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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 11.05.2009
Aktenzeichen: 11 Wx 12/09
Rechtsgebiete: AsylVfG, AufenthG, BPolG, FGG


Vorschriften:

AsylVfG § 14
AsylVfG § 14 Abs. 3
AsylVfG § 27a
AsylVfG § 55 Abs. 1
AufenthG § 57 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 57 Abs. 1 S. 2
AufenthG § 62 Abs. 2
AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
AufenthG § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5
AufenthG § 71 Abs. 1
AufenthG § 71 Abs. 3 Nr. 1
BPolG § 2 Abs. 2 Nr. 3
FGG § 16
FGG § 28 Abs. 2 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige weitere Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Frankfurt/Oder vom 18. Dezember 2008 - Az.: 15 T 118/08 - abgeändert.

Es wird festgestellt, dass die auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 05. Oktober 2008 - Az.: 23 XIV 93/08 - vollzogene Haft in der Zeit vom 05. Oktober 2008 bis zur Abschiebung am 27. Oktober 2008 rechtswidrig war.

Die Kosten des Verfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Betroffenen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt.

Der Betroffenen wird für die Rechtsbeschwerdeinstanz Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt ... bewilligt.

Gründe:

I.

Die Betroffene begehrt die Feststellung, dass die in der Zeit vom 05. Oktober 2008 bis zum 27. Oktober 2008 vollzogene Abschiebungshaft rechtswidrig gewesen sei.

Wegen des Sachstandes und des Verfahrensverlaufs wird zunächst in vollem Umfang auf die Darstellung in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (Ausfertigung Bl. 69 ff. d. A.).

Das Landgericht hat den Antrag der Betroffenen zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Antrag sei zulässig; die Betroffene könne nach der Beendigung der freiheitsentziehenden Maßnahme schon auf Grund der diskriminierenden Wirkungen der Haft die Feststellung begehren, die Haftanordnung sei rechtswidrig gewesen. Die sofortige Beschwerde sei indes unbegründet, weil die Voraussetzungen für die Haftanordnung gegeben gewesen seien. Aus dem der Regelung des § 14 Abs. 3 AsylVfG zu Grunde liegenden Rechtsgedanken lasse sich nicht schließen, dass ein im Ausland im Geltungsbereich der Dublin-II-Verordnung gestellter Asylantrag der Haft entgegenstehe; denn § 14 AsylVfG setze, wie sich aus dessen Absatz 1 schließen lasse, die Zuständigkeit deutscher Behörden für die Durchführung des Asylverfahrens voraus. Der am 07. Oktober 2008 in Deutschland gestellte Asylantrag führe ebenfalls nicht zur Rechtswidrigkeit der Haft; denn dieser sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig. Die Antragstellerin sei für die Anordnung der Zurückschiebung und den Haftantrag zuständig; die Zuständigkeit der Bundespolizei umfasse den gesamten grenznahen Raum bis zu einer Tiefe von 30 Kilometern (§ 2 Abs. 2 BPolG). Die Haftgründe des § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und Nr. 5 des AufenthG seien gegeben. Aus den Umständen der Einreise und der Tatsache, dass sich die Betroffene nach eigenen Angabe bereits mehrere Monate illegal in Deutschland aufgehalten habe, folge, dass sie sich der Ausreisepflicht ohne die Anordnung von Haft entzogen hätte. Die Sicherungshaft sei nicht dadurch rechtswidrig geworden, weil eine Anhörung durch die Kammer nicht mehr erfolgt sei. Wegen der Erforderlichkeit, den Sachverhalt zunächst durch die Einholung einer ärztlichen Auskunft und Beiziehung der Ausländerakten vorzubereiten, sei eine Terminierung vor der Abschiebung nicht möglich gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten der angefochtenen Entscheidung, welche der Betroffenen am 30. Dezember 2008 zugestellt worden ist, wird auf die bei den Akten befindliche Ausfertigung (Bl. 69 ff.) Bezug genommen.

Gegen den vorgenannten Beschluss wendet sich die Betroffene mit ihrer am 13. Januar 2009 beim Landgericht Frankfurt/Oder eingegangenen sofortigen weiteren Beschwerde. Sie hat das Rechtsmittel mit Schriftsatz vom 23. Februar 2009 im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Antragstellerin sei für die Stellung des Haftantrages nicht zuständig gewesen. Zum Zeitpunkt der Festnahme habe die Betroffene sich unmittelbar vor der zentralen Ausländerbehörde aufgehalten und sei von den Beamten der Bundespolizei am Betreten der Behörde, wo sie sich habe anmelden und einen Asylantrag stellen wollen, gehindert worden. Im Übrigen bestehe im grenznahen Raum keine allgemeine Zuständigkeit der Bundespolizei, wenn der Grenzübertritt längere Zeit zurück liege.

Der Haftbeschluss des Amtsgerichts sei mangelhaft begründet; dieser Mangel sei durch das fehlerhafte Verfahren des Landgerichts, welches die Betroffene nicht angehört habe, nicht geheilt worden. Aus der Asylantragstellung in Frankreich folge die Unzulässigkeit der Haftanordnung in Deutschland. Im Übrigen seien die Haftgründe des § 62 Abs. 2 AufenthG nicht gegeben; ihre Inhaftierung trotz Schwangerschaft sei jedenfalls nicht verhältnismäßig.

Der Senat hat die Ausländerakten beigezogen (Az.: SB 14 - 11 02 05-0021 Bd 1).

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 27 Abs. 1 S. 1 FGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§§ 29 Abs. 1, Abs. 4, 22 Abs. 1 S. 1) eingelegt worden. Die Betroffene kann in zulässiger Weise begehren festzustellen, dass die in der Zeit vom 05. Oktober bis zum 27. Oktober 2008 vollzogene Haft unzulässig war. Das im Rahmen des FGG-Verfahrens trotz Erledigung der Hauptsache ausnahmsweise fortbestehende Feststellungsinteresse folgt hierbei aus der fortwirkenden diskriminierenden Wirkung der Freiheitsentziehung (BVerfG NJW 2002, 2456).

In der Sache führt die Überprüfung des angefochtenen Beschlusses auf Rechtsfehler (§ 27 Abs. 1 S. 1 FGG in Verbindung mit §§ 546 ff. ZPO) zur Abänderung des landgerichtlichen Beschlusses und zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft.

1. Die Zuständigkeit der Antragstellerin für die Beantragung der Haft, die vom Haftrichter in jeder Instanz zu prüfen ist, war allerdings im Gegensatz zu der Rechtsauffassung der Betroffenen gegeben.

Die Zuständigkeit der Bundespolizei - neben derjenigen der Ausländerbehörden der Länder gemäß § 71 Abs. 1 AufenthG - umfasst zwar nach § 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG auch die Zurückschiebung an der Grenze. Ein räumlich-zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Grenzübertritt und dem Ergreifen eines Ausländers durch die Bundespolizeibehörden ist hierbei im Gegensatz zu der Rechtsauffassung der Betroffenen nicht erforderlich. Die Bundespolizei ist § 2 Abs. 2 Nr. 3 BPolG erstreckt sich räumlich auf den gesamten grenznahen Raum bis zu einer Tiefe von 30 km an den Landesgrenzen. Hält sich der Ausländer nach einem unerlaubten Grenzübertritt vorübergehend im Landesinneren auf und wird er anschließend im grenznahen Gebiet aufgegriffen, so ist die Bundespolizei wieder zuständig (so auch die Vorläufigen Anwendungshinweise Ziff. 71.3.1.2.2.; vgl. auch Storr/Wenger, Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, § 71 RN 9).

Die Zuständigkeit der Bundespolizei war zeitlich durch § 57 Abs. 1 S. 1 AufenthG nicht auf sechs Monate begrenzt: Hat sich der Ausländer, was im Falle der Betroffenen nicht abschließend geklärt ist, insgesamt länger als sechs Monate im Gebiet der Bundesrepublik aufgehalten, so ist eine Zurückschiebung nach § 57 Abs. 1 S. 2 AufenthG möglich, solange ein anderer Staat auf Grund einer Übernahmevereinbarung zur Übernahme des Ausländers verpflichtet ist. Vorliegend war die Republik Frankreich nach Art. 16 ff. des EG-VO Nr. 343/2003 zur Rücknahme der Betroffenen verpflichtet, weil die Zuständigkeit Frankreichs zur Durchführung des Asylverfahrens begründet worden war.

Aus den Umständen der Ergreifung der Betroffenen kann diese nicht die Zuständigkeit der Ausländerbehörde - unter Ausschluss derjenigen der Antragstellerin - herleiten. Es ist insbesondere nicht feststellbar, dass die Antragstellerin die Betroffene in der Absicht, die Zuständigkeitsbegründung der Ausländerbehörde zu vereiteln, vor dem Gelände der Zentralen Ausländerbehörde abgefangen hat. Vielmehr ist der Strafanzeige (Bl. 4 der Beiakten) zu entnehmen, dass die Beamten der Antragstellerin bereits am Bahnhof in E... auf die Betroffene aufmerksam geworden sind und sich zur Überprüfung entschlossen haben. Dass die Betroffene, wie sie geltend macht, auf dem Weg war, einen Asylantrag zu stellen, war für die Beamten nicht vorherzusehen.

3. Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht weiter festgestellt, dass die Betroffene auf Grund unerlaubter Einreise (§ 14 AufenthG) vollziehbar ausreisepflichtig war (§ 50 Abs. 1 AufenthG). Die Stellung eines jedenfalls bis zum Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung nicht beschiedenen Asylantrags in Frankreich hat einen in Deutschland zu beachtenden Aufenthaltstitel nicht nach § 55 Abs. 1 AsylVerfG begründet. Die in dieser Vorschrift normierte Aufenthaltsgestattung hat lediglich den Zweck, die Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland zu ermöglichen, setzt deshalb (wie etwa in dem der Entscheidung des BVerfG vom 05. Dezember 2001, 2 BvR 527/99 zu Grunde liegenden Fall) voraus, dass deutsche Stellen für die Bescheidung des Asylantrags zuständig sind oder jedenfalls sein könnten. Mangels einer Übernahme des Asylverfahrens von Frankreich war dies vorliegend zu keinem Zeitpunkt der Fall. Aufenthaltsrechtlich besteht - bei fehlender Zuständigkeit deutscher Stellen für das Asylverfahren - keine Veranlassung, einen im EU-Ausland gestellten Erst-Asylantrag mit einem in Deutschland gestellten Antrag gleichzustellen. Insbesondere ergibt sich die Notwendigkeit einer solchen Gleichstellung nicht aus Art. 4 Abs. 4 der VO (EG) 343/2003.

4. Soweit das Landgericht darüber hinaus festgestellt hat, es habe die Gefahr bestanden, die Betroffene wolle sich der Zurückschiebung durch Untertauchen entziehen, beruht die Entscheidung auf einer Würdigung der Umstände der Einreise, auf dem Verhalten der Betroffenen nach der von ihr geschilderten Ankunft in B... und der Tatsache, dass sie nicht über gültige Papiere verfügt. Die tatsächlichen Ermittlungen des Landgerichts sind nach der Auffassung des Senats vorliegend indes nicht vollständig; die amtswegige Erforschung des Sachverhalts (§ 12 FGG) hätte unter den vorliegenden Umständen die Anhörung der Betroffenen durch die Kammer erfordert.

Zwar ist, nachdem bereits das Amtsgericht die Betroffene angehört hatte, eine zweite Anhörung nicht ohne Weiteres zwingend erforderlich. Der Vertreter der Betroffenen führt jedoch zutreffend aus, dass die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts sehr knapp gehalten sind und sich im Wesentlichen auf die Illegalität der Einreise beschränken. Soweit das Amtsgericht darüber hinaus gemeint hat, die Betroffene habe versucht, über ihre Identität zu täuschen, hat das Landgericht eine dahin gehende Feststellung gerade nicht getroffen, sondern diese Frage offen gelassen.

Im Übrigen kann der Umstand, dass die Betroffene, wovon auch die Antragstellerin ausgeht, auf dem Wege zur Ausländerpolizei war, nicht ganz unberücksichtigt bleiben. Die Betroffene hat hierdurch zum Ausdruck gebracht, sich - wenn auch mit mehrmonatiger Verspätung, was in der Regel nicht ausreicht - wenigstens partiell an die Rechtsordnung in der Bundesrepublik halten zu wollen. Weiterhin kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Betroffene in einem mittleren Stadium schwanger war. Rein faktisch dürfte es für eine schwangere Ausländerin aus Kenia ohne hinreichende Deutschkenntnisse außerordentlich schwer sein, nachhaltig in Deutschland unterzutauchen.

Vor diesem Hintergrund war das Landgericht, um die prognostische Frage nach der Abschiebungs-Entziehungs-Gefahr zu überprüfen, gehalten, die Betroffene anzuhören. Die Anhörung hätte nach dem Verfahrensverlauf auch ohne eine unzumutbare Überbeschleunigung vor dem Vollzug der Zurückschiebung durchgeführt werden können.

Bereits am 16. Oktober 2008, als das Landgericht die Einholung eines gynäkologischen Attestes angeordnet hat, hätte die Möglichkeit bestanden, einen Anhörungstermin anzuberaumen. Nach Vorlage des Attestes am 17. Oktober 2008 ist eine Terminierung nicht erfolgt, ohne dass sich den Akten zwingende Gründe hierfür entnehmen ließen. Nachdem der Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen mit Telefax vom 24. Oktober 2008 den geplanten Abschiebungstermin am Montag, dem 27. Oktober 2008, mitgeteilt hatte, war die Anberaumung eines Termins offenbar nicht mehr tunlich. Der Senat teilt demgemäß die Auffassung, die letztlich auch in dem angefochtenen Beschluss zum Ausdruck gekommen ist (S. 14 des Umdrucks, 1. Abs.), dass - eigentlich - eine Anhörung erforderlich gewesen sei. Dass diese wegen des Zeitablaufs oder sonstige Umstände nicht hat durchgeführt werden können, ist demgegenüber nicht zu ersehen.

Es ist nicht auszuschließen, dass die Anhörung der Betroffenen im Hinblick auf die Prognose der Frage, ob die Betroffene freiwillig nach Frankreich zurückkehren oder sich dem entziehen werde, zu einer anderen Beurteilung des Landgerichts hätte führen können. Da sich die Betroffene nunmehr in Frankreich aufhält und die maßgeblichen Fragen durch Zeitablauf gegenstandslos geworden sind, ist der Verfahrensfehler nicht mehr im Wege der Aufhebung und Zurückverweisung zu beheben. Demgemäß ist zu Gunsten der Betroffenen davon auszugehen, dass der Haftgrund des § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 AufenthG nicht gegeben war.

5. Entsprechendes gilt für den Haftgrund des § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG. Auch insoweit ist nicht auszuschließen, dass die Betroffene der Kammer anlässlich einer Anhörung glaubhaft hätte machen können, dass sie sich der Abschiebung nicht entziehen werde (vgl. § 62 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG).

6. Nach dem Ausgeführten kommt es für die Entscheidung des Falles auf die vom OLG Saarbrücken vertretene - vom entscheidenden Senat nicht geteilte - Auffassung nicht an, ein im EU-Ausland wirksam gestellter Asylantrag stehe der Anordnung von Abschiebehaft entgegen. Einer Vorlage des Verfahrens an den Bundesgerichtshof gemäß § 28 Abs. 2 S. 1 FGG bedarf es daher nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 16 FGG.

Ende der Entscheidung

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