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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 17.11.2009
Aktenzeichen: 10 UF 154/09
Rechtsgebiete: FamFG, BGB, StPO


Vorschriften:

FamFG §§ 58 ff.
FamFG § 81 Abs. 1 Satz 2
BGB § 1626 Abs. 1
BGB § 1629 Abs. 1
BGB § 1909 Abs. 1
BGB § 1909 Abs. 1 Satz 1
StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3
StPO § 52 Abs. 2
StPO § 52 Abs. 3 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 3. wird der Beschluss des Amtsgerichts Bernau vom 23. Oktober 2009 aufgehoben und der Antrag der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) auf Bestellung eines Ergänzungspflegers für die Beteiligten zu 1. und 2. zurückgewiesen.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Gegen die Mutter der minderjährigen Beteiligten zu 1. und 2. - K... B... (geboren am ....1.1993) und S... B... (geboren am ....12.1995) - ist ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Tötungsdelikts (§ 212 StGB) anhängig. Die Polizei hat beide Jugendliche am 6.10.2009 nach Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht vernommen. Am 7.10.2009 regte die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) zur Sicherung des Beweises die richterliche Vernehmung von K... und S... an. Bei ihrer Vernehmung am 8.10.2009 durch die Ermittlungsrichterin am Amtsgericht Bernau machte K... nach Belehrung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und erklärte, nicht aussagen zu wollen. Auf den von der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) gestellten Antrag hin hat das Amtsgericht im schriftlichen Verfahren und nach Anhörung des Jugendamts am 23.10.2009 die Bestellung eines Ergänzungspflegers für K... und S... beschlossen mit dem Aufgabenkreis "Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts, Einwilligung in die Vernehmung und Ausübung eines beschränkten Aufenthaltsbestimmungsrechts für die Zuführung zur Vernehmung und zu Untersuchungen". Gegen diese Entscheidung hat die Mutter Beschwerde eingelegt.

II.

Im Hinblick auf den verfahrenseinleitenden Antrag der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) vom 7.10.2009 ist die Bestellung eines Ergänzungspflegers als Kindschaftssache dem Familiengericht zugewiesen (§ 151 Nr. 5 FamFG) und verfahrensrechtlich nach neuem Recht zu beurteilen. Die Beschwerde der Mutter gemäß §§ 58 ff. FamFG ist statthaft und zulässig. Die Statthaftigkeit des Rechtsmittels ergibt sich bereits daraus, dass es sich bei der Anordnung einer Ergänzungspflegschaft gemäß § 1909 Abs. 1 Satz 1 BGB um einen Eingriff in das elterliche Sorgerecht handelt, das beiden Eltern nach §§ 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1 BGB gemeinsam zusteht. Das Rechtsmittel der danach beschwerdebefugten Mutter (vgl. hierzu auch OLG Naumburg, OLGR 2006, 392) hat in der Sache Erfolg.

1. Es kann dahinstehen, ob sich aus den an das Amtsgericht Bernau gerichteten Schreiben der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) der Antrag ergibt, eine Ergänzungspflegschaft nicht nur für die jüngere S..., sondern auch für die kurz vor Vollendung des 17. Lebensjahres stehende K... einzurichten. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts liegen jedenfalls die sachlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft gemäß § 1909 Abs. 1 BGB im Hinblick auf K... nicht vor.

Besitzt ein minderjähriger Zeuge nicht die Verstandesreife, um die Bedeutung und Tragweite eines ihm wegen seiner Verwandtschaft nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO zustehenden Zeugnisverweigerungsrechts zu begreifen, so darf er gemäß § 52 Abs. 2 StPO nur mit Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter aussagen. Hier sind die Eltern jedoch von der Vertretung bei der Zustimmung gemäß § 52 Abs. 3 Satz 2 StPO ausgeschlossen, weil sich das Ermittlungsverfahren gegen die Mutter richtet. Fehlt die Einsicht des minderjährigen Zeugen in die Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts, so bedarf es bei einer Ausübung dieses Rechts eines Ergänzungspflegers. Voraussetzung ist allerdings, dass der Minderjährige aussagebereit ist . Erklärt er selbst, nicht aussagen zu wollen, so bleibt es dabei. Denn auch ein zur Zeugnisverweigerung berechtigter Minderjähriger darf nicht gegen seinen (natürlichen) Willen zu einer Aussage gezwungen werden (vgl. hierzu BGH, NJW 1960, 1396; OLG Stuttgart, FamRZ 1985, 1154/1155).

Vorliegend hat K... am 8.10.2009 gegenüber der Ermittlungsrichterin nach Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht erklärt, nicht aussagen zu wollen. Mangels Aussagebereitschaft ist kein Raum für eine Ergänzungspflegschaftsbestellung für K.... Im Übrigen kann nach den zur Akte gereichten polizeilichen Vernehmungsprotokollen vom 6.10.2009 ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die vor der Vollendung ihres 17. Lebensjahres stehende K... angesichts ihres Alters die für eine selbstverantwortliche Entscheidung erforderliche Verstandesreife besitzt (vgl. hierzu BGHSt 20, 234/235; BayOLG, FamRZ 1998, 257/258). Es bedarf deshalb hier von vornherein keiner Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter/eines Ergänzungspflegers für einen etwaigen Verzicht auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht.

2. Das Rechtsmittel der Mutter ist auch im Hinblick auf die Ergänzungspflegerbestellung für die jüngere Tochter S... begründet.

Aus den Angaben der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) ergibt sich nicht, dass beabsichtigt ist, S... im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren von einem Staatsanwalt als Zeugin vernehmen zu lassen (§ 161 a Abs. 1 StPO). Die Schreiben der Staatsanwaltschaft vom 7.10. und 16.10.2009 lassen auch nicht erkennen, dass der zuständige Staatsanwalt überhaupt die Frage geprüft hat, ob S... die erforderliche Reife besitzt, die Bedeutung ihres Zeugnisverweigerungsrechts nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO und im Falle ihrer Aussagewilligkeit deren Tragweite für das Schicksal der Mutter zu begreifen. Zu dieser Verstandesreife gehört gerade auch die Fähigkeit zu erkennen, dass die Mutter gegebenenfalls etwas Unrechtes getan hat, dass ihr dafür eine Strafe droht und dass die eigene Aussage möglicherweise zur Bestrafung der Mutter beitragen wird (vgl. hierzu BGH, NJW 1960, 1396/1397). Außerdem rechtfertigt das Schreiben der Staatsanwaltschaft vom 16.10.2009 die Annahme, dass es ihr in erster Linie darum geht, mittels der Ergänzungspflegerbestellung eine Beeinflussung von S... bzw. eine Einflussnahme auf ihr Aussageverhalten durch die Eltern bzw. einen Elternteil im Rahmen ihrer beabsichtigten Vernehmung durch den Ermittlungsrichter zu verhindern. Vor allem soll verhindert werden, dass S... - anders als am 6.10.2009 - im Rahmen ihrer richterlichen Vernehmung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht und nicht mehr aussagen will. Diese Zielsetzung der Staatsanwaltschaft ist jedoch nicht die Aufgabe der Bestellung eines Ergänzungspflegers im Rahmen des § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO.

Bislang ist offen, ob S... - anders als K... - bei einer richterlichen Vernehmung aussagebereit ist. Die Staatsanwaltschaft selbst geht eher vom Gegenteil aus. Da S... in drei Wochen 14 Jahre alt wird, spricht auch die Vermutung dafür, dass sie die für eine selbstverantwortliche Entscheidung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht in dem oben beschriebenen Sinne erforderliche Verstandesreife besitzt (vgl. hierzu BGHSt 20, 234/235; BayOLG, FamRZ 1998, 257/258). Es besteht dann von vornherein kein Zustimmungserfordernis, so dass auch kein Ergänzungspfleger nach § 1909 Abs. 1 BGB zu bestellen ist. Im Übrigen lässt sich die Frage der Verstandesreife hinsichtlich eines etwaigen Verzichts auf das Zeugnisverweigerungsrecht erst bei der richterlichen Vernehmung des minderjährigen Zeugen abschließend klären (vgl. hierzu BayOLG, FamRZ 1998, 257/258). Zu einer konkreten Prüfung und Beurteilung der Verstandesreife von S... durch einen vernehmenden Richter oder Staatsanwalt ist es jedoch bislang nicht gekommen.

Letztlich ist für die Bestellung eines Ergänzungspflegers unter den vorliegenden Umständen so lange kein Bedürfnis gegeben, wie nicht feststeht, dass S... auch im Rahmen ihrer beabsichtigten richterlichen Vernehmung zu einer Aussage bereit ist (vgl. hierzu OLG Stuttgart, FamRZ 1985, 1154/1155). Sofern sich S... dazu entschließt, nicht aussagen zu wollen, ist dies - ebenso wie bei K... - hinzunehmen, ohne dass es dann noch auf die Frage ihrer Verstandesreife ankommt.

Nach alledem führt das Rechtsmittel der Mutter im vollen Umfang zum Erfolg, sodass der angefochtene Beschluss aufzuheben ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG.

Ende der Entscheidung

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