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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 10.09.2002
Aktenzeichen: 11 U 24/98
Rechtsgebiete: RVO, BGB


Vorschriften:

RVO § 636
RVO § 637
RVO § 637 Abs. 1
RVO § 637 Abs. 4
BGB § 254
BGB § 254 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 828 Abs. 2
BGB § 828 Abs. 2 S. 1
BGB § 847
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

11 U 24/98 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 10.09.2002

Verkündet am 10.09.2002

in dem Rechtsstreit

hat der 11. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 25. Juni 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und die Richter am Oberlandesgericht ... und ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten zu 1. gegen das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 13. Januar 1998 - Az.: 2 O 356/96 - wird zurückgewiesen.

Der Beklagte zu 1.) hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten zu 1. bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Klägerin gegen Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, soweit nicht die Klägerin vor ihrer Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten. Jede Partei kann Sicherheitsleistung durch die schriftliche, selbstschuldnerische, unwiderrufliche, unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines Kreditinstitutes erbringen, das seinen Sitz in einem EU-Mitgliedsstaat hat und dort als Zoll-, Steuer- oder Prozessbürge zugelassen ist.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Das Urteil beschwert den Beklagten mit 39.748,04 €.

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt Ersatz immaterieller und materieller Schäden wegen eines Unfalles vom 30.07.1993.

Sie befand sich an diesem Tag gegen 10:10 Uhr mit dem Erstbeklagten und dem früheren Zweitbeklagten in Ufernähe eines Sees auf einem Steg, von dem sie ins flache Wasser stürzte. Hierbei erlitt sie eine traumatische Kompressionsfraktur des 5. Halswirbelkörpers mit Rückenmarkkompressionen und einem inkompletten Querschnittssyndrom.

Wegen der ärztlichen Behandlungen und den damit einhergehenden Diagnosen, Feststellungen und Einstufungen verweist der Senat auf die Darstellungen im Tatbestand der angefochtenen Entscheidung.

Die Klägerin hat behauptet, der Beklagte zu 1. habe sie gemeinsam mit dem Beklagten zu 2. absichtlich und gegen ihren Willen in das an der Unfallstelle nur 50 cm tiefe Wasser geworfen.

Sie hat, neben materiellen Schäden, gestützt auf die von ihr behauptete Befindlichkeit ein Schmerzensgeld von mindestens 70.000,00 DM und eine monatliche Rente von 200,00 DM begehrt und beantragt,

die Beklagten zu 1. und 2. als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 9.399,54 DM nebst 4 % Zinsen ab Klagezustellung sowie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zu zahlen.

Die Beklagten und deren Streithelfer haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten, die am Unfalltage einen Unfallbericht unterschriftlich bestätigt hatten, wonach sie die Klägerin in das Wasser geworfen haben, wo sie eigenartige Bewegungen gemacht habe, aufgrund derer ihr sofort erste Hilfe zuteil geworden und sodann ein Rettungswagen herangeholt worden sei (vgl. K 1, 7 GA), haben behauptet, die Klägerin habe ohne ihr Zutun einen Kopfsprung in den Nichtschwimmerbereich versucht, der ihr missglückt sei (vgl. 36 GA). Weiterhin haben sie die Kausalität des zur Wasserberührung führenden Geschehens für die klägerischen Verletzungen bestritten. Den Unfallbericht vom Unfalltage hätten sie unter Schock unterschrieben.

Der Beklagte zu 1. hat sich auf einen Haftungsausschluss gemäß §§ 636, 637 RVO berufen (155 GA) unter Hinweis auf seinen - unstreitigen - Status als Gruppenhelfer und den der Klägerin als Gruppenleiterin für den Streithelfer der Beklagten.

Der Beklagte zu 2. hat die Verjährungseinrede erhoben.

Nach Beweisaufnahme zum Unfallhergang hat das Landgericht den Beklagten zu 1. mit der angefochtenen Entscheidung verurteilt, an die Klägerin 60.000,00 DM Schmerzensgeld, eine monatliche Schmerzensgeldrente von 200,00 DM sowie 5.740,40 DM Schadensersatz zu zahlen.

Die Beklagten hätten die Klägerin in das Wasser geworfen, wie sich aus dem schriftlichen Unfallbericht vom Unfalltage ergebe. Dieser kehre die Beweislast zu Ungunsten des Beklagten zu 1. um, und er habe die Unrichtigkeit der von ihm selbst unterzeichneten Darstellung nicht bewiesen. Anhaltspunkte für eine schockbedingte Herabsetzung des Beweiswertes seien nicht ersichtlich.

Der Beklagte zu 1. habe als jugendlicher Helfer die Gefährlichkeit seiner Handlung erkennen und nach dieser Erkenntnis handeln müssen.

Ein Haftungsausschluss aus § 637 RVO scheitere an einer fehlenden betrieblichen Tätigkeit zum Unfallzeitpunkt.

Das Landgericht hat 60.000,00 DM Schmerzensgeld für angemessen erachtet ein und eine monatliche Rente von 200,00 DM mit einem Kapitalwert von 45.386,40 DM.

Die Klage gegen den Beklagten zu 2. hat es wegen Verjährung abgewiesen.

Mit seiner Berufung verfolgt der Beklagte zu 1. seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Unter Ergänzungen seines erstinstanzlichen Vorbringens bestreitet er seine Beteiligung am Unfall, den die Klägerin, wie der Beklagte zu 1. wiederholt, maßgeblich durch einen Kopfsprung selbst verursacht habe. Er macht geltend, nicht deliktfähig gewesen zu sein, und beruft sich erneut und mit vertieften Ausführungen auf einen Haftungsausschluss nach §§ 636, 637 RVO.

Er bestreitet weiterhin Art und Umfang der Verletzungen.

Der Beklagte zu 1. und sein Streithelfer beantragen,

das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 18.12.1997, Az.: 2 O 256/96, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Senat hat zum Unfallhergang Zeugenbeweis und zu Art und Umfang der Verletzungen Sachverständigenbeweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme verweist er auf das Terminsprotokoll vom 25.01.2000 (Bl. 356 ff GA) sowie auf das Sachverständigengutachten des Prof. Dr. med. ... A... vom 02.05.2001 (Bl. 420 ff GA) nebst Ergänzungsgutachten vom 08.04.2002 (Bl. 446 ff GA).

Entscheidungsgründe:

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten zu 1. bleibt ohne Erfolg.

I.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 60.000,00 DM (= 30.677,51 €) Schmerzensgeld und 200,00 DM (=102,26 €) monatliche Schmerzensgeldrente aus §§ 823 Abs. 1, 847 BGB.

1.

Der Verletzungserfolg in Gestalt einer traumatischen Kompressionsfraktur des 5. Halswirbelkörpers mit Rückenmarkkompression ist unstreitig.

2.

Der Beklagte zu 1. hat die von der Klägerin behauptete Verletzungshandlung begangen, indem er die Klägerin am 30.07.1993 gegen 10:10 Uhr von einem Steg in ufernahes niedriges Wasser gestoßen hat. Dies steht im Ergebnis der Beweisaufnahme fest.

a) Der Beklagte hat am Unfalltag in dem als Anlage K 1 Bl. 7 GA in Kopie vorliegenden Unfallbericht den Unfallhergang mit seiner eigenen Unfallbeteiligung selbst durch Unterschrift bestätigt. Mit dieser Wissensbekundung liefert er einen Beweis gegen sich selbst.

Die Wissenserklärung bedarf als Realakt keiner Genehmigung, und bei einem 16jährigen - der Beklagte zu 1. ist am 21.06.1977 geboren - spricht zunächst auch nichts gegen ihre inhaltliche Richtigkeit.

Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit bestehen hier um so weniger, als der Unfallbericht zwei weitere Unterschriften trägt, nämlich die des bereits am 24.02.1975 geborenen Beklagten zu 2. und späteren Zeugen S... sowie die des zum Unfallzeitpunkt 23jährigen Zeugen L... . Durchgreifende Anhaltspunkte für eine etwa schockbedingte Fehldarstellung lassen sich nicht feststellen. Der Beklagte zu 1. hat schon keinerlei nachvollziehbare schockbedingte Fehlleistungen nach dem Unfall dartun können. Auch der Zeuge S... hat bei seiner Vernehmung vor dem Senat den von ihm behaupteten Schockzustand in keiner Weise näher darzustellen vermocht und klar erwartbare, mit einem Schockerlebnis regelmäßig und typischerweise einhergehende Begleitphänomene nicht dartun können.

Demgegenüber hat der Verfasser des Berichtes, der im Beweistermin am 25.01.2000 anwesende Herr B..., gegenüber dem Senat spontan erklärt, den Bericht geschrieben zu haben, nachdem er zuvor die beteiligten drei aus der Unterschriftszeile ersichtlichen Personen zum Hergang befragt habe. Der Bericht beruhe auf den Informationen, die ihm diese Personen erteilt hätten, und sei erstellt worden, als der Unfall schon längere Zeit zurücklag, nach Erinnerung des Berichtsverfassers etwa am späten Nachmittag des Unfalltages (vgl. Bl. 360, 361 d. GA). Die gleichlautenden Unfallschilderungen der Befragten und der Zeitabstand zwischen den Mitteilungen und den Unterschriften sprechen für ihre inhaltliche Vollständigkeit und Richtigkeit und gegen eine schockbedingte Fehldarstellung; dies gilt um so mehr, als der ebenfalls unterzeichnende Zeuge L... nach eigenen Bekundungen durchweg und in hohem Maße wahrnehmungs- und handlungsfähig gewesen ist, was aufgrund seines Einsatzes als Rettungsschwimmer im Unfallbereich und zum Unfallzeitpunkt ohnehin naheliegt.

b) Überdies ergibt sich die Richtigkeit der klägerischen Behauptung zum Unfallhergang auch aus dem Ergebnis der Zeugenvernehmungen.

Der Zeuge L... hat gegenüber dem Senat bekundet, wie er die Klägerin vom Steg ins Wasser habe fallen sehen und zwar im Zusammenhang mit Bewegungen der direkt hinter der Klägerin befindlichen Beklagten und dergestalt, dass sie aus seiner Sicht wegen des Schreckens nicht mehr in der Lage gewesen sei, die Hände schützend nach vorne zu reißen. In seiner Aussage vor dem Landgericht, die er gegenüber dem Senat nochmals als richtig bekräftigt hat, hat er angegeben, wie die Klägerin bis zu ihrem Fall ins Wasser still am Stegrand stand, ohne auch nur zu gestikulieren. Ins Wasser sei sie gestürzt, nachdem sich die Beklagten mit einer nur als Schubsen deutbaren Bewegung zu ihr hin bewegt hätten.

Der Senat glaubt dem Zeugen. Seine Bekundungen waren in sich schlüssig und widerspruchsfrei; sie waren angereichert mit geschehenstypischen Begleitwahrnehmungen, und der Zeuge war vorliegend sogar in besonderem Maße wahrnehmungsfähig und wahrnehmungsbereit. Er befand sich als Rettungsschwimmer auf dem dem Unfallgeschehen gegenüberliegenden und etwa 50 m entfernten Steg und hatte seine Aufmerksamkeit gerade deswegen auf die Klägerin gerichtet, weil ein ähnlicher Vorgang bereits vorher auf seinem Steg passiert war, als die Beklagten am Unfalltag dort bereits versucht hatten, die Klägerin ins Wasser zu werfen, was diese indessen unter Hinweis auf ihre aktuelle Menstruation unterbunden habe. Der Zeuge konnte seine Wahrnehmung auch weiter dahin auffächern, dass die Klägerin, die ihre Aufmerksamkeit den von ihr zu beaufsichtigenden Kindern zugewandt hatte, keine Chance hatte, dem Angriff der hinter ihr agierenden Beklagten zu entgehen, da sie selbst am Stegrand stand, mit dem Gesicht zum Wasser und aus dieser Position kopfüber in den See stürzte, ohne irgendwelche Bewegungen machen zu können (vgl. Bl. 136 GA).

Auch die Zeugin B... hat im Kern übereinstimmend mit der Bekundung des Zeugen L... das chancenlose Gestoßenwerden der Klägerin durch die Beklagten bestätigt. Sie hat sich im Termin vor dem Senat ihre landgerichtliche Aussage vom 19.03.1997 zu Eigen gemacht, wonach die Klägerin gegen ihren Willen zur späteren Unfallstelle auf den Steg verbracht wurde, dort hingestellt, losgelassen und sofort ins Wasser geschubst wurde. Ihre Aussage hat sie sodann noch dahin präzisiert, dass die Beklagten hinter der Klägerin gestanden haben und diese so gefallen sei, wie es für ein Geschubstwerden typisch sei.

Selbst der Zeuge R..., der die Richtigkeit seiner Aussage auf Bl. 102 GA gegenüber dem Senat nochmals bestätigt hat und der nicht den Beginn, sondern erst den Verlauf des Sturzes wahrgenommen hatte, hat bekundet, die Fallbewegung der Klägerin habe nicht nach einem gewollten Kopfsprung ausgesehen, sondern nach einem Versuch, während des Sturzes noch das Gleichgewicht zu erlangen.

3.

Die Verletzungshandlung des Beklagten hat den Verletzungserfolg verursacht.

Der Beklagte stellt auf Seite 2 seiner Berufungsbegründung (vgl. Bl. 211 GA) selbst unstreitig, dass sich die Klägerin ihre hier zu beurteilenden Verletzungen bei dem Sturz in das Wasser zuzog.

Der Einwand des Beklagten zu 1., der Verletzungserfolg sei ihm nicht zuzurechnen, weil die Klägerin versucht habe, in Gestalt eines Kopfsprunges in das Wasser einzutauchen, greift nicht durch. Nach den obigen Ausführungen steht fest, dass der Beklagte zu 1. die Klägerin dergestalt angestoßen hat, dass diese kopfüber und ohne nennenswerte verbliebene Reaktionsmöglichkeit in das Wasser gestürzt ist.

Im Übrigen wäre der Verletzungserfolg dem Beklagten auch dann zuzurechnen, wenn die Klägerin willentlich noch versucht hätte, ihre Fallbewegung einer Kopfsprungbewegung anzunähern. Ein derartiges Verhalten eines von einem Steg Stürzenden liegt durchaus innerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung. Demgegenüber wäre der Schadenseintritt dem Beklagten zu 1. nur dann nicht mehr als adäquat zuzurechnen, wenn der Versuch, eine Fallbewegung in eine kontrollierte Sprungbewegung zu überführen, auch aus Sicht eines die Umstände vollständig kennenden und zutreffend bewertenden Dritten außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit und Lebenserfahrung läge, was hier nicht der Fall ist.

Davon abgesehen lassen sich derartige willensgesteuerte Bewegungen der Klägerin nicht feststellen. Nach den Bekundungen des Zeugen L... ist die Klägerin kopfüber ins Wasser gefallen, ohne irgendwelche Bewegungen gemacht und sogar ohne die Hände nach vorne genommen zu haben, was deutlich gegen willentliche Steuerbewegungen spricht. Der Zeuge R... hat bekundet, die Fallbewegung habe nicht nach einem gewollten Kopfsprung ausgesehen, sondern eher so, als habe die Klägerin versucht, das Gleichgewicht zu erlangen, was ebenfalls auf die bloße Aktivität eines Gleichgewichtsreflexes deutet. Desgleichen ergibt sich aus der Schilderung der Zeugin B... lediglich der Versuch eines Kopfsprunges der Klägerin, um in ihr Gleichgewicht zu gelangen, wobei sich ihre Hände während des Falles an ihrem Körper befanden.

Nach diesen Zeugenaussagen blieb der Klägerin keine Möglichkeit, ihre Sturzbewegung willentlich so zu kontrollieren, dass damit der durch die Beklagten verursachte Stabilitätsverlust auch nur annähernd wieder ausgeglichen worden wäre und der Klägerin irgendwelche von ihr frei zu steuernden Alternativen hinsichtlich des Sturzverlaufes oder der Sturzbeendigung zur Verfügung gestanden hätten.

4.

Die Rechtswidrigkeit der schadensverursachenden Verletzungshandlung wird vermutet. Rechtfertigungsgründe sind nicht vorgetragen und nicht ersichtlich. Namentlich hat eine etwaige Einwilligung auszuscheiden. Nach den Bekundungen des Zeugen L... hat die Klägerin sich noch am Unfalltage ausdrücklich gegen den Versuch beider Beklagten gewehrt, sie ins Wasser zu werfen, und zwar gerade unter Hinweis auf ihre Menstruation.

5.

Der Beklagte zu 1. hat schuldhaft gehandelt.

a) Entgegen seinem Vorbringen ist er deliktsfähig gewesen, § 828 Abs. 2 S. 1 BGB. Die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat, wer die geistige Entwicklung besitzt, die ihn in den Stand setzt, das Unrecht seiner Handlung gegenüber den Mitmenschen und zugleich die Verpflichtung zu erkennen, in irgendeiner Weise für die Folgen seiner Handlung selbst einstehen zu müssen. Insoweit genügt das allgemeine Verständnis dafür, dass das Verhalten geeignet ist, Gefahren herbeizuführen (vgl. Palandt/ Thomas, BGB-Kommentar, 60. Aufl., § 828 Rn. 3 m.w.N.). Die Verschuldensfähigkeit wird bei Schädigern zwischen 7 und 18 Jahren vermutet, und diese Vermutung hat gegen den Beklagten zu 1., der zur Tatzeit 16 Jahre alt war, erhebliches Gewicht. Auch hat der Beklagte keine intellektuellen Entwicklungsrückstände dargetan, die der zur Einsicht erforderlichen geistigen Entwicklung entgegengestanden haben könnten. Vielmehr ist hier von einem zumindest altersentsprechenden Gefahrenbewusstsein auszugehen, denn der Beklagte zu 1. hatte als Gruppenhelfer die Aufsicht über Kinder und Jugendliche übernommen und durch diese Übernahme auf ein entsprechendes Verantwortungsbewusstsein selbst deutlich hingewiesen.

b) Er handelte fahrlässig, denn Würfe und Stürze von Wasserstegen in ufernahes Wasser sind generell geeignet, allerschwerste Verletzungen herbeizuführen. Diese Gefährlichkeit ist Bestandteil des Erfahrungsschatzes eines durchschnittlich entwickelten 16jährigen. Die Gefährlichkeit des rechtsgutverletzenden Verhaltens war für den Beklagten hier zudem in besonderem Maße vorhersehbar und das Verhalten für ihn problemlos zu vermeiden. Alle Teilnehmer des Lagers sind nach den Bekundungen des Zeugen L... (vgl. Bl. 347 GA) erst am Tage vor dem Unfall entweder durch den Lagerleiter oder durch den Zeugen darüber belehrt worden, dass keine Personen von den Stegen ins Wasser gestoßen werden durften. Die Belehrung war deshalb erfolgt, weil es entsprechende Vorfälle jüngst gegeben hatte und die Gefahr, dass bei derartigen Geschehnissen etwas passiere, deswegen gewachsen war, weil die Wassertiefe durch anhaltend schönes Wetter bereits zurückgegangen war.

6.

Der Beklagte zu 1. kann sich gegenüber der Klägerin auf keinen Haftungsausschluss aus §§ 636, 637 Abs. 1 RVO (in der bis zum 31.03.1995 geltenden Fassung) berufen.

Er hat den Unfall der Klägerin nicht durch eine betriebliche Tätigkeit verursacht. Der Begriff der betrieblichen Tätigkeit i.S.v. § 637 Abs. 1 RVO ist objektiv zu bestimmen. Eine betriebliche Tätigkeit liegt vor, wenn sie unmittelbar mit dem Zweck der betrieblichen Beschäftigung zusammenhängt und dem Betrieb dienlich ist (vgl. BGHZ 67, 270, 281 m.w.N.). Es kommt damit für die Haftungsfreistellung eines Schädigers darauf an, ob er den Schaden in Ausführung einer betriebsbezogenen Tätigkeit verursacht hat (vgl. BGH VersR 1971, 564, 565). Demgegenüber wird ein Schaden, den der Schädiger nur bei Gelegenheit seiner Arbeit im Betrieb verursacht hat, von der Haftungsfreistellung nicht erfasst. Um einen solchen nicht erfassten Fall handelt es sich insbesondere dann, wenn der Schaden die Folge einer neben der betrieblichen Arbeit verübten gefahrenträchtigen Spielerei oder Neckerei ist (vgl. BAG NJW 1967, 220, 222; ferner KK-Ricke, RVO § 637 Rn. 8). Die Betriebsbezogenheit fehlt namentlich, wenn die schädigende Handlung nach ihrer Anlage und der Intention des Täters erst gar nicht auf die Förderung der Betriebsinteressen ausgerichtet ist oder ihnen gar zuwiderläuft.

In Anwendung dieser Grundsätze hat der Beklagte zu 1., auf dessen Person für die Beurteilung der Frage nach der betrieblichen Tätigkeit abzustellen ist (vgl. BGHZ 67, 279, 281), die Verletzung der Klägerin nicht durch eine betriebliche Tätigkeit i.S.v. § 637 Abs. 1 RVO verursacht. Er hat die Klägerin verletzt, indem er sie von hinten über die Stegkante in das Wasser gestoßen hat. Dieses Vorgehen lag außerhalb der Arbeitstätigkeit der Parteien, die die Kinder und Jugendlichen zu beaufsichtigen und von derartigen Verstößen gegen die Lagerordnung gerade abzuhalten hatten. Es handelte sich um eine besonders gefahrenträchtige Disziplinlosigkeit, die von vorneherein auf eine Störung der Arbeitstätigkeit der Klägerin gerichtet war und damit den Betriebsinteressen zuwiderlief.

Hierbei bleibt es auch, soweit der Beklagte sein Verhalten als Neckerei oder Spielerei darstellt. Ein Schaden, den der Schädiger bei Gelegenheit seiner Arbeit im Betrieb durch eine gefahrenträchtige Spielerei verursacht, wird von der Haftungsfreistellung des § 637 Abs. 1 RVO nicht erfasst (BGH VersR 1998, 1173, zu der Schädigung einer 12jährigen mittels einer Reitpeitsche durch einen gleichaltrigen, haftenden Schädiger).

Ein Haftungsausschluss nach § 637 Abs. 4 RVO scheidet aus, weil die Parteien keine Lernenden an einer allgemein- oder berufsbildenden Schule gewesen sind.

7.

Die Klägerin trifft an ihrer Schädigung kein Mitverschulden, § 254 BGB.

Der Sturz in das Wasser war für die Klägerin weder vorhersehbar noch vermeidbar. Abgesehen davon, dass sie sich gegenüber den Beklagten in zahlenmäßiger Unterlegenheit befand, spielte sich deren Sturz auslösendes Verhalten hinter ihrem Rücken ab, also außerhalb ihrer Wahrnehmung. Sie konnte den Sturz, an der Stegkante stehend, auch nicht verhindern. Nach den Bekundungen des Zeugen L... war sie chancenlos.

Der Beklagte zu 1. kann auch nicht geltend machen, etwaige Eigenbewegungen der Klägerin seien ihr als - untechnisches - Verschulden i.S.d. § 254 Abs. 1 BGB anzulasten. Nach den obigen Ausführungen lässt sich nicht einmal eine hinreichend erhalten gebliebene Handlungsfähigkeit der Beklagten feststellen.

8.

Das vom Landgericht ausgeurteilte Schmerzensgeld in Gestalt von 60.000,00 DM Kapitalzahlung und 200,00 DM monatlicher Rente hält im Ergebnis auch der Senat für angemessen.

Auszugehen ist von dem allgemein anerkannten Grundsatz, dass das Schmerzensgeld dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für seine nicht vermögensrechtlichen Schäden bieten und zugleich den Gedanken Rechnung tragen soll, dass der Schädiger ihm Genugtuung schuldet. Im Rahmen der Ausgleichsfunktion kommt es dabei in erster Linie auf Art und Schwere der Verletzung, Dauer und Folgen der körperlichen Beeinträchtigung einschließlich der daraus resultierenden psychologischen Belastung und des Alters des Verletzten, bei der Genugtuungsfunktion auf Momente wie das Verschulden, Anlass der Verletzungshandlung, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten und des Schädigers an, wobei letzterem eine bestehende Versicherung zuzurechnen ist. Bei der Bemessung der Obergrenze schließlich ist zu berücksichtigen, dass der zugesprochene Betrag den aus der Rechtsprechung ersichtlichen Rahmen nicht sprengen darf (vgl. BGH JZ 1978, 526).

Die zum Unfallzeitpunkte 19jährige Klägerin hat in Folge des Sturzes neben einer Stauchungsfraktur der Halswirbelsäule mit Bruch des 5. Halswirbelkörpers eine chronische Rückenmarksschädigung mit einem partiellen Querschnittssyndrom erlitten. Sie befand sich vom 30.07. bis 27.09.1997 in einer klinischen Unfallchirurgie, wobei während dieses Zeitraums zunächst ein vollständiges, anschließend ein inkomplettes Querschnittssyndrom bestand. Weitere stationäre Aufenthalte fanden statt vom 03. bis 17.01.1994 zur Entfernung des 5. Halswirbelkörpers und Durchführung einer ventralen Verplattung, die während eines weiteren Klinikaufenthaltes vom 19.07. bis 01.08.1994 wieder entfernt wurde. Daran schloss sich eine Rehabilitationsbehandlung in einer Rehabilitationsklinik vom 25.08. bis 06.10.1994 an. Die Klägerin war in ihrem angestrebten Beruf als Kauffrau für Bürokommunikation, in einer Tätigkeit als Bankangestellte, Büroangestellte, Sozialarbeiterin oder Beschäftigungstherapeutin und auf dem allgemeinen Markt bis zum 06.10.1994 in ihrer Erwerbsfähigkeit zu 100 % beschränkt. Die Minderung seitdem beträgt bis heute und weiterhin mindestens 70 %, wie der Sachverständige Prof. Dr. med. ... A... in seinem Gutachten vom 02.05.2001 (Bl. 451 GA) und in seinem Ergänzungsgutachten vom 08.04.2002 (vgl. B. 500 GA) ausführt.

Die Klägerin hat bei der sich über 2 Segmente erstreckenden Rückenmarksverletzung prognostisch mit einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes zu rechnen. Derzeit besteht eine dauerhafte Beeinträchtigung des rechten Armes und beider Beine zu 25 %, Schmerzen im Bereich der unteren Halswirbelsäule, die bis in die rechte Schulter austrahlen und sich beim Stehen oder beim Schreiben mit der Schreibmaschine verstärken; die Klägerin kann nur mit einer Rückenstütze schlafen, und ihre Schulterbeweglichkeit ist eingeschränkt. Sie leidet unter Störungen der Kalt- und Warmempfindung an den rechten oberen Extremitäten und der rechten Körperhälfte und hat Funktionseinbußen der Arme um 25 %, der Beine um 20 % sowie eine Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit um 25 %.

Der Senat folgt bei diesen Feststellungen den Ausführungen des Sachverständigen. Seinem Gutachten hat der Sachverständige sorgfältig ermittelte Ausgangstatsachen zugrunde gelegt, und diese hat er methodengerecht analysiert. Seine Ergebnisse hat er widerspruchsfrei, nachvollziehbar und überzeugend dargestellt.

Die Vollständigkeit der vom Sachverständigen herangezogenen Ausgangstatsachen hat der Beklagte in seinem letzten Schriftsatz vom 06.06.2002 auch nicht mehr angegriffen. Anhaltspunkte für eine Unvollständigkeit sind, unter Einbeziehung des Ergänzungsgutachtens, auch nicht mehr ersichtlich.

Entgegen der Ansicht des Beklagten hat der Sachverständige seine Feststellung zu einer prog-nostisch zu erwartenden Verschlechterung methodengerecht hergeleitet, u. a. durch Heranziehung der Fachliteratur, wonach die Richtwerte für die Minderung der Erwerbsfähigkeit bei Wirbelkörperbruch mit Beteiligung des Rückenmarkes zwischen 50 % bis 100 % liegen, je nach Ausmaß der Verletzung. Nach den Feststellungen des Sachverständigen liegt ein beträchtliches Ausmaß vor, nämlich eine ausgeprägte Rückenmarksverletzung mit Dekonfiguration über 2 Segmente. Auch zu diesen seine Schlussfolgerung ohne weiteres tragenden Ergebnissen ist der Sachverständige methodengerecht gelangt, nämlich auf der Grundlage von kernspintomografischen Aufnahmen der Halswirbelsäule, die erst im Zuge der Begutachtung am 12.09.2000 im Anschluss an die ambulante neurologische Untersuchung des Sachverständigen veranlasst wurden (vgl. Bl. 421, 442 GA).

Der Sachverständige hat die Aussagekraft der bildgebenden Diagnostik im Kernspintomografen vom 12.09.2000 in seinem Ergänzungsgutachten nochmals betont. Da der Beklagte zu 1. die Richtigkeit der Diagnosedaten und deren Aussagekraft nicht angegriffen hat, durfte es der Sachverständige insoweit bei seinem Hinweis belassen, um die Grundlagen der von ihm konstatierten Unterschiede zu den früheren Gutachten zu erläutern. Dass der Sachverständige auf Seite 29 seines Gutachtens (vgl. Bl. 448 GA) aus dem neuen Befund medizinisch unvertretbare Rückschlüsse gezogen hätte, ist nicht ersichtlich und von den Beklagten auch nicht dargetan.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist sich der Senat der beträchtlichen Schwere der Verletzung und der bei der Klägerin verbleibenden Folgen bewusst, die sich im Anschluß an die Feststellungen des Sachverständigen A... am Schluß der Berufungsinstanz erheblich gravierender darstellen als noch dem Landgericht oder vor Beweisaufname und die ein Ermessen mit einer Obergrenze von deutlich mehr als 100.000,00 DM für das Gesamtschmerzensgeld eröffnen (vgl. nur zu Dauerschäden in Gestalt einer Minderung der Erwerbstätigkeit von 70% die aktualisierten Schmerzensgeldbeträge in den Entscheidungen aus der 20. Aufl. der ADAC-Schmerzensgeldtabelle Nr. 2425, 2523).

Indessen trifft den Beklagten zu 1. nur der Vorwurf einfacher Fahrlässigkeit. Im Rahmen der Genugtuungsfunktion bedenkt der Senat darüber hinaus die Vermögenslosigkeit des Beklagten zu 1. Anhaltspunkte für wirtschaftlich werthaltige Regreßansprüche des Beklagten zu 1. gegen seinen Streithelfer oder den Beklagten zu 2. bestehen derzeit nicht.

Der Senat beachtet darüber hinaus als besonderen Umstand, dass der Beklagte zu 1., auch wenn er deliktsfähig nach § 828 Abs. 2 BGB ist, gerade deswegen im vorliegenden Fall ohne Versicherungsschutz und ohne sonstige wirtschaftlich aussichtsreiche Regressmöglichkeiten aufgrund eines jugendtypischen, wenngleich fahrlässigen Verhaltens die gesamten wirtschaftlichen Folgen des Unfallgeschehens, das auch Züge eines schicksalhaften Unglücks trägt, aus derzeitiger Sicht letztlich alleine zu bewältigen haben wird.

Mit der Festsetzung der Monatsrente berücksichtigt der Senat außergewöhnliche Umstände, wie etwa die anhaltende Schmerzen der Klägerin, die drohende Gefahr weiterer unfallbedingter Spätschäden und den bereits jetzt bestehenden Dauerschaden; die Lebensbeeinträchtigung wirkt hier immer wieder neu und wird immer wieder schmerzlich empfunden, so dass es angemessen erscheint, der laufenden, nicht vermögensrechtlichen Beeinträchtigung auch eine laufende geldliche Entschädigung gegenüberzustellen. Zudem trägt der Senat mit der Aufteilung des Gesamtschmerzensgeldes in einen Kapital- und eine Rentenanteil den derzeitigen Vermögensverhältnissen des Beklagten zu 1. Rechnung, der im Augenblick nicht so entscheidend belastet wird wie bei einer reinen Kapitalverurteilung. Die Rente entspricht derzeit einem Barwert von 44.620,80 DM bei vorschüssiger Zahlung, einem Jahreszinssatz von 5% und einem Faktor von 18,503 für die am Tag der letzten mündlichen Verhandlung fast 28jährige Klägerin.

II.

Die Ausführungen des Landgerichts zum zuerkannten materiellen Schadensersatzanspruch hat der Beklagte zu 1. nicht angegriffen.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben (§§ 543 Abs. 2 ZPO n. F., 26 Nr. 7 EGZPO). Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, da ihre Entscheidung von keiner Beantwortung einer höchstrichterlichen bisher noch nicht entschiedenen Frage abhängt. Sie gibt auch keine Veranlassung, in den berührten Rechtsgebieten neue Leitsätze aufzustellen, Gesetzeslücken zu füllen oder von höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz beträgt 77.740,40 DM (= 39.748,04 €).

Ende der Entscheidung

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