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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 11.01.2007
Aktenzeichen: 10 WF 273/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO §§ 42 ff.
ZPO § 620 b
ZPO § 620 c
ZPO § 620 d Satz 2
ZPO § 620 g
ZPO § 621 g
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

10 WF 273/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Familiensache

betreffend die minderjährigen Kinder

1. M... K..., geboren am ... 2006,

2. J... K..., geboren am ... 2003,

3. S... K..., geboren am ... 2001,

hat der 2. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die sofortige Beschwerde der Eltern vom 30. November 2006 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 15. November 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht Gutjahr als Einzelrichter

am 11. Januar 2007

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird insoweit abgeändert, als den Eltern nicht die gesamte Personensorge für die Kinder M..., J... und S..., sondern nur das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Wahrnehmung der schulischen Belange entzogen werden.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Beschwerdewert wird auf 500 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Das von beiden Eltern unterzeichnete und mit "Berufung" bezeichnete Schreiben vom 30.11.2006 ist als sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 15.11.2006, durch den es nach mündlicher Verhandlung seinen Beschluss vom 12.6.2006 aufrechterhalten und sich damit inhaltlich zu Eigen gemacht hat, anzusehen und als solche gemäß §§ 621 g, 620 c ZPO zulässig. Das Amtsgericht hat den Eltern einen Teilbereich der elterlichen Sorge, nämlich die Personensorge, einstweilig entzogen. Eine solche Teilregelung der elterlichen Sorge genügt für die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde im Sinne von § 620 c ZPO (Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., § 620 c, Rz. 4).

II.

Die sofortige Beschwerde ist nur zum Teil begründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung, durch die den Eltern Teilbereiche der elterlichen Sorge entzogen werden, liegen vor. Allerdings bedarf es nicht des Entzuges der gesamten Personensorge, sondern lediglich des vorläufigen Entzuges des Aufenthaltsbestimmungsrechts und der Gesundheitsfürsorge. Hinsichtlich dieser Teilbereiche der elterlichen Sorge verbleibt es dabei, dass das Jugendamt des Landkreises M... die Funktion eines Pflegers ausübt.

1.

Für eine einstweilige Sorgerechtsregelung besteht ein Regelungsbedürfnis dann, wenn das Wohl des Kindes einen Aufschub der Regelung bis zur endgültigen Entscheidung nicht gestattet (Zöller/Philippi, a.a.O., § 620, Rz. 38). Ein solches Regelungsbedürfnis ist gegeben. Insbesondere ist den Eltern im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu entziehen.

Die vom Amtsgericht beauftragte Sachverständige Ho... ist in ihrem Gutachten vom 13.10.2006 nach Kontaktaufnahme mit den Eltern und Kindern, nach einem Hausbesuch bei den Eltern, einem Besuch in der Pflegestelle von S... und J... und einer Untersuchung dieser beiden Kinder sowie weiteren Explorationsgesprächen zu dem Ergebnis gelangt, dass die Erziehungsfähigkeit der Eltern gegenwärtig auf Grund individueller Persönlichkeitsdefizite und ihrer spezifischen Lebenssituation erheblich eingeschränkt ist. Eine Rückführung der Kinder könne unter den bestehenden Bedingungen nicht verantwortet werden. Die Eltern müssten zunächst in ihre Elternrolle hineinwachsen, eine entsprechende Nachreifung und Schulung erfahren, um elementare Aufgaben des alltäglichen Lebens zu bewältigen, was evtl. in einer Mutter-Kind- oder Vater-Mutter-Kind-Einrichtung möglich wäre. Trotz der Einwendungen, die die Eltern nun gegen dieses Gutachten erhoben haben, kann im einstweiligen Anordnungsverfahren davon ausgegangen werden, dass die Sachverständige, die dem Senat aus ihrer Tätigkeit bekannt ist, ihr Gutachten entsprechend den anerkannten Regeln vom psychologischen Sachverständigen erstattet hat und zu einem gut begründbaren Ergebnis gelangt ist. Die Feststellungen im Gutachten sind unter Berücksichtigung des gesamten Akteninhalts, insbesondere auch der Ausführungen des Jugendamtes, nachvollziehbar. Wenn nach alledem bei der im einstweiligen Anordnungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung (vgl. Gießler/Soyka, Vorläufiger Rechtsschutz in Familiensachen, 4. Aufl., Rz. 7 f.) davon auszugehen ist, dass eine Rückführung der Kinder unter den bestehenden Bedingungen nicht verantwortet werden kann, kommt eine Rückübertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Eltern nur in Betracht, wenn die von der Sachverständigen verlangte Nachreifung und Schulung erfolgt ist. Dass dies kurzfristig geschehen könnte, ist nicht ersichtlich. Nach den vom Amtsgericht zu Protokoll genommenen Ausführungen der Mutter im Termin vom 15.11.2006 hat diese ihre Bereitschaft erklärt, eine psychosomatische Kur zu absolvieren, auch in ein Mutter-Kind-Projekt zu gehen. Zugleich ist den Äußerungen der Mutter eine Distanzierung vom Vater zu entnehmen. Mit der von beiden Eltern eingelegten Beschwerde ist aber eine Abschrift jenes Protokolls vorgelegt worden, die mit handschriftlichen Kommentaren der Eltern versehen ist. Hierin heißt es im Zusammenhang mit der von der Mutter bekundeten Bereitschaft nun: "Ich gehe in kein Mutter u. Kind Projekt." und "Ich brauche kein Mutter u. Kind Projekt und keine Kur. Wir haben eine Wohnung." Daraus wird deutlich, dass die Eltern jedenfalls gegenwärtig Maßnahmen ablehnen, die sie in die Lage versetzen könnten, ihrem Erziehungsauftrag gerecht zu werden. Somit muss es bei der Unterbringung der Kinder in der Pflegefamilie bzw. der Familienwohngruppe bleiben.

2.

Allerdings bedarf es entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht des Entzuges der gesamten Personensorge (vgl. zu diesem Begriff Palandt/Diederichsen, BGB, 66. Aufl., § 1626, Rz. 10 ff.). Auf der Grundlage der von der Sachverständigen getroffenen Feststellungen erscheint es ausreichend, wie geschehen zu entscheiden.

3.

Vorsorglich werden folgende Hinweise erteilt:

a)

Der angefochtene Beschluss hat lediglich den Inhalt, dass der Beschluss des Amtsgerichts vom 12.6.2006 aus den Gründen seines Erlasses aufrechterhalten bleibe. Eine weitere Begründung ist nicht erfolgt. Hierin liegt ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 620 d Satz 2 ZPO. Danach entscheidet das Gericht in den Fällen der §§ 620 b, 620 c ZPO durch begründeten Beschluss. Die Begründung muss die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Grundlage der Entscheidung erkennen lassen (Johannsen/Henrich/Sedemund-Treiber, Eherecht, 4. Aufl., § 620 d ZPO, Rz. 4). Hieran fehlt es. Die Bezugnahme auf die Begründung im Beschluss vom 12.6.2006 reicht nicht aus. Damals hat das Amtsgericht seine Entscheidung, die ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, auf das Vorbringen des Jugendamtes in seinem Bericht vom 12.6.2006 gestützt. Im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung stellt sich die Sachlage ganz anders dar. Insbesondere hat das Amtsgericht ein Sachverständigengutachten eingeholt. Vor diesem Hintergrund war es zwingend geboten, sich mit diesem Gutachten in der Entscheidung auseinanderzusetzen. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn das Amtsgericht der Auffassung ist, dass den Empfehlungen der Sachverständigen zu folgen ist.

b)

Bislang liegt mit dem angefochtenen Beschluss lediglich eine vorläufige Entscheidung des Amtsgerichts vor. Eine Entscheidung in der Hauptsache steht noch aus. Nachdem das Amtsgericht, was nicht unbedingt der Regelfall ist, schon im Verfahren über den Erlass seiner einstweiligen Anordnung ein Sachverständigengutachten eingeholt hat, wird es die abschließenden Feststellungen, die es für den Erlass einer Endentscheidung als notwendig ansieht, unverzüglich treffen. Dies ist schon mit Rücksicht darauf geboten, dass in Streitigkeiten, die das Sorge- oder das Umgangsrecht betreffen, jede Verfahrensverzögerung wegen der eintretenden Entfremdung häufig schon rein faktisch zu einer (Vor-)Entscheidung führt, noch bevor ein richterlicher Spruch vorliegt (vgl. BVerfG, FamRZ 2001, 753 f.).

c)

Bei Fortsetzung des Hauptverfahrens wird das Amtsgericht zunächst unter Einbeziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Eltern zu prüfen haben, ob die Ausführungen der Eltern persönlich in der Beschwerdeschrift vom 30.11.2006 so zu verstehen sind, dass die erkennende Richterin und die Sachverständige für das Hauptverfahren wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Sollte dies der Fall sein, sind in dem hier vorliegenden Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit die §§ 42 ff. ZPO entsprechend anzuwenden (vgl. Keidel/ Zimmermann, FGG, 15. Aufl., § 6, Rz. 39).

III.

Einer Kostenentscheidung bedarf es im Hinblick darauf, dass die im Verfahren der einstweiligen Anordnung entstehenden Kosten gemäß §§ 621 g, 620 g ZPO für die Kostenentscheidung als Teil der Kosten der Hauptsache gelten, nicht (vgl. Zöller/Philippi, a.a.O., § 620 g, Rz. 8).

Ende der Entscheidung

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