Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 16.11.2006
Aktenzeichen: 12 U 72/06
Rechtsgebiete: ZPO, VVG, AKB, StGB


Vorschriften:

ZPO §§ 517 ff
VVG § 1
VVG § 6 Abs. 3
VVG § 61
AKB § 7 I Abs. 2 Ziffer c)
AKB § 7 V Abs. 4
AKB § 12 Abs. 1
AKB § 13 Abs. 1
StGB § 20
StGB § 142
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

12 U 72/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 16.11.2006

Verkündet am 16.11.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 19. Oktober 2006 durch

den Richter am Oberlandesgericht Beckmann, den Richter am Oberlandesgericht Funder und den Richter am Oberlandesgericht van den Bosch

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 31. März 2006 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Frankfurt (Oder), Az.: 17 O 470/05, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gemäß den §§ 517 ff ZPO eingelegte Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg. Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten kein Anspruch auf Ersatz der an seinem Fahrzeug entstandenen Schäden aus §§ 1 VVG, 12 Abs. 1, 13 Abs. 1 AKB in Verbindung mit dem zwischen den Parteien geschlossenen Kaskoversicherungsvertrag zu. Die Beklagte ist gemäß § 6 Abs. 3 VVG, § 7 V Abs. 4 AKB aufgrund einer Obliegenheitsverletzung des Klägers von ihrer Leistungspflicht frei geworden.

1.

Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Prozessführungsbefugnis des Klägers gegeben. Soweit sich aus den von dem Kläger zur Begründung seines Feststellungsantrages vorgelegten Unterlagen, insbesondere der eingereichten Kopie des Darlehensvertrages mit der ...-Bank (Bl. 32 f GA), ergibt, dass der Kläger zur Sicherheit der Ansprüche aus dem Darlehensvertrag auch die Ansprüche aus der Fahrzeugversicherung einschließlich des Anspruchs auf Rückprämie an die ...-Bank abgetreten hat, liegt eine gewillkürte Prozessstandschaft vor, gegen deren Zulässigkeit im Streitfall keine Bedenken bestehen. Die erforderliche Ermächtigung durch den Rechtsinhaber wird bei einer Sicherungsabtretung grundsätzlich vermutet (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., vor § 50 Rn. 45 m.w.N.). Ein eigenes wirtschaftliches Interesse des Klägers an der Geltendmachung des Anspruchs im eigenen Namen ist ebenfalls gegeben. Schutzwürdige Belange der Beklagten, die einer Geltendmachung des Anspruchs durch den Kläger im eigenen Namen entgegenstehen, sind nicht ersichtlich.

2.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Dabei kann offen bleiben, ob der Kläger ohnehin nur Zahlung an die ...-Bank als Sicherungszessionar hätte verlangen können und die Klage daher schon deshalb unbegründet ist, weil der Kläger trotz eines Hinweises in der mündlichen Verhandlung durch den Senat seine mit der Berufung verfolgten Anträge nicht umgestellt hat, sondern weiterhin Zahlung an sich begehrt. Der geltend gemachte Anspruch gegenüber der Beklagten besteht nicht, da die Beklagte von ihrer Verpflichtung zur Leistung aus dem Versicherungsvertrag frei geworden ist, indem der Kläger gegen seine Obliegenheit aus § 7 I Abs. 2 Ziffer c) AKB verstoßen hat. Danach ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann. Diese Obliegenheit hat der Kläger im Streitfall verletzt.

a)

Eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit ist allerdings nicht darin zu sehen, dass der Kläger vor Feststellung seiner Personalien und der Tatsache, dass er an dem Unfall beteiligt war, den Unfallort verlassen hat. Zwar liegt eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit regelmäßig auch bei eindeutiger Haftungslage vor, wenn der Versicherungsnehmer den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 142 StGB erfüllt hat. Ohne ausdrückliche vertragliche Vereinbarung ist davon auszugehen, dass die vertragliche Aufklärungsobliegenheit die strafrechtlich sanktionierte Rechtspflicht mit umfasst. Das bloße Verlassen der Unfallstelle stellt daher immer dann eine Aufklärungsobliegenheitsverletzung dar, wenn dadurch der Tatbestand des § 142 StGB erfüllt wird, während bei einem fehlenden Verstoß gegen § 142 StGB auch keine entsprechende Verletzung der Aufklärungsobliegenheit gegeben ist (vgl. BGH, NJW 1987, 2374; BGH VersR 2000, 22 m.w.N.). Ein Verstoß gegen § 142 StGB und mangels entsprechender vertraglicher Vereinbarung einer Verletzung der Aufklärungspflicht scheidet daher immer dann aus, wenn ein Dritter weder am Unfall beteiligt noch dadurch geschädigt worden ist. Im vorliegenden Fall ist ein nicht belangloser Fremdschaden nicht entstanden, da unstreitig der in der Unfallanzeige ursprünglich als geschädigt aufgeführte Fahrbahnbegrenzungspfosten nach der Mitteilung des Landesbetriebes für Straßenwesen mit Schreiben vom 11.05.2005 tatsächlich nicht beschädigt worden ist (Bl. 21 BA). Mangels Fremdschaden ist der objektive Tatbestand des § 142 StGB nicht erfüllt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass sich - wie sich aus den vom Kläger vorgelegten Unterlagen über den Darlehensvertrag ergibt - das verunfallte Fahrzeug im Sicherungseigentum der finanzierenden ...-Bank befand, da bei der Frage des Eigentums im Sinne des § 142 StGB von einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise auszugehen ist, so dass bei der Sicherungsübereignung der Sicherungsgeber allein Geschädigter ist (vgl. OLG Nürnberg, NJW 1977, 1543; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 142 StGB, Rn. 23).

b)

Einer Aufklärungsobliegenheitsverletzung nach § 7 I Abs. 2 c) AKB ist jedoch darin zu sehen, dass der Kläger nach dem Unfall Alkohol zu sich genommen hat. Zwar besteht eine generelle, über die strafrechtlich nach § 142 StGB sanktionierte Verpflichtung hinausgehende Obliegenheit des Versicherungsnehmers, bei der polizeilichen Unfallaufklärung mitzuwirken, bei einem Unfall mit fehlendem Fremdschaden grundsätzlich nicht. Ein Nachtrunk nach einem Unfall stellt daher nicht schon ohne Weiteres eine Aufklärungsobliegenheitsverletzung dar. Etwas anderes gilt jedoch, wenn der Nachtrunk in der Erwartung eines bevorstehenden polizeilichen Eingreifens in der Absicht zu sich genommen wird, eine zum Unfallzeitpunkt bestehende Alkoholisierung bewusst zu verschleiern (vgl. BGH NJW 1976, 371; OLG Hamm, NJW-RR 1992, 165; OLG Frankfurt/Main, VersR 1995, 164; OLG Köln, VersR 1997, 1222; Hentschel, a.a.O., Rn. 76).

Ein solcher Fall liegt hier vor. Aufgrund der vorliegenden Indiztatsachen steht es zur Überzeugung des Senates fest, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt in einem nicht mehr feststellbaren Maße alkoholisiert war und den Nachtrunk zu sich genommen hat, um die Tatsache seiner Alkoholisierung bewusst zu verschleiern. Dafür sprechen die dem gesamten Akteninhalt einschließlich der beigezogenen Strafakten zu entnehmenden Gesamtumstände. So hat die im Ermittlungsverfahren als Zeugin gehörte Y... F..., bei der der Kläger zunächst nach dem Unfall an der Wohnungstür geklingelt hatte, nach dem Aktenvermerk vom 08.04.2005 zunächst angegeben, der Kläger sei zu diesem Zeitpunkt alkoholisiert gewesen (Bl. 23 der Bußgeldakte). Soweit die Zeugin in ihrer förmlichen Zeugenvernehmung vom 17.05.2005 demgegenüber angegeben hat, sie wisse nicht, ob der Kläger Alkohol getrunken habe, erscheint dem Senat diese geänderte Aussage unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Zeugin zuvor ausdrücklich gebeten hatte, in dem Verfahren nicht namentlich benannt zu werden, nicht glaubhaft. Für eine Alkoholisierung des Klägers zum Unfallzeitpunkt spricht darüber hinaus neben der Tatsache, dass der Kläger nach den Feststellungen der ermittelnden Polizeibeamten (Bl. 8 der Bußgeldakte) nicht unerheblich verletzt wurde, sich dennoch weigerte, einen Arzt oder ein Krankenhaus aufzusuchen, auch die bereits vom Landgericht angesprochene Tatsache, dass gegenüber den klingelnden Polizeibeamten über eine halbe Stunde lang nicht die Wohnungstür geöffnet wurde. Gegenüber den Polizeibeamten gab der Kläger im Übrigen an, sich an nichts mehr erinnern zu können, und behauptete sogar, dass eine andere Person gefahren sei. Hinzu kommt, dass der Kläger weder gegenüber den Polizeibeamten noch im weiteren Verlauf des Verfahrens konkrete Angaben zum Zeitpunkt und der Menge des zu sich genommenen Nachtrunkes gemacht hat. In der Gesamtschau dieser Umstände bestehen für den Senat danach keine erheblichen Zweifel daran, dass Nachtrunk erfolgte, um die Feststellung einer zum Unfallzeitpunkt tatsächlich vorhandenen Alkoholisierung zu erschweren. Diesen gegen ihn sprechenden Indizienbeweis hat der Kläger weder entkräftet noch widerlegt.

Die Beklagte ist im vorliegenden Rechtsstreit nicht daran gehindert, sich auf eine Aufklärungsobliegenheitsverletzung aufgrund des Nachtrunks zu berufen, obwohl sie sich in ihrem Ablehnungsschreiben ausschließlich auf das unerlaubte Entfernen vom Unfallort gestützt hat. Der Versicherer ist nicht gehindert, im Laufe des Rechtsstreits eine Leistungsfreiheit mit anderen oder weiteren Gründen zu rechtfertigen, die er in dem Ablehnungsschreiben noch nicht vorgebracht hat (vgl. BGH VersR 1970, 826).

Das Verhalten des Klägers war auch versicherungsrechtlich relevant im Sinne der Relevanzrechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Im vorliegenden Fall ist bereits nicht von einer Folgenlosigkeit der Obliegenheitsverletzung auszugehen, da es aufgrund des Nachtrunks für die Beklagte nicht mehr möglich ist, sich auf eine Alkoholisierung zum Unfallzeitpunkt zu berufen. Im Übrigen war die Obliegenheitsverletzung auch objektiv generell geeignet, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden, indem - wie hier - dem Versicherer die Möglichkeit genommen wird, Feststellungen zu Ursachen des Unfalls treffen bzw. treffen zu lassen. Der Kläger hat nicht den Beweis dafür geführt, dass ihn kein erhebliches Verschulden im Sinne der Relevanzrechtsprechung trifft. Die nicht näher unterlegte Behauptung, er habe sich in einem Schockzustand befunden, reicht hierfür nicht aus. Ein Schock im medizinischen Sinne, der nur unter außergewöhnlichen äußeren und inneren Bedingungen zustande kommt und lebensbedrohlich sein kann, ist bereits nicht schlüssig dargelegt. Soweit der Kläger vorträgt, er habe eine starke seelische Erschütterung erlitten, liegen darin keine Anhaltspunkte für die Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit oder gar einer Schuldunfähigkeit im Sinne des § 20 StGB. Der mit dem Unfall verbundene Schaden und die damit einhergehende Aufregung genügen dafür nicht (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 1998, 1383; Senat, Urteil vom 14.09.2006 -12 W 21/06).

c)

Ob die Beklagte darüber hinaus von ihrer Leistungspflicht auch aufgrund der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Kläger gemäß § 61 VVG frei geworden ist, kann nach alledem dahinstehen.

3.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil Zulassungsgründe nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Zulassung der Revision ist weder unter dem Gesichtspunkt der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache noch zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung veranlasst.

Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 3 ZPO in Verbindung mit § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG auf 16.400,00 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

Zurück