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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 06.11.2008
Aktenzeichen: 10 WF 107/08
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 114
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 572 Abs. 3
BGB § 1606 Abs. 3 Satz 1
BGB § 1629 Abs. 2 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Entscheidung. Der Beklagten kann Prozesskostenhilfe nicht aus den vom Amtsgericht angeführten Gründen (vollständig) versagt werden.

1. Das Amtsgericht hat die Klage entgegen dem Einwand der Beklagten für zulässig gehalten, obwohl der minderjährige Kläger, für den Unterhalt begehrt wird, sich bei Klageeinreichung im Ausland aufgehalten und somit nicht mehr bei seinem Vater, der als gesetzlicher Vertreter aufgetreten ist, gelebt hat. Diese Frage darf im Prozesskostenhilfeverfahren aber nicht zu Lasten der um Prozesskostenhilfe nachsuchenden Partei, hier also der Beklagten, beantwortet werden.

Nach § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB kann bei gemeinsamer elterlicher Sorge der geschiedene Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind befindet, dieses bei der Geltendmachung seiner Unterhaltsansprüche gesetzlich vertreten. Der Begriff der Obhut stellt auf die tatsächlichen Betreuungsverhältnisse ab. Ein Kind befindet sich in der Obhut desjenigen Elternteils, bei dem der Schwerpunkt der tatsächlichen Fürsorge und Betreuung liegt, der sich also vorrangig um die Befriedigung der elementaren Bedürfnisse des Kindes kümmert (BGH, FamRZ 2006, 1015). Obhut ist nicht beschränkt auf eine von dem betreffenden Elternteil selbst unmittelbar geleistete Betreuung, sondern erstreckt sich auch auf eine Drittbetreuung, um die sich der Elternteil organisierend und überwachend kümmert (Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 4. Aufl., § 1629, Rz. 6). Daher kann Obhut auch beispielsweise dann noch gegeben sein, wenn ein Elternteil das Kind bei Verwandten untergebracht hat, wenn das Kind sich während der Ferien länger beim anderen Elternteil aufhält oder wenn es in einem Heim untergebracht ist (Palandt/ Diederichsen, BGB, 67. Aufl., § 1629, Rz. 31). In diesen Fällen wird für die Annahme, dass Obhut im Sinne des § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB gegeben ist, aber teilweise für erforderlich gehalten, dass der Elternteil seinen Betreuungsobliegenheiten durch regelmäßige Kontakte mit dem Kind und der Betreuungsperson nachkommt (so MünchKomm/Huber, BGB, 5. Aufl., § 1629, Rz. 82; Wendl/Schmitz, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 7. Aufl., § 10, Rz. 135 a).

Vor diesem Hintergrund lässt sich angesichts des Aufenthalts des Klägers in den USA seit August 2007 nicht ohne weiteres feststellen, dass eine Obhut des Vaters noch gegeben war. Denn regelmäßige Kontakte zwischen dem Kläger und seinem Vater dürfte es während des Auslandsaufenthalts nicht gegeben haben. Dies spricht grundsätzlich dafür, diese schwierige Frage im Prozesskostenhilfeverfahren nicht zu Lasten der Beklagten zu entscheiden (vgl. BVerfG, FamRZ 2002, 665; BGH, FamRZ 2003, 671; Senat, FamRZ 2000, 1033, 1035; Verfahrenshandbuch Familiensachen - FamVerf -/Gutjahr, § 1, Rz. 257).

Allerdings wird das Amtsgericht zu überprüfen haben, ob der Kläger inzwischen aus den USA zurückgekehrt und, seiner schriftsätzlich geäußerten Erwartung entsprechend, wieder in der Wohnung seines Vaters lebt. Für diesen Fall wäre die Zulässigkeit der Klage nun ohne weiteres zu bejahen.

2. Von seinem Rechtsstandpunkt aus, nämlich der Annahme der Zulässigkeit der Klage trotz Auslandsaufenthalt des Klägers, hätte das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss dennoch auf die Frage der Begründetheit eingehen müssen. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass die (zulässige) Klage dennoch in der Sache keinen Erfolg hat, etwa wenn der Einwand der Beklagten, sie sei nicht hinreichend leistungsfähig, zutrifft.

Bei summarischer Betrachtung bietet die Rechtsverteidigung gegen die Klage für die Zeit ab August 2007 in vollem Umfang Aussicht auf Erfolg, in der Zeit davor zumindest, soweit es um höheren Unterhalt als 106 € monatlich geht.

a) Das Nettomonatseinkommen der Beklagten nach Hinzusetzen einer anteiligen Steuererstattung und nach Abzug berufsbedingter Fahrtkosten ist mit rund 968 € unstreitig. Von diesem Betrag können Beiträge zur privaten Rentenversicherungen jedenfalls nicht in der von der Beklagten mit Schriftsatz vom 15.4.2008 geltend gemachten Höhe von 104 € zuzüglich 25 € bis Dezember 2007 bzw. 34 € ab Januar 2008 abgesetzt werden.

Auch wenn dadurch, dass bei der Unterhaltsbemessung auf das jeweilige Nettoeinkommen abzustellen ist, die Beiträge eines abhängig Beschäftigen für die gesetzliche Rentenversicherung ohnehin Berücksichtigung finden, darf der Unterhaltspflichtige grundsätzlich eine zusätzliche Altersversorgung betreiben, die unterhaltsrechtlich beim Elternunterhalt bis zu 5 % des Bruttoeinkommens und im Übrigen bis zu 4 % des Bruttoeinkommens betragen kann, wobei Voraussetzung ist, dass solche Aufwendungen für die eigene Altersvorsorge tatsächlich geleistet werden (vgl. Nr. 10.1 der Unterhaltsleitlinien des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, Stand 1.1.2008, unter Bezugnahme auf BGH, FamRZ 2005, 1817; FamRZ 2007, 793). Dem Unterhaltsschuldner steht es grundsätzlich frei, in welcher Weise er von seinen eigenen erzielten Einkünften neben der gesetzlichen Rentenversicherung Vorsorge für sein Alter trifft. Einer Berücksichtigung steht auch nicht entgegen, dass die monatlichen Beiträge allein der Kapitalbildung, etwa in Form einer Lebensversicherung, dienen (BGH, FamRZ 2007, 1232 ff., Rz. 34). Allerdings wird von dem Grundsatz, dass eine zusätzliche Altersvorsorge betrieben werden darf, verbreitet eine Ausnahme für den Fall gemacht, dass Kindesunterhalt geschuldet wird, insbesondere im Mangelfall, wenn nicht einmal der Mindestunterhalt für das minderjährige Kind gesichert ist (vgl. OLG Düsseldorf, FamRZ 2006, 1685; Kalthoener/ Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 10. Aufl., Rz. 1029; Handbuch des Fachanwalts Familienrechts/Gerhardt, 6. Aufl., 6. Kap., Rz. 72 b; Handbuch Unterhaltsrecht/Ehinger, 5. Aufl., Rz. 85; vgl. auch Wendl/Klinkhammer, a.a.O., wonach der Unterhaltsschuldner für einen solchen Fall grundsätzlich verpflichtet ist, den Vertrag hinsichtlich der zusätzlichen Altersvorsorge vorübergehend ruhend zu stellen). Auch diese höchstrichterlich bisher nicht abschließend geklärte Rechtsfrage darf im Prozesskostenhilfeverfahren nicht zu Lasten der Beklagten entschieden werden (vgl. für die Zeit, bevor der BGH erstmals eine zusätzliche Altersvorsorge in Höhe von 4 % bzw. 5 % für zulässig erachtet hat, aber auch BGH, FamRZ 2003, 741, 743).

Danach ist, jedenfalls im Prozesskostenhilfeverfahren, davon auszugehen, dass die Beklagte eine zusätzliche Altersvorsorge in Höhe von 4 % des Bruttoeinkommens betreiben darf. Stellt man insoweit auf das durch Vorlage des Steuerbescheides für 2006 mit Schriftsatz vom 15.4.2008 allein belegte Jahresbruttoeinkommen für das Jahr 2006 von 16.264 € ab, ergibt sich ein zu berücksichtigender Betrag von rund 54 € (= 16.264 € : 12 Monate x 4 %).

b) Nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom 24.4.2008 klargestellt hat, ebenso wie schon im vereinfachten Verfahren Unterhalt auch für die Dauer seines Auslandsaufenthaltes geltend zu machen, bedarf es, die Zulässigkeit der Klage insoweit unterstellt, einer Unterhaltsberechnung auch für diesen Zeitraum. Im Prozesskostenhilfeverfahren kann der Unterhaltsbedarf des Kindes auch während des Aufenthalts in den USA mit dem Regelbetrag bzw. Mindestunterhalt angenommen werden (vgl. Senat, FamRZ 2004, 483). Allerdings ist zu beachten, dass, da der Kläger in dieser Zeit von seinem Vater tatsächlich nicht betreut werden kann, eine anteilige Barunterhaltspflicht beider Elternteile nach § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB anzunehmen ist (vgl. Wendl/Klinkhammer, a.a.O., § 2, Rz. 289). Soweit sich in diesem Fall, in dem das Kind von Dritten betreut wird, eine Restbetreuung des Kindes durch einen Elternteil ergeben sollte, ist dem gegebenenfalls durch Veränderung des Verteilungsschlüssels Rechnung zu tragen (Wendl/Klinkhammer, a.a.O., § 2, Rz. 290). Für die Feststellung des Regelbedarfs ist von der Summe der Einkünfte beider Elternteile auszugehen (Wendl/Klinkhammer, a.a.O., § 2, Rz. 291 a). Die Haftungsanteile der Eltern bestimmen sich in diesem Fall nach dem Verhältnis ihrer den jeweiligen Selbstbehalt übersteigenden Einkünfte (vgl. Nr. 12.3 der genannten Leitlinien). Da der Kläger bislang das unterhaltsrechtlich bedeutsame Einkommen seines Vaters nicht dargelegt hat, ist im Prozesskostenhilfeverfahren zu Gunsten der Beklagten davon auszugehen, dass sie dem Kläger während dessen Auslandsaufenthalts Unterhalt nicht schuldet.

c) Für die Zeit ab Juni 2008 ist unabhängig von der Frage, ob und gegebenenfalls wann der Kläger seinen Auslandsaufenthalt beendet hat, zu berücksichtigen, dass die Beklagte, wie mit Schriftsatz vom 10.6.2008 vorgetragen, Arbeitslosengeld bezieht. Auf der Grundlage ihrer tatsächlichen Einkünfte ist sie danach nicht leistungsfähig. Das Amtsgericht wird insoweit Feststellungen zu der Frage zu treffen habe, ob sich die Beklagte nach Verlust ihres bisherigen Arbeitsplatzes hinreichend um eine neue Arbeitsstelle bemüht hat (vgl. zu den insoweit zu stellenden Anforderungen Kalthoener/Büttner/Niepmann, a.a.O., Rz. 711 ff.). Selbst für den Fall, dass das Amtsgericht zu dem Ergebnis gelangen sollte, die Bewerbungsbemühungen der Beklagten reichten nicht aus, könnte der Beklagten nicht sogleich von Beginn der Arbeitslosigkeit an ein fiktives Einkommen aus Erwerbstätigkeit zugerechnet werden. Vielmehr wäre der Beklagten eine angemessene Übergangszeit zuzubilligen (vgl. OLG Hamm, FamRZ 2003, 177; Kalthoener/Büttner/Niepmann, a.a.O., Rz. 670). In solchen Fällen nimmt der Senat regelmäßig eine Übergangszeit zwischen drei und sechs Monaten an, beginnend allerdings nicht erst mit dem Zeitpunkt, in dem an der Unterhaltsschuldner arbeitslos ist, sondern von dem Zeitpunkt an, von dem er von der bevorstehenden Arbeitslosigkeit erfahren hat. Hierzu wird das Amtsgericht gegebenenfalls Feststellungen zu treffen haben.

d) Bei vorläufiger Betrachtung ist im Prozesskostenhilfeverfahren zu Gunsten der Beklagten davon auszugehen, dass eine Unterhaltspflicht ab August 2007 nicht mehr besteht. Für die Zeit davor ist von einem bereinigten Einkommen der Beklagten von 914 € (= 968 € - 54 € Altersvorsorge) auszugehen. Bei einem wegen Haushaltsersparnis um 12,5 % ermäßigten Selbstbehalt von rund 718 € ergibt sich eine Verteilungsmasse von 196 €. Stellt man eine Mangelberechnung entsprechend den Darlegungen im Schriftsatz der Beklagten vom 15.4.2008 für die Zeit von Februar bis Juni 2007 an, ergibt sich für den Kläger ein Unterhaltsanspruch von rund 106 € (= 196 € x 269 € : 497 €). Für Juli 2007 errechnet sich trotz geringfügig verminderter Einsatzbeträge kein abweichender Unterhaltsanspruch (196 € x 267 € : 493 € = 106 €).

3. Die Sache ist gemäß § 572 Abs. 3 ZPO an das Amtsgericht zurückzuverweisen, da dort noch Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Beklagte nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, § 114 ZPO (vgl. auch Verfahrenshandbuch Familiensachen - FamVerf -/Gutjahr, § 1, Rz. 197). Denn bislang liegt lediglich eine Erklärung der Beklagten über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 4.11.2007 vor. Das Amtsgericht wird die Beklagte auffordern, eine aktuelle Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst entsprechenden Belegen einzureichen. Auf dieser Grundlage wird das Amtsgericht unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats prüfen, ob die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 114 ZPO gegeben sind und danach erneut über den Antrag der Beklagten entscheiden. Für die Beurteilung der Erfolgsaussicht ist auch dann grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch maßgebend (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., § 119, Rz. 44 f.). Soweit sich die Erfolgsprognose allerdings in der Zeit zwischen Entscheidungsreife und Entscheidung verschlechtert haben sollte, ist gegebenenfalls zu prüfen, inwieweit dies auf eine verzögerte gerichtliche Entscheidung über die Prozesskostenhilfebewilligung zurückzuführen ist (vgl. Zöller/Philippi, a.a.O., § 119, Rz. 46).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.

Ende der Entscheidung

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