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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 28.09.2006
Aktenzeichen: 15 UF 154/05
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 621 e Abs. 1
BGB § 1671 Abs. 2 Ziff. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

15 UF 154/05 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 28.09.2006

Verkündet am 28.09.2006

In der Familiensache

betreffend die elterliche Sorge für das Kind F... F..., geboren am ... 2000

hat der 3. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 07. September 2006 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Gottwaldt, den Richter am Oberlandesgericht Langer und den Richter am Amtsgericht Neumann

beschlossen:

Tenor:

Die befristete Beschwerde des Antragstellers gegen den am 27.05.2005 verkündeten Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Potsdam - 45 F 319/03 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Antragsteller auferlegt.

Gründe:

Die gemäß § 621 e Abs. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige befristete Beschwerde des Antragstellers gegen die Entscheidung des Amtsgerichts, das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das gemeinsame Kind F... F..., geboren am ... 2000, auf die Antragsgegnerin zu übertragen, ist unbegründet.

I.

Dem Amtsgericht ist zuzustimmen, dass es angesichts der erheblichen Konflikte und der Kommunikationsstörungen zwischen den Parteien bezüglich der Belange ihres Sohnes bei einem gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrecht der Kindeseltern nicht verbleiben kann.

Leben die ganz oder in Teilbereichen gemeinsam sorgeberechtigten Eltern, wie hier, nicht nur vorübergehend getrennt, hat das Gericht gemäß § 1671 Abs. 2 Ziff. 2 BGB auf Antrag - auch ohne die Zustimmung des anderen Elternteils - einem Elternteil die elterliche Sorge bzw. Teile hiervon allein zu übertragen, wenn dies dem Kindeswohl am besten entspricht. Diese Regelung bedeutet nicht, dass dem Fortbestand der gemeinsamen Sorge ein Vorrang vor der Alleinsorge eines Elternteils eingeräumt wird. Ebenso wenig besteht eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die gemeinsame elterliche Sorge im Zweifel die beste Form der Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung ist. Dem stünde entgegen, dass sich elterliche Gemeinsamkeit in der Realität nicht verordnen lässt (grundlegend BGH, NJW 2000, 203, 204; ebenso BVerfG, NJW-RR 2004, 577). Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist deshalb grundsätzlich - und auch der Senat hat dies wiederholt ausgesprochen - eine auch nach der Trennung fortbestehende Fähigkeit und Bereitschaft der Eltern zur Kooperation in den das gemeinsame Kind betreffenden Belangen, setzt also insoweit eine tragfähige soziale Beziehung auf der Elternebene voraus (BVerfG, a.a.O.).

Daran fehlt es vorliegend im Hinblick auf den künftigen Aufenthalt des Kindes. Den Eltern ist es, auch unter Zuhilfenahme einer Familienberatung und mehrfacher gerichtlicher Vermittlungsversuche, bislang nicht gelungen, ihren Streit über den künftigen Aufenthalt des Kindes zu beenden. Auch knapp 4 Jahre nach ihrer Trennung bestehen zwischen ihnen erhebliche Kommunikationsdefizite und damit einhergehende Meinungsverschiedenheiten, die von ihrem Kind reflektiert werden.

Dementsprechend wird die Aufrechterhaltung des gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts in diesem Verfahren auch von keinem Verfahrensbeteiligten befürwortet.

II.

Das Amtsgericht hat das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu Recht auf die Antragsgegnerin übertragen. Auch der Senat ist aufgrund des im Beschwerdeverfahren eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Dr. B... vom 2. März 2006 - dessen Feststellungen im Wesentlichen mit denen des bereits in der ersten Instanz eingeholten Gutachtens übereinstimmen - , aber auch auf Grund des Gesamteindrucks, den er während des Verfahrens von Eltern und Kind gewonnen hat, davon überzeugt, dass dies derzeit dem Kindeswohl am besten entspricht.

Die Einwände des Antragstellers stehen weder der Verwertung des Gutachtens Dr. B... entgegen, noch vermögen sie die vom Sachverständigen getroffenen Feststellungen im Ergebnis zu entkräften.

Die Angriffe des Kindesvaters gegen die dem Gutachten zu Grunde gelegte Methodik vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Der allgemeine Angriff, der Sachverständige habe das Kindeswohl nicht bzw. nicht hinreichend im Auge gehabt, ist nicht substantiiert und entbehrt offenkundig jeder Grundlage. Soweit der Beschwerdeführer zur Begründung hierfür auf den Kindeswillen - etwa bei der Bewertung des Umstands, dass er mit dem Sohn das Bett teilt - abstellt und meint, der Sachverständige habe diesen nicht berücksichtigt, trifft das nicht zu. Der Gutachter hat die Bedeutung des Kindeswillens keineswegs verkannt und insbesondere ihn auch nicht unberücksichtigt gelassen; er hatte ihn allerdings zu hinterfragen und nicht allein zum Maßstab für das Ergebnis der Begutachtung zu machen. So ist seit Jahrzehnten anerkannt, dass der Kindeswille - abhängig vom Alter des Kindes, mit zunehmendem Alter in größerem Maße - neben der Erziehungsfähigkeit der Eltern nur eines von mehreren Kriterien für das Kindeswohl ist (vgl. OLG Zweibrücken, FamRZ 2001, 186; OLG Brandenburg, FamRZ 2003, 1952).

Soweit der Antragsteller geltend macht, der Sachverständige habe nicht hinreichend gewürdigt, dass die Wohnverhältnisse der Kindeseltern unterschiedlich seien - was dem Gutachter im Übrigen nicht entgangen ist -, kommt dem keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Die Frage der Förderfähigkeit des einen und des anderen Elternteils ist nur zum geringsten Teil von den Wohnverhältnissen der Eltern abhängig, wenn diese - wie hier - jedenfalls kindangemessen sind. Die auf dem großen Grundstück des Vaters unzweifelhaft gegebenen Entfaltungsmöglichkeiten bestehen im Übrigen für den Sohn ohne weiteres, wenn er sich im Rahmen eines - großzügigen - Umgangs mit dem Vater dort aufhält.

Der Senat hatte auch keine Veranlassung, im "Wohnumfeld" des Kindes Ermittlungen anzustellen. Das Sachverständigengutachten berücksichtigt nämlich die Frage der äußeren Kontinuität in Abwägung zu den weiteren Kriterien für die Beurteilung des Kindeswohls durchaus.

Die Wertung des Sachverständigen, dass die Kindesmutter derzeit besser als der Kindesvater geeignet ist, die Persönlichkeit des Kindes zu fördern, beruht in ihrem wesentlichen Kern auf den gutachterlichen Feststellungen, dass die Kindesmutter besser befähigt ist, eine tragfähige soziale Beziehung des Sohnes zum Kindesvater aufrechtzuerhalten, während umgekehrt der Kindesvater nicht in der Lage ist, die Bedeutung der Kindesmutter als Bezugsperson für den Sohn zu erkennen. Das deckt sich mit den eigenen Eindrücken, die der Senat im Verlauf des Verfahrens gewonnen hat. So kann der Kindesvater dem Sohn offenkundig - wie auch das Gutachten feststellt - kein positives Bild der Mutter vermitteln: er "siezt" sie in Gegenwart des Kindes; er hat ihr verboten, sein Grundstück zu betreten. Seine innere Einstellung hat er im gesamten Verfahren deutlich gemacht: so hat er u. a. erklärt, er könne dem Sohn kein positives Bild der Mutter vermitteln, weil dieser irgendwann erfahren werde, dass sie nicht ehrlich sei und ihm etwas vormache. Diese negative und abwertende Einstellung gegenüber der Kindesmutter ist dem Kind nicht verborgen geblieben; sie führt, wie der Sachverständige - insoweit vom Kindesvater nicht einmal angegriffen - nachvollziehbar festgestellt und begründet hat, zu zunehmender Verunsicherung des Kindes gegenüber seiner Mutter. Das belegen auch die wenige Monate nach dem Wechsel zur Mutter - unbestritten - vom Kind gegenüber dem Sachverständigen gemachten Äußerungen, die Mutter gehöre nicht mehr zur Familie.

Dagegen vermochte es die Kindesmutter, nachdem der Sohn im Juni 2005 in ihren Haushalt gewechselt ist, die Konfliktlage des Kindes abzubauen. So hat sich der Senat bei der Anhörung des Jungen in der letzten Verhandlung am 7. September 2006 davon überzeugen können, dass der Junge die Antragsgegnerin anders als ein knappes Jahr vorher wieder als Mutter akzeptiert, indem er geäußert hat, die Eltern sollten wieder zusammenziehen. Der Senat konnte sich zudem davon überzeugen, dass es die Antragsgegnerin seit dem Wechsel des Kindes in ihre Obhut auch verstanden hat, die unbefangene Beziehung zum Vater aufrechtzuerhalten und zu fördern, was nicht zuletzt auch darin zum Ausdruck kommt, dass sie dem Wunsch des Kindes, einen großzügigen Umgang mit dem Vater auszuüben, entsprochen hat.

Vor dem Hintergrund der deutlich größeren Bindungstoleranz der Antragsgegnerin im Verhältnis zum Antragsteller und deren Bedeutung für die Aufrechterhaltung stabiler Bindungen des Kindes an beide Eltern treten mögliche Vorteile beim Antragsteller im Hinblick auf seine bessere materielle Ausstattung und seine bessere Bildung zurück. Darin, dass beide Elternteile im Übrigen - wenngleich mit Einschränkungen - in der Lage sind, ihren Sohn angemessen zu versorgen und zu erziehen, stimmt der Senat mit dem Sachverständigen überein, auch wenn die vom Sachverständigen diagnostizierte "Parentifizierung" des Sohnes durch den Vater (Bl. 44 des Gutachtens) nicht bedenkenfrei erscheint.

Auch die mittlerweile eingetretene personelle und örtliche Kontinuität sprechen für einen künftigen Lebensmittelpunkt F... im Haushalt der Kindesmutter. F..., der in der Vergangenheit bereits mehrfach zwischen den Eltern gewechselt ist, lebt nunmehr sei knapp 1 1/2 Jahren im Haushalt der Mutter in T.... Dort hat er den Kindergarten besucht und dort wurde er vor einem Monat eingeschult. Ein erneuter Wechsel seines Lebensmittelpunkts würde nicht nur die bereits begonnene Stabilisierung im Verhältnis zu seiner Mutter gefährden, sondern auch eine zusätzliche Belastung wegen des damit verbundenen erneuten Beziehungsabbruchs einschließlich Schulwechsels mit sich bringen.

Bei der Entscheidung, welchem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen ist, ist grundsätzlich auch der Kindeswille zu beachten. Der im Verlauf des Verfahrens gegenüber dem Sachverständigen, der Verfahrenspflegerin und dem Gericht geäußerte Wunsch des Kindes, beim Antragsteller leben zu wollen, ist jedoch durch den Loyalitätskonflikt des Kindes bedingt und somit nicht unbeeinflusst. Der Senat folgt insoweit den Ausführungen des Sachverständigen, wonach im gegebenen Fall die Bedeutung der Aufrechterhaltung und des weiteren Ausbaus einer tragfähigen Bindung zur Mutter den Kindeswillens überwiegt, zumal dem Wunsch des Kindes auf Kontakt mit seinem Vater durch großzügigen Umgang Rechnung getragen wird.

Sowohl das Jugendamt als auch die Verfahrenspflegerin wurden vom Senat angehört und haben den Empfehlungen des Sachverständigen zugestimmt, das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf die Antragsgegnerin zu übertragen.

Der Senat sieht sich veranlasst, beide Eltern noch einmal - wie bereits in den Verhandlungen - deutlich darauf hinzuweisen, dass die auch im Sachverständigengutachten zutage getretenen Defizite ihres Sohnes dringend behandlungsbedürftig erscheinen und appelliert nachdrücklich an die - gemeinsame - Elternverantwortung.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 S. 1 FGG; § 131 Abs. 1 Ziff. 1. KostO.

Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens: 6.000,- €

Ende der Entscheidung

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