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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 19.02.2008
Aktenzeichen: 12 U 16/08
Rechtsgebiete: ZPO, GVG


Vorschriften:

ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 233
ZPO § 517
ZPO § 522 Abs. 1
ZPO § 522 Abs. 1 Satz 2
GVG § 72
GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

12 U 16/08 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Pastewski, den Richter am Oberlandesgericht van den Bosch und die Richterin am Amtsgericht Eggers-Chemseddine

am 19. Februar 2008

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers vom 18. Januar 2008 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist wird zurückgewiesen.

Die Berufung des Klägers vom 18.01.2008 gegen das am 08.10.2007 verkündete Urteil des Amtsgerichts Königs Wusterhausen, Az.: 4 C 164/06, wird verworfen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe:

I.

Mit am 08.10.2007 verkündetem Urteil hat das Amtsgericht Königs Wusterhausen der Klage des Klägers auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall gegen die Beklagten teilweise statt gegeben und die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1208,56 € zu zahlen. Der Beklagte zu 2) hat zur Zeit der Zustellung der erstinstanzlichen Klage am 04.04.2007 wie auch in der Folgezeit seinen Wohnsitz in Polen gehabt. Das Urteil ist dem Kläger am 10.10.2007 zugestellt worden.

Mit der am 08.11.2007 beim Landgericht Potsdam per Faxschreiben eingegangenen Berufung hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt, soweit das Amtsgericht Königs Wusterhausen seine Klage abgewiesen hatte. Die Berufungsschrift vom 07.11.2007 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers an das Landgericht Potsdam adressiert.

Mit am 18.01.2008 eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger nunmehr beim Brandenburgischen Oberlandesgericht gegen das am 08.10.2007 verkündete Urteil des Amtsgerichts Königs Wusterhausen Berufung eingelegt. Weiterhin hat der Kläger beantragt, ihm gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung hat er unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgeführt, dass es für das angerufene Landgericht ohne weiteres erkennbar gewesen sei, dass die ausschließliche funktionelle Zuständigkeit des Oberlandesgerichts wegen eigener Unzuständigkeit aufgrund Auslandsbezugs gegeben sei. Dem Landgericht sei es auch im normalen Geschäftsgang möglich gewesen, bis zum Ablauf der Berufungsfrist am 12.11.2007 um 24:00 Uhr die Sache an das funktionell zuständige Oberlandesgericht in Brandenburg weiterzuleiten. Der Weiterleitung habe auch nichts im Wege gestanden. Insbesondere sei die Akte bereits keine 24 Stunden später einer Bearbeitung zugeführt worden, so dass die Berufungsschrift dem Oberlandesgericht auch bis zum Ablauf des 12.11.2007 zugeführt worden wäre.

II.

Die Berufung ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Sie ist nicht rechtzeitig beim zuständigen Brandenburgischen Oberlandesgericht innerhalb der einmonatigen Berufungsfrist des § 517 ZPO, die mit Ablauf des 12.11.2007 endete (§§ 222 Abs. 2 ZPO, 188 BGB), sondern erst am 18.01.2008 eingelegt worden.

Gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) GVG ist das Oberlandesgericht zuständig, da der Beklagte zu 2) seinen allgemeinen Gerichtsstand im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit in erster Instanz (BGH, NJW 2003, 2686) außerhalb des Geltungsbereichs des Gerichtsverfassungsgesetzes, nämlich in Polen, hatte. Diese Regelung findet auch bei Streitgenossen Anwendung, bei denen nur einer den ausländischen Gerichtsstand hat (BGH, NJW 2003, 2686 f.). Die am 08.11.2007 beim unzuständigen Landgericht eingegangene Berufungsschrift des Klägers hat die Berufungsfrist nicht wahren können.

Dem Kläger ist auch die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu versagen. Der Antrag ist zwar zulässig, da form- und fristgerecht gestellt (§§ 234, 236 ZPO), er hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, da der Kläger nicht im Sinne von § 233 ZPO an der Einhaltung der Notfrist des § 517 ZPO ohne Verschulden verhindert war.

Den Prozessbevollmächtigten des Klägers trifft ein Verschulden an der Versäumung der Berufungsfrist, das sich der Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss, da er in Verkennung des § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) GVG die Berufung nicht beim zuständigen Brandenburgischen Oberlandesgericht, sondern beim unzuständigen Landgericht eingelegt hat. Das Verschulden ist auch nicht deshalb folgenlos, weil das unzuständige Landgericht die bei ihm eingegangene Berufungsschrift nicht innerhalb der Berufungsfrist an das Oberlandesgericht weitergeleitet hat.

Aus dem Gebot des fairen Verfahrens, das sich aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ergibt, folgt zwar, dass ein Gericht, bei dem das Verfahren in erster Instanz anhängig gewesen ist, gehalten ist, fristgebundene Schriftsätze für das Rechtsmittelverfahren, die bei ihm eingereicht werden, an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Geht danach ein Schriftsatz so zeitig bei dem mit der Sache befassten Gericht ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf die Partei nicht nur darauf vertrauen, dass der Schriftsatz weitergeleitet wird, sondern auch darauf, dass er noch fristgerecht beim Rechtsmittelgericht eingeht (BVerfGE, 93, 99, 113 ff; NJW 2001, 1343, NJW 2005, 2137, 2138); BGH, NJW 1998, 908; NJW-RR 2004, 1655).

Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch ausdrücklich offen gelassen, ob diese Grundsätze auch für ein unzuständiges Gericht gelten, das vorher nicht mit der Sache befasst war, wie hier das Landgericht (NJW 2001, 1343).

Selbst wenn dies zu bejahen wäre, war die fristgerechte Weiterleitung der Berufungsschrift an das Oberlandesgericht nicht zu erwarten. Es kann dahinstehen, ob bereits aus der Berufungsschrift oder erst aus den beigezogenen Akten des Amtsgerichts, die am 20.11.2007 beim Landgericht eingingen, sicher zu entnehmen war, dass der Kläger schon im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit seinen allgemeinen Gerichtsstand außerhalb des Geltungsbereiches des Gerichtsverfassungsgerichts hatte.

Die Prüfung der Zulässigkeit der Berufung einschließlich der Zuständigkeit ist nach § 522 Abs. 1 ZPO Aufgabe des Gerichts in Gestalt der Richter, nicht der nach Eingang der Berufung am 09.11.2007 die Erstverfügung vornehmenden Geschäftsstellenbeamten. Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts war für den bearbeitenden Geschäftsstellenbeamten auch nicht leicht und einwandfrei zu erkennen, weil die erst zum 01.01.2002 aufgrund des Zivilprozessreformgesetzes eingefügte Vorschrift des § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) GVG von der bis dahin gültigen Regel des § 72 GVG abweicht, wonach die Landgerichte in den vor den Amtsgerichten verhandelten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten - ausgenommen die von den Familiengerichten entschiedenen Sachen- für die Rechtsmittel der Berufung und Beschwerden zuständig waren. Eine Weiterleitung der Berufungsschrift konnte erst erwartet werden, als dem Kammervorsitzenden oder dessen Vertreter die Akte vorgelegt worden war (BGH, NJW 2005, 3776 f.). Die Vorlage ist erstmals nach Eingang des Antrags des Klägers auf Verlängerung der Berufungsfrist am 04.12.2007 erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt war die Berufungsfrist bereits abgelaufen. Das Gebot des fairen Verfahrens erfordert es auch nicht, dass das angegangene Berufungsgericht unmittelbar nach Eingang einer Berufungsschrift seine Zuständigkeit prüft, um diesbezügliche Fehler des Rechtsmittelführers ausgleichen zu können (BGH, NJW 2005, 3776 f.). Der Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten muss die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf das unzuständige Gericht verlagert werden (BVerfGE, 93, 99, 113 ff.). Das Gericht kann mit der Prüfung seiner Zuständigkeit warten, bis die Akten ohnehin vorgelegt werden (BGH, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1208,57 € festgesetzt (§§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO).

Ende der Entscheidung

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