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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 27.12.2001
Aktenzeichen: 11 W 81/01
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 610
ZPO § 114
ZPO § 127 Abs. 4
ZPO § 767 Abs. 2
ZPO § 127 Abs. 2 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

11 W 81/01 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In dem Prozesskostenhilfeverfahren

hat der 11. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Goebel, den Richter am Oberlandesgericht Groß und den Richter am Oberlandesgericht Ebling

am 27. Dezember 2001

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 21.08.2000 abgeändert.

Der Klägern wird für die beabsichtigte Vollstreckungsgegenklage Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin L bewilligt.

Raten werden nicht festgesetzt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000,00 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine Vollstreckungsgegenklage mit der sie begehrt, die Zwangsvollstreckung aus dem Anerkenntnisurteil des Landgerichts Potsdam vom 01.11.2000 - Az.: 2 O 311/00 - für unzulässig zu erklären.

Das vorbezeichnete Anerkenntnisurteil erging in einem Urkundenprozess.

Die Klägerin war Geschäftsführerin der Fa. D GmbH, die ihrerseits in Geschäftsverbindungen mit der Beklagten stand. Im Rahmen dieser geschäftlichen Verbindung übernahm die Klägerin unter dem 21.12.1999 eine Bürgschaft über einen Betrag von 75.000,00 DM nebst Zinsen für Verbindlichkeiten der D GmbH gegenüber der Beklagten.

In der vorformulierten Bürgschaftserklärung, wobei offenbleibt, von wem diese Erklärung vorformuliert wurde, heißt es:

"Ich verzichte auf die Einreden der Vorausklage, der Anfechtbarkeit und der Aufrechenbarkeit (§ 770 BGB).

Ich verpflichte mich, auf erstes Anfordern durch den Gläubiger zu zahlen. Dieser hat nur schriftlich darzulegen, dass der Schuldner seiner Verpflichtung aus der Hauptverbindlichkeit nicht nachkommt."

Gestützt auf die Bürgschaftsurkunde erhob die Beklagte als Klägerin des dortigen Verfahrens im Urkundsprozess Klage gegen die Klägerin. Die Klägerin wurde zunächst durch Anerkenntnisurteil vom 01.11.2000 antragsgemäß verurteilt Die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren blieb vorbehalten.

Im Nachverfahren machte die Beklagte geltend, die gesicherte Forderung sei durch die Hauptschuldnerin, die Fa. D H GmbH, getilgt worden. Durch am 28.02.2001 verkündetes Schlussurteil erklärte das Landgericht das Anerkenntnisurteil für vorbehaltlos. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin habe eine Bürgschaft auf erstes Anfordern abgegeben. Sie sei daher auch im Nachverfahren mit allen nicht liquide beweisbaren Einwendungen gegenüber der gesicherten Hauptforderung ausgeschlossen.

Mit ihrer am 10.04.2001 erhobenen Vollstreckungsklage, für die sie Prozesskostenhilfe begehrt, macht die Klägerin erneut geltend, die gesicherte Hauptforderung sei erfüllt.

Zwischenzeitlich ist die Beklagte, nachdem am 05.06.2001 ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgewiesen wurde, aufgelöst und befindet sich derzeit in der Liquidation.

Durch den angefochtenen Beschluss hat das Landgericht der Klägerin Prozesskostenhilfe verweigert, da sie mit den Einwendungen, auf die sie die Vollstreckungsgegenklage stütze, gemäß § 767 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen sei.

Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Klägerin, mit der sie ihr ursprüngliches Begehren weiterverfolgt.

II.

Die gemäß § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Der Klägerin kann Prozesskostenhilfe für die begehrte Klage nicht mit der Begründung verweigert, ihre Rechtsverteidigung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung i.S.d. § 114 ZPO ist gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest vertretbar halt und in tatsächlicher Hinsicht mindestens von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (Zöller/Philippi, ZPO, 22. Aufl., § 114 Rn. 19 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind gegeben.

Die Klägerin ist, nachdem sich die Beklagte in Liquidation befindet, nicht mehr gehindert, gegenüber dem aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern hergeleiteten Anspruch der Beklagten geltend zu machen, dass die durch die Bürgschaft gesicherte Forderung der Beklagten erfüllt sei. Würde man die Klägerin auch nach dem Vermögensverfall der Beklagten mit derartigen Einwendungen weiterhin ausschließen, so müsste sie nicht nur den in der Erteilung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern ohnehin liegende Nachteil, zuerst leisten zu müssen und dann auf den Rückforderungsprozess verwiesen zu sein, hinnehmen. Ihr würde vielmehr zugemutet, den Verlust der Bürgschaftssumme ohne rechtliche Prüfung endgültig zu tragen. Von der vermögenslosen Bürgschaftsgläubigerin wird sie einen Ersatz im Rückforderungsprozess schwerlich erwarten können.

Ein derart einschneidender Eingriff ist von der einer Bürgschaft auf erstes Anfordern zugrunde liegenden vertraglichen Vereinbarung nicht gedeckt.

Die Bürgschaft begründet eine von der Verpflichtung des Hauptschuldners verschiedene, rechtlich selbständige Verpflichtung, die ihren Rechtsgrund in sich selbst trägt und daher grundsätzlich unabhängig vom Bestand der Hauptschuld gültig ist. Ist die Bürgschaft eine Bürgschaft auf erstes Anfordern, so muss der Bürge grundsätzlich sofort zahlen. Alle Streitfragen werden in den Rückforderungsprozess verlagert (BGH WM 2001, 947, 948, BGH ZIP 2001, 1871, 1872 jeweils m. u. w. N., ständige Rechtsprechung). Die strittigen Fragen tatsächlicher und rechtlicher Art, deren Beantwortung sich nicht von selbst ergibt, gehören auch dann in den Rückforderungsprozess, wenn zuvor ein Vorbehaltsurteil im Bürgschaftsprozess ergangen ist. Auch im Nachverfahren ist für diese Einwendungen kein Raum (Thüringisches Oberlandesgericht OLGR 1998, 98, 100, BGH NJW 1994, 380, BGH NJW 1988, 2610). Der Bürge hat auch nicht die Möglichkeit, die Einwendungen statt im Nachverfahren, in dem er mit ihnen ausgeschlossen ist, in einer Vollstreckungsgegenklage Geltung zu verschaffen (OLG Celle OLGR 1997, 109). Vielmehr ist es Sinn und Zweck der Bürgschaft auf erstes Anfordern, sicherzustellen, dass der Bürgschaftsgläubiger in die Lage versetzt werden soll, den materiellen Streit über den Bürgschaftsfall "im Geld" zu führen (BGH NJW 2001, 3549, 3551).

Dieser Einwendungsausschluss gilt indes nicht ohne jegliche Beschränkung. Das Recht des Gläubigers, sofortige Zahlung aus der Bürgschaft zu verlangen, findet jedenfalls im Falle des Missbrauchs seine Schranke, wenn offensichtlich und liquide beweisbar ist, dass trotz Vorliegens der formellen Voraussetzungen der Bürgschaftsfall nicht eingetreten ist. Jedenfalls dann steht dem Bürgen der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung zu, da der Gläubiger nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen eine Leistung nicht fordern kann, bei der für jeden offenkundig ist, dass er sie im Falle des Empfangs sofort wird zurückgewähren müssen (Thüringisches Oberlandesgericht a. a. O., Seite 100, BGH NJW 1994, 381 mwN).

Dieser Situation ist es gleichzuachten, wenn zwar nicht die Geltendmachung der Bürgschaftsforderung deshalb rechtsmissbräuchlich erscheint, weil offensichtlich der Bürgschaftsfall nicht eingetreten ist, sondern deshalb, weil ebenso liquide beweisbar und offenkundig ist, dass der in Anspruch genommene Bürge aufgrund des zwischenzeitlich eingetretenen vollständigen Vermögensverfalls des Bürgschaftsgläubigers nicht mehr in der Lage sein wird, sein im Rückforderungsprozess materiell erstrittenes Recht auch wirtschaftlich durchzusetzen.

Auch in einer derartigen Situation erscheint der Bürge schutzwürdig und die Durchsetzung der formalen Rechtsposition, die die Bürgschaft auf erstes Anfordern verleiht, rechtsmissbräuchlich.

Die Sicherungsform der Bürgschaft auf erstes Anfordern ist ein besonders gefährliches Sicherungsmittel. Da nicht einmal die Fälligkeit der gesicherten Forderung schlüssig dargelegt zu werden braucht, wird bei der Inanspruchnahme der Bürgschaft das Risiko der Bonität des Gläubigers auf den Bürgen und den Hauptschuldner verlagert (BGH WM 2001, 947, 948).

Dabei wird die Frage der Leistungspflicht des Bürgen durch eine derartige vertragliche Vereinbarung ausdrücklich vom materiellen Bestand der Hauptforderung gelöst. Der Bürge muss also hinnehmen, die gesicherte Forderung zu erfüllen, selbst wenn deren Bestand in hohem Maße zweifelhaft sein mag (BGH NJW 1989, 1606). Seine Rechtfertigung findet ein derartig scharfer Eingriff in die Rechte des Bürgen nur in dem besonders hervorgehobenen Liquiditätsinteresse des Bürgschaftsgläubigers, der unabhängig von dem gegebenenfalls zu führenden Rechtsstreit über die Berechtigung seiner Forderung in die Lage versetzt werden soll, sicher über die liquiden Mittel verfügen zu können, auf die er Anspruch zu haben meint (BGH NJW 2001, 3549, 3551).

Diese so begründete Rechtsposition des Bürgschaftsgläubigers ist indes dann nicht mehr schützenswert, wenn mit der Zubilligung des Liquiditätsvorteil er nicht nur diesen, sondern die Bürgschaftsssumme selbst endgültig wird behalten können, da er zu einer Rückerstattung nicht mehr in der Lage ist, da er inzwischen in Vermögensverfall geraten ist, und damit voraussichtlich außerstande sein wird, die ihm zugeflossene Bürgschaftssumme bei fehlender materieller Berechtigung zurückzuzahlen.

Der hierin liegende Grundgedanke, dass der Schuldner, der versprochen hat, seinem Gläubiger zunächst Liquidität zu verschaffen, an diese Zusage nicht mehr gebunden ist, wenn der Gläubiger endgültig in Vermögensverfall geraten ist, ist dem Recht nicht fremd. Der Gedanke findet zunächst Ausdruck in der Bestimmung des § 610 BGB, nach der derjenige, welcher die Hingabe eines Darlehens verspricht, sein Versprechen widerrufen darf, wenn in den Vermögensverhältnissen des anderen Teils eine wesentliche Verschlechterung eingetreten ist. Gleiches gilt für andere vertragliche Regelungen, die darauf ausgerichtet sind, einer Partei zunächst einen Liquiditätsvorteil zu verschaffen. So ist für das vertraglich vereinbarte Aufrechnungsverbot, mit der ein derartiges Ziel verfolgt werden soll, anerkannt, dass sich der hierdurch Geschützte im Prozess nicht mehr auf die Vereinbarung berufen kann, wenn, da bei ihm Vermögensverfall eingetreten ist, die Versagung der Aufrechnungsbefugnis dazu führte, dass der durch das Aufrechnungsverbot Belastete den endgültigen Verlust der zur Aufrechnung gestellten Forderung befürchten müsste (BGH NJW-RR 1991, 971, 972, OLG Hamm MDR 1976, 577). Gleiches gilt für Regelungen, die die Geltendmachung einer Vertragsstrafe davon abhängig machen, dass der durch sie begünstigte Auftraggeber zunächst die geschuldete Werklohnforderung zahlt. Auch auf eine derartige Abrede kann sich der in Vermögensverfall geratene Werkunternehmer nicht mehr berufen (OLG Brandenburg, BauR 2001, 1111, 1112).

Für den in Vermögensverfall geratenen Gläubiger einer Bürgschaft auf erstes Anfordern kann dann nichts anderes gelten.

Dafür spricht ergänzend auch die Auslegung der vertraglichen Vereinbarung, bei der gerade im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit dieses Instituts regelmäßig Zurückhaltung geboten ist (BGH WM 1998, 1602, 1603).

Mit ihren Einwendungen ist die Klägerin auch nicht gemäß § 767 Abs. 2 ZPO präkludiert, da der Umstand, der ihr die Geltendmachung der materiell-rechtlichen Einwendungen gegen die Hauptforderung überhaupt erst eröffnet, nach Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess entstanden ist.

Nach alledem kann die Erfolgsaussicht für die von der Klägerin beabsichtigte Klage nicht verneint werden.

Der Klägerin ist dann auch Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung zu bewilligen.

Sie hat insoweit ausreichend vorgetragen und glaubhaft gemacht, dass sie zur Zeit nicht über hinreichende Einkünfte verfugt, die es rechtfertigen würden, Ratenzahlungen festzusetzen.

Auch von einer Verwertung des Vermögens kann die Bewilligung der Prozesskostenhilfe nicht abhängig gemacht werden, nachdem die Klägerin auf den Hinweis des Senates dargelegt hat, dass die in ihrem Eigentum stehende Wohnung nicht nur mit einem Grundpfandrecht, sondern darüber hinaus auch mit einem lebenslangen Wohnrecht des Mieters belastet ist, was eine Verwertung zur Zeit ausschließt.

Die Entscheidung über die Nichterstattung von Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.



Ende der Entscheidung

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