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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 17.08.2006
Aktenzeichen: 12 W 9/06
Rechtsgebiete: VermG, ZPO, BGB


Vorschriften:

VermG § 30 a Abs. 1 S. 3
ZPO § 127 Abs. 3 Satz 3
BGB § 280
BGB § 839
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

12 W 9/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Pastewski, den Richter am Oberlandesgericht Beckmann und die Richterin am Landgericht Dr. Scheiper

am 17. August 2006

beschlossen:

Tenor:

Dem Kläger wird auf seinen Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Bezug auf die Versäumung der Frist der sofortigen Beschwerde bewilligt.

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Neuruppin vom 4. November 2005, Az.: 3 O 97/05, abgeändert.

Dem Kläger wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. H...Prozesskostenhilfe bewilligt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger verlangt von dem Beklagten Schadensersatz wegen Verletzung anwaltlicher Pflichten, weil er es versäumt hat, nach einem erfolgreich durchgeführten Rehabilitierungsverfahren rechtzeitig beim Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen einen Antrag auf Entschädigung für rechtsstaatswidrig beschlagnahmte Medaillen und Orden zu stellen. Nach dem Vortrag des Klägers sollen im Rahmen einer polizeilichen Durchsuchung seiner Wohnung am 30.09.1982 verschiedene Orden und Medaillen beschlagnahmt worden sein. Mit Beschluss vom 15. 05.2003 hat der 2. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts in einem Rehabilitierungsverfahren die Sicherstellung einer Medaille für Deutsche Volkspflege, einem Verwundetenabzeichen, eines Eisernen Kreuzes, einer Medaille der Olympischen Spiele 1936, einer Ordensspange sowie ein Abzeichen mit Hakenkreuz für rechtsstaatswidrig erklärt und die Maßnahme aufgehoben. Der Kläger zeigte dem Beklagten gegenüber mit Schreiben vom 17.09.2003 den vermeintlichen Wert der Medaillen an. Da dieser jedoch einen Antrag auf Entschädigung für den Verlust an den Vermögenswerten nicht innerhalb der Frist des § 30 a Abs. 1 S. 3 VermG stellte, wurde der Antrag mit Bescheid vom 30.08.2004 abgelehnt. Im nachfolgenden Klageverfahren wurde die Klage nach vorherigem richterlichen Hinweis zurückgenommen und der Bescheid bestandskräftig.

Der Kläger geht nunmehr im Wege des Regresses gegen den Beklagten vor, benennt in diesem Zusammenhang die einzelnen Medaillen und Orden, die bei der Durchsuchung beschlagnahmt worden sein sollen und beziffert deren Wert, zunächst unter Hinweis aus einem Fachkatalog. Im Verlaufe des Rechtsstreits hat er jeweils einen Wert bezogen auf den Beschlagnahmezeitraum im Jahre 1982 angegeben und sich in diesem Zusammenhang auf Zeugenbeweis sowie auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens als Beweismittel bezogen. Für seinen Vortrag, wonach es sich bei dem Eisernen Kreuz um das Großkreuz des Eisernen Kreuzes von 1939 gehandelt habe, hat er ebenfalls Zeugenbeweis angetreten.

Nachdem dem Beklagten am 20.11.2004 ein Vollstreckungsbescheid mit einer Hauptforderung von insgesamt 27.403,96 € zugestellt worden war, hat dieser hiergegen Einspruch eingelegt. Der Kläger beantragt für seinen Antrag, den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Wedding aufrechtzuerhalten, Prozesskostenhilfe.

Das Landgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, der Kläger habe der Höhe nach die Forderung nicht schlüssig dargelegt, weshalb nicht davon ausgegangen werden könne, dass er im Rahmen des Entschädigungsverfahrens eine positive Entscheidung herbeigeführt hätte. Hinsichtlich des mit 45.000,00 DM in Ansatz gebrachten Großkreuzes habe er nicht schlüssig dargelegt, dass er dieses tatsächlich im Besitz gehabt habe und sich die Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts dementsprechend darauf bezogen habe. Im Übergabe-/Übernahmeprotokoll vom 30.09.1982 sei lediglich von einem Eisernen Kreuz die Rede. Vor dem Hintergrund einer Internet-Recherche, wonach das Großkreuz des Eisernen Kreuzes nur ein einziges Mal verliehen worden sei, sei sein Vortrag ebenfalls nicht plausibel. Selbst wenn das Großkreuz in mehreren Exemplaren hergestellt worden sei, müsse der Kläger im Einzelnen darlegen, dass und wie er in den Besitz eines dieser seltenen Exemplare gekommen ist. Es liege auf der Hand, dass ein solches wertvolles Exemplar so aufbewahrt werde, dass es nicht ohne weiteres dem Zugriff marodierender Mannschaftsdienstgrade ausgesetzt sei.

Unabhängig davon fehle es an hinreichend schlüssigem Vortrag zur Anspruchshöhe. Der Kläger habe keine verlässliche Verwertung für den entscheidungserheblichen Tag, dem 30.09.1982, vorgetragen. Hinsichtlich des Zeugenbeweisantrittes bleibe unerfindlich, aus welchen Gründen der benannte Zeuge den Wert beurteilen könne. Es müssten vielmehr verlässliche Quellen genannt werden, wie z. B. Katalogangaben oder Auskünfte von Museumsleitern, die derartige Stücke angekauft oder zumindest ausgestellt hätten. Entsprechendes gelte auch für die übrigen Medaillen und Orden.

Der Kläger hat gegen den ihm am 28.11.2005 zugestellten Beschluss mit einem am 30.12.2005 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt mit der Begründung, entgegen der Ansicht des Landgerichts habe er hinreichend unter Beweis gestellt, dass es sich bei dem Eisernen Kreuz um ein solches in der Ausführung des Großkreuzes gehandelt habe. Der entsprechende Vortrag des Klägers sei auch nicht bestritten worden. Es könnten von ihm keine weiteren Ausführungen darüber verlangt werden, von wem und unter welchen Umständen der Großvaters des Klägers, von dem er das Großkreuz geerbt habe, dieses erworben habe. Hinsichtlich der von ihm angegebenen Werte habe sich das Landgericht über seinen Beweisantritt zu Unrecht hinweggesetzt.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Nachdem der Kläger mit Schreiben des Senats vom 28.06.2006 darauf hingewiesen wurde, dass die sofortige Beschwerde erst nach Ablauf der Monatsfrist beim Landgericht eingegangen ist, hat er mit einem am 03.07.2006 eingegangenen Schriftsatz einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt mit der Begründung, den Schriftsatz der sofortigen Beschwerde vom 16.12.2005 noch am selben Tag zur Post gegeben zu haben.

II.

1.

Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zulässig. Er wurde form- und fristgerecht gestellt (§§ 234, 235 ZPO). Er ist auch begründet. Der Kläger hat glaubhaft gemacht, ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Monatsfrist des § 127 Abs. 3 Satz 3 ZPO verhindert gewesen zu sein (§ 233 ZPO). Er hat durch Vorlage eidesstattlicher Erklärungen seines Prozessbevollmächtigen sowie dessen Büroangestellter hinreichend glaubhaft gemacht. dass der vom 16.12.2005 datierende Beschwerdeschriftsatz noch am selben Tag zur Post gegeben wurde. Angesichts des Fristablaufs erst am 28.12.2006 konnte sich der Prozessbevollmächtigte bei normaler Postlaufzeit darauf verlassen, dass sein Schriftsatz das Landgericht rechtzeitig vor Fristablauf erreichen würde. Der tatsächliche Postlauf von zwei Wochen ist auch unter Berücksichtigung der erst in acht Tagen bevorstehenden Weihnachtsfeiertage derart ungewöhnlich lang, dass seitens des Prozessbevollmächtigten des Klägers keine Veranlassung bestand, den Schriftsatz vorab per Fax zu versenden oder sich beim Landgericht zu vergewissern, ob der Schriftsatz auch tatsächlich rechtzeitig eingegangen ist.

2.

Die damit noch zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Das Landgericht hat die Anforderungen an einen schlüssigen Klagevortrag überspannt. Das Versäumnis des Beklagten, den Entschädigungsantrag rechtzeitig beim Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen einzureichen, führt zu einem Anspruch des Klägers aus § 280 BGB. Soweit der Beklagte mit der Klageerwiderung ausgeführt hat, für den Ersatz des sich aus der rechtsstaatswidrig vorgenommenen Beschlagnahme ergebenden Schadens komme nicht die Regelung des Vermögensgesetzes, sondern ein Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB zur Anwendung, so ist dies unzutreffend. Das Vermögensgesetz verdrängt die allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften, auf die der Berechtigte seinen Herausgabeanspruch nach Aufhebung der rechtsstaatswidrigen Entscheidung ansonsten stützen könnte (Säcker-Busche in Säcker, § 1 VermG, Rn. 191).

Dass es sich bei dem laut Protokoll vom 30.09.1982 beschlagnahmten Eisernen Kreuz um ein solches in der Ausführung des Großkreuzes gehandelt haben soll, hat der Kläger hinreichend schlüssig vorgetragen und unter Beweis gestellt, wobei der diesbezügliche Vortrag durch den Beklagten zunächst nicht bestritten wurde. Mit Schriftsatz vom 27.05.2005 hat er vielmehr "hilfsweise beantragt", die Klage der Höhe nach abzuweisen, worin ansatzweise ein Bestreiten der Höhe der Forderung zu sehen sein kann. Dies beinhaltet nicht ohne weiteres auch ein Bestreiten hinsichtlich der tatsächlich beschlagnahmten Gegenstände. Hierzu hatte der Kläger schlüssig vorgetragen; es reicht aus, dass dargestellt wird, worin die schädigende Handlung besteht und inwieweit sich daraus ein Schaden ergibt. Diese Merkmale erfüllt der Klägervortrag und dies wird auch nicht durch die vom Landgericht von sich aus angestellten Recherchen im Internet zur Geschichte des Großkreuzes des Eisernen Kreuzes in Frage gestellt. Das Landgericht geht selbst zutreffend davon aus, dass der Umstand, dass dieses nur einmal verliehen wurde, nicht von vornherein dagegen spricht, dass es sich um ein solches Großkreuz gehandelt haben kann, weil es nicht entscheidend auf die Verleihung ankommt, sondern es durchaus denkbar ist, dass weitere Exemplare dieses Großkreuzes existiert haben. Der Kläger hat angegeben, inwieweit sich das Großkreuz des Eisernen Kreuzes von dem herkömmlichen Eisernen Kreuz unterscheidet und dass diese Unterschiede gut erkennbar sind. Mithin wäre also dem Zeugenbeweisantritt des Klägers hierzu nachzugehen, sofern man die Einlassung des Beklagten in seinem Schriftsatz vom 26.07.2006 nunmehr als ein Bestreiten in Bezug auf die behauptete Beschlagnahme des Großkreuzes wertet. Das Ergebnis der Beweisaufnahme kann nicht bereits vorweg als für den Kläger ungünstig vorher gesagt werden. Eine vorweggenommene Beweiswürdigung kann zwar im Prozesskostenhilfeverfahren ausnahmsweise zulässig sein. Eine solche Beweisantizipation ist aber nur erlaubt, wenn die Gesamtwürdigung aller schon feststehenden Umstände und Indizien eine positive Beweiswürdigung zugunsten des Antragstellers als ausgeschlossen erscheinen lässt und wenn eine vernünftig und wirtschaftlich denkende Partei, die die Kosten selbst bezahlen müsste, wegen des absehbaren Misserfolges der Beweisaufnahme von einer Prozessführung absehen würde (Zöller-Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 114 Rn. 26 m.w.N.). Ob die vom Kläger benannte Zeugin tatsächlich in der Lage ist, frei von vernünftigen Zweifeln den Klägervortrag in Bezug auf das Großkreuz zu bestätigen, mag zweifelhaft sein; ausgeschlossen erscheint dies jedoch von vornherein nicht.

Auch der Vortrag des Klägers zum Wert der beschlagnahmten Gegenstände kann nicht bereits als unschlüssig angesehen werden. Er hat den Wert dargelegt und hat sich zunächst auf einen Fachkatalog bezogen. Mag dieser zwar nicht die Werte benennen, wie sie im Jahre 1982 zugrunde zu legen sind, so bieten die in dem Katalog angegebenen Werte aber zumindest erst einmal einen Ansatz zur Berechnung des Schadensersatzes. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass dem Kläger zwar auch im Rahmen des Antragverfahrens auf Entschädigung bei dem Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen die materielle Beweislast für die sein Begehren stützenden und begründenden Tatsachen obliegt; dass aber auch ein Amtsermittlungsgrundsatz besteht, d. h. es wäre vor dem Hintergrund der Angaben des Klägers zunächst einmal Sache des Landesamtes gewesen, Ermittlungen über den Wert der Gegenstände anzustellen, wenn es die vom Kläger angegebenen Werte für zweifelhaft erachtete (vgl. Säcker-Busche, a.a.O., Rn 24). Die vom Landgericht bereits zur Schlüssigkeit der Klageforderung für erforderlich gehaltenen weiteren Ermittlungen bei Museumsdirektoren oder sonstigen Fachkundigen stellen deshalb erheblich zu strenge Anforderungen an die Schlüssigkeit des Klagevorbringens. Der Kläger hat insoweit Zeugenbeweis angetreten und eine Person benannt, die er als Sammler von Orden bezeichnet, die auch die Preise kenne, die im Jahre 1982 in der DDR gezahlt worden seien. Überdies hat er die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt, dem - ausgehend davon, dass der Beklagte den Klägervortrag überhaupt in prozessual erheblicher Weise bestreitet - ebenfalls nachzugehen wäre, sofern der Zeugenbeweisantritt sich nicht zu einer Überzeugungsbildung für die vom Kläger aufgestellte Behauptung eignet.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Ende der Entscheidung

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