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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 23.10.2001
Aktenzeichen: 10 WF 145/01
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 127 Abs. 4
ZPO § 575
ZPO § 571
ZPO § 570
ZPO § 323 Abs. 1
ZPO § 323 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 323 Abs. 3 Satz 2
ZPO § 114
ZPO § 253 Abs. 1
BGB § 1606 Abs. 3 Satz 1
BGB § 1603 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

10 WF 145/01 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Familiensache

hat der 2. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die Beschwerde des Klägers vom 14. September 2001 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 17. August 2001 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Schael, die Richterin am Oberlandesgericht Berger und den Richter am Oberlandesgericht Gutjahr

am 23. Oktober 2001

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige Beschwerde führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Entscheidung. Der angefochtene Beschluss ist wegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers aufzuheben und die Sache gemäß § 575 ZPO zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Denn das Amtsgericht hat sich mit dem Beschwerdevorbringen nicht erkennbar auseinandergesetzt.

Gemäß § 571 ZPO hat das erstinstanzliche Gericht der Beschwerde, wenn es sie für begründet erachtet, abzuhelfen, andernfalls die Beschwerde (...) dem Beschwerdegericht vorzulegen. In jedem Fall besteht die Amtspflicht des Gerichts, dessen Entscheidung angefochten wird, zunächst zu prüfen, ob die Beschwerde begründet ist (Zöller/Gummer, ZPO, 22. Aufl., § 571, Rz. 4; Baumbach/Lauterbach/Albers, ZPO, 59. Aufl., § 571, Rz. 2; Thomas/Putzo, ZPO, 23. Aufl., § 571, Rz. 3). Dabei sind mit Rücksicht auf § 570 ZPO vorgebrachte neue Tatsachen zu beachten und in die Prüfung einzubeziehen (OLG Hamm, MDR 1988, 871; OLG Köln, FamRZ 1986, 487; Verfahrenshandbuch Familiensachen - FamVerf -/ Gutjahr, § 1, Rz. 191).

Denn mit § 571 ZPO wird der Zweck verfolgt, die Kosten verursachende Befassung des Beschwerdegerichts mit der Sache zu vermeiden, wenn gebotene Korrekturen der Erstentscheidung unschwer durch das Erstgericht selbst vorgenommen werden können (Zöller/Gummer, a.a.O., § 571, Rz. 3). Hilft das erstinstanzliche Gericht der Beschwerde nicht ab, so ist diese Entscheidung jedenfalls dann zu begründen, wenn in der Beschwerde neue Tatsachen oder Gesichtspunkte vorgetragen werden, die das Erstgericht für widerlegt oder unerheblich hält (OLG Köln, FamRZ 1986, 487; Zöller/Gummer, a. a. O., § 571, Rz. 8; Baumbach/Lauterbach/Albers, a. a. O., § 571, Rz. 8). Eine solche Begründung darf sich nicht darin erschöpfen, auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses zu verweisen (OLG Hamm, MDR 1991, 452; Zöller/Gummer, a. a. O., § 575, Rz. 13). Denn dann ist nicht erkennbar, dass sich das Erstgericht mit dem maßgeblichen materiellen Vorbringen überhaupt befasst hat (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 1991, 349, 350; Baumbach/ Lauterbach/Albers, a. a. O., § 575, Rz. 4). Da in einem solchen Fall die maßgeblichen Ausführungen des Beschwerdeführers völlig übergangen werden (vgl. OLG Brandenburg - 1. Senat für Familiensachen - FamRZ 2000,1098, 1099, OLG Celle, MDR 1986, 154; Zöller/Gummer, a. a. O., § 575, Rz. 13; s. auch FamVerf/ Gutjahr, a. a. O., § 1, Rz. 193) liegt ein erheblicher Verfahrensmangel vor, der die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung durch das Beschwerdegericht und die Zurückverweisung an das Gericht der ersten Instanz gebietet (Zöller/Gummer, a. a. O., § 575, Rz. 13; Baumbach/Lauterbach/Albers, a. a. O., § 575, Rz. 4). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist vorliegend der Beschluss des Amtsgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Befassung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Durch den angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung zurückgewiesen, er habe eine wesentliche Änderung derjenigen Verhältnisse, die für die Errichtung des bestehenden Unterhaltstitels maßgebend waren, im Sinne des § 323 Abs. 1 ZPO nicht dargelegt Mit der Beschwerde hat der Kläger vorgetragen, eine wesentliche Veränderung sei jedenfalls am 15.9.2001 eingetreten, da der Beklagte an diesem Tag volljährig geworden sei. Mit diesem neuen Vorbringen hat sich das Amtsgericht in seiner Nichtabhilfeentscheidung vom 18.9.2001 nicht auseinandergesetzt. Dies muss nach den vorstehenden Ausführungen zur Aufhebung und Zurückverweisung führen.

Das Vorbringen des Klägers mit der Beschwerde ist für die Beurteilung, ob sein Begehren hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht, § 114 ZPO, von Bedeutung. Denn der Eintritt der Volljährigkeit des Unterhaltsberechtigten ist grundsätzlich geeignet, eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse herbeizufuhren. Von diesem Zeitpunkt an haften nämlich beide Elternteile gemäß § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen. Der Elternteil, der das bislang minderjährige Kind betreut hat, genügt seiner Unterhaltspflicht ab Eintritt der Volljährigkeit des Kindes grundsätzlich nicht allein dadurch, dass er weiterhin Betreuungsleistungen erbringt (vgl. BGH, FamRZ 1994, 696). Auch wenn grundsätzlich den Abänderungskläger die Darlegungs- und Beweislast für eine wesentliche Veränderung der Umstände trifft, die für die Unterhaltsfestsetzung im vorausgehenden Verfahren maßgeblich waren (Wendl/Haußleiter, Unterhaltsrecht, 5. Aufl., § 6, Rz. 726), so muss doch der auf Herabsetzung des titulierten Unterhalts in Anspruch genommene unterhaltsberechtigte Beklagte die auf den Abänderungskläger gemäß § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB entfallende Haftungsquote und somit auch das Einkommen des anderen Elternteils darlegen und beweisen (KG, FamRZ 1994, 765, 766). Vor diesem Hintergrund ist der Hinweis des Klägers auf die Volljährigkeit des Beklagten beachtlich, ohne dass der Kläger auf die Haftungsquoten im einzelnen eingehen muss.

An der fehlenden Erfolgsaussicht des Klägers trotz zwischenzeitlicher Volljährigkeit des Beklagten fehlt es nicht allein deshalb, weil der Kläger die Grundlagen des abzuändernden Titels nicht im Einzelnen dargelegt hat. Allerdings hat das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend darauf hingewiesen, dass den Abänderungskläger insoweit die Darlegungslast trifft. Vorliegend ist aber zu beachten, dass die Abänderung des Anerkenntnisurteils des Amtsgerichts vom 22.01.1999 (7 F 71/97) begehrt wird. Bevor das Amtsgericht der beabsichtigten Klage die hinreichende Erfolgsaussicht unter Hinweis auf eine unterbliebene Darlegung der Grundlagen des alten Titels abspricht, hätte es die bei ihm geführte Akte 7 F 71/97 beiziehen müssen, um festzustellen, ob sich nicht bereits daraus die Grundlagen für das Anerkenntnisurteil ersehen lassen (vgl. FamVerf/Schael, a.a.O., § 1, Rz. 395).

Für die weitere Sachbehandlung weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin:

Mit der Klageschrift hat der Kläger verlangt, den bestehenden Unterhaltstitel "ab sofort" dahin abzuändern, dass er nur noch verpflichtet sei, an den Beklagten Unterhalt von monatlich 85 DM zu zahlen. Soweit das Begehren des Klägers dahin zu verstehen sein sollte, dass er eine Abänderung des Unterhaltstitels ab Klageeinreichung, das heißt ab 08.03.2001, erreichen möchte, kann dem nicht entsprochen werden. Denn die Abänderung eines Urteils ist gemäß § 323 Abs. 1 Satz 1 ZPO erst für die Zeit nach Erhebung der Klage, also ab Klagezustellung, § 253 Abs. 1 ZPO, möglich. Die Vorschrift des § 323 Abs. 3 Satz 2 ZPO, die eine Abänderung vor Klagezustellung ermöglicht, gilt für das Herabsetzungsbegehren des Unterhaltsschuldners, wie vorliegend, nicht (FamVerf/Schael, a.a.O., § 1, Rz. 397).

Soweit das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss davon ausgegangen ist, der Kläger könne sich auf mangelnde Leistungsfähigkeit deshalb nicht berufen, weil er der gesteigerten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB nicht nachgekommen sei, ist darauf hinzuweisen, dass nicht ohne weiteres von voller Leistungsfälligkeit des Unterhaltsschuldners ausgegangen werden kann, wenn dieser sich nicht ausreichend um eine Erwerbstätigkeit bemüht hat. Vielmehr sind dem Unterhaltsschuldner, der seine Erwerbsobliegenheit verletzt hat, fiktive Einkünfte anzurechnen (Wendl/Haußleiter, a.a.O., § 1, Rz. 386), die er nach seinem Alter, seiner Vorbildung und dem beruflichen Werdegang erzielen könnte (Eschenbruch/Mittendorf, Der Unterhaltsprozess, 2. Aufl., Rz. 5341 m. w. N.). Unter Berücksichtigung derartiger fiktiver Einkünfte ist dann zu ermitteln, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang ein Unterhaltsanspruch besteht.

Das Amtsgericht, das im angefochtenen Beschluss den Antrag des Klägers auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil vom 22.01.1999 (7 F 71/97) zurückgewiesen hat, wird auch über den nunmehr mit Schriftsatz vom 09.10.2001 erneut gestellten Antrag des Klägers, die Zwangsvollstreckung einzustellen, zu befinden haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.

Ende der Entscheidung

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