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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 17.02.2005
Aktenzeichen: 2 Ss (OWi) 132 B/04
Rechtsgebiete: StPO, OWiG


Vorschriften:

StPO § 261
StPO § 267 Abs. 1 Satz 3
OWiG § 71 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

2 Ss (OWi) 132 B/04 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In dem Bußgeldverfahren

wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit,

hat der 2. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch den Richter am Oberlandesgericht ... am 17. Februar 2005

beschlossen:

Tenor:

Dem Betroffenen wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung seiner Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Lübben vom 10. Mai 2004 gewährt.

Die vorgenannte Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat der Betroffene zu tragen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht setzte gegen den Betroffenen wegen zweier in Tateinheit begangener fahrlässiger Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße von 220,00 Euro fest und ordnete gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat an. Nach den Feststellungen fuhr der Betroffene am 26. Januar 2003 mit einem Personenwagen auf der Bundesautobahn 13 in Richtung Berlin vor der Anschlussstelle Staa-kow mit einer Geschwindigkeit von 125 km/h, obwohl dort wegen einer Baustelle die Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h beschränkt war, und nach Ende dieser Baustelle mit einer Geschwindigkeit von 180 km/h; dort war die Höchstgeschwindigkeit auf 120 km/h beschränkt.

Dieses Urteil wurde in Anwesenheit des Betroffenen verkündet; am 11. Mai 2004 ging seine Rechtsbeschwerde bei dem Amtsgericht ein. Am 1. Juni 2004 wurde das Urteil dem Verteidiger zugestellt. Am 15. Juli 2004 verwarf das Amtsgericht die Rechtsbeschwerde wegen Versäumung der Begründungsfrist als unzulässig; dieser Beschluss wurde dem Verteidiger am 19. Juli 2004 zugestellt. Noch am selben Tag ging der Antrag des Verteidigers auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Begründungsfrist, bei dem Amtsgericht ein; diesem Schriftsatz beigefügt war der Antrag, das Urteil aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen, und die Rüge, das Urteil verletze materielles Recht.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, dem Betroffenen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Begründungsfrist zu gewähren und auf die Rechtsbeschwerde das Urteil wegen lückenhafter Beweiswürdigung aufzuheben.

II.

1) Dem Betroffenen ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren.

Der Verteidiger hat glaubhaft dargelegt, dass er von seinem Mandanten den Auftrag erhielt, gegen das Urteil Rechtsbeschwerde einzulegen, so dass die Versäumung der Frist nicht dem Betroffenen zugerechnet werden kann (§ 45 Abs. 1 StPO). Im übrigen ist es wahrscheinlich, dass der Verteidiger seinen Antrag und die Begründung des Rechtsmittels rechtzeitig per Fax abgesandt hat, wie aus einem Sendebericht vom 23. Juni 2004 (Bl. 122 d. A.) hervorgeht.

Aufgrund der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist der Antrag des Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 346 Abs. 2 StPO) gegenstandslos.

2) Die Sachrüge ist indes unbegründet.

Die Geschwindigkeit des Fahrzeugs des Betroffenen wurde, wie sich aus den Urteilsgründen ergibt, mit einem "Weg-Strecken-Zeitmessgeräts Typ Vidista VDM-R" gemessen, also mit Hilfe einer Videoaufzeichnung in dem nachfolgenden Polizeifahrzeug. Der Betroffene hat sich nicht zur Sache eingelassen. Zu den Gründen, aus denen sich der Bußgeldrichter davon überzeugte, dass der Betroffene den festgestellten Personenwagen gefahren hat, heißt es in dem Urteil allein: "Die Identität des Betroffenen ergibt sich aus dem in Augenschein genommenen Messvideoband" (UA Seite 4).

Gegen diese Begründung hat der Verteidiger folgenden Einwand erhoben:

"Ausführungen dazu, was auf dem Messvideoband zu erkennen ist, finden sich im Urteil allerdings nicht. Ob der Betroffene auf dem Band überhaupt abgebildet ist und in welcher Qualität, wird im Urteil nicht näher ausgeführt. Bei der Videoaufnahme handelt es sich um eine übliche Aufzeichnung einer Verfolgungsfahrt. Das gemessene Fahrzeug fährt voraus; das Messfahrzeug folgt mit einem bestimmten annähernd konstanten Abstand. Eine solche Aufzeichung kann naturgemäß den Fahrer des verfolgten Fahrzeuges nicht beinhalten.

Im Übrigen hat weder in der Hauptverhandlung am 04.05.2004 noch im Fortsetzungstermin am 10.05.2004 ein Vergleich des persönlich anwesenden Betroffenen mit einer Videoaufzeichnung stattgefunden. Lediglich der Teil der Aufzeichnung, der die Verfolgungsfahrt beinhaltet, ist zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden."

Nach Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft leidet das Urteil an einer im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht zu überwindenden Lücke in der Beweiswürdigung, die auf Grund der Sachrüge zu dessen Aufhebung führen müsse. Der Bußgeldrichter habe auf das in Augenschein genommene Messvideoband nicht gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO verwiesen, so dass dem Rechtsbeschwerdegericht nicht die Prüfung ermöglicht sei, ob die bildlichen Darstellungen für eine Identifizierung geeignet sind. Von der "anderen Möglichkeit", die auf Lichtbildern oder in einer Videoaufzeichnung dargestellte Person mit dem Betroffenen anhand individueller Merkmale zu vergleichen, habe der Bußgeldrichter keinen Gebrauch gemacht. Nach Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft sind danach, soweit es um die tatrichterliche Begründungspflicht geht, auf eine Identifizierung des Betroffenen mithilfe einer Videoaufzeichnung dieselben Grundsätze anzuwenden wie auf eine Identifizierung anhand eines Radarfotos.

a) Dass Videoaufzeichnungen "naturgemäß", wie die Verteidigung meint, den Fahrer des verfolgten Fahrzeuges nicht wiedergeben können, trifft nicht zu. Häufig enthalten solche Aufzeichnungen auch Szenen, die unmittelbar im Anschluss an die Verfolgungsfahrt gefilmt wurden und den Fahrer des verfolgten Fahrzeuges zeigen, gerade um dessen spätere Identifizierung zu ermöglichen. Im Übrigen ist durch das Hauptverhandlungsprotokoll (des ersten Tages der Hauptverhandlung) bewiesen, dass die Videoaufzeichnung in Augenschein genommen worden ist (§ 274 StPO).

Die Rüge der Verteidigung, lediglich der Teil der Aufzeichnung, der die Verfolgungsfahrt beinhaltet, sei zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden - womit offenbar eine Verletzung von § 261 StPO gerügt werden soll -, ist eine unzulässige Verfahrensrüge, weil der Senat sie nur durch eine Rekonstruktion der Hauptverhandlung überprüfen könnte (vergl. KK-StPO, 4. Aufl., Rn. 43). Entsprechendes gilt für die Behauptung, in der Hauptverhandlung habe kein Vergleich der Videoaufzeichnung mit dem Betroffenen stattgefunden.

b) Für den Fall, dass sich der Tatrichter anhand eines Fotos davon überzeugte, dass der Betroffene das festgestellte Fahrzeug fuhr, sind in der Rechtsprechung folgende Anforderungen an die Urteilsgründe anerkannt (vgl. BGH 41, 376, 382 f.):

In diesem Fall müssen die Urteilsgründe so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen.

Diese Forderung kann der Tatrichter dadurch erfüllen, dass er in den Urteilsgründen auf das in der Akte befindliche Foto gem. §§ 267 Abs. 1 Satz 3 StPO, 71 Abs. 1 OWiG Bezug nimmt.

Aufgrund der Bezugnahme, die deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht werden muss, wird das Lichtbild zum Bestandteil der Urteilsgründe. Das Rechtsbeschwerdegericht kann deshalb die Abbildung aus eigener Anschauung würdigen und ist daher auch in der Lage zu beurteilen, ob sie als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist.

Sieht der Tatrichter hingegen von solch einer Verweisung ab, muss er dem Rechtsbeschwerdegericht, dem das Foto dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung steht, durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung die Prüfung ermöglichen, ob es für eine Identifizierung geeignet ist. In diesem Fall muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere Identifizierungsmerkmale so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit des Fotos ermöglicht wird.

c) Diese Grundsätze (b) können nicht auf die Identifizierung anhand eines Videofilms übertragen werden.

Ob auf eine Videoaufzeichnung nach § 267 Abs. 1 S. 3 StPO verwiesen kann, ist offenbar noch nicht eindeutig geklärt. Das Pfälzische Oberlandesgericht hat dies in einem Beschluss vom 20. November 2001 "grundsätzlich als zulässig" angesehen (VRs 102,102,103). Das Schleswig Holsteinische Oberlandesgericht hingegen hat in einem Beschluss vom 16. Dezember 1996 entschieden, das Tatgericht könne nicht - jedenfalls "nicht ohne weiteres" - auf die Videoaufzeichnung selbst, wohl aber auf Abzüge von dieser Aufzeichnung, also auf einzelne aus der Aufzeichnung stammende Lichtbilder, gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO Bezug nehmen (SchlHA 1997, 170). Nach der Kommentierung von Göhler ist offenbar nur die Verweisung auf solche Abzüge rechtlich wirksam (OWiG, 13. Aufl., Rn. 47 zu § 71).

Die Wirksamkeit einer Verweisung setzt nicht nur voraus, dass der Tatrichter sie im Urteil eindeutig zum Ausdruck bringt - am einfachsten, indem er die Verweisungsnorm (§ 267 Abs. 1 S. 3 StPO) erwähnt -; es muss auch jeder Zweifel am Gegenstand der Verweisung ausgeschlossen sein (vgl. OLG Brandenburg VRs 94, 454). Nur wenn die Urteilsgründe eindeutig bestimmen, worauf - auf welchen Gegenstand - sich die Verweisung bezieht, besteht Klarheit über den Inhalt der Urteilsurkunde. Aus diesem Grunde erscheint es ausgeschlossen, zur Identifikation des Fahrers wirksam auf einen Videofilm insgesamt zu verweisen. Aber auch bei einer näheren Kennzeichnung der Teile des Filmes, auf die der Tatrichter seine Überzeugung über die Identität des Fahrers stützt, wäre der Gegenstand der Verweisung wohl nicht ausreichend bestimmt. Doch muss diese Frage in diesem Fall nicht entschieden werden, weil hier der Tatrichter auf dem Videofilm nicht gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO Bezug genommen hat.

Nicht ausgeschlossen ist es freilich, dass der Tatrichter auf Abzüge des Films, die sich in den Akten befinden, also auf einzelne Bilder aus dem Film, bei der Urteilsbegründung Bezug nimmt. Doch auch dies hat der Bußgeldrichter in diesem Fall nicht getan.

Daraus folgt nun aber nicht, dass der Bußgeldrichter - wie bei der Verwendung eines Radarfotos - verpflichtet war, in den Urteilsgründen die Qualität des Videofilmes zu kennzeichnen und die Person, die in dem Film als Fahrer erkannt werden kann, oder mehrere ihrer Identifizierungsmerkmale so präzise zu beschreiben, dass dem Rechtsbeschwerdegericht anhand dieser Beschreibung die Prüfung möglich ist, ob der Videofilm für eine Identifizierung geeignet ist. Diese Anforderungen hat der Bundesgerichtshof für Radarfotos ersichtlich deshalb aufgestellt, weil diese Fotos, soweit es um den abgebildeten Fahrer geht, nicht selten von schlechter Qualität sind. Je nach Qualität und Inhalt des Bildes - so heißt es in dem erwähnten Beschluss - können sich ein Vergleich mit dem persönlich anwesenden Betroffenen und der Schluss auf seine Täterschaft "von vornherein als schlechterdings unmöglich und willkürlich erweisen" (a.a.O., Seite 382). Sieht der Tatrichter den Betroffenen gleichwohl auf Grund des Lichtbildes als überführt an, so leidet das Urteil an einem Rechtsfehler; und um die Urteilsgründe auf einen Rechtsfehler dieser Art überprüfen zu können, hat der Bundesgerichtshof jene Anforderung entwickelt, sofern nicht der Tatrichter, was praktisch ohnehin naheliegt, von der Möglichkeit der Verweisung nach § 267 Abs. 1 S. 3 StPO Gebrauch macht. Dieser Ausgangspunkt zur Qualität der Bilder trifft aber auf Videoaufzeichnungen mit dem System "Vidista VDM-R", das in diesem Fall verwendet wurde, nicht zu. Es besteht deshalb kein Grund, diese Videoaufzeichnungen unter dem Gesichtspunkt der tatrichterlichen Begründungspflicht anders zu behandeln als andere Videoaufzeichnungen, etwa solche, die von Aufnahmegeräten in einer Bank oder zur Verkehrsüberwachung hergestellt werden und im Strafprozess oder auch in Ordnungswidrigkeitsverfahren zum Beweis verwendet werden. Außerdem ist auch hier zu berücksichtigen, dass in Bußgeldsachen an die Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (BGHSt 39, 291, 299).

Nach den allgemeinen strafprozessrechtlichen Grundsätzen ist der Tatrichter weder verpflichtet, in den Urteilsgründen alle als beweiserheblich in Betracht kommenden Umstände ausdrücklich anzuführen, noch hat er stets im Einzelnen darzulegen, auf welchem Wege und auf Grund welcher Tatsachen und Beweismittel er seine Überzeugung gewonnen hat. Eine solche Verpflichtung besteht auch nicht hinsichtlich solcher Tatsachen, die der Richter auf Grund eigener Wahrnehmung in der Hauptverhandlung feststellt (BGH a.a.O., Seite 380/381). Nach diesen Grundsätzen ist es nicht als Rechtsfehler anzusehen, dass der Bußgeldrichter seine Überzeugung, dass der Betroffene das festgestellte Fahrzeug fuhr, mit dem - wenn auch knappen - Satz begründete: "Die Identität des Betroffenen ergibt aus dem in Augenschein genommenen Messvideoband."

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 S. 1, Abs. 7 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.

Ende der Entscheidung

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