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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 10.05.2001
Aktenzeichen: 15 UF 95/00
Rechtsgebiete: BGB, FGB, EGBGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 1592 Nr. 1
BGB § 1600 b Abs. 1
FGB § 54 Abs. 5
FGB § 62
EGBGB § 7 Abs. 2
ZPO § 91 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volke Urteil

15 UF 95/00 Brandenburgisches Oberlandesgericht 48 F 203/98 Amtsgericht Potsdam

Anlage zum Protokoll vom 10.05.2001

Verkündet am 10.05.2001

Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In der Familiensache

hat der 3. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Gottwaldt, den Richter am Oberlandesgericht Langer und den Richter am Oberlandesgericht Wendtland

auf die mündliche Verhandlung vom 8. März 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird die Klage in Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Potsdam vom 3. März 2000 (AZ: 46 F 203/98) abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Tatbestand:

Mit der Ende Juli 1998 erhobenen Klage macht der Kläger geltend, er sei nicht Vater der Beklagten. In der gesetzlichen Empfängniszeit und zum Zeitpunkt ihrer Geburt war er mit ihrer Mutter verheiratet; die Ehe wurde 1988 geschieden.

Er behauptet, bis 1997 habe er keinerlei Zweifel daran gehabt, dass er der leibliche Vater der Beklagten sei. Er habe deswegen bis dahin auch stets eine enge Vater-Tochter-Beziehung zu ihr gehabt. Erstmals im März 1997 habe seine jetzige Ehefrau - er hat 1995 wieder geheiratet - davon gesprochen, die Beklagte stamme nicht von ihm ab, und angegeben, dass ihr dies kurz vor ihrer Eheschließung im Jahre 1995 durch die Mutter der Beklagten mitgeteilt worden sei.

Die Beklagte bzw. ihre sie vertretende Mutter ist der Klage von Anfang an im wesentlichen damit entgegengetreten, dass der Kläger die gesetzliche Anfechtungsfrist versäumt habe. Er habe positiv gewusst, dass sie während der gesetzlichen Empfängniszeit eine außereheliche Beziehung unterhalten habe. Er habe sie nämlich in dieser Zeit mit dem Zeugen W nackt im Ehebett liegend angetroffen, als er von einer Wochenendreise vorzeitig und überraschend zurückgekehrt sei.

Nachdem die Mutter der Beklagten in erster Instanz von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatte, holte das Amtsgericht ein Blutgruppengutachten ein. Nach dessen Ergebnis ist auszuschließen, dass die Beklagte vom Kläger abstammt. Vor diesem Hintergrund trat die Beklagte der Klage in der letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz nicht mehr entgegen, sondern schloss sich dem Klageantrag an.

Mit Urteil vom 3. März 2000 hat das Amtsgericht hiernach festgestellt, dass die Beklagte nicht das eheliche Kind des Klägers sei. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Zum Beweis ihrer Behauptung, der Kläger habe bereits vor ihrer Geburt gewusst, dass nicht er allein als Vater in Betracht komme, hat sie sich auf das Zeugnis ihrer Mutter, ferner auf das ihrer angeheirateten Großmutter, der Zeugin K, sowie des als Vater in Betracht kommenden Zeugen W berufen. Der Senat hat die angebotenen Beweise erhoben. Alle Zeugen haben die Behauptungen der Beklagten bestätigt.

Zu den weiteren Einzelheiten der Zeugeneinvernahme und des Verfahrens, insbesondere des Sachvortrags der Parteien, wird Bezug genommen auf die Protokolle der Beweisaufnahme sowie den Inhalt der gewechselten Schriftsätze der Parteien und den sonstigen Akteninhalt.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig. Insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingereicht und begründet worden (§§ 516, 518 f. ZPO). Sie ist nicht deswegen unzulässig, weil es an einer Beschwer der Beklagten fehlte, nachdem die Entscheidung der ersten Instanz auf zuletzt übereinstimmenden Antrag beider Parteien ergangen ist. Die Beschwer des Rechtsmittelführers ist grundsätzlich (materiell) danach zu bestimmen, ob er ganz oder zum Teil verurteilt wurde, mag er dem widersprochen haben oder nicht (hM, vgl. BGH JZ 1955, 423, 424, m. abl. Anm. von Lent S. 425; BGH ZZP 74 (1961), 362, 364, m. Anm. von Habscheid; 367, 369 f.; BGH NJW 1975, 539 f.; OLG Koblenz NJW-RR 1993, 462; Baumbach/Lauterbach/Albers, ZPO, 58. Aufl., Grundz. § 511 ZPO Rn. 19; Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl., Vorbem. § 511 ZPO Rn. 19; Musielak/Ball, ZPO, 2. Aufl., vor § 511 ZPO Rn. 13; Zöller/Gummer, ZPO, 22. Aufl., vor § 511 ZPO Rn. 17a; aA Rosenberg/Schwab/Gottwald § 136 II. 3. c [S. 812]; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., Einl. V vor § 511 ZPO Rn. 84 ff.). Eine solche (materielle) Beschwer der Beklagten ist im Streitfall ohne weiteres gegeben, weil der Kläger mit seiner gegen sie gerichteten Vaterschaftsanfechtungsklage im ersten Rechtszug erfolgreich war.

II.

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Der Kläger gilt trotz der nach dem vom Amtsgericht eingeholten Abstammungsgutachten ausgeschlossenen biologischen Vaterschaft nach § 1592 Nr. 1 BGB i.V.m. § 54 Abs. 5 FGB, Art. 234 § 7 Abs. 2 EGBGB als Vater der Beklagten, weil er die gesetzliche Vaterschaftsvermutung nicht innerhalb der hierfür vom Gesetz bestimmten Ausschlussfrist angefochten hat (§§ 1592, 1599 ff., § 1600 b Abs. 1; 1600 c BGB). Die danach bestehende Vaterschaft hätte er nach 62 FGB bzw. § 1600 b Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 234 § 7 Abs. 2 EGBGB nur binnen eines bzw. zweier Jahre nach dem Zeitpunkt anfechten können, in dem er von den Umständen erfahren hatte, die gegen seine Vaterschaft sprechen. Auch die längere Frist des BGB ist durch die Ende Juli 1998 eingereichte Klage nach Überzeugung des Senats nicht gewahrt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht vielmehr fest, dass er bereits im Herbst 1985 davon wusste, dass seine damalige Ehefrau, Mutter der Beklagten, in der gesetzlichen Empfängniszeit (auch) mit einem anderen Mann geschlechtlich verkehrt hatte.

1.

Die gesetzliche Anfechtungsfrist beginnt mit der Kenntnis eines Sachverhalts, der die Ehelichkeit ernstlich in Frage stellt, d.h. die nicht ganz fernliegende Möglichkeit nichtehelicher Abstammung des Kindes begründet. Die Kenntnis des Sachverhalts soll nach dem Gesetz als erster Anstoß genügen, den als Vater Geltenden zu veranlassen, sich über die Erhebung der Anfechtungsklage schlüssig zu werden (BGHZ 9, 336, 337 = BGH NJW 1953, 980; BGH FamRZ 1979, 1007, 1008 = BGH NJW 1980, 1335; BGH FamRZ 1990, 507, 509 = BGH NJW 1990, 2813). Es kommt mithin allein darauf an, ob er Kenntnis von solchen Umständen hatte, die es bei objektiver und verständiger Beurteilung als möglich erscheinen lassen, dass das Kind nicht von ihm gezeugt ist (vgl. BGH FamRZ 1973, 592, 593 = BGHZ,61, 195 = BGH NJW 1973, 1875). Ein solcher Umstand ist es ohne weiteres, die spätere Kindesmutter in der gesetzlichen Empfängniszeit "in flagranti" mit einem anderen Mann zu überraschen.

2.

Behauptet - wie hier - der anfechtende Vater einen innerhalb der Anfechtungsfrist liegenden Zeitpunkt der Kenntniserlangung i.S.v. § 62 FGB bzw. § 1600 b Abs. 1 BGB, trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er die Kenntnis bereits früher erlangt hat, das beklagte Kind (hM, vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 59. Aufl., § 1600 b BGB Rn. 3; MünchKommBGB, 3. Aufl., § 1600 h BGB a.F. Rn. 2). Den ihr obliegenden Beweis hat die Beklagte mit der Aussage des Zeugen W erbracht.

Der Senat sieht keinen Anlass, an der Glaubwürdigkeit des Zeugen oder der inhaltlichen Richtigkeit seiner Bekundungen ernsthafte Zweifel zu hegen:

Zuerst im Jahre 1983 habe er mit der damals noch unverheirateten Kindesmutter eine im selben Jahr wieder beendete Beziehung gehabt. Im Frühjahr 1985 habe dann die Mutter der Beklagten das Verhältnis wieder aufgenommen und ihm erklärt, ihre zwischenzeitlich mit dem Kläger eingegangene Ehe verliefe nicht gut. Seit dieser Zeit habe sie ihn regelmäßig in seiner Wohnung in B - sie wohnte in P - besucht. Im Herbst (September / Oktober) 1985 habe sie ihn erstmals zu sich - für ein ganzes Wochenende - in die Ehewohnung eingeladen, als der Kläger eine Kurzreise ins Ausland unternommen habe. Er habe die Nacht von Samstag auf Sonntag mit ihr verbracht; am Morgen hätten sie beide unbekleidet im Bett gelegen, als der Kläger überraschend und vorzeitig nach Hause gekommen und sie so vorgefunden habe. Der Kläger habe ihn sofort aus der Wohnung gewiesen und die Kindesmutter in die Badewanne geschickt. Danach sei sein Verhältnis zur Kindesmutter zu Ende gewesen, da es ihm - ihr gegenüber - äußerst peinlich gewesen sei, von ihrem Ehemann in dieser Weise überrascht worden zu sein. Ein letztes Mal habe sich die Kindesmutter noch einmal etwa zweieinhalb Monate später bei ihm gemeldet, um ihm mitzuteilen, dass sie schwanger sei und er als Vater des Kindes in Betracht komme. Das habe ihn stark irritiert, da er kein Kind mit ihr habe bekommen wollen. Sie habe ihn jedoch mit der Erklärung beruhigt, sie habe sich wieder mit dem Kläger ausgesöhnt, der sich in jedem Fall ein Kind von ihr wünsche. Danach habe er von der Kindesmutter erst wieder etwas aus Anlass dieses Verfahrens gehört. Eine bildliche Erinnerung an den Kläger habe er nicht; dazu sei die Begegnung mit ihm zu kurz gewesen und liege zu lange zurück.

Diese Bekundungen sind in sich schlüssig und nachvollziehbar; sie beruhen erkennbar auf im Kern lebendiger Erinnerung und sind in sich widerspruchsfrei. Keiner Frage - auch des Senats - ist der Zeuge ausgewichen, auch wenn sie für ihn unangenehme Punkte berührte oder betraf.

Umstände, die gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen sprächen; sind nicht ersichtlich. Insbesondere seine ruhige und besonnene Art sowie sein rundweg seriös erscheinendes Auftreten stehen ebenso wie die zurückhaltende Offenheit seiner Darstellung und der Antworten auf ihm gestellte Fragen sprechen für seine Vertrauenswürdigkeit.

Dies hat der Kläger nicht durch die - in nicht nachgelassenem Schriftsatz geäußerte - Vermutung erschüttern können, der Zeuge verstehe sich anscheinend auch heute noch gut mit der Kindesmutter, so dass ihre "gar nichts anderes übrig geblieben" sei, als "(ihre) Version ... vor Gericht zu bestätigen, weil dies voraussehbar wohl das kleinere Übel für ihn" gewesen sei. Diese wenig konkrete Behauptung lässt keinen tatsächlichen Sachverhalt erkennen, der die in den Raum gestellte Vermutung stützen könnte.

Da der Senat seine Überzeugung davon, dass der Kläger bereits zu dem von der Beklagten bezeichneten Zeitpunkt Kenntnis von den gegen seine Vaterschaft sprechenden Umständen gehabt hatte, allein aus den glaubhaften Bekundungen des Zeugen W gewonnen hat, kommt es auf die vom Kläger angezweifelte Glaubhaftigkeit der dieses Beweisergebnis nur stützenden Aussagender Zeuginnen T und K nicht maßgeblich an.

3.

Es mag wenig befriedigend erscheinen, wenn eine Verwandtschaftsbeziehung rechtlich aufrechterhalten bleibt, die biologisch nicht besteht. Der Gesetzgeber hat mit der Schaffung der Anfechtungsfrist diesen Fall aber bewusst in Kauf genommen (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 1995, 643, 644). Die Regelung ist auch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und dem Grundgesetz vereinbar, weil die Einführung von Fristen für die Vaterschaftsanfechtungsklage vor dem Hintergrund der durch sie geschaffenen Rechtssicherheit und des Schutzes der Interessen des Kindes gerechtfertigt und erforderlich ist (vgl. EuGH NJW 1986, 2176, 2177; BverfG NJW 1975, 208; BGH FamRZ 1991, 325).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Berufungsstreitwert: 4.000,- DM (§ 12 Abs. 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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