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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 22.02.2007
Aktenzeichen: 10 UF 200/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1671 Abs. 2 Nr. 2
BGB § 1671 Abs. 2 Ziff. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

10 UF 200/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Familiensache

betreffend die elterliche Sorge für das Kind A... Sch..., geboren am ... 2000,

hat der 2. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Prof. Schael, die Richterin am Oberlandesgericht Berger und die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Liceni-Kierstein

am 22. Februar 2007

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 15. September 2006 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Antragsgegnerin zur Last.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der in 11/1956 geborene Antragsteller und die in 7/1978 geborene Antragsgegnerin sind die Eltern des am ...2000 geborenen Kindes A.... Dieser ist aus der in 3/1998 geschlossenen und in 12/2005 geschiedenen Ehe hervorgegangen. Die Eltern leben seit 7/2004 dauernd getrennt. Der Vater wohnt in F.... Die Mutter hat ihren Wohnsitz in D.... Beide Eltern sind vollschichtig berufstätig.

Bis 8/2005 wohnte A... im Haushalt der Mutter. Seither lebt er beim Vater. Dieser ist wiederverheiratet. In seiner Wohnung leben seit 7/2006 neben A... auch die neue Lebensgefährtin, die er zwischenzeitlich geheiratet hat, sowie ihre drei Söhne. Die Antragsgegnerin hat sich ebenfalls einem neuen Partner zugewandt.

Seit 8/2006 besucht A... die evangelische Grundschule in F.... Die zwischen den Eltern umstrittene Frage des Einschulungsortes bzw. der Schulauswahl wurde gerichtlich zu Gunsten des Vaters geregelt. Ein Umgang zwischen A... und der Mutter findet statt.

Die Eltern haben in dem vorliegenden, aus dem Scheidungsverfahren abgetrennten Verfahren wechselseitig die Übertragung der Alleinsorge für den gemeinsamen Sohn beantragt. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 15.9.2006 hat das Amtsgericht die gemeinsame elterliche Sorge aufgehoben und dem Vater die Alleinsorge übertragen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, die Eltern seien auf Grund ihres Paarkonflikts zu einer Kooperation nicht in der Lage. Nach dem Kontinuitätsprinzip und mit Blick auf die im Übrigen bei beiden Eltern gleichwertigen persönlichen Voraussetzungen sei dem Vater das Sorgerecht allein zu übertragen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin. Zur Begründung macht sie insbesondere geltend:

- Sie habe sich bis 8/2005 überwiegend allein um die Kindesbelange gekümmert und den Kernbereich der elterlichen Sorge wahrgenommen. Bis 8/2005 habe A... auch die größeren Bindungen an sie gehabt.

- A... sei nicht ordnungsgemäß gekleidet. Auch übe der Vater mit ihm nur unzureichend für die Schule.

- Vom Vater würden Streitigkeiten mit ihr vor A... ausgetragen. Im Übrigen sei er wesentlich älter als sie und habe gesundheitliche Probleme.

- Die Einholung eines kinderpsychologischen Gutachtens sei erforderlich.

Die Antragsgegnerin beantragt,

Ziffer 1. des Beschlusses des AG Frankfurt (Oder) vom 15.9.2006 aufzuheben und es bei der gemeinsamen elterlichen Sorge für das minderjährige Kind A... Sch..., geboren am ...2000, zu belassen sowie ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen.

Der Antragsteller beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

Wegen der Einzelheiten und zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der angegriffenen Entscheidung, die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die eingeholten Berichte und Stellungnahmen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist nicht begründet. Das Amtsgericht hat zu Recht die gemeinsame elterliche Sorge für A... aufgehoben und sie gemäß § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf den Vater allein übertragen. Dies entspricht dem Kindeswohl am besten.

1.

Die für die zu treffende Sorgerechtsentscheidung wichtigen persönlichen Kriterien werden von beiden Eltern in gleichem Maße erfüllt.

Das Amtsgericht hat festgestellt, dass die Bindungen von A... an beide Eltern eng sind. Ferner besitzen beide Eltern die für das Wohl und die Entwicklung von A... in besonderer Weise wichtige Bereitschaft, den Kontakt des Kindes zum getrennt lebenden Elternteil zuzulassen bzw. alles zu unterlassen, was das Verhältnis von A... zum anderen Elternteil beeinträchtigt oder erschwert. Insbesondere finden regelmäßige Besuchskontakte zwischen der Mutter und A... statt. Es bestehen auch keine qualitativen Unterschiede im Hinblick auf die beiderseitige Erziehungseignung und Förderkompetenz der Eltern. Diese vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen haben sich für den Senat auf Grund der Anhörung der Beteiligten im Verhandlungstermin vom 13.2.2007 als richtig erwiesen.

Der Einwand der Mutter, dass der Vater nicht genug mit A... für die Schule übe, führt zu keiner abweichenden Beurteilung. A... besucht die 1. Grundschulklasse. Er hat keine Lernschwierigkeiten, genügt den schulischen Anforderungen und weist keinen besonderen Förderungsbedarf auf. Er benötigt daher über die allgemeine Unterstützung und Kontrolle hinsichtlich der Erledigung seiner Hausaufgaben keine verstärkte Förderung zur Bewältigung seiner schulischen Angelegenheiten. Zu etwaigen anderen Defiziten, die einen stärkeren Förderungsbedarf von A... erforderlich machten, ist nichts vorgetragen.

Die von der Mutter angesprochene Kleiderfrage könnte für die Sorgeentscheidung erst dann Bedeutung gewinnen, wenn sich die Kleidung von A... als Ausdruck seiner nachlässigen Versorgung bzw. einer körperlichen Vernachlässigung darstellte. Dafür gibt aber weder der Sachvortrag der Mutter etwas her noch bestehen nach Aktenlage und den sonstigen Umständen Anhaltspunkte hierfür. Soweit die Mutter bestimmte Kleidungsvorstellungen hat, beruht dies auf ihren abweichenden inneren Wertungen. Für die Frage des Kindeswohls gewinnen sie keine Bedeutung.

2.

Das Alter des Vaters ist ebenfalls kein Gesichtspunkt, dem für die Entscheidung Bedeutung zukommt. Der in 11/1956 geborene Vater ist 50 Jahre alt, A... ist 6. Aus diesem Altersunterschied lässt sich für sich genommen nichts herleiten.

Ein allgemeines "Vorrecht" der deutlich jüngeren in 7/1978 geborenen Mutter gibt es nicht. Es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Vater altersbedingt mit der Betreuung und Erziehung des sechsjährigen Sohnes nicht zurechtkommt oder überfordert wäre bzw. dass er für A... aus Gründen seines Alters nicht die erforderliche Unterstützung für den Aufbau seiner Persönlichkeit und eine gleichmäßige Betreuung und Erziehung gewährleisten kann. Hinweise dafür sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Auch die von der Antragsgegnerin nur ganz allgemein behaupteten gesundheitlichen Probleme des Vaters bilden keinen entscheidungserheblichen Gesichtspunkt. Es ist weder eine bestimmte Krankheit noch ein bestimmtes Krankheitsbild dargetan. Ferner wäre in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass Behandlungsmöglichkeiten für Erkrankungen bestehen und diese sich auf Grund des wissenschaftlichen Fortschritts fortlaufend verbessern. Schließlich ist nicht aufgezeigt, dass und gegebenenfalls wie etwaige Gesundheitsstörungen des Vaters Auswirkungen auf seine Erziehungsfähigkeit gegenüber A... haben könnten.

3.

Dem neuen Familienverband, in dem A... lebt, hat das Amtsgericht zu Recht keinen eigenen Stellenwert für die Entscheidung beigemessen. Es handelt sich bei den Kindern der neuen Ehefrau des Antragstellers nicht um Halbgeschwister. Für sich genommen lässt sich weder aus dem Umstand der neuen großen Stieffamilie beim Vater noch aus der bei der Mutter bestehenden Einzelkindsituation von A... unter Kindeswohlgesichtspunkten etwas herleiten.

Nach dem für Ende 2/2007 angekündigten Umzug der Familie werden sich auch die Wohnverhältnisse für die insgesamt sechs Personen im Haushalt des Vaters verbessern. Wie A... dem Senat bei seiner Anhörung erzählte, wird er dann ein eigenes Zimmer erhalten und damit einen räumlichen Rückzugsbereich.

4.

Den Ausschlag für die Sorgerechtsentscheidung gibt der Kontinuitätsgrundsatz. Er stellt einen bedeutenden Kindeswohlaspekt dar und führt hier dazu, dass A... seinen Lebensschwerpunkt beim Vater behält.

A... lebt seit 8/2005 ununterbrochen im Haushalt des Vaters und damit seit gut 1 1/2 Jahren. Aus welchen Gründen der Wechsel von der Mutter zum Vater erfolgte, spielt für die Sorgerechtsentscheidung keine Rolle. Bei der Beurteilung der Kontinuität kommt es regelmäßig nicht darauf an, wie diese zu Stande gekommen ist.

Entgegen der Auffassung der Mutter kann sie auch nichts daraus für sich herleiten, dass sie sich bis zur Trennung und auch danach noch bis 8/2005 überwiegend allein um die Kindesbelange gekümmert hat. Der Begriff der Kontinuität stellt auf die Bewahrung der aktuell bestehenden Bindungen, Lebens- und Erziehungsverhältnisse ab. Ferner ist zu berücksichtigen, dass aus psychologischer Sicht das Kontinuitäts- und Stabilitätsbedürfnis von Kindern altersabhängig ist.

In der Vergangenheit wurde die Kontinuität für A... durch die Trennung und Scheidung der Eltern in den Jahren 2004 und 2005 sowie seinen Umzug mit der Mutter von W... nach D... unterbrochen. Die Kontinuität und Stabilität seiner Lebensverhältnisse hat durch den Obhutwechsel von A... zum Vater sodann eine neue Unterbrechung erfahren. Das Entscheidungskriterium der Kontinuität ist vorliegend nicht wertend zu betrachten. Es beinhaltet insbesondere keine Bewertung oder Sanktion im Hinblick auf in der Vergangenheit liegendes Elternverhalten. Der Gesichtspunkt der Kontinuität berücksichtigt tatsächlich zu Stande gekommene Lebenskonstanten und orientiert sich für die zukünftige Entwicklung allein am Kindeswohl. Der Kontinuitätsgrundsatz baut auf der Annahme auf, dass der weitestgehende Erhalt der Einheitlichkeit, Stetigkeit, Gleichmäßigkeit und Stabilität der Lebens- und Erziehungsverhältnisse, wie sie im Zeitpunkt der Sorgerechtsentscheidung aktuell bestehen, dem Wohl des Kindes entspricht. Für ein Kind im Alter von A... sind konstante Verhältnisse wichtig. Sie entsprechen seinem Kontinuitäts- und Stabilitätsbedürfnis. Für A... sind sie gerade auch angesichts der Anzahl von bisherigen Veränderungen, die er zu bewältigen hatte, von Bedeutung. Seit nunmehr 1 1/2 Jahren liegt sein Lebensmittelpunkt tatsächlich in F.... Die Frage des Einverständnisses der Mutter mit dem Andauern dieser Situation spielt dabei unter Kindeswohlgesichtspunkten keine entscheidungserhebliche Rolle. Bei einem Umzug nach D... müsste A... sich dort neu eingewöhnen. Die Kontinuität zu der im Alltag vertrauten Umgebung in F..., zur Schule, zu Freunden und Bekannten würde ein weiteres Mal unterbrochen. Nach der langen Zeit des Aufenthalts beim Vater von 1 1/2 Jahren könnte eine Änderung des Lebensmittelpunkts von A... nur dann gerechtfertigt erscheinen, wenn erhebliche Gründe für eine solche Veränderung sprechen. Daran fehlt es hier. Umstände, die die Annahme einer Verbesserung der Lebensqualität für A... oder seiner Persönlichkeitsentwicklung durch den Wohnortwechsel von F... nach D... rechtfertigen, hat die Mutter weder konkret aufgezeigt noch sind dafür Anhaltspunkte zu erkennen.

Wie vorstehend ausgeführt, verfügen beide Eltern über gleichwertige persönliche Voraussetzungen, um die Verantwortung für die Erziehung und Versorgung von A... zu tragen. Sie sind hinsichtlich der elterlichen Sorge auch sonst gleichberechtigt. Dem Gesichtspunkt der Kontinuität ist folglich hier entscheidungserhebliches Gewicht beizumessen. Er spricht dafür, dass A... sein gewohntes Lebensumfeld zu erhalten ist und dass er beim Vater in F... wohnen bleibt.

5.

Die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Vater erweist sich als nicht ausreichend. Das Amtsgericht hat zu Recht gemäß § 1671 Abs. 2 Ziffer 2 BGB die elterliche Sorge antragsgemäß allein dem Vater übertragen. Die Eltern sind bis heute zu dem erforderlichen Mindestmaß an Kooperation nicht in der Lage.

Die gemeinsame elterliche Sorge ist an Voraussetzungen geknüpft. Für ihre Ausübung ist eine Kooperation und Kommunikation der Eltern bezüglich der Belange des gemeinsamen Kindes erforderlich. Beides besteht zwischen den Eltern im vorliegenden Fall nicht. Darauf hat auch das Amtsgericht in seiner angefochtenen Entscheidung hingewiesen. Die Mutter zieht diese Einschätzung nicht in Zweifel. Insbesondere stellt sie die vom Amtsgericht in seinem Beschluss festgestellten Kommunikationsprobleme zwischen den Eltern in der Beschwerdebegründung nicht in Abrede. Dass diese vorhanden sind, hat sich auch im Rahmen der Anhörung der Eltern durch den Senat bestätigt. Bis auf Umgangsvereinbarungen finden Gespräche zwischen ihnen über die Belange von A... nicht statt. Hinsichtlich der schulischen und sonstigen Belange des Kindes sind und waren sich die Eltern auch in der Vergangenheit nicht einig. Nach dem im Termin gewonnenen Eindruck ist zwischen den Eltern eine für die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge ausreichende Gesprächsgrundlage gegenwärtig nicht vorhanden. In diesem Zusammenhang kommt es auf die vom Senat angenommene beiderseitige Erziehungseignung für die Entscheidung nicht an. Auf Grund ihres Verhaltens in der Vergangenheit lässt sich jedenfalls nicht die für die Zukunft erforderliche Prognose treffen, dass beide Eltern willens und in der Lage sind, ihre andauernden Konflikte untereinander im Interesse der ausschließlich am Wohl ihres Kindes auszurichtenden Entscheidung zurückstellen und zu einer vertrauensvollen Kommunikation in Erziehungsfragen finden.

6.

Bei seiner Anhörung durch den Senat hat A... weder ausdrücklich noch indirekt einen Wunsch in Richtung auf eine Bevorzugung seines Aufenthalts bei einem Elternteil zum Ausdruck gebracht. Aus dem Kindeswillen ergibt sich daher nichts für eine abweichende Sorgerechtsentscheidung.

7.

Die Mutter hat keine Umstände oder Verhaltensweisen des Kindes dargelegt, die es geboten erscheinen lassen, ein Sachverständigengutachten einzuholen.

Der Senat verfügt nach Anhörung aller Beteiligten im Termin vom 13.2.2007 über hinreichende tatsächliche Grundlagen sowie aufgrund seiner Erfahrungen über die entsprechende Sachkunde, um unter Berücksichtigung aller von der Rechtsprechung aufgestellten wesentlichen Teilaspekte, und hier insbesondere des Kontinuitätsgrundsatzes, bei der Auseinandersetzung bezüglich des elterlichen Sorgerechts ohne sachverständige Hilfe eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu treffen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG.

Ende der Entscheidung

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