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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 06.03.2002
Aktenzeichen: 14 U 104/01
Rechtsgebiete: VVG, ZPO, BGB, AKB, StGB, SGB X, SGB I, WoBauG, BSHG, AFG


Vorschriften:

VVG § 61
VVG § 67 Abs. 2
VVG § 67 Abs. 1
VVG § 67 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 516
ZPO § 518
ZPO § 519 a.F.
ZPO § 91 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711 a.F.
BGB § 823
BGB § 1093 Abs. 2
BGB § 549
BGB § 569 a a.F.
AKB § 15 Abs. 2
StGB § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a
StGB § 315 c Abs. 3 Nr. 2
StGB § 11
SGB X § 116 Abs. 6
SGB I § 56
WoBauG § 8 2.
BSHG § 122
AFG § 137 a Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

14 U 104/01 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 06.03.2002

verkündet am 06.03.2002

in dem Rechtsstreit

hat der 14. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 6. Februar 2002 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Schäfer, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Zoller und die Richterin am Landgericht Woerner

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 10. Juli 2001 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000,00 € abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz aus übergegangenem Recht in Anspruch.

Am 1. Juni 1998 gegen 3.50 Uhr verursachte die Beklagte mit dem Pkw BMW ihres Lebensgefährten F Sch mit dem amtlichen Kennzeichen einen Verkehrsunfall auf der Straße der Einheit in der Ortslage B indem sie in alkoholisiertem Zustand die Kontrolle über das Fahrzeug verlor und mit mehreren auf der Parkspur geparkten Fahrzeugen kollidierte. Eine am Unfalltag um 4.54 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,57 mg/g. Der bei der Klägerin vollkaskoversicherte BMW wurde stark beschädigt. Die Klägerin regulierte den Schaden und zahlte an ihren Versicherungsnehmer F Sch 16.800,00 DM. Diesen Betrag forderte sie erstmals mit Schreiben vom 7. September 1998 unter Hinweis auf § 61 VVG von der Beklagten und mahnte sie mit Fristsetzung bis zum 20. Oktober 1998 an.

Die Beklagte lebt, was in erster Instanz noch streitig war, mit ihrem Lebensgefährten seit etwa 20 Jahren in häuslicher Gemeinschaft. Die Erziehung und Verantwortung für die gemeinsame Tochter L, die zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls 16 Jahre alt war, wird von beiden Partnern gemeinsam getragen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 16.800,00 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 26. Oktober 1998 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet,

am Abend vor dem Unfall hätten sie und ihr Lebensgefährte ferngesehen und Wein getrunken und seien gegen Mitternacht zu Bett gegangen. Sie - die Beklagte - sei gegen 2.00 Uhr erwacht und habe festgestellt, dass ihre Tochter L noch nicht zu Hause sei. Darüber sei sie sehr aufgeregt gewesen und habe sich daraufhin, ohne weiter darüber nachzudenken, mit dem Pkw ihres Lebensgefährten auf die Suche nach ihrer Tochter gemacht.

Sie hat die Auffassung vertreten, ihre Inanspruchnahme sei gemäß § 67 Abs. 2 VVG ausgeschlossen, da sie als nichteheliche Lebenspartnerin des Versicherungsnehmers Familienangehörige im Sinne dieser Vorschrift sei und den Schaden nicht vorsätzlich verursacht habe.

Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Schadensersatzanspruch des Lebensgefährten gegen die Beklagte sei gemäß § 67 Abs. 1 VVG auf die Klägerin übergegangen. Die Voraussetzungen des Regressverbotes gemäß § 67 Abs. 2 VVG lägen nicht vor, da die Beklagte keine Familienangehörige im Sinne dieser Vorschrift sei. Es gebe keine klar definierten Merkmale zur Abgrenzung derjenigen Lebensgemeinschaften, die den Schutz des Familienprivilegs verdienten. Eine analoge Anwendung des § 67 Abs. 2 VVG scheide aus, denn es sei nicht Aufgabe der Gerichte, sondern des Gesetzgebers zu bestimmen, ob und welche nichtehelichen Lebensgemeinschaften unter das Familienprivileg fallen.

Gegen dieses, ihr am 18. Juli 2001 zugestellte Urteil richtet sich die am Montag, den 20. August 2001, eingelegte Berufung der Beklagten, die sie nach Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung bis zum 20. Oktober 2001 mit einem am Montag, den 22. Oktober 2001, eingegangenen Schriftsatz begründet hat.

Die Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, zu ihren Gunsten greife das Familienprivileg nach § 67 Abs. 2 VVG. Hierzu trägt sie ergänzend vor, der Unterhalt für die gesamte Familie werde seit 20 Jahren aus den Einkommen beider Lebenspartner bestritten. Eine wirtschaftliche Trennung der Einkommen der Lebenspartner finde nicht statt mit der Folge, dass bei einem Erfolg der Klage auch ihr Lebensgefährte F Sch mittelbar belastet werde.

Sie beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie behauptet weiterhin,

die Beklagte habe den Unfall billigend in Kauf genommen, und bestreitet, dass seit über zwanzig Jahren der Lebensunterhalt der Partner aus deren beider Einkommen bestritten werde. Im Übrigen nimmt sie auf ihr erstinstanzliches Vorbringen Bezug.

Ferner tritt sie der Auffassung der Beklagten zur Anwendbarkeit des § 67 Abs. 2 VVG entgegen: Aufgrund des in Art. 6 Abs. 1 GG angeordneten staatlichen Schutzes für Ehe und Familie könne als Familie und Familienmitglied nur angesehen werden, wer durch Ehe verbunden oder als Kind aus ihr hervorgegangen sei. Eine Erweiterung des Familienprivilegs auf Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft verbiete sich auch deshalb, weil der Gesetzgeber eine Gleichstellung mit der Ehe offenbar nicht gewollt habe, andernfalls hätte er nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes von 1980 die Vorschrift geändert.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Der Senat hat Beweis erhoben zum Bestehen der Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft der Beklagten mit F Sch durch Vernehmung des Letztgenannten als Zeugen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 6. Februar 2002 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 516, 518, 519 ZPO a.F..

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

Das Landgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Klägerin kann die Beklagte nicht aus den §§ 823 BGB, 67 Abs. 1 VVG, 15 Abs. 2 AKB auf Zahlung der erbrachten Versicherungsleistungen in Regress nehmen, weil die Schadensersatzforderung gemäß § 67 Abs. 2 VVG nicht auf sie übergegangen ist.

Die Beklagte war gegenüber dem Versicherungsnehmer - ihrem Lebensgefährten - schadensersatzpflichtig, weil sie den Verkehrsunfall vom 1. Juni 1998 grob fahrlässig dadurch verursacht hat, dass sie im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit den Pkw ihres Lebensgefährten geführt, infolge Alkoholgenusses die Kontrolle über den Pkw verloren hat und mit mehreren Fahrzeugen kollidiert ist. Eine vorsätzliche Verursachung des Schadens kann ihr hingegen nicht vorgeworfen werden, da die Klägerin diese von ihr aufgestellte Behauptung nicht hinreichend dargetan und unter Beweis gestellt hat. Aus der mittels Rückrechnung mit einem stündlichen Abbauwert von 0,1 mg/g ermittelten hohen Blutalkoholkonzentration der Beklagten zur Tatzeit von 1,67 mg/g allein lässt sich ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht auf ein vorsätzliches Handeln schließen (vgl. BGH VRS 65, 359; OLG Frankfurt NJW 1996, 1358; OLG Karlsruhe NZV 1999, 301), zumal da sich der Vorsatz nicht nur auf den Versicherungsfall, sondern auf die Schadensfolge erstrecken muss, auf die der Versicherer Leistungen erbringt (BGH VersR 1986, 233). Derartige Umstände werden von der Klägerin nicht vorgetragen; ihr Vorbringen erschöpft sich darin, die Darstellung der Beklagten zu Hintergrund und Anlass der Fahrt mit dem Pkw ihres Lebensgefährten, die einer vorsätzlichen Begehung entgegensteht, zu bestreiten. Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Handeln der Beklagten ergeben sich auch nicht aus der Verurteilung durch das Amtsgericht Brandenburg an der Havel vom 18. Februar 1999, auf die die Klägerin sich bezieht, denn die Beklagte wurde lediglich wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 2 StGB verurteilt.

§ 67 Abs. 1 Satz 1 VVG schafft in der Schadensversicherung zugunsten des Versicherers in diesem Fall einen Rechtsübergang hinsichtlich der Ansprüche des Versicherungsnehmers gegen den Schädiger. Dieser für den Normalfall vorgesehene Rechtsübergang wird durch § 67 Abs. 2 VVG nur dann ausgeschlossen, wenn der Schuldner des Regressanspruchs ein Familienangehöriger des Versicherungsnehmers ist, der mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebt und den Schaden nicht vorsätzlich verursacht hat (§ 67 Abs. 2 2. Halbsatz VVG). Da die übrigen Voraussetzungen des Regressausschlusses vorliegen - dass die Beklagte mit dem Versicherungsnehmer seit zwanzig Jahren in häuslicher Gemeinschaft lebt, wird von der Klägerin in zweiter Instanz nicht mehr bestritten, und ihr ist, wie dargelegt, lediglich grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen - kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits darauf an, ob die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft als Familienangehörige im Sinne des § 67 Abs. 2 VVG zu qualifizieren sind oder ob, wenn dies nicht möglich ist, die Vorschrift zumindest analog anwendbar ist.

Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 15. Januar 1980 (VersR 1980, 526, 527) die Beantwortung dieser Frage offengelassen, später eine Erstreckung des Familienprivilegs des ähnlich lautenden § 116 Abs. 6 SGB X auf nichteheliche Lebensgemeinschaften generell abgelehnt (BGHZ 102, 257, 261 ff. = VersR 1988, 253, 254). In Rechtsprechung und Literatur ist die direkte oder analoge Anwendbarkeit des Familienprivilegs auf nichteheliche Lebensgemeinschaften bis heute umstritten (ablehnend: OLG Frankfurt VersR 1997, 561 f. und MDR 1998,1163,1164 f.; OLG Köln VersR 1991, 1237 f.; OLG München NJW-RR 1988, 34 f.; Jahnke, Verwandtenprivileg und Personenschadenregulierung NZV 1995, 377, 378; Hausmann/Hohloch, Das Recht der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, 1999, Rdnr. 139 ff.; bejahend dagegen: LG Potsdam FamRZ 1997, 878; LG Saarbrücken VersR 1995, 158; Staudinger, Anh. zu §§ 1297 ff. BGB Rdnr. 225; Münchner Kommentar, nach § 1302 BGB, Rdnr. 25; Röthel, Ehe und Lebensgemeinschaft im Personenschadensrecht NZV 2001, 329, 331 f.; Groß, Forderungsübergang im Schadensfall DAR 1999, 337, 340; Kohte, Familienschutz für Lebensgemeinschaften beim Forderungsübergang nach § 67 II VVG, § 116 VI SGB X NZV 1991, 89; sowie für die gleichlautende Norm im österreichischen VVG: OGH VersR 1989, 830).

Es spricht bereits viel dafür, den Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft unter den heutigen Verhältnissen als Familienangehörigen im Sinne des § 67 Abs. 2 VVG zumindest dann anzusehen, wenn aus der Verbindung der Lebenspartner ein gemeinsames Kind hervorgegangen ist, deren Erziehung von den Lebenspartnern gemeinsam übernommen wird.

Der Begriff des Familienangehörigen ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der entgegen der Auffassung des Landgerichts einer Interpretation durch die Gerichte bedarf. Eine einheitliche Definition des Familienangehörigen in der deutschen Rechtsordnung fehlt. Verschiedene Definitionen des Familienangehörigen - und der Familie - finden sich in verstreuten Normen, zum Beispiel in den §§ 11 StGB, 56 SGB I und § 8 2. WoBauG, Zudem werden diese Rechtsbegriffe in verschiedenen Gesetzen mit unterschiedlichem Inhalt verwendet (z.B. in Art. 6 Abs. 1 GG, §§ 569 a, 1969 BGB, 759 ZPO, 116 Abs. 6 SGB X). Ein einheitlicher Begriffsinhalt lässt sich aus diesen vereinzelten Vorschriften nicht ableiten, vielmehr ist er für jede Regelung mit Blick auf ihren Sinn und Zweck gesondert zu ermitteln (BGHZ 102, 257, 259).

Anerkannt ist in Rechtsprechung und Literatur, dass das Familienprivileg einem doppelten Zweck dient. Es will im Interesse des häuslichen Familienfriedens verhindern, dass Streitigkeiten über die Verantwortung von Schadenszufügungen gegen Familienangehörige ausgetragen werden; gleichzeitig will es vermeiden, dass der Versicherte durch den Rückgriff mittelbar selbst in Mitleidenschaft gezogen wird. Familienangehörige, die in häuslicher Gemeinschaft leben, bilden meist eine wirtschaftliche Einheit, so dass bei Durchführung des Rückgriffs der Geschädigte im praktischen Ergebnis das, was er mit der einen Hand erhalten hat, mit der anderen wieder herausgeben müsste (BGHZ a.a.O. 259 f.; VersR 1964, 391, 392). Deshalb wird folgerichtig der Begriff des Familienangehörigen im Sinne des § 67 Abs. 2 VVG extensiv ausgelegt (BGHZ a.a.O. 260). Er umfasst nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (VersR 1980, 526, 527) nicht nur alle Personen, die miteinander verwandt, verschwägert oder verheiratet sind, sondern darüber hinaus ohne Rücksicht darauf, ob gesetzliche Unterhaltsverpflichtungen bestehen, Personen, die ohne familienrechtliche Verbindung aufgrund vertraglicher Vereinbarung oder auch rein tatsächlich in einer Weise zusammen leben, die einem Familienverband ähnlich ist. In diesem Fall ist wegen der damit verbundenen wirtschaftlichen Zusammengehörigkeit dieser Personen der Schutz des § 67 Abs. 2 VVG erforderlich.

Danach knüpft der Begriff des Familienangehörigen im Sinne dieser Vorschrift nicht ausschließlich an bestimmte statusmäßig festgelegte Merkmale an, die unter den Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, die sich gerade durch den bewussten Verzicht auf das formale Element von der Ehe abgrenzt, - von der Möglichkeit, das Zusammenleben durch einen Partnerschaftsvertrag zu regeln (hierzu BGH NJW 1991, 830), einmal abgesehen - naturgemäß fehlen. Entscheidend ist für die Einbeziehung von Personen, die nicht miteinander verheiratet, verwandt oder verschwägert sind, in den Schutz des § 67 Abs. 2 VVG vielmehr die persönliche und wirtschaftliche Nahbeziehung der Personen untereinander. Es kommt mithin darauf an, ob eine hinreichend enge, auf Dauer angelegte Verbindung von Personen geschaffen worden ist, die sowohl persönliche als auch wirtschaftliche Beziehungen umfasst (vgl. Kothe a.a.O. 93).

Eine nichtehelichen Lebensgemeinschaft, in der die Lebenspartner mit einem gemeinsamen Kind zusammen leben, weist gleichermaßen wie eine Familie im herkömmlichen Sinn enge soziale Bindungen mit familiärem Charakter auf. Im Verhältnis des Kindes zu seinen nicht miteinander verheirateten Eltern - und umgekehrt - steht dies außer Frage; diese Beziehung zwischen Elternteil und nichtehelichem Kind steht zudem unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG (BVerfGE 18, 97, 105; 45, 104, 123). Das Verhältnis der Partner untereinander geht bereits nach der Definition der nichtehelichen Lebensgemeinschaft über eine reine Zweckgemeinschaft zur Führung eines gemeinsamen Haushalts und gemeinsames Wirtschaften hinaus und zeichnet sich durch innere Bindungen aus, die ein gegenseitiges Einstehen füreinander begründen (BVerfG FamRZ 1993, 164, 168; BSG NJW 1993, 3346; BVerwG NJW 1995, 2802). Übernehmen die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gemeinsam die Verantwortung für ein gemeinsames Kind, lässt sich den engen persönlichen Bindungen innerhalb dieses Personenverbundes der familiäre Charakter kaum absprechen.

Auch die beiden Normzwecke des § 67 Abs. 2 VVG, der Schutz vor ideellen und materiellen Belastungen, treffen auf die nichteheliche Lebensgemeinschaft zu. Die Konfliktsituation, die das Familienprivileg verhindern will, kann, wie bereits der Bundesgerichtshof anerkannt hat (BGHZ a.a.O., 263), in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gleichermaßen auftreten wie in einer Ehe oder einer Familie im herkömmlichen Sinn. Die Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz führt leicht zu Streitigkeiten zwischen dem Verursacher und dem Geschädigten, die den häuslichen Frieden gefährden. Dies gilt bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften genauso wie bei anderen Familienangehörigen. Nichteheliche Lebenspartner werden durch den Rückgriff des Versicherers, der an den Versicherungsnehmer leistet, von dessen nichtehelichen Lebenspartner als Schädiger die Leistung aber wieder einfordert, wirtschaftlich auch in gleicher Weise getroffen wie verwandte oder verheiratete Hausgenossen. Die Gefahr einer mittelbaren Belastung des Versicherungsnehmers tritt typischerweise dort auf, wo der Versicherungsnehmer und der Schädiger gemeinsam wirtschaften, wie es bei der nichtehelichen Lebensgemeinschaft bereits begrifflich vorausgesetzt ist.

Letztlich kann die Frage, ob mit diesem Begriffsinhalt die äußerste Grenze des möglichen Wortsinns überschritten und der Bereich einer Auslegung des Gesetzes verlassen würde, aber offen bleiben, weil dann eine analoge Anwendung des § 67 Abs. 2 VVG jedenfalls auf solche Fälle geboten ist, in denen wie hier beide Partner eine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft eingegangen sind, die bereits längere Zeit Bestand hat. Eine im Wege der Analogie auszufüllende Gesetzeslücke ist hier anzunehmen, weil die Gesetzesverfasser des VVG vom 30. Mai 1908 bei der Festlegung des Personenkreises, der den Schutz des Regressverbotes genießt, nicht vorhersehen konnten, in welchem Ausmaße nichteheliche Lebensgemeinschaften in späteren Zeiten praktiziert und weithin geduldet werden würden. So lebten im Mai 2000 nach einem stetigen Anstieg innerhalb von fast zwei Jahrzehnten von insgesamt 22,4 Millionen Paaren mehr als 2 Millionen Paare in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft (Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 2001 S. 64, 3.18). Die nichteheliche Lebensgemeinschaft stellt sich heute als eine typische Erscheinung des sozialen Lebens dar (BVerfG FamRZ 1993, 164, 168); sie ist mittlerweile eine gängige Vorstufe zur Ehe. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft ist zudem inzwischen eine vielfach akzeptierte Lebensform, deren Partner in vielerlei Hinsicht den vollen Schutz durch Rechtsvorschriften genießen, deren Verwirklichung vom Bestehen der Ehe unabhängig ist (vgl. § 563 Abs. 1 Satz 2 BGB n.F. Eintrittsrecht des Lebenspartners bei Tod des Mieters; BGH NJW 1982,1868 zur analogen Anwendung des § 1093 Abs. 2 BGB; KG NJW-RR 1994, 713 zu § 750 Abs. 1 ZPO). Dann aber kann ihnen nach dem oben dargelegten Sinn und Zweck der Vorschrift der Schutz des § 67 Abs. 2 VVG nicht vorenthalten werden. Es lässt sich mit der bei einem Teil der Bevölkerung inzwischen grundlegend geänderten Einstellung zu Ehe und Familie und den tatsächlichen Familienstrukturen nicht vereinbaren, ausgerechnet dem Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft den Schutz des Familienprivilegs zu versagen, dagegen selbst weitläufig Verwandte und Pflegekinder einzubeziehen, obwohl die Bindung zu dem Lebenspartner vielfach eine wesentlich engere ist, vor allem wenn ein gemeinsames Kind versorgt wird.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine unmittelbare oder analoge Anwendung des § 67 Abs. 2 VVG auf nichteheliche Lebensgemeinschaften bestehen nicht. Art. 6 Abs. 1 GG steht der Anwendung von § 67 Abs. 2 VVG nicht entgegen; das Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG wird hierdurch nicht berührt. Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie allerdings unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Diese Institutsgarantie verbietet aber nur, die nichteheliche Lebensgemeinschaft in jeder Hinsicht mit der Ehe gleichzustellen (vgl. BGH NJW 1982, 1868); die Ungleichbehandlung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft gegenüber der Ehe gebietet die Verfassungsnorm hingegen nicht (vgl. BVerfG NJW 1990, 1493, 1494).

Aus solchen grundsätzlichen Erwägungen sah sich der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 1. Dezember 1987 (BGHZ a.a.O.) an einer analogen Anwendung des Familienprivilegs auf die nichteheliche Lebensgemeinschaft auch nicht gehindert. Im Mittelpunkt der Argumentation der Gegner einer - unmittelbaren oder analogen - Anwendung des Familienprivilegs auf nichteheliche Lebensgemeinschaften standen und stehen vielmehr praktische Schwierigkeiten bei der präzisen Bestimmung des Begriffs und Inhalts der nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Die vermeintlich mangelnde Abgrenzbarkeit der nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist indes nicht (mehr) geeignet, die Ablehnung einer Ausdehnung des Familienprivilegs auf diese Form des Zusammenlebens zu begründen. Der Gesetzgeber hat in den §§ 122 BSHG und 137 a Abs. 2 AFG den Begriff der eheähnlichen Gemeinschaft eingeführt, der vom Bundesverfassungsgericht (NJW 1993, 643, 645) und in der Gerichtspraxis anderer Obergerichte (BVerwG NJW 1995, 2802; BSG NJW 1993, 3346) für hinreichend bestimmt erachtet und näher umschrieben wurde. Bereits zuvor hat die Rechtsprechung der gesellschaftlichen Entwicklung mit einer steigenden Zahl nichtehelicher Lebensgemeinschaften Rechnung getragen. So ist der Inhaber eines dinglichen Wohnungsrechts befugt, die Partnerin bzw. den Partner in analoger Anwendung des § 1093 Abs. 2 BGB in die Wohnung aufzunehmen, wenn beide unverheiratet sind und das Verhältnis auf Dauer angelegt ist (BGH NJW 1982, 1868 f.). Im Mietrecht hat der Vermieter unter den Voraussetzungen des § 549 BGB den ständigen Aufenthalt eines nichtehelichen Partners in der Mietwohnung zu dulden (BGHZ 92, 213). Auch in seinem Beschluss vom 13. Januar 1993 (NJW 1993, 999, 1001) sah der Bundesgerichtshof in denkbaren Unsicherheiten bei der erforderlichen Abgrenzung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft gegenüber sonstigen außerehelichen Partnerschaften keine Rechtfertigung für eine Ablehnung einer analogen Anwendung des § 569 a BGB a.F..

Es ist einzuräumen, dass formale Kriterien wie die Ehe oder der Status der Verwandtschaft oder Schwägerschaft einfacher und sicherer festzustellen sind als die Voraussetzungen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Diese im Einzelfall nicht auszuschließenden Unsicherheiten rechtfertigen aber schon deshalb nicht im Rahmen des § 67 Abs. 2 VVG die Ablehnung einer Analogie, weil der Familienbegriff dieser Norm nach dem allgemeinen Verständnis nicht allein statusorientiert bestimmt wird. Er kann - wie dargelegt - auch Personen ohne familienrechtliche Verbindung erfassen, die mit anderen ähnlich einem Familienverband zusammenleben. Im Übrigen sind in den Entscheidungen der Obergerichte, die inzwischen zu nichtehelichen Lebensgemeinschaften ergangen sind, hinreichende Kriterien aufgestellt worden, mit deren Hilfe nichteheliche Lebensgemeinschaften typisiert werden können und der Gefahr von Manipulationen begegnet werden kann. Danach setzt eine nichteheliche Gemeinschaft eine Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau voraus, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht. Ob diese Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind, kann anhand von Indizien festgestellt werden, wobei vor allem die lange Dauer des Zusammenlebens, die Versorgung von Kindern und Angehörigen im gemeinsamen Haushalt und die Befugnis, über Einkommen und Vermögensgegenstände des Partners zu verfügen, von Bedeutung sind (BVerfG NJW 1993, 643, 645; BGH NJW 1993, a.a.O.; BVerwG NJW 1995, 2802; BSG NJW 1993, 3346).

Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht zu befürchten, dass zum Nachweis der nichtehelichen Lebensgemeinschaft dieser Personenkreis im Rahmen der Ermittlungen im versicherungsrechtlichen Verfahren zu Auskünften gezwungen ist, die die Intimsphäre betreffen (so aber BGHZ a.a.O., 264). Eine Erfassung der Intimsphäre, insbesondere der sexuellen Beziehungen darf im versicherungsrechtlichen Verfahren freilich nicht erfolgen. Solche Nachforschungen, die die Intimsphäre berühren würden, sind aber angesichts der aufgeführten Kriterien für eine nichteheliche Lebensgemeinschaft nicht veranlasst. Im Übrigen erscheint es nicht unzumutbar, wenn derjenige, der sich auf das Familienprivileg beruft und den deshalb die Darlegungs- und Beweislast für dessen Voraussetzungen trifft, die zur Feststellung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft erforderlichen Informationen erteilen muss (vgl. BGH NJW 1993, 999, 1001).

Der Senat hat keine Zweifel, dass die Beklagte und der Zeuge Sch in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft leben, in der sie wie Eheleute füreinander einstehen. Dass es sich um eine auf Dauer angelegte Partnerschaft mit inneren Bindungen handelt, die über eine bloße Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht, lässt sich bereits daran erkennen, dass beide Partner gemeinsam die Verantwortung und Erziehung des inzwischen 19 Jahre alten gemeinsamen Kindes L übernommen haben. Dies wird von der Klägerin im Berufungsverfahren nicht mehr ausdrücklich in Abrede gestellt und im Übrigen durch die glaubhaften Angaben des Zeugen Sch bei seiner Vernehmung durch den Senat bestätigt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zudem fest, dass die Partnerschaft neben der häuslichen Gemeinschaft auch die Merkmale einer Wirtschaftsgemeinschaft aufweist. Der Zeuge Sch, an dessen Glaubwürdigkeit zu zweifeln kein Anlass besteht und dessen Aussage zudem durch die glaubhaften Angaben der Beklagten bei ihrer Anhörung durch den Senat bestätigt wird, hat bekundet, dass der gemeinsame Lebensunterhalt einschließlich des Unterhalts für die gemeinsame Tochter aus den Einkommen beider Lebenspartner bestritten wird; über die beiden Konten können beide Partner verfügen. Bei dieser Sachlage kann kein Zweifel daran bestehen, dass, wie der Zeuge bekundet hat, "der gesamte Lebenszuschnitt (...) wie bei Eheleuten (ist). Es fehlt lediglich der Trauschein."

Dem steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte durch ihren Prozessbevollmächtigten in dem Schreiben vom 2. April 2001 unter Hinweis auf ihre Einkommenssituation darum bat, die Regressforderung der Klägerin aus dem Haftpflichtschaden in geringen monatlichen Raten tilgen zu dürfen. Schuldnerin des Regressanspruchs für den Haftpflichtschaden ist die Beklagte. Auch beim Bestehen einer Wirtschaftsgemeinschaft der Lebenspartner ist allein deren Leistungsfähigkeit für die Durchsetzbarkeit des Anspruchs entscheidend.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO a.F..

Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 16.800,00 DM, das sind 8.589,70 €, festgesetzt.

III.

Der Senat lässt die Revision gegen dieses Urteil zu, Weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO n.F.) und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Hinblick auf die abweichenden Urteile der Oberlandesgerichte Frankfurt/Main vom 3. April 1998 (MDR 1998, 1163 ff.) und München vom 26. Juni 1987 (NJW-RR 1988, 34 ff.) eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes erfordert (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO n.F.).

Ende der Entscheidung

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