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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 10.08.2001
Aktenzeichen: 11 VA 10/01
Rechtsgebiete: InsO, ZPO, EGGVG, StPO, GmbHG, KostO


Vorschriften:

InsO § 5
InsO § 4
InsO § 34 Abs. 1
InsO § 97 Abs. 1 S. 1
InsO § 97 Abs. 1 S. 2
InsO § 98
InsO § 97 Abs. 1 S. 3
InsO § 101 Abs. 1
InsO § 97 ff.
InsO § 20
ZPO § 299
ZPO § 299 Abs. 2
EGGVG § 23 Abs. 1 S. 1
EGGVG § 24 Abs. 1
EGGVG § 24 Abs. 2
EGGVG § 26 Abs. 1
EGGVG § 30
StPO § 52 Abs. 1
GmbHG § 64
KostO § 30
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

11 VA 10/01 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Justizverwaltungssache

hat das Brandenburgische Oberlandesgericht, 11. Zivilsenat, durch

den Richter am Oberlandesgericht Groß, den Richter am Oberlandesgericht Hüsgen und den Richter am Amtsgericht Dr. Bachnick

am 10. August 2001

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Antragstellerin vom 23.04.2001 auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin berühmt sich eines Anspruchs gegen die P GmbH. Einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen dieser GmbH hat das Amtsgericht Cottbus durch Beschluss vom 23. Februar 2001 mangels Masse abgewiesen (Aktenzeichen 63 IN 352/00). Die Antragstellerin hat mit Schreiben vom 16.03.2001 beim Direktor des Amtsgerichts Cottbus beantragt, ihr das nach § 5 InsO erstellte Sachverständigengutachten zu übersenden und dies mit ihrer Hoffnung begründet, dem Gutachten weitere Informationen entnehmen zu können, die eine persönliche Haftung des Geschäftsführers beweisbar machen.

Der Antragsgegner hat eine Akteneinsicht abgelehnt, da diese der Ermittlung von Fakten über verfahrensfremde Personen diene.

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Nach ihrer Auffassung besteht gem. § 4 InsO i.V.m. § 299 ZPO für jeden Insolvenzgläubiger Anspruch auf Akteneinsicht. Sie sei potentielle Insolvenzgläubigerin und daher anspruchsberechtigt.

II.

1.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gem. § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG statthaft, da die Ablehnung der hier nach §§ 4 InsO, 299 Abs. 2 ZPO zu beurteilenden Akteneinsicht einen Justizverwaltungsakt darstellt. Zulässig ist der Antrag gem. § 24 Abs. 1 EGGVG, da die Antragstellerin geltend macht, durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme in ihren Rechten verletzt zu sein und eine Verletzung möglich ist. Der begehrten Entscheidung ist kein förmliches Rechtsbehelfsverfahren nach § 24 Abs. 2 EGGVG vorgeschaltet, das einer Zulässigkeit entgegenstünde. Gegen den Ablehnungsbeschluss vom 01.02.2001, zugestellt am 06.02.2001, hat die Antragstellerin auch rechtzeitig innerhalb der Monatsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG die gerichtliche Entscheidung beantragt.

2.

Der Antrag ist sachlich nicht gerechtfertigt, denn der Antragsgegner hat die begehrte Akteneinsicht ermessensfehlerfrei abgelehnt.

a.) Er hat das auf die Prüfung möglicher Durchgriffsansprüche gegen den GmbH-Geschäftsführer gerichtete Ermittlungsinteresse der Antragstellerin als nicht ausreichendes rechtliches Interesse i.S.d. § 299 Abs. 2 ZPO angesehen und befindet sich damit in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung in der Literatur und in der Rechtsprechung, wonach ein rechtliches Individualinteresse dort vorliegt, wo persönliche Rechte des Antragstellers durch den Akteninhalt berührt werden, sofern diese Interessen einen rechtlichen Bezug zum Streitstoff der Akten haben (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 22 Aufl., § 299 Rn. 6 m.w.N.). Das gegen den früheren Geschäftsführer gerichtete Ermittlungsinteresse der Antragstellerin hat keinen rechtlichen Bezug zum Streitstoff der Akten.

Der Streit- und Erkenntnisstoff des in der Insolvenzakte zusammengefassten Insolvenzverfahrens ist gerichtet auf die Feststellung, ob zur Zeit der Entscheidung über den Insolvenzantrag ein Insolvenzgrund (§§ 16 ff InsO) vorlag und ob gegebenenfalls eine die Kosten des Verfahrens entsprechende Insolvenzmasse vorhanden war (§ 26 InsO). Die Voraussetzung einer etwaigen Durchgriffshaftung von GmbH-Geschäftsführern gegenüber tatsächlichen oder potentiellen Insolvenzgläubigern ist demgegenüber für das Vorliegen eines Konkursgrundes oder für das Vorhandensein einer die Kosten des Verfahrens deckenden Insolvenzmasse belanglos und kann sich allenfalls zufällig aus Ermittlungen im Rahmen des Verfahrens ergeben. Ein ausreichendes rechtlich geschütztes Interesse auf den Zugriff dieser Zufallsbefunde durch Einsicht in fremde Verfahrensakten wird man schon deshalb regelmäßig ermessensfehlerfrei verneinen können.

b.) Auch soweit die Antragstellerin ihr rechtliches Interesse aus ihrer Stellung als potentielle Insolvenzgläubigerin herleitet, folgt hieraus noch kein Anspruch gegen den Behördenvorstand auf Akteneinsicht nach § 4 InsO i. V.m. § 299 Abs. 2 ZPO, da das Ermessen des Behördenvorstandes auch in diesem Fall ohne Hinzutreten besonderer Umstände nicht auf Null reduziert ist.

Nach allgemeinen Ermessensgrundsätzen muss die begehrte Maßnahme im Hinblick auf den verfolgten Zweck geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein.

aa.) Aus der potentiellen Insolvenzgläubigerstellung ließe sich zwar ein Kontrollzweck des potentiell Verfahrensbeteiligten an der ordnungsgemäßen Verfahrensdurchführung herleiten. Diesem Kontrollbedürfnis hat der Gesetzgeber allerdings in § 34 Abs. 1 InsO Rechnung getragen und Grenzen gezogen, indem er einem tatsächlichen Insolvenzgläubiger nur im Falle der eigenen Antragstellung ein Rechtsmittel gegen einen die Eröffnung ablehnenden Beschluss eingeräumt hat, und zwar wiederum nur zeitlich befristet als sofortige Beschwerde. Von daher erscheint es zumindest zweifelhaft, dem potentiellen Insolvenzgläubiger unter dem Gesichtspunkt der Verfahrenskontrolle unbegrenzte und jedenfalls zeitlich weitergehende Rechte einzuräumen, als sie dem antragstellenden und ein entsprechendes - auch die Auslagen umfassendes - Kostenrisiko (§ 50 Abs. 1 S. 2 GKG) tragenden tatsächlichen Gläubiger zustehen.

Auch hinsichtlich einer etwaig beabsichtigten Durchsetzung von Gläubigeransprüchen gegen den Träger des geprüften Vermögens als Zweck der Akteneinsicht wird man zu differenzieren haben. Im Insolvenzverfahren geht es um die gleichmäßige Verteilung des verwertbaren Vermögens, also um die Interessen der Gläubigergemeinschaft (vgl. § 1 S. 1 InsO). Die Aufdeckung etwa verwertbarer Vermögensgegenstände dient daher zugleich auch den Mitgläubigern. Außerhalb des Insolvenzverfahrens sind die Interessen mehrerer Gläubiger demgegenüber prinzipiell gegenläufig. Die auf Durchsetzung von Gläubigeransprüchen außerhalb eines Insolvenzverfahrens gerichtete Akteneinsicht ist daher zur Erreichung der Ziele des Insolvenzverfahrens eher ungeeignet.

bb.) Uneingeschränkt geeignet ist die Einsicht in die Insolvenzakte außerhalb des Insolvenzverfahrens daher namentlich zur Durchsetzung eines Gläubigeranspruches im normalen Erkenntnisverfahren, gefolgt von der Einzelzwangsvollstreckung.

Insoweit ist allerdings zweifelhaft, ob § 4 InsO, der § 299 ZPO erst für anwendbar erklärt, ausgerechnet insolvenzverfahrensfremde Anspruchsdurchsetzungen effektuieren will. Selbst wenn man diesen Zweck als noch von § 4 InsO gedeckt ansähe, hätte der Behördenvorstand jedenfalls im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung die von seiner Entscheidung betroffenen Rechtsgüter zu ermitteln und abzuwägen. Diese Abwägung führt jedenfalls nicht regelmäßig zum Vorrang des Titulierungsinteresses des Einzelgläubigers.

cc.) Im Interesse einer gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger und einer endgültigen und umfassenden Bereinigung persönlicher Schulden (vgl. § 1 InsO) ist der Schuldner verpflichtet, dem Insolvenzgericht, dem Insolvenzverwalter, dem Gläubigerausschuss und auf Anordnung des Gerichts der Gläubigerversammlung über alle, das Verfahren betreffenden Verhältnisse, Auskunft zu geben, § 97 Abs. 1 S. 1 InsO. Die Begrenzung seiner Auskunftspflicht auf die vier vorgenannten Auskunftsgläubiger spricht bereits dagegen, einzelnen Insolvenzgläubigern umfassende Auskünfte zuzubilligen, da sie nur als Mitglieder einer einberufenen Gläubigerversammlung (§ 74 Abs. 1 S. 2 InsO) uneingeschränkt informationsberechtigt sind, und auch dann nicht regelmäßig, sondern nur bei entsprechender Anordnung des Insolvenzgerichts gegenüber dem Schuldner. Noch fernliegender scheinen unbeschränkte Auskunftsansprüche bloß potentieller Insolvenzgläubiger.

Nach § 97 Abs. 1 S. 2 InsO hat der Schuldner auch Tatsachen zu offenbaren, die geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit herbeizuführen. Seine Auskunftspflichten sind daher weitest möglich gespannt. Um den Schuldner oder - im Falle einer juristischen Person - die insoweit verantwortlichen natürlichen Personen (§ 101 InsO), die in gleichem Umfang aussagepflichtig sind, aussagebereit zu halten, eröffnet die InsO dem Insolvenzrichter einerseits in § 98 zahlreiche Zwangsmittel bis hin zur Haftanordnung, droht dem persönlichen Schuldner die Versagung der Restschuldbefreiung bei Mitwirkungsverstößen an (§ 290 Abs. 1 Nr. 5) und statuiert andererseits in § 97 Abs. 1 S. 3 ein strafrechtliches Verwertungsverbot zu seinen Gunsten. Nach dieser Vorschrift darf eine Auskunft, die der Schuldner gemäß seiner Verpflichtung nach Satz 1 erteilt, in einem Strafverfahren oder in einem Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten gegen den Schuldner oder einen in § 52 Abs. 1 StPO bezeichneten Angehörigen des Schuldners nur mit Zustimmung des Schuldners verwendet werden. Das Gleiche gilt für die anderen Mitwirkungsverpflichteten im Rahmen des § 101 Abs. 1 InsO.

Die mit zahlreichen Bestimmungen der InsO bezweckte Aussagebereitschaft des Schuldners und der Mitwirkungsverpflichteten wäre bei regelmäßig erteilter Akteneinsicht möglicherweise gefährdet, sofern die dortigen Erkenntnisse, etwa auf Grund eines Gutachtens nach § 5 InsO, in anderen Verfahren später gegen die Mitwirkungsverpflichteten verwendet würden.

Handelt es sich bei dem Schuldner um eine juristische Person, kommt ein weiterer wesentlicher Gesichtspunkt hinzu: Die nach §§ 97 ff. InsO aussagepflichtigen natürlichen Personen können vielfach, GmbH-Geschäftsführer etwa nach § 64 GmbHG, unter dem Gesichtspunkt möglicher Verletzungen von Antragspflichten selbst als potentielle Schadensersatzschuldner betroffen sein. Bestehen Anhaltspunkte für eine derartige Betroffenheit, muss der Behördenvorstand in diesen Fällen sein Ermessen verfahrensatypisch auf die Interessen dieser mitwirkungspflichtigen Dritten erstrecken, obwohl § 299 Abs. 2 ZPO ausschließlich von der Einwilligung der Parteien des aktengegenständlichen Verfahrens spricht.

Leitet der Antragsteller sein rechtliches Interesse aus seinem Haftungsinteresse gegen Organe der juristischen Person oder gegen Mitwirkungsverpflichtete her, so handelt es sich nach den obigen Ausführungen unter a.) um einen sachfremden Gesichtspunkt, der regelmäßig die Abweisung des Akteneinsichtsbegehrens durch den Behördenvorstand trägt. Hat der Antragsteller diesen Gesichtspunkt später fallengelassen, ändert sich hierdurch nichts an der damit erkennbar gewordenen Interessenlage. Aber auch wenn der Antragsteller diesen Aspekt von Anfang an unerwähnt gelassen hat, wird der Behördenvorstand gleichwohl die möglicherweise berührten Interessen der Mitwirkungsverpflichteten in sein Ermessen aufzunehmen haben.

Einen absoluten Vorrang des Informationsinteresses eines einzelnen Gläubigers, der die auch präventiv zu schützenden Interessen der Gläubigergemeinschaft an der Aussagebereitschaft der jeweiligen Mitwirkungsverpflichteten in den Hintergrund drängen müsste, wird man, ebenso wie deren Interesse an einer Begrenzung der von ihnen zu tragenden Konsequenzen ihre Aussagen auf das Insolvenzverfahren ohne Hinzutreten besonderer Umstände nicht annehmen können, so dass sich eine Ermessensreduzierung auf Null nicht ohne weiteres annehmen lässt.

dd.) Den Aussageverpflichteten lässt sich eine Schutzwürdigkeit auch nicht mit dem Hinweis absprechen, potentielle Insolvenzgläubiger könnten jederzeit einen erneuten Antrag anbringen auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, in dem die begehrte Ansicht dann ohnehin zur erlangen wäre. Davon abgesehen, dass über die Eröffnung eines neuen Insolvenzverfahrens nicht der Behördenvorstand zu entscheiden hat, sondern der Insolvenzrichter, der die Insolvenzgründe (§§ 16 ff. InsO) bereits im vorangegangenen Verfahren ausermittelt hat, häufig nach Maßgabe der §§ 97 ff. InsO, vgl. § 20 InsO, also unter Androhung oder Einsatz entsprechender Zwangsmittel, und davon abgesehen, dass ein rechtliches Interesse an der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (§ 14 Abs. 1 InsO) nicht gleichzusetzen ist mit einem rechtlichen Interesse an einer Akteneinsicht (§ 299 Abs. 2 ZPO), ist das Argument auch rechtstatsächlich nicht stichhaltig. Die Möglichkeit, jederzeit einen erneuten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens anzubringen, besteht in der ganz überwiegenden Zahl der Insolvenzfälle, nämlich bei juristischen Personen, regelmäßig nicht, da diese bei Vermögenslosigkeit gelöscht werden. Die Aussageverpflichteten sind in diesen Fällen gerade geschützt.

Sofern die Löschung unterbleibt, beruht dies im Allgemeinen auf dem Vorhandensein oder dem Auftauchen bislang unerfassten zugriffsfähigen Vermögens. Es erscheint sachgerecht, hiermit zu Gunsten der Gläubigergemeinschaft nach den Vorschriften der InsO zu verfahren, so dass der Verweis auf einen neuen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur in den Fällen unterbliebener Löschung greift und ein Antrag gerade hier keinen prozessunökonomischen Umweg zur Erlangung der Akteneinsicht darstellt, sondern der sachgerechten Verwertung etwaiger Vermögenswerte zu Gunsten der Gläubigergemeinschaft dient (vgl. auch § 11 Abs. 3 InsO).

Der Verfahrenswert beträgt 5.000,00 DM, §§ 30 EGGVG, 30 KostO.

Ende der Entscheidung

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