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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 02.04.2009
Aktenzeichen: 12 U 214/08
Rechtsgebiete: ZPO, StVG, PflVG, StVO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 156
ZPO § 411 a
ZPO § 511
ZPO § 513
ZPO § 517
ZPO § 519
ZPO § 520
ZPO § 520 Abs. 3 Nr. 2
ZPO § 524
ZPO § 524 Abs. 3 Satz 2
ZPO § 531 Abs. 2
ZPO § 546
StVG § 7 Abs. 1
StVG § 11
StVG § 17 Abs. 1
StVG § 17 Abs. 3
StVG § 18 Abs. 1
PflVG § 3
StVO § 3 Abs. 1
StVO § 3 Abs. 3
StVO § 5 Abs. 2
StVO § 5 Abs. 4
StVO § 8 Abs. 2
StVO § 41 Abs. 3 Nr. 6
BGB § 253
BGB § 286
BGB § 288 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Kläger wird das am 5. September 2008 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Neuruppin, Az.: 2 O 478/07, teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1. 4.451,13 €, an die Klägerin zu 2. 2.506,48 € und an die Kläger als Mitgläubiger 486,87 € jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.10.2006 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Anschlussberufung wird hinsichtlich eines Betrages von 5.120,38 € nebst anteiliger Zinsen verworfen; im Übrigen werden Berufung und Anschlussberufung zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten in beiden Instanzen haben der Kläger zu 1. zu 12 %, die Klägerin zu 2. zu 37 % und die Beklagte zu 51 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 1. in beiden Instanzen haben dieser zu 26 % und die Beklagte zu 74 % zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2. haben diese zu 67 % und die Beklagte zu 33 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

1.

Die Anschlussberufung ist hinsichtlich eines Betrages von 5.120,38 € unzulässig. Für die Zulässigkeit der Anschlussberufung ist es gem. §§ 524 Abs. 3 Satz 2, 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO erforderlich, dass die Berufungsbegründung erkennen lässt, aus welchen Umständen sich eine Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben soll. Der Anschlussberufungskläger muss sich mithin mit dem angefochtenen Urteil inhaltlich auseinandersetzen. Bei einem teilbaren Streitgegenstand muss sich die Berufungsbegründung in hinreichend bestimmter Weise auf alle Teile des Urteils erstrecken, hinsichtlich derer eine Abänderung beantragt wird. Soweit eine solche Begründung fehlt, ist die Berufung unzulässig (BGH NJW-RR 2000, S. 1015). Teilbar ist ein Streitgegenstand auch bei Schadensersatzpositionen, die Einheitlichkeit des Anspruchs steht nicht entgegen (vgl. BGH MDR 2004, S. 701). Da die Kläger die erstinstanzlich nicht zugesprochenen Schadenspositionen in vollem Umfang weiterhin verlangen, wären sie gehalten gewesen, sich bezüglich aller dieser Positionen mit den vom Landgericht zu einer Kürzung gegebenen Begründungen auseinanderzusetzen. Dies ist jedoch nicht erfolgt. Die Ausführungen der Kläger beziehen sich allein auf die vom Landgericht ausgesprochene Haftungsquote. Daneben hat das Landgericht aber ausgeführt, dass anstelle des von der Klägerin zu 2. geforderten Schmerzensgeldes in Höhe von 7.500,00 € selbst bei einer alleinigen Haftung der Beklagten lediglich ein Schmerzensgeld von 3.000,00 € gerechtfertigt sei und dass im Hinblick auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten mangels einer besonderen Schwierigkeit oder eines besonderen Umfanges statt des in Ansatz gebrachten Faktors von 1,8 lediglich ein solcher von 1,3 gerechtfertigt sei. Wegen der weitergehenden Schmerzensgeldforderung von 4.500,00 € ist ebenso wie wegen der Rechtsanwaltskosten, die auf dem Ansatz eines Faktors von mehr als 1,3 und einem Gegenstandswert von mehr als 11.072,94 € beruhen (eingeklagter materieller Schadensersatz des Kläger zu 1. von 6.039,10 € zuzüglich eingeklagter materieller Schadensersatz der Klägerin zu 2. von 133,10 € zuzüglich zulässige Schmerzensgeldforderung der Klägerin zu 2. von 3.000,00 € zuzüglich vorgerichtliche Zahlung der Beklagten von 1.900,74 €) die Anschlussberufung bereits unzulässig. Hinsichtlich der vorgerichtlichen Anwaltskosten erfasst dies einen Betrag von 620,38 € der mit der Anschlussberufung geltend gemachten Gebühren von 715,66 €. Bei einem Gegenstandswert von 11.072,94 € und einem Gebührensatz von 1,3 fallen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 837,52 € an, auf die die Beklagte vorgerichtlich 231,53 € gezahlt hat. Angesichts des vom Landgericht zugesprochenen weiteren Betrages von 510,71 € verbleibt lediglich ein Restbetrag von 95,28 €, hinsichtlich dessen die Kläger eine Verbesserung erzielen können.

Im Übrigen sind Berufung und Anschlussberufung zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 511, 513, 517, 519, 520, 524 ZPO. Die Beklagte stützt ihr Rechtsmittel darauf, das Landgericht habe zu Unrecht einen Verstoß ihres Versicherungsnehmers gegen ein Überholverbot angenommen, obwohl dieser lediglich im Rahmen eines Ausweichmanövers die Sperrfläche überfahren habe. Die Kläger stützen die Anschlussberufung darauf, das Landgericht habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass dem Versicherungsnehmer der Beklagten ein Geschwindigkeitsverstoß sowie das Überholen an einer unübersichtlichen Stelle anzulasten sei. Beide Seiten sind der Ansicht, aus den jeweils genannten Gründen sei eine alleinige Haftung der Gegenseite gerechtfertigt. Sie zeigen damit Rechtsfehler auf, auf denen das Urteil beruhen kann, §§ 513, 546 ZPO.

2.

In der Sache hat die Anschlussberufung teilweise Erfolg; die Berufung greift lediglich in geringer Höhe hinsichtlich der vom Landgericht zugesprochenen Rechtsanwaltskosten.

Die Kläger haben gegen die Beklagte aufgrund des Unfalles vom 07.09.2006 jeweils einen Schadensersatzanspruch betreffend die ihnen entstandenen Schäden aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 18 Abs. 1, 11 StVG, 3 PflVG unter Berücksichtigung einer Mitverursachungsquote von 20 %. Der Kläger zu 1. kann die Zahlung eines Betrages von 4.451,13 € und die Klägerin zu 2. kann eine Leistung von 2.506,48 € beanspruchen.

a) Zutreffend hat das Landgericht eine Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge nach § 17 Abs. 1 StVG vorgenommen. Ein unabwendbares Ereignis gem. § 17 Abs. 3 StVG liegt für keine Seite vor. Unabwendbar in diesem Sinne ist ein Ereignis, das durch die äußerste mögliche Sorgfalt eines Idealfahrers nicht abgewendet werden kann, wobei ein schuldhaftes Fehlverhalten ein unabwendbares Ereignis ausschließt und darlegungs- und beweisbelastet für die Unabwendbarkeit des Unfalles derjenige ist, der sich entlasten will (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrrecht, Kommentar, 40. Aufl., § 17 StVG, Rn. 22 f, m. w. N.). Hinreichende Tatsachen für die Annahme eines unabwendbaren Ereignisses sind von keiner Seite vorgetragen und nachgewiesen worden. So haben die Kläger nicht nachgewiesen, dass ein idealer Fahrer anstelle der Klägerin zu 2. bei einem vorsichtigen Hineintasten in den Kreuzungsbereich die Kollision nicht hätte vermeiden können. Auch konnte die Beklagte nicht belegen, dass es einem idealen Fahrer nicht möglich gewesen wäre, das Befahren der Sperrfläche zu vermeiden.

Im Rahmen der Abwägung der Verursachungsbeiträge nach § 17 Abs. 1 StVG ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, insbesondere darauf inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge sind unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nur unstreitige bzw. zugestandene und bewiesene Umstände einzustellen (vgl. BGH NJW 2007, S. 506; KG NZV 1999, S. 512; NZV 2003, S. 291; Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 17 StVG, Rn. 5 m. w. N.). Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die nach § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will (BGH NZV 1996, S. 231).

Zu Lasten der Kläger ist ein Verstoß der Beklagten zu 1. gegen § 8 Abs. 2 StVO zu berücksichtigen. Grundsätzlich spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine schuldhafte Vorfahrtsverletzung des Wartepflichtigen (BGH NJW 1976, S. 1317; KG NZV 2002, S. 79; Hentschel/König/Dauer, a .a .O., § 8 StVO, Rn. 68 m. w. N.). Dieser Anschein kann nur durch bewiesene Tatsachen entkräftet werden, z. B. durch den Nachweis, dass der Berechtigte auch bei größter Sorgfalt vom Wartepflichtigen nicht hätte gesehen werden können (OLG München ZfS 1997, S. 245; Hentschel/König/Dauer, a. a. O., m. w. N.). Das Vorfahrtsrecht des Berechtigten bezieht sich dabei auf die gesamte Fahrbahnbreite (vgl. Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 8 StVO, Rn. 28). Auch besteht grundsätzlich die Berechtigung des nachfolgenden Verkehrs auf der Vorfahrtsstraße, an einem vorausfahrenden Rechtsabbieger im Kreuzungsbereich vorbeizufahren, worauf sich der Wartepflichtige einstellen und auch insoweit eine Gefährdung des Vorfahrtberechtigten ausschließen muss. Zudem ist auch dieser Fall von dem Erfahrungssatz umfasst, wonach regelmäßig eine Vorfahrtsverletzung vorliegt, wenn ein Wartepflichtiger beim Überqueren einer Vorfahrtsstraße oder beim Einbiegen nach links mit einem Vorfahrtberechtigten zusammenstößt bzw. wenn es beim Einbiegen nach rechts zu einer Kollision mit einem sich von links nähernden Vorfahrtberechtigten kommt (BGH NJW 1982, S. 2668). Dahinstehen kann für den vorliegenden Fall eines Linksabbiegens durch die Klägerin zu 2., ob ein Anscheinsbeweis nicht besteht, wenn der Wartepflichtige nach rechts in eine Vorfahrtsstraße einbiegt und dabei auf der rechten Fahrbahnseite gegen einen von rechts kommenden und im Überholen begriffenen Verkehrsteilnehmer stößt (so BGH NJW 1982, a. a. O.; anderer Ansicht: OLG Oldenburg VRS 78, S. 25). Vorliegend ist nach dem Beweis des ersten Anscheins von einem Vorfahrtsverstoß der Klägerin zu 2. auszugehen. Dem Versicherungsnehmer der Beklagten war es grundsätzlich nicht untersagt, an einem vor ihm fahrenden Rechtsabbieger vorbeizufahren, sodass dieser Gesichtspunkt nicht zur Unanwendbarkeit des gegen die Klägerin zu 2. sprechenden Anscheinsbeweises führt. Insbesondere bestand ein ausdrückliches Überholverbot an der Unfallstelle nicht. Lediglich das Befahren der Sperrfläche war nicht gestattet. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass im Bereich der rechten Fahrspur bei Einhaltung eines entsprechenden Seitenabstandes gerade ein Motorradfahrer einen vor ihm fahrenden Rechtsabbieger in zulässiger Weise passieren kann. Darauf muss sich der wartepflichtige Verkehr einstellen und die Vorfahrt eines an einem Rechtsabbieger vorbeifahrenden Fahrzeuges gewährleisten.

Der gegen die Kläger sprechende Anscheinsbeweis ist nicht erschüttert. Die Kläger haben nicht den Nachweis führen können, dass die Klägerin zu 2. den Versicherungsnehmer der Beklagten nicht rechtzeitig hat wahrnehmen können. Dabei führt eine Sichtverdeckung durch die nach dem ausdrücklichen Vortrag der Kläger in der Klageschrift zwischen der Klägerin zu 2. und dem Versicherungsnehmer der Beklagten befindlichen drei Rechtsabbieger nicht zu einer Entlastung der Klägerin zu 2., da diese erst dann in die Vorfahrtstraße hätte einfahren dürfen als feststand, dass sie nicht einem Kraftfahrzeug, das an den Rechtsabbiegern vorbeifuhr, die Vorfahrt nahm.

Auch dem Versicherungsnehmer der Beklagten ist ein verkehrswidriges Verhalten vorzuwerfen. Allerdings haben die Kläger einen Verstoß des Versicherungsnehmers der Beklagten gegen § 3 Abs. 3 StVO wegen Überschreitung der an der Unfallstelle grundsätzlich zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h nicht nachgewiesen. Das im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin zu 2. eingeholte Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. K., das im vorliegenden Rechtsstreit gem. § 411 a ZPO zu verwerten ist, errechnet nachvollziehbar und überzeugend eine Kollisionsgeschwindigkeit des Motorrades von 55 - 75 km/h sowie - unter Berücksichtigung der Bremsspuren und der Rutschstrecke des Motorrades - eine Bremsausgangsgeschwindigkeit von 70 - 90 km/h. Gegen diese Feststellungen wenden sich beide Seiten auch nicht. Zugleich ist damit jedoch eine Geschwindigkeit oberhalb 70 km/h nicht nachgewiesen.

Der Beklagten ist jedoch ein erheblicher Verstoß ihres Versicherungsnehmers gegen § 3 Abs. 1 StVO vorzuwerfen. Entgegen den Ausführungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat und im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 16.03.2009 geht der Senat weiterhin davon aus, dass sich die Kolonne von drei Rechtsabbiegern noch auf der Vorfahrtsstraße befand, der Versicherungsnehmer der Beklagten mithin an diesen Fahrzeugen vorbeigefahren ist. Entsprechendes ist von den Klägern in der Klageschrift vorgebracht worden, indem sie ausführen, die Klägerin zu 2. sei davon ausgegangen, dass diese Fahrzeuge nach rechts abbiegen würden und sei dann in den Kreuzungsbereich eingefahren. Daraus ergibt sich zugleich, dass sich die drei Rechtsabbieger noch auf der Vorfahrtsstraße befunden haben. Gleiches ergibt sich auch aus der Klageerwiderung. Die Beklagte hat vorgetragen, der Motorradfahrer sei nach links herübergezogen, um sodann an den rechtsabbiegenden Fahrzeugen links vorbeizufahren. Damit ist der Vortrag der Kläger bestätigt worden. Soweit die Beklagte in der Berufungsinstanz in Abrede stellt, dass sich die Rechtsabbieger noch auf der Vorfahrtsstraße befunden haben, bevor ihr Versicherungsnehmer sein Überhol- bzw. Ausweichmanöver eingeleitet hat, handelt es sich um neuen Vortrag, der mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen ist. In der geschilderten Verkehrssituation durfte der Versicherungsnehmer jedoch keinesfalls mit 70 km/h an den vor ihm befindlichen Fahrzeugen vorbei und in den Einmündungsbereich hineinfahren.

Unstreitig befanden sich vor dem Motorrad 3 Fahrzeuge, die allesamt nach rechts in die Auffahrt zur Bundesstraße einbiegen wollten. Dabei handelte es sich bei dem ersten Fahrzeug um einen Sattelschlepper. Dieser hatte sich nach Angaben des Zeugen Kr., der sich hinter dem Sattelzug befand (in der Berufungsinstanz geht die Beklagte anscheinend davon aus, dass der Zeuge der Fahrer des Sattelzuges gewesen ist) zwar schon im Abbiegevorgang befunden, jedoch befand sich der Auflieger noch auf der Hauptstraße.

Die vom Versicherungsnehmer der Beklagten genutzte Fahrbahn war durch die vor der Einmündung befindliche Sperrfläche auf 3,70 m verengt, wie sich aus der polizeilich gefertigten Skizze der Unfallstelle ergibt. Zwar wird hierdurch das Passieren der vorausfahrenden Rechtsabbieger noch nicht unzulässig, vielmehr durfte der Versicherungsnehmer der Beklagten bei Einhaltung eines ausreichenden Seitenabstandes an den Rechtsabbiegern links vorbeifahren - solange er hierzu seine Spur nicht verlassen musste. Die Fahrbahnverengung und der damit dem Motorradfahrer verbleibende Raum zum Passieren der vorausfahrenden Kraftfahrzeuge verlangten hingegen eine Reduzierung der Geschwindigkeit auf ein deutlich unterhalb der grundsätzlich zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Keinesfalls war es dem Versicherungsnehmer der Beklagten gestattet auf einer 3,70 m breiten Fahrbahn mit einer Geschwindigkeit von 70 km/h zwei Pkw und einen Sattelschlepper zu überholen. In der konkreten Situation stellt zur Überzeugung des Senats eine Geschwindigkeit des Motorrades von 35 km/h eine Fahrt mit unangepasster Geschwindigkeit dar. Dem Versicherungsnehmer der Beklagten ist daher eine Geschwindigkeitsüberschreitung von jedenfalls 100 % vorzuwerfen.

Weiterhin liegt ein Verstoß des Versicherungsnehmers der Beklagten gegen § 41 Abs. 3 Nr. 6 Zeichen 298 StVO vor, denn der Motorradfahrer durfte die an der Unfallstelle befindliche Sperrfläche nicht überfahren. Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, der Motorradfahrer habe insoweit ein Ausweichmanöver durchführen müssen. Ein berechtigtes Ausweichen über die Sperrfläche und mithin ein schuldloser Verstoß gegen § 41 Abs. 3 Nr. 6 StVO kam vorliegend schon deshalb nicht in Betracht, weil der Motorradfahrer den zuvor begonnenen Überholvorgang in der beabsichtigten Weise nicht hätte durchführen dürfen. Neben der bereits festgestellten erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung hat der Versicherungsnehmer auch gegen § 5 Abs. 4 StVO verstoßen. Denn wie ausgeführt ist es als unstreitig anzusehen, dass der sich an der Spitze der Rechtsabbieger befindende Sattelzug seinen Abbiegevorgang noch nicht beendet hatte. Ein Überholen war in dieser Lage angesichts der Fahrbahnbreite von nur 3,70 m unmittelbar vor dem Einmündungsbereich und dem in Rechnung zu stellenden Ausschwenken des Aufliegers des Sattelzuges, das den im Regelfall einzuhaltenden Seitenabstand von einem Meter (vgl. hierzu KG NZV 2007, S. 626; Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 5 StVO, Rn. 54) nicht mehr als hinreichend erscheinen lässt, nicht zulässig. Der Versicherungsnehmer der Beklagten hätte mithin den Überholvorgang der vor ihm fahrenden Kolonne jedenfalls vor dem Passieren des Sattelschleppers abbrechen müssen. Die Beklagte kann sich somit auch nicht auf ein Notmanöver berufen, das ihren Versicherungsnehmer zum Überfahren der Sperrfläche genötigt habe.

Ein weitergehender Verstoß gegen § 5 Abs. 2 StVO ist hingegen nicht nachgewiesen. Zwar hat der Versicherungsnehmer der Beklagten keine hinreichenden Einblicke in die wartepflichtige Straße gehabt, jedoch durfte er grundsätzlich auf eine Beachtung seines Vorfahrtsrechts durch den Querverkehr vertrauen.

Im Ergebnis der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge sieht der Senat eine überwiegende Haftung auf der Seite der Beklagten und hält eine Haftungsquote von 80 % zu 20 % zu Gunsten der Kläger für angemessen. Zwar ist den Klägern der nicht unerhebliche Vorfahrtsverstoß der Klägerin zu 2. anzulasten, jedoch überwiegen die gravierenden Verkehrsverstöße des Versicherungsnehmers der Beklagten, der ein in der konkreten Verkehrssituation völlig unverständliches Verhalten gezeigt hat, das wiederum in dieser Art und Weise auch von der grundsätzlich wartepflichtigen Klägerin zu 2. nicht in Rechnung gestellt werden musste.

Ein weitergehender Schadensersatzanspruch besteht aus den vorgenannten Gründen auch nicht aus §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 253 BGB, 3 Abs. 3 StVO, 3 PflVG.

b) Aufgrund der vorgenannten Quote ergibt sich für den Kläger zu 1. ausgehend von dessen in der Berufungsinstanz nicht mehr streitigem Schaden von 7.939,84 € eine Forderung von 6.351,87 €. Unter Anrechnung der vorgerichtlich von der Beklagten gezahlten 1.900,74 € verbleibt ein Restbetrag von 4.451,13 €.

Die materiellen Schadensersatzforderungen der Klägerin zu 2. belaufen sich auf 133,10 €. Unter Zugrundelegung der Quote von 80 % ergibt sich ein Betrag von 106,48 €.

Weiterhin kann die Klägerin zu 2. ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.400,00 € verlangen. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist in erster Linie dessen Ausgleichsfunktion zu beachten. Insoweit kommt es auf die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung an. Maßgeblich sind Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden, Entstellungen und psychischen Beeinträchtigungen, wobei Leiden und Schmerzen wiederum durch die Art der Primärverletzung, die Zahl und Schwere der Operationen, die Dauer der stationären und der ambulanten Heilbehandlungen, den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit und die Höhe des Dauerschadens bestimmt werden. Im Rahmen der bei normalen Straßenverkehrsunfällen nur eingeschränkt zu berücksichtigenden Genugtuungsfunktion ist insbesondere die Schwere des Verschuldens des Schädigers in Ansatz zu bringen (BGH NJW 1955, S. 1675; NJW 1982, S. 985; VersR 1992, S. 1410; Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 9. Aufl., Rn. 274 ff). Vorliegend hat die Klägerin zu 2. nach ihrem in der Berufungsinstanz von der Beklagten nicht mehr bestrittenen Vortrag eine Distorsion der Halswirbelsäule erlitten. Hierdurch traten akute Schmerzen im Nackenbereich links und im Bereich der Lendenwirbelsäule sowie erhebliche Schmerzen in der Lendenwirbelsäule nach längeren Belastungen und eine eingeschränkte Beweglichkeit auf. Dies hatte eine Arbeitsunfähigkeit im Zeitraum vom 07. bis 29.09.2006 zur Folge. Weiterhin ist infolge des Unfalls eine posttraumatische Belastungsstörung bei der Klägerin aufgetreten, die sich in innerer Unruhe, nächtlichen Schweißausbrüchen, Albträumen, Angstattacken und Schlafstörungen manifestiert und wegen derer sich die Klägerin zu 2. mittlerweile in psychologischer Behandlung befindet. Aufgrund der vorgenannten Umstände sowie unter Berücksichtigung einer Mithaftung der Klägerin zu 2. in Höhe von 20 % erscheint dem Senat ein Schmerzensgeld von 2.400,00 € angemessen aber auch ausreichend.

c) Weiterhin besteht ein Anspruch der Kläger auf Erstattung der ihnen vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten. Vorgerichtliche Anwaltskosten sind zu erstatten, soweit die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts im konkreten Fall zur Durchsetzung der Rechte erforderlich und zweckmäßig war (vgl. BGH NJW 2004, S. 444; Heinrichs in Palandt, BGB, Kommentar, 67. Aufl., § 249, Rn. 39). Dies ist vorliegend der Fall, wie das vorgerichtliche Verhalten der Beklagten, die lediglich einen geringen Teil der begründeten Ansprüche ausgeglichen hat, belegt. Da Zahlungsansprüche des Klägers zu 1. in Höhe von insgesamt 6.351,87 € sowie Forderungen der Klägerin zu 2. von zusammen 2.506,48 € begründet sind, insgesamt also eine Forderung von 8.858,35 €, sind den Klägern die für die außergerichtliche Tätigkeit ihres Anwaltes entstandenen Kosten ausgehend von diesem Betrag als Gegenstandswert zu erstatten (vgl. hierzu auch BGH NJW 2008, S. 1888). Unter Berücksichtigung einer Geschäftsgebühr in Höhe von 583,70 € (1,3 x 449,00 €) sowie einer Auslagenpauschale von 20,00 € ergibt sich unter Einbeziehung der Mehrwertsteuer ein Betrag von 718,40 €. Anzurechnen ist die vorgerichtliche Zahlung der Beklagten von 231,53 €. Es verbleibt damit eine Forderung von 486,87 €. Dieser Betrag liegt unterhalb des vom Landgericht zugesprochenen Betrages von 510,71 €, sodass die Berufung in Höhe von 23,84 € Erfolg hat.

d) Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte befand sich aufgrund der Zahlungsaufforderung der Kläger vom 29.09.2006 mit Fristsetzung zum 13.10.2006 ab dem 14.10.2006 in Verzug.

3.

Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Parteien vom 16., 20.03. und 01.04.2009 geben keinen Anlass die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen, § 156 ZPO.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 100, 708 Nr. 10, 711 Satz 1, 713 ZPO.

Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 13.672,20 € festgesetzt, § 47 Abs. 1 GKG (Berufung: 5.483,22 €; Anschlussberufung: 8.188,98 €).

Wert der Beschwer für den Kläger zu 1.: 1.587,97 €,

Wert der Beschwer für die Klägerin zu 2.: 5.126,62 €,

Wert der Beschwer für die Beklagte: 6.957,61 €.

Ende der Entscheidung

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