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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 25.09.2001
Aktenzeichen: 11 U 51/00
Rechtsgebiete: BGB, ZPO
Vorschriften:
BGB § 839 | |
ZPO § 543 | |
ZPO § 91 | |
ZPO § 92 | |
ZPO § 713 | |
ZPO § 850 c | |
ZPO § 850 k | |
ZPO § 850 i | |
ZPO § 850 d | |
ZPO § 708 Nr. 10 | |
ZPO § 850 k Abs. 2 | |
ZPO § 850 k Abs. 1 | |
ZPO § 850 d Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz |
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil
11 U 51/00 Brandenburgisches Oberlandesgericht
Anlage zum Protokoll vom 25.09.2001
verkündet am 25.09.2001
gegen
In dem Rechtsstreit
hat der 11. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 4. September 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Goebel, den Richter am Oberlandesgericht Groß und den Richter am Oberlandesgericht Ebling
für Recht erkannt:
Tenor:
Das am 31. Januar 2001 verkündete Urteil des Landgerichts Potsdam - 4 O 550/99 - wird abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.416,00 DM nebst 4 % Zinsen ab dem 21.11.1999 Zug um Zug gegen Abtretung eines Teilbetrags der Forderung des Klägers in vorbezeichneter Höhe gegen Frau und Herrn aus dem Versäumnisurteil des Landgerichts Potsdam - 2 O 527/97 - verkündet am 18.06.1998 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 1/3 und der Beklagte zu 2/3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Das Urteil beschwert den Kläger mit 2.018,00 DM und den Beklagten mit 4.416,00 DM.
Ohne Tatbestand gem. § 543 ZPO.
Entscheidungsgründe:
Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung hat in der Sache hinsichtlich eines Teilbetrages Erfolg.
Die Rechtspflegerin hat bei der Freigabe des auf dem Konto befindlichen Guthabens über einen Betrag von 2.018,00 DM hinaus ihre gegenüber dem Kläger zu beobachtenden Amtspflichten verletzt. Für diese Amtspflichtverletzung haftet das beklagte Land gemäß § 839 BGB in Verbindung mit Art 34 GG.
Die zu beobachtenden Amtspflichten des Rechtspflegers ergeben sich im Rahmen der Durchführung einer Zwangsvollstreckung auch aus den zu beobachtenden Verfahrensvorschriften. Diese haben, soweit sie auch die Interessen des Gläubigers zu schützen bestimmt sind, drittschützende Wirkung.
Bei der Anwendung dieser Vorschriften unterliegt, wie das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt hat, der Rechtspfleger den gleichen Sorgfaltspflichten, denen auch ein Richter bei der Gesetzesanwendung zu genügen hat. Wird ein Gesetz unrichtig angewandt, so begründet dies den Vorwurf einer schuldhaften Amtspflichtverletzung, wenn die Anwendung gegen den klaren, bestimmten und eindeutigen Wortlaut der Norm verstößt. Bei der Auslegung unklarer gesetzlicher Vorschriften und bei der Entscheidung noch nicht völlig geklärter rechtlicher Zweifelsfragen ist ein schuldhaftes Verhalten demgegenüber zu verneinen, wenn der Rechtspfleger seine Ansicht auf vernünftige Überlegungen stützt und die Rechtsfragen unter Benutzung der zu Gebote stehenden Hilfsmittel gewissenhaft geprüft hat. Den Rechtspfleger trifft demnach kein Verschulden, wenn er sich bei einer Streitfrage in Kenntnis der abweichenden Rechtsansichten mit vertretbaren Sachargumenten einer Meinung anschließt, ungeachtet dessen, ob diese Meinung später vom Gericht geteilt wird (ständige Rechtsprechung zuletzt OLG Koblenz OLGR 2000, 288, 289).
Bei einer Beurteilung nach diesen Grundsätzen war die vollständige Freigabe des auf dem Konto befindlichen Guthabens gemäß § 850 k Abs. 2 ZPO rechtswidrig und stellte auch eine schuldhafte Amtspflichtverletzung dar. In Höhe eines Teilbetrages von 2.018,00 DM war die der Freigabe zugrunde liegende Rechtsauffassung der Rechtspflegerin indes zumindest gut vertretbar und damit nicht schuldhaft im Sinne des § 839 BGB.
Eine Freigabe zumindest eines Teilbetrages des Kontoguthabens gemäß § 850 k Abs. 2 ZPO kam jedenfalls ernsthaft in Betracht.
Die dem Rechtspfleger durch § 850 k Abs. 2 ZPO eingeräumte Möglichkeit, vor einer endgültigen Entscheidung gemäß § 850 k Abs. 1 ZPO bereits einen Teilbetrag vorzeitig freizugeben, soll dem Schuldner und seiner Familie die Möglichkeit geben, seinen notwendigsten Lebensbedarf zu sichern. Der Vorabschutz ist damit für außerordentliche Eilfälle gedacht, in denen die ansonsten mögliche einstweilige Anordnung nach Abs. 3 nicht ausreicht (Landgericht Oldenburg, JurBüro 83, 778).
Die vorläufige Freigabe nach § 850 k Abs. 2 ZPO setzt damit voraus, dass eine endgültige Freigabe nach § 850 k Abs. 1 ZPO nach dem glaubhaft zu machenden Vorbringen des Schuldners ernsthaft in Betracht kommt.
Diese Voraussetzungen sind noch zu bejahen.
Entgegen der Auffassung des Klägers sind Leistungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer, die Letzterer im Hinblick auf sein künftiges Arbeitseinkommen erhält, dem Kontenschutz gemäß § 850 k Abs. 1 ZPO nicht ohne weiteres entzogen.
Eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zu diesem Problem fehlt. Auch in den bei einem Amtsgericht üblicherweise zur Verfügung stehenden Standardkommentaren (etwa Zöller/Stöber ZPO oder Stöber, Forderungspfändung) findet sich zu dieser Frage nichts. Zöller/Stöber (ZPO, 22. Aufl., § 850 k Rn. 5) weist insoweit nur darauf hin, dass eine einmalige Vergütung nach § 850 i nicht unter den Schutz des § 850 k fällt, ein Hinweis, der hier nicht weiterführt, da es sich bei dem gezahlten Betrag nicht um eine einmalige Arbeitsvergütung für eine einmalige Arbeitsleistung im Sinne des § 850 i handelte. Die Anwendung des 850 k wird indes erwogen, wenn mit der einmaligen Zahlung eine auf das Arbeitsentgelt mehrerer Zahlungsperioden umzulegende Erhöhung wiederkehrender Bezüge nachgeleistet wird.
Auch in dem Handbuch Stöber, Forderungspfändung, 22. Aufl., finden sich keine weiteren Hinweise. In der vertiefenden Kommentarliteratur (etwa Brehm in Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 21. Aufl., § 850 k Rn. 7) wird insoweit vertreten, dass wiederkehrende Leistungen im Sinne dieser Bestimmung auch Vorschuss- und Nachzahlungen sind, die auf mehrere Perioden umzulegen sind.
Es ist damit jedenfalls gut vertretbar, einen Gehaltsvorschuss oder eine Abschlagszahlung als wiederkehrendes Entgelt für Arbeitsleistungen zu begreifen, die dem Kontenschutz des § 850 k unterfallen. Eine Differenzierung zwischen beiden Formen, der Abschlagszahlung als Zahlung auf einen bereits entstandenen aber mangels Abrechnung noch nicht fälligen Teil des Lohnanspruches in Abgrenzung zum Lohnvorschuss, der eine Leistung auf künftig noch entstehende Entgeltforderung darstellt, ist regelmäßig nicht angezeigt (BAGM 1987, 769, 771).
Auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes sind jedenfalls Zahlungen, die vor der Abrechnungsperiode geleistet werden, regelmäßig nicht bei der Ermittlung des unpfändbaren Betrages gemäß § 850 c ZPO in der Auszahlungsperiode, sondern vielmehr allein in der Abrechnungsperiode zu berücksichtigen, (BAG a. a. O. und zuletzt Landesarbeitsgericht Westfalen KKZ 1994, 224, 225).
Nach dieser Rechtsprechung der Arbeitsgerichte verliert die vorweggenommene Zahlung des Arbeitgebers auf den künftigen Lohnanspruch allein infolge des Umstandes der vorfristigen Zahlung ihren Charakter als Arbeitsentgelt nicht, so dass auch derartige Zahlungen dem Grunde nach dem Kontenschutz nach § 850 k ZPO unterliegen können.
Bei dieser Rechtslage ist die von der Rechtspflegerin ihrer Entscheidung zugrunde gelegte Auffassung, bei einem Arbeitgeberdarlehen, das nur zur Deckung unbestreitbar notwendiger und der Sicherstellung des Lebensunterhaltes des Arbeitnehmers dienenden Ausgaben bestimmt sei, handele es sich, jedenfalls wenn es durch Verrechnung mit den künftig zu erwerbenden Lohnansprüchen verrechnet werden solle, um Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 k ZPO, jedenfalls nicht unvertretbar. Indes war die Rechtspflegerin jedenfalls gehindert, auch wenn man ihrer Auffassung zur Anwendbarkeit des § 850 k Abs. 2 ZPO folgt, den vollen Betrag freizugeben.
Im Rahmen des Eilverfahrens gemäß § 850 k Abs. 2 ZPO darf der Rechtspfleger und insbesondere ohne Anhörung des Gläubigers nur Beträge freigeben, deren der Schuldner dringend bedarf, um seinen notwendigen Unterhalt zu bestreiten und seine laufende gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden Berechtigten zu erfüllen. Diese Regelung lehnt sich an § 850 d Abs. 1, Satz 1, 2. Halbsatz ZPO an. Dem Schuldner soll nur die Möglichkeit gegeben werden, vorab über den Teil seines Guthabens verfügen zu können, der ihm auch dann verbleiben müsste, wenn ein Unterhaltsgläubiger pfändet (Stöber, Forderungspfändung, a. a. O., Rn. 1295, derselbe in Zöller, ZPO, § 850 k Rn. 13 und Brehm in Stein/ Jonas a. a. O., § 850 k Rn. 22).
Der hiernach vorläufig freizugebende Betrag wird regelmäßig geringer sein als derjenige, dessen endgültige Freigabe im Verfahren nach § 850 k Abs. 1 ZPO erwartet wird, wobei dieser Betrag eine Obergrenze darstellt.
Die vorläufige Freigabe kommt daher nur in Betracht, um die Deckung der laufenden akuten Bedürfnisse des Schuldners und seiner Unterhaltsberechtigten sicherzustellen, nicht aber, um den Schuldner in die Lage zu versetzen, andere Gläubiger zu befriedigen, mag auch für den Schuldner, aus welchen Gründen auch immer, die Begleichung anderer offen stehender Forderung besonders dringlich erscheinen.
Für die Bemessung des nach § 850 k Abs. 2 freizugebenden Betrages kann auf die Grundsätze zurückgegriffen werden, die zu der Bestimmung des § 850 d ZPO entwickelt worden sind (Stöber a. a. O.). Hiernach kann der zu belassende Betrag nach den Grundsätzen bemessen werden, die im Unterhaltsrecht für den notwendigen Selbstbehalt gegenüber minderjährigen Unterhaltsgläubigern entwickelt worden sind (BGH NJW 1993, 2105, 2106 und BSGE FamRZ 1995, 379, 383 und Rudolph, Rechtspfleger 1996, 490, 491 auch zu anderen, strengeren Auffassungen).
Somit konnte bei einem seinerzeit gültigen notwendigen Selbstbehalt von 1.370,00 DM und einem Mindestkindesunterhalt von 324,00 DM ein Betrag von insgesamt 2.018,00 DM (1.370,00 DM + 324,00 DM x 2) freigegeben werden. Eine darüber hinausgehende Entscheidung war im Rahmen der vorläufigen Aufhebung gemäß § 850 k Abs. 2 ZPO ohne Durchführung der gebotenen Anhörung des Gläubigers ausgeschlossen. Die weitergehende Freigabe des Guthabens durch die Rechtspflegerin stellt sich insoweit dann als rechtsfehlerhaft und damit auch als amtspflichtwidrig dar.
Durch die Amtspflichtverletzung ist dem Kläger ein Schaden entstanden, da der verbleibende Guthabenbetrag ansonsten für die Durchführung der Zwangsvollstreckung und damit zur Rückführung der titulierten Forderung zur Verfügung gestanden hätte.
Auf die Frage, in welchem Umfang ein infolge der vorzeitigen Freigabe unterbliebenes Verfahren nach § 850 k Abs. 1 ZPO gegebenenfalls zur Freigabe weiterer Beträge geführt hätte, kommt es für die Entscheidung nicht an. Für einen derartigen Einwand aus einem hypothetischen Kausalverlauf trägt das beklagte Land die volle Darlegungs- und Beweislast. Es bleibt indes völlig offen, ob nach einer vollständigen Aufklärung des Sachverhaltes in einem gedachten Hauptverfahren diese Aufklärung zu dem Ergebnis geführt hätte, dass der Betrag von 8.222,00 DM tatsächlich Arbeitseinkommen war, nachdem der Kläger insoweit vorgetragen hat, dass es sich bei der von der Schuldnerin vorgelegten Bescheinigung um eine Gefälligkeitsbescheinigung handelte.
Der Schadensersatzanspruch des Klägers errechnet sich dann wie folgt DM 6.434,00 abzgl. DM 2.018,00 = DM 4.416,00.
Im Zinsausspruch ist das angefochtene Urteil nicht angegriffen, so dass es bei den festgesetzten Zinsen von 4 % ab dem 21.11.1999 verbleibt.
Die Verurteilung ist Zug um Zug gegen teilweise Abtretung der titulierten Ansprüche auszusprechen, nachdem der Kläger in der Berufungserwiderung die Klage entsprechend teilweise zurückgenommen hat.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 92, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Ende der Entscheidung
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