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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 15.12.2005
Aktenzeichen: 10 WF 287/05
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 114
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 572 Abs. 3
BGB § 1603 Abs. 2 Satz 2
BGB § 1606 Abs. 3 Satz 1
BGB § 1609 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe:

Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Entscheidung. Dem Kläger kann Prozesskostenhilfe nicht aus den vom Amtsgericht angeführten Gründen versagt werden. Die Sache ist gemäß § 572 Abs. 3 ZPO an das Amtsgericht zurückzuweisen, da dort noch Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Kläger nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, § 114 ZPO (vgl. auch Verfahrenshandbuch Familiensachen - FamVerf -/Gutjahr, § 1, Rz. 197). Denn bislang liegt nur eine Erklärung des Klägers über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 24.3.2005 vor. Das Amtsgericht wird den Kläger auffordern, eine aktuelle Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst entsprechenden Belegen einzureichen. Auf dieser Grundlage wird das Amtsgericht unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats prüfen, ob die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 114 ZPO gegeben sind und danach erneut über den Antrag des Klägers entscheiden.

Das Amtsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger nicht Herabsetzung des durch zwei Jugendamtsurkunden vom 17.10.2001 titulierten Unterhalts verlangen kann, da ihm weiterhin ein Erwerbseinkommen wie zum Zeitpunkt der Errichtung der Jugendamtsurkunden fiktiv zuzurechnen sei. Diese Annahme ist jedoch bei der im Prozesskostenhilfeverfahren gebotenen summarischen Prüfung (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 114, Rz. 19; FamVerf/Gutjahr, § 1, Rz. 254) nicht zu Lasten des Klägers gerechtfertigt.

Wurde ein Arbeitsstelle leichtfertig aufgegeben, so kann für die fortlaufende Zurechnung fiktiver Einkünfte an den früheren Verdienst angeknüpft werden (Eschenbruch/Mittendorf, Der Unterhaltsprozess, 3. Aufl., Rz. 6341; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 9. Aufl., Rz. 633; vgl. zur leichtfertig herbeigeführten Leistungsunfähigkeit auch Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Aufl., § 1, Rz. 494 ff.). In allen übrigen Fällen sind die Einkünfte zu ermitteln, die der Betreffende nach seinem Alter, seiner Vorbildung und dem beruflichen Werdegang erzielen könnte (vgl. BGH, FamRZ 1984, 374, 377; Senat, FamRZ 2003, 48, 50; Eschenbruch/Mittendorf, aaO.; Kalthoener/Büttner/Niepmann, aaO.). Hat der Unterhaltsschuldner seinen Arbeitsplatz unverschuldet verloren, mag ihm bei nicht ausreichenden Erwerbsbemühungen das früher erzielte Einkommen fiktiv weiterhin zugerechnet werden, wenn sich an den tatsächlichen Verhältnissen im Übrigen nichts Wesentliches geändert hat. In einem solchen Fall ist aber stets zu prüfen, ob auf Grund der tatsächlichen Umstände weiterhin davon ausgegangen werden kann, dass der Unterhaltsschuldner in einem neuen Arbeitsverhältnis ein ebenso hohes Einkommen wie zuvor zu erzielen vermag (vgl. BGH, FamRZ 1996, 345, 346). Insbesondere dann, wenn der Unterhaltsschuldner nicht mehr arbeitslos ist, sondern einer Erwerbstätigkeit nachgeht, bedarf es nach der ständigen Rechtsprechung des Senats der Feststellung besonderer Umstände, die es rechtfertigen, unter dem Gesichtspunkt des bestmöglichen Einsatzes der Arbeitskraft (vgl. Kalthoener/Büttner/Niepmann, aaO., Rz. 614) von einem höheren fiktiven Einkommen als tatsächlich erzielt, auszugehen. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Leistungsfähigkeit des Klägers im Prozesskostenhilfeverfahren unter Heranziehung seiner tatsächlichen Einkünfte zu beurteilen.

Zunächst ist zu Gunsten des Klägers davon auszugehen, dass er seinen Arbeitsplatz bei der Firma S... nicht leichtfertig verloren hat. Er hat insoweit im Schriftsatz vom 16.6.2005 nachvollziehbar dargelegt, dass mit einer Kündigung durch den Arbeitgeber zu rechnen gewesen sei, weshalb der Arbeitsvertrag im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber aufgehoben worden sei. Auch hat der Kläger darauf hingewiesen, dass er eine unmittelbare Anschlussbeschäftigung bei der Firma B... mit einem annähernd gleich hohen Einkommen gefunden habe. Dies spricht gegen die Annahme von Leichtfertigkeit, auch wenn der Kläger seine Arbeitsstelle bei der Firma B... nach kurzer Zeit wieder verloren hat.

Mit Rücksicht darauf, dass der Kläger inzwischen 50 Jahre alt und bei Beginn des Unterhaltszeitraums im April 2005 schon zwei Jahre arbeitslos ist, kann im Prozesskostenhilfeverfahren angenommen werden, dass er auch unter Berücksichtigung seines bisherigen beruflichen Werdegangs ein höheres bereinigtes Einkommen als 1.162 EUR, wie er es nach den Darlegungen in der Klageschrift derzeit tatsächlich bezieht, nicht erzielen könnte.

Auch ist die Abfindung, die der Kläger anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Firma S... erhalten hat, nicht als zusätzliches Einkommen heranzuziehen. Eine Abfindung wegen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben ist auf eine längere Zeit zu verteilen (Wendl/Dose, aaO., § 1, Rz. 72). Der Unterhaltsschuldner hat die Abfindung zur Aufstockung der Leistungen der Arbeitsverwaltung auf die Höhe des bisherigen Nettogehaltes einzusetzen (Kalthoener/Büttner/Niepmann, aaO., Rz. 794). Ausweislich der vorgelegten Verdienstbescheinigung für Februar 2003 hat der Kläger eine Abfindung von 8.000 EUR erhalten. Das nach Eintritt der Arbeitslosigkeit bezogene Arbeitslosengeld belief sich ausweislich der mit Schriftsatz vom 16.6.2005 vorgelegten Bescheide des Arbeitsamtes B... auf nie mehr als monatlich rund 1.175 EUR. Zur Aufstockung auf das bisher bezogene Nettoeinkommen von 1.700 EUR musste der Kläger aus der Abfindung monatlich rund 525 EUR (= 1.700 EUR - 1.175 EUR) heranziehen. Damit war die Abfindung nach rund 15 Monaten (= 8.000 EUR : 525 EUR) verbraucht. Jedenfalls zu Beginn des Unterhaltszeitraums im April 2005 war von der Abfindung nichts mehr vorhanden.

Auszugehen ist von einem notwendigen Selbstbehalt für Erwerbstätige von 840 EUR bis einschließlich Juni 2005 und einem solchen von 890 EUR ab Juli 2005 (vgl. Nr. 21.2 der Unterhaltsleitlinien des OLG Frankfurt, Stand 1.7.2003 bzw. 1.7.2005). Für Unterhaltszwecke stehen dem Kläger somit 322 EUR (= 1.162 EUR - 840 EUR) von April bis Juni 2005 und 272 EUR (= 1.162 EUR - 890 EUR) ab Juli 2005 zur Verfügung. Der volljährige Sohn C... des Klägers, der studiert, ist gegenüber den beiden Beklagten unterhaltsrechtlich nachrangig, § 1609 Abs. 1 BGB. Teilt man die genannten Beträge auf die beiden Beklagten auf, so ergeben sich je 161 EUR (= 322 EUR : 2) für die Monate April bis Juni 2005 und 136 EUR (= 272 EUR : 2) ab Juli 2005. Letzteres ist der Betrag, den der Kläger auf Grund seiner eigenen Berechnung durchgängig zu zahlen bereit ist. Somit bietet die Abänderungsklage des Klägers für die Monate April bis Juni 2005 überwiegende und ab Juli 2005 volle Erfolgsaussicht. Dabei ist noch unberücksichtigt, dass die Beklagte zu 1. am 1.9.2005 volljährig geworden ist. Von diesem Zeitpunkt an steht sie dem Beklagten zu 2. nur dann unterhaltsrechtlich gleich, wenn sie sich noch in der allgemeinen Schulausbildung befindet, §§ 1603 Abs. 2 Satz 2, 1609 Abs. 1 BGB. Im Übrigen ist vom Zeitpunkt der Volljährigkeit an grundsätzlich der andere Elternteil anteilig barunterhaltspflichtig, § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.

Ende der Entscheidung

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