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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 15.10.2007
Aktenzeichen: 10 WF 259/07
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, FGG


Vorschriften:

ZPO § 114
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
BGB § 1666
BGB § 1667
BGB § 1671
BGB § 1671 Abs. 1
BGB § 1671 Abs. 2 Nr. 2
BGB § 1671 Abs. 3
FGG § 49 a Abs. 1 Nr. 9
FGG § 50 a Abs. 1
FGG § 50 b Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

10 WF 259/07 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Familiensache

betreffend das Kind J... S..., geboren am ... 2004,

hat der 2. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 9. August 2007 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bernau vom 16. Juli 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Prof. Schael als Einzelrichter

am 15. Oktober 2007

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.

Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin ... in B... beigeordnet.

Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Dem Begehren der Antragstellerin kann die hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 114 ZPO, nicht abgesprochen werden.

Gemäß § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist dem Antrag auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge bzw. des Aufenthaltsbestimmungsrechts als Teilbereich der elterlichen Sorge stattzugeben, soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge bzw. eines Teilbereichs davon und die Übertragung auf den Antrag stellenden Elternteil dem Wohl des Kindes am Besten entspricht. Diese Regelung bedeutet nicht, dass dem Fortbestand der gemeinsamen Berechtigung ein Vorrang vor der alleinigen eines Elternteils eingeräumt wird. Ebenso wenig besteht eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die gemeinsame Rechtsinhaberschaft beider Elternteile im Zweifel die beste Form der Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung ist (vgl. BVerfG, FamRZ 2004, 77 f.). Vielmehr kommt es hier darauf an, ob eine Verständigung der Eltern über wichtige Sorgerechtsfragen überhaupt noch in einer Art und Weise möglich ist, die auch bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern keine dem Kindeswohl dienliche Entscheidung gewährleistet, also Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit der Eltern vorhanden sind (Senat, FamRZ 2003, 1952; Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 4. Aufl., § 1671, Rz. 36). Streiten sich Eltern bei Fortbestehen gemeinsamer Sorge fortwährend über die das Kind betreffenden Angelegenheiten, kann dies zu Belastungen führen, die mit dem Wohl des Kindes nicht vereinbar sind (vgl. BGH, FamRZ 2005, 1167 f.). Der Antrag auf Übertragung der Alleinsorge bzw. des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts signalisiert schon das Fehlen einer der Grundvoraussetzungen für die Aufrechterhaltung der gemeinsamen Berechtigung, nämlich der Kooperationsbereitschaft (Johannsen/Henrich/Jaeger, a.a.O., § 1671, Rz. 37). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann dem Antrag der Mutter, ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Tochter J... allein zu übertragen, die hinreichende Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden. Dabei ist überdies zu berücksichtigen, dass die Prüfung der Erfolgsaussicht nicht dazu dienen darf, die Rechtsverfolgung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Vielmehr darf Prozesskostenhilfe nur verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BVerfG, FamRZ 2005, 1893; Senat, FamRZ 2006, 1775).

Im vorliegenden Fall bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Eltern nicht in der Lage sind, sachlich miteinander zu kommunizieren. Mutter und Vater haben je einen Antrag gestellt, ihnen das Aufenthaltsbestimmungsrecht (Mutter) bzw. die vollständige elterliche Sorge (Vater) allein zu übertragen, und damit das Fehlen der Kooperationsbereitschaft signalisiert. Hintergrund ist u. a., dass die Eltern nicht (mehr) darüber einig sind, bei welchem Elternteil ihre Tochter J... leben soll. Das untersetzt die Annahme, dass Kooperationsfähigkeit und/oder -bereitschaft erheblich eingeschränkt sind und sich dies auf das Kindeswohl auswirkt. Nähere Feststellungen hierzu wird das Amtsgericht im Hauptverfahren zu treffen haben. In dessen Verlauf werden beide Elternteile gemäß § 50 a Abs. 1 FGG und auch das gut 3 1/2-jährige Kind gemäß § 50 b Abs. 1 FGG persönlich anzuhören sein, das Kind u. a. auch zur Ermittlung seines tatsächlichen Willens (vgl. BVerfG, FamRZ 2007, 105, 107). Zwar hat diese bei einem Kleinkind eher geringes Gewicht in Bezug auf eine etwaige Selbstbestimmung der Frage, welchem Elternteil das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht bzw. die alleinige elterliche Sorge zustehen soll. Ein etwaiger dahingehend vom Kind ausdrücklich oder indirekt geäußerter, gegebenenfalls auch durch einen Verfahrenspfleger in Erfahrung gebrachter Wunsch könnte aber Ausdruck von Bindungen sein und so in die Entscheidung einfließen (BVerfG, a.a.O.). Auch wird das Jugendamt gemäß § 49 a Abs. 1 Nr. 9 FGG gezielt im vorliegenden Verfahren im Zusammenhang mit der von beiden Elternteilen begehrten Entscheidung gemäß § 1671 Abs. 1 BGB anzuhören sein. Die Anhörung des Jugendamts in einem vom Amtsgericht von Amts wegen eingeleiteten Verfahren gemäß § 1666 BGB und deren Verwertung im vorliegenden Verfahren gemäß § 1671 BGB reicht schon mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Tatbestandsvoraussetzungen beider Vorschriften nicht aus.

Der Tatbestand des § 1671 BGB hat die Frage zum Gegenstand, ob die gemeinsame Sorge beider Elternteile ganz oder teilweise aufzuheben und im Umfang ihrer Aufhebung einem Elternteil allein zu übertragen ist. Für die Aufhebung ist, wie ausgeführt, auf Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit abzustellen. Für den Fall der - hier durch gegensätzliche Antragstellung und Streit jedenfalls über den Aufenthalt des Kindes im Sinne hinreichender Erfolgsaussicht signalisierten - Aufhebung der gemeinsamen Berechtigung schließt sich die Frage an, ob die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am Besten entspricht. In diesem Zusammenhang sind der Förderungsgrundsatz, der Wille des Kindes, seine Bindungen an beide Elternteile und der Kontinuitätsgrundsatz von Belang (Johannsen/Henrich/ Jaeger, a.a.O, § 1671, Rz. 51 ff.). Bei der Prüfung dieser Kriterien kommt es u. a. auf die von der Mutter aufgeführten Hygieneprobleme und die Befürchtung nicht ausreichender Förderung des Kindes im Haushalt des Vaters an. Diese Fragen und alle anderen entscheidungserheblichen Tatsachen sind von Amts wegen aufzuklären, sodass die Erfolgschance der Mutter nicht nur als eine entfernte erscheint. Eine Entscheidung zu Lasten der Mutter bereits im Prozesskostenhilfeverfahren, die ihr - mangels ausreichender finanzieller Mittel - die abschließende gerichtliche Prüfung und Bescheidung des Sachverhalts verschließt, scheidet nach alledem aus.

Im Übrigen ist gemäß § 1671 Abs. 3 BGB dem Antrag nach § 1671 Abs. 1 BGB (nur), soweit die elterliche Sorge auf Grund anderer Vorschriften abweichend geregelt werden muss, stattzugeben. Bei diesen anderen Vorschriften handelt es sich um die §§ 1666 bis 1667 BGB (Johannsen/Henrich/Jaeger, a.a.O., § 1671, Rz. 85). Schon diese gesetzliche Zuordnung des § 1671 BGB einerseits und des § 1666 andererseits zueinander zeigt, dass die Erfolgsaussicht eines Antrages gemäß § 1671 Abs. 1 BGB nicht verneint werden kann, wenn die Voraussetzungen des § 1666 BGB nicht vorliegen. Auch kann die Tatsachenfeststellung des einen Verfahrens nicht in das andere Verfahren verlagert sowie die Prozesskostenhilfebewilligung des ersteren nicht auf diese Weise hinausgeschoben und dann versagt werden (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., Rz. 21 a zur Frage der Prozesskostenhilfeverweigerung auf Grund des Ergebnisses einer Beweisaufnahme in der bereits laufenden Hauptsache).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 127 Abs. 4 ZPO.

Ende der Entscheidung

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