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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 29.11.2006
Aktenzeichen: 10 WF 255/06
Rechtsgebiete: ZPO, BbgSchulG, BGB


Vorschriften:

ZPO § 114
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 323
BbgSchulG § 17 Nr. 11
BbgSchulG § 17 Nr. 12
BbgSchulG § 30 Abs. 1
BGB § 1582
BGB § 1606 Abs. 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

10 WF 255/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Familiensache

hat der 2. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die sofortige Beschwerde des Klägers vom 6. November 2006 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Eberswalde vom 27. Oktober 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht Gutjahr als Einzelrichter

am 29. November 2006

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.

Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für die Klage in vollem Umfang bewilligt.

Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Das als Beschwerde bezeichnete Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO anzusehen und als solche zulässig.

Die sofortige Beschwerde ist begründet. Dem Kläger ist Prozesskostenhilfe nicht nur, wie vom Amtsgericht angenommen, teilweise, sondern in vollem Umfang zu bewilligen. Seine Klage bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 114 ZPO.

1.

Der Kläger begehrt Wegfall des titulierten Unterhalts ab Juni 2006. Die Beklagte ist am 19.5.2006 volljährig geworden. Mit Eintritt der Volljährigkeit ist grundsätzlich auch die Mutter der Beklagten barunterhaltspflichtig, § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB. Das Einkommen ihrer Mutter hat die Beklagte jedoch nicht dargelegt. Deshalb ist im Prozesskostenhilfeverfahren zu Gunsten des Klägers davon auszugehen, dass er der Beklagten überhaupt keinen Unterhalt mehr schuldet.

Im Abänderungsverfahren nach § 323 ZPO trägt grundsätzlich der Abänderungskläger die Darlegungs- und Beweislast für eine wesentliche Veränderung der Umstände, die für die Unterhaltsfestsetzung im vorausgegangenen Verfahren maßgeblich waren (BGH, FamRZ 1987, 259; Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Aufl., § 6, Rz. 726). Vor diesem Hintergrund wird teilweise die Auffassung vertreten, dass der auf Abänderung klagende Unterhaltsschuldner bei Volljährigkeit des Kindes auch das Einkommen des anderen Elternteils zur Ermittlung der Haftungsanteile darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen hat (so OLG Zweibrücken, FamRZ 2001, 249; OLG Hamburg, FamRZ 1993, 1475; Wendl/Dose, a.a.O.). Nach der Gegenauffassung trägt das auf Abänderung in Anspruch genommene volljährige Kind die Darlegungs- und Beweislast bezüglich des Einkommens und damit des Haftungsanteils des nicht am Prozess beteiligten Elternteils, da es insoweit um die Aufrechterhaltung des Unterhaltsanspruchs geht (so Senat, FamRZ 2003, 48, 49; FamRZ 2004, 552, 553; KG, FamRZ 1989, 1206, 1207; FamRZ 1994, 765, 766; OLG Hamm, FamRZ 2000, 904; OLG Köln, FamRZ 2000, 1043 f.; Wendl/Scholz, a.a.O., § 2, Rz. 451). Diese streitige Rechtsfrage darf im Prozesskostenhilfeverfahren nicht zu Lasten des Klägers beantwortet werden.

Soweit es bei der Frage, ob für das Begehren der um Prozesskostenhilfe nachsuchenden Partei hinreichende Erfolgsaussicht besteht, um die Rechtslage geht, reicht es aus, dass der Standpunkt des Antragstellers zumindest vertretbar ist. Um die Chancengleichheit der bedürftigen und der bemittelten Partei zu wahren, dürfen schwierige Rechtsfragen nicht bereits im Prozesskostenhilfeverfahren zu Lasten des Antragstellers entschieden werden. Denn auch der Bedürftige muss die Chance haben, die Frage obergerichtlich klären zu lassen. Das gilt insbesondere dann, wenn es sich um eine Sache von grundsätzlicher Bedeutung handelt, derentwegen die Revision oder die Rechtsbeschwerde zugelassen werden müsste (vgl. BVerfG, FamRZ 2002, 665; BGH, FamRZ 2003, 671; Senat, FamRZ 2000, 1033, 1035; Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 114, Rz. 21; Verfahrenshandbuch Familiensachen - FamVerf -/Gutjahr, § 1, Rz. 257). So liegt der Fall hier. Die Frage der Darlegungs- und Beweislast in einem Fall der vorliegenden Art ist - soweit ersichtlich - vom Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden worden. Der für den Kläger günstige Rechtsstandpunkt, nämlich die Darlegungs- und Beweispflicht auf Seiten der Beklagten, ist zumindest vertretbar.

Nach alledem ist dem Kläger Prozesskostenhilfe in vollem Umfang deshalb zu bewilligen, weil zu seinen Gunsten nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Mutter der Beklagten über ein so hohes Einkommen verfügt, dass eine Barunterhaltspflicht des Klägers insgesamt entfällt. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger sich durch Vergleich vom 11.7.2000 auch zur Zahlung von Ehegattenunterhalt gegenüber der Mutter der Beklagten verpflichtet hat. Denn nur auf Grund einer Unterhaltsbedürftigkeit der Mutter der Beklagten im Jahr 2000 lassen sich Erkenntnisse über ihr gegenwärtiges Einkommen nicht gewinnen.

2.

Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:

a)

Die Frage, ob die volljährige Beklagte, die behindert ist und eine Förderschule besucht, zum Kreis der so genannten privilegierten Volljährigen gehört, ob sie sich also noch in der allgemeinen Schulausbildung befindet, ist entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht eindeutig zu Gunsten der Beklagten zu beantworten. Vielmehr bedarf es hierzu weiterer Feststellungen.

Die allgemeine Schulausbildung setzt insbesondere den Erwerb eines allgemeinen Schulabschlusses als Zugangsvoraussetzung für die Aufnahme einer Berufsausbildung oder den Besuch einer Hochschule oder Fachhochschule voraus, also jedenfalls den Hauptschulabschluss, den Realschulabschluss bzw. die fachgebundene oder die allgemeine Hochschulreife (Wendl/Scholz, a.a.O., § 2, Rz. 457). Ob dies bei der Beklagten der Fall ist, lässt sich allein anhand der mit der Klageschrift vorgelegten Anlage K 4 nicht beurteilen. Hierzu ist vielmehr festzustellen, welche Art von Förderschule die Beklagte besucht und welche Schulabschlüsse für sie dort möglich sind.

Nach § 30 Abs. 1 des Brandenburgischen Schulgesetzes vermitteln Förderschulen eine allgemeine Bildung und umfassen den Bildungsgang der Grundschule, die Bildungsgänge der Sekundarstufe I, den Bildungsgang zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife oder bei Erfüllung fachlicher und organisatorischer Voraussetzungen in der allgemeinen Förderschule den Bildungsgang zur Erteilung eines der Berufsbildungsreife gleichgestellten Abschlusses. Die allgemeine Förderschule oder die Förderschule für geistig Behinderte vermittelt eine allgemeine Bildung und führt jeweils einen Bildungsgang zum Erwerb eines eigenen Abschlusses. Entsprechend sind in § 17 Nr. 11, 12 des Brandenburgischen Schulgesetzes der Abschluss der allgemeinen Förderschule und der Abschluss der Förderschule für geistig Behinderte gesondert aufgeführt. Daher bedarf es näherer Feststellungen des Amtsgerichts, welche Art von Förderschule die Beklagte besucht und welcher Abschluss für sie dort möglich ist.

b)

Selbst wenn sich, wovon das Amtsgericht offenbar ausgegangen ist, herausstellen sollte, dass der Kläger der Beklagten gegenüber allein barunterhaltspflichtig ist und die Beklagte zu den privilegierten Volljährigen zählt, würde sich eine Mangelverteilung anders, als vom Amtsgericht berechnet, darstellen.

Der notwendige Selbstbehalt des in Berlin lebenden Klägers beträgt nicht 820 €, sondern 890 € (Anm. I zur Berliner Tabelle, Stand 1.7.2005). Bei einem bereinigten Einkommen von rund 1.553 € stehen dem Kläger so 663 € für Unterhaltszwecke zur Verfügung.

In die Mangelverteilung als gleichberechtigt einzubeziehen wären neben der Beklagten deren Mutter und das Kind M... aus der zweiten Ehe des Klägers. Die zweite Ehefrau des Klägers hingegen wäre mit Rücksicht auf § 1582 BGB nicht nur gegenüber der ersten Ehefrau, also der Mutter der Beklagten, sondern auch gegenüber der Beklagten selbst nachrangig (vgl. BGH, FamRZ 2005, 1154).

Hinsichtlich der drei in die Mangelverteilung einzustellenden Unterhaltsberechtigten ist grundsätzlich richtig zu rechnen, d. h. so als ob über alle Ansprüche zugleich entschieden würde (vgl. BGH, FamRZ 1992, 797; Wendl/Scholz, a.a.O., § 2, Rz. 228). Auf die Höhe eines titulierten Unterhalts, hier für die erste Ehefrau, kommt es zunächst nicht an.

Als Einsatzbetrag in die Mangelverteilung ist jeweils das Existenzminimum der Unterhaltsberechtigten einzustellen, auf Seiten der ersten Ehefrau ihr notwendiger Selbstbehalt, auf Seiten des minderjährigen Kindes M... 135 % des Regelbetrages der 1. Altersstufe (vgl. BGH, FamRZ 2003, 366). Für die volljährige Beklagte wird man in einem solchen Fall 135 % des Bedarfs, der sich nach der Unterhaltstabelle in Anlage I der Unterhaltsleitlinien des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, Stand 1.7.2005, auf der Grundlage der Einkommensgruppe a) für die 4. Altersstufe ergibt, annehmen können.

Die Einsatzbeträge sind um etwaige Eigeneinkünfte, wie sie hier vor allem bei der ersten Ehefrau in Betracht kommen, zu bereinigen.

Schließlich ist zu beachten, dass der Selbstbehalt gegenüber einem Anspruch auf Ehegattenunterhalt auch im Falle der Kindesbetreuung durch die Unterhaltsberechtigte grundsätzlich nicht mit dem Betrag zu bemessen ist, der dem notwendigen Selbstbehalt entspricht. Vielmehr ist er in der Regel mit einem Betrag zu bemessen, der zwischen dem angemessenen und dem notwendigen Selbstbehalt liegt (vgl. BGH, FamRZ 2006, 683). Dieser Selbstbehalt kann entsprechend Anm. III zur Berliner Tabelle für den Kläger gegenüber seiner ersten Ehefrau mit 995 € angenommen werden. Dies führt, da sein Selbstbehalt gegenüber den beiden Kindern lediglich 890 € beträgt, zu einer zweistufigen Mangelverteilung. Zunächst wird der Unterhalt für alle Unterhaltsberechtigten unter Beachtung des höheren Selbstbehalts gekürzt. In einem zweiten Rechenschritt wird dann der Unterhalt derjenigen, die sich auf den kleinen Selbstbehalt berufen können, aus dem Unterschiedsbetrag zwischen dem Selbstbehaltsbeträgen aufgefüllt (vgl. Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, Rz. 106 f., mit Rechenbeispiel).

Im vorliegenden Fall ist sodann noch zu beachten, dass zu Gunsten der ersten Ehefrau lediglich ein Betrag von 310 DM, das sind rund 159 €, tituliert ist. Sollte der Kläger von seiner ersten Ehefrau nicht auf höheren Unterhalt in Anspruch genommen worden sein, kommt für den Fall, dass die Mangelverteilung für die Ehefrau einen höheren Betrag als den titulierten Unterhalt ergibt, in Betracht, die Differenz zwischen tituliertem und sich nun ergebendem Unterhalt auf die beiden Kinder zu verteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.

Ende der Entscheidung

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