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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 15.05.2001
Aktenzeichen: 2 Ss 2/01
Rechtsgebiete: JGG, StPO


Vorschriften:

JGG § 17
JGG § 38 Abs. 3 S. 1
StPO § 244 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

2 Ss 2/01 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Strafsache

wegen Raub u. a.

hat der 2. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Röper, die Richterin am Oberlandesgericht Pisal und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Kühl

am 15. Mai 2001

einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Bernau vom 12. Juli 2000 im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bernau zurückverwiesen.

Gründe:

I. Das Amtsgericht Bernau hat den zum Zeitpunkt der Tat jugendlichen Angeklagten wegen Raubes und Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Nach den Feststellungen verletzte der Angeklagte am 21. Juni 1999 zusammen mit Freunden einen anderen Jugendlichen durch Tritte und Schläge und nahm ihm unter Ausnutzung der vorangegangenen Gewaltanwendung ein Playstation-Spiel weg. Die Verhängung von Jugendstrafe hat das Amtsgericht ausschließlich auf das Vorhandensein schädlicher Neigungen gestützt (§ 17 Abs. 2 JGG).

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Angeklagten mit Verfahrensbeanstandungen und der Sachrüge.

II. Soweit sich das Rechtsmittel auch gegen den Schuldspruch wendet, ist es offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Dagegen kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben. Eine Verfahrensrüge führt zu seiner Aufhebung.

1. Die Revision macht unter anderem folgendes geltend:

Das Amtsgericht hatte die Jugendgerichtshilfe von dem Termin zur Hauptverhandlung benachrichtigt. Unter dem 4. Juli 2000 teilte ihm diese mit, sie könne keinen Vertreter zur Hauptverhandlung entsenden, weil der - anscheinend einzige dafür zur Verfügung stehende - Bedienstete am Terminstage eine Ladung zu einem anderen Gericht befolgen müsse. Unter dem 7. Juli 2000 vermerkte der Vorsitzende in den Akten, er habe gegenüber der zuständigen Abteilungsleiterin des Landkreises B auf Anwesenheit der Jugendgerichtshilfe bestanden. Tatsächlich nahm ein Vertreter der Jugendgerichtshilfe an der Hauptverhandlung nicht teil. In der Hauptverhandlung verlas der Vorsitzende einen von der Jugendgerichtshilfe erstellten Bericht über den Angeklagten. In dem Bericht kam die Behörde zu dem Ergebnis, bei dem Angeklagten lägen schädliche Neigungen im Sinne von § 17 JGG nicht vor. Es heißt dort weiter, aufgrund eines persönlichen Gesprächs mit dem Angeklagten sei die Jugendgerichtshilfe zu der Ansicht gelangt, eine Verwarnung sowie die Verhängung einer isolierten Sperrfrist (§ 69a Abs. 1 S. 3 StGB) seien ausreichend. Wie in der Hauptverhandlung erörtert und im Urteil festgestellt worden ist, stammte dieser nur mit einem aktuellen Vorblatt versehene Bericht vom Juli 1999, also von einem Zeitpunkt ein Jahr vor der Hauptverhandlung, und der Angeklagte hatte seither keinen Kontakt mehr mit der Jugendgerichtshilfe gehabt.

2. Die Annahme schädlicher Neigungen und, daraus folgend, die Verhängung von Jugendstrafe begründet das Amtsgericht wie folgt:

Der Angeklagte habe seine Tat begangen, obwohl er sich 14 Tage vorher, nämlich am 7. Juli 1999, vor einem Jugendgericht habe verantworten müssen. Damals habe er ein Fahrzeug ohne Fahrerlaubnis geführt und, um einer Polizeikontrolle zu entgehen, sein Fahrzeug beschleunigt und den kontrollierenden Beamten gezwungen, die Fahrbahn zu verlassen. Gleichwohl habe er "bereits zum zweiten Mal Menschen erheblich in Mitleidenschaft gezogen ... und (sei) nicht davor (zurückgeschreckt), einen Menschen krankenhausreif zu schlagen". Zwar sei der Angeklagte seit Juli 1999 nicht von der Jugendgerichtshilfe angesprochen worden, aber der Schluß auf das Vorhandensein schädlicher Neigungen könne auch auf der Grundlage des früheren Berichts und des Eindrucks gezogen werden, den der Angeklagte in der Hauptverhandlung hinterlassen habe.

3. Mit Recht beanstandet die Revision dieses Verfahren.

a) Ist wie hier die Jugendgerichtshilfe vom Termin der Hauptverhandlung benachrichtigt worden, so liegt ein zur Aufhebung des Urteils nötigender Verfahrensfehler nicht schon darin, daß die Hauptverhandlung dann ohne Teilnahme der Jugendgerichtshilfe stattgefunden hat, weil diese keinen Vertreter entsandt hatte. Seiner aus § 38 Abs. 3 S. 1 JGG folgenden Pflicht, die Jugendgerichtshilfe auch für den Verfahrensabschnitt der Hauptverhandlung "heranzuziehen", kommt der Jugendrichter schon durch die Terminsmitteilung nach. Weiter gehen seine Pflichten aufgrund dieser Vorschrift nicht. Erscheint daraufhin ein Vertreter der Jugendgerichtshilfe nicht und wird die Hauptverhandlung gleichwohl durchgeführt, so liegt hierin kein Verstoß gegen § 38 Abs. 3 S. 1 JGG (BGHSt. 27,250; BGH StV 1985, 153); noch viel weniger hat die Hauptverhandlung "in Abwesenheit... einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden" (§ 338 Nr. 5 StPO).

b) Hat das Gericht jedoch das Vorliegen schädlicher Neigungen angenommen und bestanden greifbare Anhaltspunkte dafür, daß die Jugendgerichtshilfe Erkenntnisse hatte oder hätte gewinnen können, die für den Ausspruch über die Rechtsfolgen und insbesondere zur Frage der schädlichen Neigungen von Bedeutung hätten sein können, dann kann in der Unterlassung, sie anzuhören, eine Verletzung der Aufklärungspflicht liegen (§ 244 Abs. 2 StPO; vgl. BGH, aaO; BayObLG, ZBL 1995, 280). So liegt der Fall hier. Ein Jahr vor der gegenständlichen Hauptverhandlung hatte die Jugendgerichtshilfe aufgrund von Gesprächen mit dem Angeklagten schädliche Neigungen verneint. Dadurch mußte sich das Amtsgericht gedrängt fühlen, sie in der Hauptverhandlung zu hören, weil dies ein Anhaltspunkt dafür war, daß sie die Frage nach schädlichen Neigungen erneut in demselben Sinne beantworten und mit ihren Ausführungen die richterliche Entscheidungsfindung zugunsten des Angeklagten beeinflussen würde. Durch die hierzu im Urteil angestellten Erwägungen wird das jedenfalls nicht ausgeschlossen. Das gilt insbesondere deshalb, weil die Richtigkeit der Erwägung, in beiden abgeurteilten Fällen habe der Angeklagte "Menschen erheblich in Mitleidenschaft gezogen" (UA S. 8), und, wie der Jugendrichter damit sinngemäß zum Ausdruck bringt, auch aus dieser Gleichartigkeit der Tatbegehung lasse sich auf schädliche Neigungen schließen, nicht ohne weiteres auf der Hand liegt.

III. Für den Fall, daß das Verhalten der Jugendgerichtshilfe im vorliegenden Verfahren auf Personalmangel beruht und deshalb entschieden worden ist, welcher von zwei anberaumten Terminen wahrzunehmen war, weist der Senat auf folgendes hin:

Hält der Jugendrichter eine Teilnahme der Jugendgerichtshilfe an der Hauptverhandlung für erforderlich, dann konkretisiert er damit die ihm durch das Strafverfahrensrecht (§ 244 Abs. 2 StPO) auferlegte Aufklärungspflicht. Das Jugendamt, das, seiner bundesrechtlich bestimmten Zuständigkeit entsprechend (§ 52 Abs. 1 KJHG), mit einem solchen Verlangen konfrontiert wird, hat ihm aus Rechtsgründen zu entsprechen. Geschieht dies nicht, so verletzt es unter Umständen Bundesrecht und auch die ihm obliegende Verfassungspflicht (Art. 92 GG), Anordnungen der rechtsprechenden Gewalt zu befolgen; das gilt vor allem, wenn die Behörde in Verkennung ihrer Befugnisse selbst über die Notwendigkeit einer Mitwirkung entscheidet. Entsprechendes gilt für die Frage, wie viele Mitarbeiter die Kreisverwaltung benötigt, um die erfahrungsgemäß anfallenden jugendrichterlichen Hauptverhandlungen wahrzunehmen. Auch hier sind haushalts- und verwaltungspolitischen Erwägungen bundesrechtliche Grenzen gesetzt (vgl. hierzu auch Senat, NStZ 2000 m. Anm. v. Rautenterg, 504; BGHSt. 28, 327). Der Träger der Jugendgerichtshilfe wird deshalb aus Anlaß dieses Falles das etwa Erforderliche veranlassen müssen.

Ende der Entscheidung

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