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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 22.08.2006
Aktenzeichen: 10 UF 51/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1569
BGB § 1573 Abs. 2
BGB § 1578 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

10 UF 51/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 22.08.2006

verkündet am 22.08.2006

In der Familiensache

hat der 2. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Prof. Schael, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Liceni-Kierstein und den Richter am Oberlandesgericht Gutjahr

auf die mündliche Verhandlung vom 8. August 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Antragstellerin wird das Urteil des Amtsgerichts Strausberg vom 15. Februar 2006 in seinem Ausspruch über den nachehelichen Unterhalt (Ziffer II. des Tenors) unter Zurückweisung ihres weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert.

Der Antragsgegner wird verurteilt, an die Antragstellerin ab Rechtskraft der Ehescheidung einen im Voraus fälligen und bis zum 3. eines jeden Monats zu leistenden nachehelichen Unterhalt in Höhe von monatlich 106 € zu zahlen.

Im Übrigen wird die auf nachehelichen Unterhalt gerichtete Klage der Antragstellerin abgewiesen.

Es bleibt bei der erstinstanzlichen Kostenentscheidung. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung auf 1.632 € und für die Zeit danach auf 1.320 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Durch Urteil vom 15.2.2006 hat das Amtsgericht die Ehe der Parteien geschieden, den Versorgungsausgleich zu Gunsten der Antragstellerin durchgeführt und die auf nachehelichen Unterhalt gerichtete Klage der Antragstellerin wegen Verletzung ihrer Erwerbsobliegenheit und fiktiver Zurechnung eines Monatsnettoeinkommens von mindestens 920 € abgewiesen. Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen.

Gegen die Entscheidung zum Unterhalt richtet sich die Berufung der Antragstellerin, mit der sie sich auf ausreichende Erwerbsbemühungen beruft. Auf Grund gesundheitlicher Einschränkungen und ihres Alters seien diese aber erfolglos geblieben. Selbst bei einer fiktiven Einkommenszurechnung verbleibe ein restlicher Geschiedenenunterhaltsanspruch.

Die Antragstellerin beantragt nach teilweiser Zurücknahme ihrer Berufung,

das angefochtene Urteil abzuändern und den Antragsgegner zu verurteilen, an sie ab Rechtskraft der Ehescheidung einen im Voraus fälligen und jeweils zum 1. eines jeden Monats zahlbaren Unterhalt von monatlich 110 € zahlen.

Der Antragsgegner beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels und beruft sich weiterhin auf unzureichende Arbeitsbemühungen der nach seiner Ansicht uneingeschränkt arbeitsfähigen Antragstellerin. Diese habe auch mehrfach erklärt, dass sie auf jegliche Unterhaltszahlungen verzichte.

II.

Die zulässige Berufung der Antragstellerin ist in dem nach ihrer teilweisen Rechtsmittelrücknahme verbliebenen Umfang überwiegend begründet. Die Antragstellerin hat ab Rechtskraft des Scheidungsausspruchs Anspruch auf Aufstockungsunterhalt gemäß § 1573 Abs. 2 BGB in Höhe von monatlich 106 €. Denn die ihr zuzurechnenden fiktiven Eigeneinkünfte reichen zur Erhaltung des Lebensstandards nach den ehelichen Lebensverhältnissen nicht aus.

1.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners sind die Erklärungen der Antragstellerin vom 14.3. und 18.3.2003 nicht hinreichend eindeutig, um daraus einen endgültigen Verzicht auf nachehelichen Unterhalt herleiten zu können. Im Übrigen bestünden wegen der (auf Grund andauernder Arbeitslosigkeit der Antragstellerin) seinerzeit vorhersehbaren sozialhilferechtlichen Folgen Bedenken gegen die Wirksamkeit eines solchen etwaigen Unterhaltsverzichts.

2.

Zu Recht ist das Amtsgericht bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs der Antragstellerin nach § 1578 Abs. 1 BGB davon ausgegangen, dass die ehelichen Lebensverhältnisse der Parteien von den Rentenbezügen des Antragsgegners geprägt worden sind. Diese sind an die Stelle eines im Zeitpunkt der Scheidung bereits nicht mehr bezogenen Erwerbseinkommens getreten. Das unterhaltsrechtlich ungekürzt in Ansatz zu bringende Nettorenteneinkommen des Antragsgegners beläuft sich auf monatlich 941,55 €.

3.

Aus unterhaltsrechtlicher Sicht muss sich die Antragstellerin wegen Verletzung ihrer Erwerbsobliegenheit ein fiktives Erwerbseinkommen von monatlich 850 € aus einer eheangemessenen vollschichtigen Tätigkeit zurechnen lassen. Damit kommt als Anspruchsgrundlage für das Unterhaltsbegehren der Antragstellerin nur die Vorschrift des § 1573 Abs. 2 BGB (Aufstockungsunterhalt) in Betracht.

Nach den von ihr vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen hindern die festgestellten und dauerhaft bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen nicht die Arbeitsfähigkeit der Antragstellerin als solche, sondern es sind nur ihre Verwendungsmöglichkeiten an einem Arbeitsplatz eingeschränkt. Die Ausübung einer vollschichtigen leichten Arbeit ist der Antragstellerin laut ärztlichem Gutachten möglich. Daran ändert auch die nunmehr erfolgte Feststellung eines Grades der Behinderung von 30 nichts.

Die von der Antragstellerin vorgetragenen Bemühungen um eine Arbeitsstelle in dem Zeitraum von 7/2003 bis 5/2004 sowie ab 1/2006 sind von der Anzahl und Art her unzureichend. Sie entsprechen nicht den von der Rechtsprechung in diesem Zusammenhang mit Blick auf den in § 1569 BGB niedergelegten Grundsatz der wirtschaftlichen Eigenverantwortung jedes Ehegatten nach der Scheidung aufgestellten Anforderungen. Auch aus Gründen des Alters der im Zeitpunkt der Scheidung 53 Jahre alten Antragstellerin ergeben sich keine Einschränkungen. Es besteht vielmehr ihre grundsätzliche Erwerbspflicht bis zum Erreichen des allgemeinen Renteneintrittsalters (vgl. hierzu BGH, FamRZ 1999, 708/709 f.). Wegen Verletzung ihrer Erwerbsobliegenheit auf Grund unzureichender Arbeitsbemühungen muss sich die Antragstellerin deshalb ab Beginn des Anspruchszeitraums ein fiktives Arbeitseinkommen aus einer leichten vollschichtigen Tätigkeit zurechnen lassen. Unter Berücksichtigung des schulischenberuflichen Werdegangs und der bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen hält der Senat ein solches der Höhe nach mit monatlich bereinigt 850 € für ausreichend bemessen.

Dieses Einkommen der Antragstellerin ist in die Berechnung ihres Anspruchs auf Aufstockungsunterhalt nach der Differenzmethode einzubeziehen. Denn auch solche fiktiven Einkünfte nach der Scheidung sind als eheprägend zu beurteilen. Sie stellen sich als Surrogat der früheren Familienarbeit dar, die die ehelichen Lebensverhältnisse entsprechend erhöhen. Der Wert der Haushaltsleistungen spiegelt sich in dem Wert der nach der Scheidung erzielten oder erzielbaren Einkünfte wider (vgl. hierzu BGH, FamRZ 2001, 986/991).

4.

Der Unterhaltsbedarf der Antragstellerin nach den ehelichen Lebensverhältnissen beläuft sich unter Berücksichtigung des zu Gunsten der Antragstellerin in Ansatz zu bringenden so genannten Erwerbstätigenbonus auf (941,55 € - 6/7 x 850 €) x 1/2 = gerundet 106 €.

Der dem nicht mehr erwerbstätigen Antragsgegner zustehende billige Selbstbehalt (vgl. hierzu BGH, FamRZ 2006, 683/684 f.) ist mit monatlich 805 € zu bemessen. Dieser bleibt bei einem entsprechenden Unterhaltsanspruch der Antragstellerin gewahrt. Der Antragsgegner schuldet der Antragstellerin daher gemäß § 1573 Abs. 2 BGB ab Rechtskraft des Scheidungsausspruchs einen nachehelichen Unterhalt in Höhe von monatlich 106 €. Angesichts der langen Ehedauer von fast 20 Jahren ist für eine zeitliche Begrenzung oder Herabsetzung des Aufstockungsunterhaltsanspruchs der Antragstellerin kein Raum.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 93 a, 708 Nr. 11, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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