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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 16.02.2006
Aktenzeichen: 2 Ss (OWi) 20 Z/06
Rechtsgebiete: OWiG, StPO
Vorschriften:
OWiG § 74 Abs. 2 | |
OWiG § 79 Abs. 1 Satz 2 | |
OWiG § 80 Abs. 2 | |
StPO § 354 Abs. 2 |
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss
2 Ss (OWi) 20 Z/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht
In dem Bußgeldverfahren
wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
hat der 2. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts als Senat für Bußgeldsachen durch den Richter am Oberlandesgericht Prof. Dr. Heghmanns - als Einzelrichter -
am 16. Februar 2006
beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Lübben vom 11. Oktober 2005 wird zugelassen.
Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde wird das Urteil des Amtsgerichts Lübben vom 11. Oktober 2005 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des selben Amtsgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Gegen den Betroffenen erging wegen einer fahrlässigen außerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 26 km/h ein Bußgeldbescheid über eine Geldbuße von 60 EUR. Auf seinen Einspruch hin beraumte das Amtsgericht einen Hauptverhandlungstermin auf den 11. Oktober 2005 an. Zu diesem Termin erschien der Betroffene nicht, weshalb das Amtsgericht seinen Einspruch gemäß § 74 Abs. 2 OWiG durch das angefochtene Urteil verwarf.
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung des rechtlichen Gehörs. Dazu trägt er vor, mit zunächst vorab per Telefax übermitteltem Schriftsatz vom 05.10.2005 habe der Verteidiger des Betroffenen eine Terminsverlegung beantragt, weil der Betroffene aus gesundheitlichen Gründen nicht reisefähig gewesen sei. Gegenstand der Faxsendung war weiterhin in Kopie ein ärztliches Attest der Arztpraxis Dr. ... und Dr. ... aus ... vom selben Tag. Darin heißt es:
"O. g. Patient hat sich eine Humeruskopfluxationre zugezogen und ist deshalb nicht in der Lage zu verreisen. Die Behandlung wird bis November 2005 andauern."
In den Urteilsgründen legt das Amtsgericht dar, dass es das Ausbleiben des Betroffenen nicht als entschuldigt ansieht, weil er nicht glaubhaft gemacht habe, nicht reisefähig zu sein. Es heißt weiter:
"Zum einen liegt bis heute kein Original des bisher nur per Telefax vom 05.10.2005 übermittelten ärztlichen Attestes vor (Bl. 44). Jedoch ergab ein Anruf in der Arztpraxis des Betroffenen, dass dieser wegen seiner Humeruskopfluxation (Oberarmbruch) bereits am 17.08.2005 beschwerdefrei aus dem Krankenhaus entlassen worden sei. Zwar konnte wegen urlaubsbedingter Abwesenheit nicht mit der behandelnden Ärztin selbst gesprochen werden. Jedoch konnte die vertretende Ärztin aus der den Betroffenen betreffenden Patientendokumentation keine Anhaltspunkte für eine Reiseunfähigkeit entnehmen. Der Betroffene hat sich erst am 05.10.2005 wieder vorgestellt und sollte sich nur bei Bedarf wieder bei seiner behandelnden Ärztin vorstellen." (UA S. 2)
Der Zulassungsantrag legt ferner dar, dem Schriftsatz vom 05.10.2005 sei das besagte Attest im Original beigefügt gewesen.
II.
Im Hinblick auf die Höhe der ausgeurteilten Geldbuße bedarf die Rechtsbeschwerde gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 OWiG der Zulassung. Wegen Verfahrensfehlern ist diese nach § 80 Abs. 2 OWiG nicht möglich, wohl aber wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG), weil dieser Zulassungsgrund den Restriktionen des § 80 Abs. 2 OWiG nicht unterworfen ist (Steindorf in Karlruher Kommentar zum OWiG, 2. Aufl., § 80 Rn. 43 m.w.N.).
Der Betroffene hat in noch ausreichender Weise eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dargetan. Entscheidungen nach § 74 Abs. 2 OWiG verletzen den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn das Gericht gewichtiges Entschuldigungsvorbringen außer Acht gelassen hat. Das ist hier der Fall. Denn das Amtsgericht hat ausweislich der Urteilsgründe nicht berücksichtigt, dass ihm das ärztliche Attest im Original zum Urteilszeitpunkt vorlag, wie die Rechtsbeschwerde behauptet und wie sich aus dem mit einem Eingangsstempel des Amtsgerichts vom 07. Oktober 2005 versehenen Originalschriftsatz vom 05.Oktober 2005 ergibt, dem das besagte Attest im Original beilag. Dieser Schriftsatz ist den Akten als Bl. 50, 51 eingeheftet, während das Protokoll der Hauptverhandlung vom 11.Oktober 2005 erst auf Bl. 54 beginnt. Damit hat das Amtsgericht einen vorgetragenen tatsächlichen Umstand bei seiner Entscheidungsfindung unberücksichtigt gelassen und den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
III.
Auf dieser Nichtberücksichtigung beruht das Prozessurteil. Das Gericht hat ausweislich der Urteilsgründe das Fehlen eines Originals des Attestes maßgebend berücksichtigt. Es ist daher nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich, dass kein Verwerfungsurteil ergangen wäre, hätte das Gericht vor Erlass seiner Entscheidung das Vorhandensein des Originals bemerkt. Das Gericht hat sich nämlich offensichtlich wegen der ihm bis daher nur bekannten Kopie des Attestes über die Plausibilität derselben Gedanken gemacht hat, also eine unzutreffende oder verfälschte Attestierung nicht ausgeschlossen. Aus diesem Grund hat es Nachforschungen bei der Vertretungsärztin angestellt, die anhand der Patientenaktenlage die Zweifel an der Glaubhaftmachung einer Entschuldigung indes nicht auszuräumen vermochte.
Diese vom Gericht unternommenen Nachforschungen mögen ausreichen, die Annahme fehlender Glaubhaftmachung einer Reiseunfähigkeit zu tragen, solange die beschriebenen Zweifel sowohl an Inhalt als auch an Echtheit des Attestes bestanden. Sie wären aber ungeeignet gewesen, die Annahme fehlender Glaubhaftmachung auch in Ansehung der Vorlage eines unzweifelhaft unverfälschten Originalattestes zu tragen. Denn dann müsste das Gericht - logisch betrachtet - Zweifel ausschließlich an der inhaltlichen Korrektheit der ärztlichen Bescheinigung gehabt haben oder mit anderen Worten, einen Fehler oder gar eine Pflichtwidrigkeit des behandelnden Arztes vermuten. Bestehen solche Zweifel, so braucht das Gericht allerdings das Attest nicht hinnehmen; es kann vielmehr weitere Nachforschungen anstellen. Dazu hätte es im vorliegenden Fall einen Arzt hinzu zu ziehen gehabt, der den Betroffenen zuvor in eigener Person behandelt oder untersucht hatte. Das hat das Gericht aber nicht getan. Es konnte die einzige Person, die verbindlich über die Richtigkeit der Bescheinigung hätte Auskunft geben können, die behandelnde Ärztin, nicht befragen. Es hat aber auch keine amtsärztliche Untersuchung des Betroffenen veranlasst, um die vorgelegte Bescheinigung abschließend zu verifizieren oder zu falsifizieren. Es hat vielmehr lediglich einen über die Vertretungsärztin vermittelten Blick in die Patientenakte getan und damit im Ergebnis nach eigener Sachkunde entschieden. Inwiefern der erkennende Richter über die dazu erforderliche ausreichende ärztliche Sachkunde verfügt, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Ein solches Vorgehen hätte aber wie ausgeführt allein dann genügt, wenn tatsächlich nur eine Attestkopie vorgelegen hätte.
Es kann davon ausgegangen werden, dass der erkennende Richter diese Überlegungen ggf. ebenso angestellt hätte. Deshalb liegt es nahe, dass das Auffinden des offenbar unverfälschten Originalattestes seine vorhandenen Zweifel an einer glaubhaft gemachten Entschuldigung des Ausbleibens des Betroffenen entweder ausgeräumt oder aber ihn zu den beschriebenen weitergehenden Nachforschungen veranlasst hätte. Daher beruht die Verwerfung des Einspruchs auch auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs. Das Verwerfungsurteil des Amtsgerichts war folglich aufzuheben und zu diesem Zweck zuvor die Rechtsbeschwerde zuzulassen.
IV.
Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 2 StPO anders als im Regelfall (§ 79 Abs. 6 OWiG) an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurück zu verweisen. Angesichts des nicht unerheblichen Verfahrensverstoßes, der zudem eine vom erkennenden Richter als unzulässig zurückgewiesene Befangenheitsrüge voran ging, erschien dies im Interesse der Sache angezeigt (vgl. Steindorf in Karlsruher Kommentar, § 79 Rn. 161).
Ende der Entscheidung
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