnungen werden von der Arbeitgeberin keine Fahrtkosten ersetzt. Nach Darstellung des Klägers im Senatstermin stehen für die Fahrten zwischen dem Betriebssitz seiner Arbeitgeberfirma und den wechselnden auswärtigen Einsatzorten nicht genügend Firmenfahrzeuge zur Verfügung. Dass der Kläger auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel verwiesen werden kann, behaupten auch die Beklagten nicht. Selbst wenn der Kläger für ihn kostengünstige Fahrgemeinschaften bilden konnte, so durfte er für die Fahrten zwischen seinem Wohnort bzw. dem Betriebssitz seiner Arbeitgeberin in ... und seinen jeweiligen auswärtigen Arbeitsstellen grundsätzlich den eigenen Pkw einsetzen. Auch wenn sich die Kilometerangabe des Klägers für das Jahr 2005, für das er 9.774 berufsbedingt zurückgelegte Kilometer behauptet, nicht mit den vom Finanzamt im Einkommenssteuerbescheid für 2005 berücksichtigten Werbungskosten deckt, reicht die für das Jahr 2006 vorgelegte Zusammenstellung des Klägers jedenfalls für eine nach § 287 ZPO vorzunehmende Schätzung aus. Die vom Kläger im Anschluss an die Entscheidung des Amtsgerichts in der Berufungsinstanz nur noch in Höhe von 176 € monatlich geltend gemachten Fahrtkosten erscheinen danach jedenfalls nicht überhöht. Der Kläger kann daher nach Auffassung des Senats auch im Unterhaltszeitraum 7 bis 10/2006 berufsbedingte Aufwendungen von 176 € monatlich von seinem Einkommen absetzen. Es verbleiben bereinigte Monatseinkünfte von 1.103 €. Unter Berücksichtigung des notwendigen Selbstbehalts stehen für den Unterhalt der Beklagten folglich (1.279 € - 176 € - 820 € =) 283 € monatlich zur Verfügung.

Auf der Grundlage eines bereinigten Monatseinkommens des Klägers in Höhe von (1.279 € -176 € =) 1.103 € und unter Berücksichtigung des Bedarfskontrollbetrages beläuft sich der monatliche Kindesunterhaltsbedarf in den Monaten 7 und 8/2006 für die in 7/1989 geborene Tochter A... auf 269 € und für den in 3/1995 geborenen Sohn F... auf 228 €. Diesem Gesamtbedarf von 497 € steht eine Verteilungsmasse von nur 283 € gegenüber. Es ist deshalb eine Mangelberechnung vorzunehmen. Sie führt zu einer Kürzungsquote von 56,94 % und damit in den Monaten 7 und 8/2006 zu einem gekürzten monatlichen Unterhaltsanspruch für die Beklagte zu 1. von rund 153 € und für den Beklagten zu 2. von rund 130 €. Gemäß § 1612 b Abs. 5 BGB unterbleibt eine Kindergeldanrechnung.

Ab 9/2006 schuldet der Kläger nur noch seinem Sohn Unterhalt. Die Beklagte zu 1. verfügt seither über bedarfsdeckende Eigeneinkünfte. Sie hat daher zu Recht für die Zeit ab 9/2006 auf ihre Rechte aus dem in Rede stehenden Unterhaltstitel verzichtet. Mit einem bereinigten Monatseinkommen von 1.103 € ist der Kläger ohne Gefährdung seines notwendigen Selbstbehalts in der Lage, den vom Beklagten zu 2. geforderten höheren Unterhalt von monatlich 228 € für die Monate 9 und 10/2006 zu leisten.

4. Unterhaltszeitraum ab 11/2006

Seit dem Ende seines bis zum 30.10.2006 befristeten Arbeitsverhältnisses ist der Kläger erneut arbeitslos. Das ändert jedoch nichts an seiner festgestellten Leistungsfähigkeit zur Zahlung des vom Beklagten zu 2. geforderten Unterhalts von monatlich 228 € bis 2/2007, 269 € von 3 bis 6/2007 und 100 % des Regelbetrages der 3. Altersstufe gemäß § 2 Regelbetrag-VO ab Juli 2007. Wegen Verletzung seiner gesteigerten Erwerbsobliegenheit muss sich der Kläger ein fiktives Einkommen in der bis 10/2006 erzielten Höhe zurechnen lassen.

Anders als für die Monate 2 und 3/2006 lässt sich die Leistungsfähigkeit des ab 31.10.2006 erneut arbeitslosen Klägers im Umfang des Widerklagebegehrens des Beklagten zu 2. ab 11/2006 nicht schon aus einer Anwendung des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II herleiten. Im vorliegenden Verfahren geht es ab 7/2006 um die Schaffung eines höheren Unterhaltstitels. Die vom Senat in diesem Urteil der Höhe nach neu festzustellende Unterhaltsforderung des Beklagten zu 2. kann nur für die Zeit nach Urteilsverkündung, also ab 3/2007, gegenüber der Bundesagentur für Arbeit Wirkung entfalten. Eine rückwirkende Bedeutung (für 11/2006 bis 2/2007) kann dem abgeänderten höheren Unterhaltstitel nicht beigemessen werden. Denn bis zur Urteilsverkündung in 2/2007 fehlt die von § 11 Abs. 1 Nr. 7 SGB II vorausgesetzte höhere Unterhaltstitulierung.

Der Kläger muss sich jedoch wegen Verletzung seiner Erwerbsobliegenheit ab 11/2006 ein fiktives Einkommen aus einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit zurechnen lassen. Dieses ist an dem vom Kläger in der Zeit von 4 bis 10/2006 tatsächlich bezogenen Arbeitsentgelt zu orientieren. Der Kläger muss sich daher auch ab 11/2006 so behandeln lassen, als verfüge er über ein bereinigtes Monatseinkommen in einer bis dahin erzielten Höhe.

Der Kläger war auf Grund seiner gesteigerten Erwerbsobliegenheit gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB verpflichtet, sich rechtzeitig vor Beendigung seines bereits bei Vertragsabschluss am 3.4.2006 bis zum 30.10.2006 befristeten Arbeitsverhältnisses um eine gleichermaßen einträgliche neue Vollerwerbstätigkeit zu kümmern. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger dieser Obliegenheit überhaupt bzw. in ausreichendem Umfang nachgekommen wäre. Insbesondere hat der Kläger nicht dargetan, dass und gegebenenfalls welche Bemühungen um eine Anschlusstätigkeit er unternommen hat. Der Kläger muss sich daher auch über den 30.10.2006 hinaus monatlich mindestens 1.100 € als fiktiv erzielbares bereinigtes Einkommen aus einer Vollzeittätigkeit zurechnen lassen. Damit kann er die vom Beklagten zu 2. geforderten höheren Unterhaltsbeträge zahlen, ohne seinen eigenen notwendigen Selbstbehalt zu gefährden.

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 91 a, 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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