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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 28.03.2001
Aktenzeichen: 13 U 188/00
Rechtsgebiete: AVB/ARVD 4, VVG, BGB, ZPO, GKG


Vorschriften:

AVB/ARVD 4 § 1 Abs. 1
AVB/ARVD 4 § 5 Nr. 1
VVG § 75
VVG § 17
BGB § 286
BGB § 284
ZPO § 97
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 713
ZPO § 546 Abs. 2
ZPO § 3
GKG § 14 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

13 U 188/00 Brandenburgisches Oberlandesgericht 2 O 163/99 Landgericht Potsdam

Anlage zum Protokoll vom 28.03.2001

verkündet am 28.03.2001

Gutsche Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 7. März 2001 durch den Vorsitzenden Richter a Oberlandesgericht Kahl, den Richter am Oberlandesgericht Boiczenko und die Richterin am Oberlandesgericht Fladée

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 28.06.2000 verkündete Urteil des Landgerichts Potsdam - Az. 2 O 163/99 - abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 26.157,40 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 19.12.1998 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Das Urteil beschwert die Beklagte in Höhe von 16.175,40 DM.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 26.157,40 DM festgesetzt.

Tatbestand:

(abgekürzt gemäß § 543 Abs. 1 ZPO)

Die Klägerin nimmt die beklagte Versicherung auf Leistungen aus einer für ihren Vater abgeschlossenen Reisekrankenversicherung in Anspruch.

Der am 25.07.1937 geborene Vater der Klägerin erlitt im November 1996 aufgrund einer bestehenden Verkalkung der Blutgefäße einen Hinterwandinfarkt des Herzens.

Am 17.02.1998 reiste der Vater der Klägerin nach Deutschland ein. Die Klägerin schloß am 11.03.1998 eine Reisekrankenversicherung zu seinen Gunsten für die Dauer von 3 Monaten ab. Die Geltung der allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Reise-Krankenversicherung nach Tarif ARVD 4 (in der Fassung von August 1997) wurde vereinbart.

Der Versicherte wurde unter dem 15.04.1998 mit der Diagnose "instabile Angina pectoris" in das Herz- und Diabeteszentrum der Universität in Bochum eingeliefert. Am 17.04.1998 wurde der Versicherte in die Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie verlegt, wo ihm am gleichen Tag ein dreifacher aortokoronarer Venenbypass angelegt worden ist. Am 24.04.1998 wurde er zum Zwecke der medizinischen Rehabilitation in eine weitere Klinik nach Bad Oeynhausen verlegt. Die endgültige Entlassung erfolgte am 02.05.1998. Nach Maßgabe der Klageschrift wurden für diese Behandlungen insgesamt 26.157,40 DM in Rechnung gestellt. Diesen Betrag hat die Klägerin mit der Klage eingefordert.

Das Landgericht hat die Klage nach Anhörung des medizinischen Sachverständigen abgewiesen. Das Gericht meint, es bestehe kein Versicherungsschutz, da der Versicherungsfall gemäß § 1 Abs. 1 der AVB nicht eingetreten sei. Bei der Erkrankung des Versicherten handele es sich lediglich um das Symptom einer bereits bei Abschluß des Vertrages bestehenden Grunderkrankung, die dem Versicherten auch bekannt gewesen sei. Auf die konkrete Vorhersehbarkeit des Ausbruches der Erkrankung komme es hingegen nicht an.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie weiterhin die Verurteilung der Beklagten verfolgt. Sie meint, allein die vorhandene Arterienverkalkung genüge nicht, um einen Leistungsausschluß des Versicherers begründen zu können. Es handele sich hierbei nämlich um eine Erkrankung, an der über 2/3 aller untersuchten 60jährigen Menschen leiden. Es sei zusätzlich darauf abzustellen, ob eine Heilbedürftigkeit bei Vertragsschluß vorlag und der Vertragspartner Kenntnis von dieser hatte. Dies sei jedoch nicht der Fall. Sie behauptet hierzu, der Versicherungsnehmer habe eine Behandlungsbedürftigkeit seiner Grunderkrankung vor oder bei Abschluß des Versicherungsvertrages nicht bemerkt. Er habe vor der Einreise beschwerdefrei gelebt und unter keinen Leiden gelitten, welche auf das Vorhandensein einer instabilen Angina pectoris hindeuteten. Anzeichen für eine sich abzeichnende akute Behandlungsbedürftigkeit bei dem Versicherten hätten ebenfalls nicht vorgelegen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des am 28.06.2000 verkündeten Urteils des Landgerichts Potsdam - Az. 2 O 163/99 - zu verurteilen, an sie 26.157,40 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 19.12.1998 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie beruft sich im wesentlichen auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und behauptet, daß bei dem Versicherten bereits bei Einreise eine koronare Herzerkrankung vorgelegen habe, bei der es sich um eine chronisch fortschreitende Erkrankung handele und die dann zu der behandlungsbedürftigen instabilen Angina pectoris geführt habe.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, insbesondere frist- und formgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin ist in der Sache in vollem Umfang begründet. Die Beklagte ist aufgrund des mit der Klägerin am 11.03.1998 abgeschlossenen Reisekrankenversicherungsvertrages leistungspflichtig hinsichtlich der Kosten, die der Klägerin aus de operativen und stationären Behandlung ihres Vaters zunächst in einer Klinik in Bochum und sodann in einer Klinik in Bad Oeynhausen entstanden sind und deren Höhe unstreitig ist.

Die Klägerin ist gemäß § 75 VVG berechtigt, die Ansprüche aus der Versicherung zugunsten eines Dritten, nämlich ihres Vaters, in eigenem Namen geltend zu machen.

Es besteht ein Anspruch auf die Versicherungsleistung, denn es liegt ein Versicherungsfall im Sinne von § 1 Abs. 1 AVB/ARVD 4 vor (I) und die beklagte Versicherung ist nicht gem. § 5 Nr. 1 AVB/ARVD 4 von der Leistung befreit (2).

1. Der Versicherungsfall i.S.v. § 1 Abs. 1 der AVB/ARVD 4 ist eingetreten. Bei der aufgetretenen instabilen Angina pectoris handelt es sich um eine Krankheit, die während des vorübergehenden Aufenthalts im Geltungsbereich des Versicherungsvertrages nach Beginn des Versicherungsschutzes aufgetreten ist und die dem Versicherten auch bei Beginn des Versicherungsschutzes nicht bekannt war. Ausweislich der diagnostischen Angaben der den Vater der Klägerin behandelnden Ärzte des Herz- und Diabeteszentrums Nordrhein-Westfalens in dem an den Direktor der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie gerichteten Schreiben vom 30.04.1998 kam es bei ihm am Morgen des Aufnahmetages, d. h. am 15.04.1998, bei hypertensiver Blutdruckentgleisung zu nitrorefraktären Beschwerden im Sinne einer typischen Angina pectoris bei anamnestisch bekannter koronarer Herzkrankheit. Die Ärzte haben sodann eine zügige koronare Bypassoperation vorgeschlagen. Dieses wurde durch den in erster Instanz beauftragten Gutachterin seinem schriftlichen Gutachten vom 14.02.2000 auch bestätigt.

Eine Kenntnis des Versicherten von dieser Erkrankung i.S.v. § 1 Abs. 1 der AVB/ARVD 4 lag nicht vor. Es handelte sich nämlich bei der aufgetretenen instabilen Angina pectoris nicht um eine Krankheit, die bereits vor Beginn des Versicherungsschutzes aufgetreten und dem Versicherten bei Beginn des Versicherungsschutzes bekannt war, sondern vielmehr um eine unvorhergesehen aufgetretene Akuterkrankung. Der Sachverständige hat bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Landgericht bestätigt, daß weder das Auftreten einer Angina pectoris noch deren Zeitpunkt für den Versicherten vorhersehbar war.

2. Die beklagte Versicherung ist auch nicht gemäß § 5 Nr. 1 der AVB/ARVD 4 von der Leistung befreit. Weder handelt es sich bei der festgestellten Arterienverkalkung um eine dem Versicherten bekannte chronische behandlungsbedürftige Erkrankung, noch ist die Angina pectoris Folge einer zuvor bereits behandelten Krankheit. Die einschränkende Klausel ist unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks einer Reisekrankenversicherung auszulegen. Dem Versicherten soll während einer Reise Versicherungsschutz für ihn unerwartet treffende Akuterkrankung geboten werden Es soll andererseits verhindert werden, daß sich ein Versicherter zum Zweck der Behandlung eines von ihm erwarteten Krankheitsereignisses gezielt auf eine Reise begibt und umfassenden Versicherungsschutz hierfür auf der Grundlage der extrem kostengünstigen Reisekrankenversicherung erhält (so OLG Köln VerSR 1999, 222 zu den AVB des Tarifs AVBR 2, dort gab es noch den Begriff der "unvorhergesehen eingetretenen Krankheiten"). Folge einer bereits aufgetretenen Krankheit im Sinne von § 5 Nr. 1 AVB/ARVD 4 ist nach Sinn und Zweck der Reisekrankenversicherung nicht jeder akute Zustand, der nach einem rein naturwissenschaftlichen Kausalitätsbegriff auf einem dauerhaften, nicht regelrechten körperlichen Zustand beruht, vielmehr ist der Ausschluß von er Leistung nur dann berechtigt, wenn der zugrundeliegende nicht regelgerechte kausale Zustand schon bei Abschluß des Versicherungsvertrages objektiv und subjektiv behandlungsbedürftig war. Die letzte akute Erkrankung des Versicherten lag fast 1 1/2 Jahre zurück. Der Versicherungsnehmer hat sich auch nicht bereits vor Einreise in einer Heilbehandlung befunden. Eine solche Heilbehandlung hat vielmehr erst nach dem Angina-pectoris-Anfall stattgefunden. Dem Gutachten ist darüber hinaus zu entnehmen, daß die nunmehr durchgeführte Bypassoperation nicht bereits aufgrund der Vorerkrankung angezeigt war. Der Sachverständige hat zudem in seiner mündlichen Anhörung ausgeführt, daß der Hinterwandinfarkt im Jahr 1996 ein abgelaufenes Ereignis gewesen sei, das lediglich zu der Folge geführt habe, daß ein Bereich des Herzens vernarbt ist. Er stellte ausdrücklich fest, daß die späteren Veränderungen, die den Angina-Pectoris-Anfall ausgelöst haben an anderen Gefäßen aufgetreten sind.

Die bestehende Akutgefährdung infolge der Durchblutungsstörungen war weder dem Versicherten noch der klagenden Versicherungsnehmerin bekannt. Davon geht der Senat entsprechend dem Vortrag der Klägerin aus, da der Beklagten der Nachweis, daß eine solche Kenntnis vorgelegen hat, nicht gelungen ist. Die Ausführungen des Gutachters reichen zum Nachweis einer solchen Kenntnis nicht aus. Dieser führte nämlich lediglich aus, daß für den Fall, daß der Patient bereits früher unter vergleichbaren Beschwerden gelitten habe, dieser die Erkrankung wahrgenommen hätte und sie diesem dann auch bekannt gewesen sei. Daß der Versicherte jedoch tatsächlich unter Beschwerden gelitten hatte, wird hierdurch nicht bewiesen. Dem Versicherer obliegt die Beweislast für eine entsprechende Kenntnis des Versicherten. Der Versicherer darf sich nach den allgemeinen Regelungen des VVG grundsätzlich nur hinsichtlich solcher Gefahrenumstände auf Leistungsfreiheit berufen, die dem Versicherungsnehmer bekannt sind, nicht hingegen hinsichtlich solcher, die ihm infolge Fahrlässigkeit unbekannt geblieben sind. Die Gefahr einer beiderseitige Fehleinschätzung des Risikos trägt nach der Konstruktion des VVG der Versicherer. Für die den Rücktritt gemäß § 17 VVG begründenden Umstände obliegt daher dem Versicherer die Beweislast (vgl. Prölls/Martin, VVG 26. Aufl., § 16, 17 Rdnr. 41 unter Hinweis auf die Rechtsprechung). Diese allgemeine Beweislastregelung der VVG muß aber auch im Rahmen der AVB gelten. Auch hier beruft sich die beklagte Versicherung auf, ihre Leistungsfreiheit. Es handelt sich auch insoweit um einen für den Versicherer günstigen Umstand, für den sie nach den allgemeinen Regelungen die Darlegungs- und Beweislast trägt. Den entsprechend substantiierten Vortrag der Klägerin, daß der Versicherte vor Einreise beschwerdefrei gelebt habe, hat die Beklagte weder substantiiert bestritten noch Beweis angetreten.

3. Da nach Vorgesagtem der Angina-pectoris-Anfall nicht Folge einer Vorerkrankung in Sinne der AVB/ARVD 4 war, kommt es auf die - im übrigen unbestrittene - Kenntnis der Klägerin von der Krankenvorgeschichte und der behaupteten Information der Zeugin F darüber nicht an.

Die Forderung ist gemäß §§ 286, 284 BGB zu verzinsen. Mit Ablehnung der Regulierung durch Schreiben vom 18.06.1998 befand sich die Beklagte im Verzug, so daß sie jedenfalls seit dem 19.12.1998 verpflichtet ist, die geltend gemachte Forderung zu verzinsen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, §§ 711, 713 ZPO.

Die Festsetzung der Beschwer beruht auf § 546 Abs. 2 ZPO. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde gemäß § 3 ZPO, § 14 Abs. 1 GKG festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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