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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 22.01.2004
Aktenzeichen: 2 Ss 36/03
Rechtsgebiete: DVAuslG, AuslG, BGSG


Vorschriften:

DVAuslG § 1 Abs. 1
DVAuslG § 12 Abs. 1
AuslG § 58 Abs. 1 Nr. 1
AuslG § 59 Abs. 2 Satz 1
BGSG § 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

2 Ss 36/03 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Strafsache

wegen Steuerhinterziehung u. a.,

hat der 2. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ...

am 22. Januar 2004

beschlossen:

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 2. Juli 2003 wird mit der Maßgabe, dass der Angeklagte der Steuerhinterziehung in Tateinheit mit versuchter unerlaubter Einreise schuldig ist, als unbegründet verworfen.

Der Angeklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in Tateinheit mit unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 3 € und ordnete die Einziehung von 7600 sichergestellten Zigaretten an. Nach den Feststellungen fuhr der Angeklagte, der einen polnischen Nationalpass bei sich führte, von Polen mit einem Pkw in das Bundesgebiet. In dem zum Transportieren von Waren hergerichteten Tank des Pkw hatte er 7600 Zigaretten versteckt; diese zeigte er beim Zollamt ... - Autobahn nicht zur Zollbehandlung an. Auf die Zigaretten entfielen Einfuhrabgaben in Höhe von knapp 1.900 DM. Nach den Feststellungen ist bei dem Grenzübergang ... - Autobahn die Kontrollstelle des Bundesgrenzschutzes der Kontrollstelle des Zolls "vorgelagert".

Gegen dieses Urteil richtet sich die Sprungrevision des Angeklagten, mit der er die Sachrüge erhebt. Er wendet sich dagegen, dass ihn das Amtsgericht auch wegen unerlaubter Einreise (§ 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG) verurteilt hat. Als sogenannter Positivstaatler habe er für die Einreise keine Aufenthaltsgenehmigung gebraucht. Nach § 1 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes (DVAuslG) sei sie für einen Positivstaatler erst erforderlich, wenn er im Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit aufnimmt. Die Einfuhr der Zigaretten lasse zwar die Absicht erkennen, im Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, doch diese Absicht reiche nicht aus, "die Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 1 DVAuslG entfallen zu lassen und den Aufenthalt des Revisionsführers in der Bundesrepublik erlaubnispflichtig zu machen."

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg teilt diese Argumentation und beantragt, das Urteil des Amtsgerichts aufzuheben.

II.

Das - statthafte (§ 335 Abs. 1 StPO) und auch im übrigen zulässige - Rechtsmittel ist nicht begründet. Die Auffassung der Revision und der Generalstaatsanwaltschaft zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Einreise als unerlaubt anzusehen ist, kann der Senat nur im Ausgangspunkt teilen (1). Doch liegt in diesem Fall nur eine versuchte unerlaubte Einreise vor (2). Es erscheint ausgeschlossen, dass das Amtsgericht auf eine andere Strafe erkannt hätte, wenn es den Angeklagten der versuchten statt der vollendeten unerlaubten Einreise schuldig gesprochen hätte (3).

1. Die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet ist unerlaubt, wenn er eine erforderliche Aufenthaltsgenehmigung nicht besitzt (§ 58 Abs. 1 Nr. 1 AuslG). Von dem Erfordernis einer Aufenthaltsgenehmigung kann das Bundesministerium des Innern durch Rechtsverordnung zur Erleichterung des Aufenthalts von Ausländern Befreiungen vorsehen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 AuslG). Dies ist mit der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes vom 18. Dezember 1990 geschehen (BGBl. I Seite 2983). Danach bedürfen Angehörige der in einer Anlage zu dieser Verordnung aufgeführten Staaten für Aufenthalte bis zu drei Monaten keiner Aufenthaltsgenehmigung, wenn sie einen Nationalpass - oder einen in der Verordnung aufgeführten Passersatz - besitzen "und keine Erwerbstätigkeit (§ 12) aufnehmen" (§ 1 Abs. 1 DVAuslG). Polen ist in der Anlage ("positiv") aufgeführt; der Angeklagte ist also als sogenannter Positivstaatler anzusehen.

Nach dem Wortlaut jener Bestimmung ("... aufnehmen") ist nicht bereits aufgrund der Absicht des Einreisenden, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, eine Aufenthaltsgenehmigung erforderlich, sondern erst mit der Aufnahme der Erwerbstätigkeit selbst. In diesem Sinne wird § 1 Abs. 1 DVAuslG überwiegend ausgelegt (Hailbronner AuslR, Rn 9 zu § 58; Renner, AuslR, 7. Auflage, Rn. 5 zu § 59 AuslG; Funke/Kaiser in GK - AuslR, Rn. 15 zu § 58 AuslG; Westphal in Huber, Handbuch des Ausländer- und Asylrechts, Rn. 17 zu § 58 AuslG; OLG Bremen StV 2002, 552; jeweils m. w. N.). Diese Auslegung ist der Ausgangspunkt sowohl des Amtsgerichts als auch der Revision und der Generalstaatsanwaltschaft; auch der Senat folgt dieser Auslegung. Für sie spricht, neben dem Wortlaut von § 1 Abs. 1 DVAuslG, auch der Kontrast zur früheren Fassung der Verordnung, nach der schon aufgrund der Absicht des Ausländers, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, die Befreiung vom Erfordernis der Aufenthaltsgenehmigung entfiel (vgl. Hailbronner a. a. O., Rn. 10 zu § 58 AuslG). Es erscheint zudem kaum praktikabel, die Erlaubnis zur Einreise, über die der Bundesgrenzschutz rasch an der Grenzübergangsstelle entscheiden können muss, von der Erforschung der Absichten des Einreisenden abhängig zu machen.

In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass aus jener Auslegung zugleich folge, dass die Einreise eines Positivstaatlers, der sich an der Grenze ausweisen kann, nicht unerlaubt sein könne. Nicht der bloße Wille, sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufzuhalten und/oder dort eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, mache "Einreise und Aufenthalt materiell illegal, sondern erst der tatsächliche Verstoß. Ein solcher kann indes niemals bereits bei der Einreise vorliegen, sondern immer erst nachträglich begangen werden und die Einreise nicht rückwirkend zu einer Illegalen machen. Die Einreise eines Positivstaatlers kann daher nie unerlaubt i. S. d. § 58 Abs. 1 Nr. 1 AuslG sein" (Hailbronner a. a. O., Rn. 10 zu § 58; in diesem Sinne auch Pfaff, ZAR 1992, 117, 118).

Nach dieser Auffassung wäre der Angeklagte erlaubt in das Bundesgebiet eingereist, trotz Schmuggels von Zigaretten und obwohl dieser Schmuggel als Erwerbstätigkeit im Sinne von § 1 Abs. 1 DVAuslG anzusehen ist. Erwerbstätigkeit im Sinne der Durchführungsverordnung zum Ausländergesetz ist unter anderem jede selbständige und unselbständige Tätigkeit, die auf die Erzielung von Gewinn gerichtet ist (§ 12 Abs. 1 DVAuslG). Diese Legaldefinition trifft, wie bereits das Amtsgericht festgestellt hat, auf das Handeln des Angeklagten zu. Das Verstecken der Zigaretten im Tank des Pkw und deren Transport in das Bundesgebiet waren auf den Gewinn aus dem Verkauf der Zigaretten gerichtet. Erwerbstätigkeit ist danach nicht etwa, wie die Revision annimmt, erst der Verkauf der geschmuggelten Zigaretten.

Der Senat kann indes jene Auffassung - ein Positivstaatler könne, sofern er sich nur ausweisen kann, nicht unerlaubt in das Bundesgebiet einreisen - nicht teilen. Weder aus der Regelung des § 1 Abs. 1 DVAuslG noch aus der Legaldefinition in § 12 Abs. 1 DVAuslG ergibt sich, dass die Erwerbstätigkeit, deren Aufnahme die Befreiung vom Erfordernis der Aufenthaltsgenehmigung entfallen lässt, im Bundesgebiet aufgenommen sein muss. Freilich setzt ein unerlaubter Aufenthalt eines Positivstaatlers voraus, dass er seine Erwerbstätigkeit (auch) im Bundesgebiet entfaltet. Wenn er aber - wie beim Schmuggel - schon bei der Einreise erwerbstätig ist und sich diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet fortsetzen soll, dann ist auch die Einreise als unerlaubt anzusehen. Die Aufspaltung, zu der jene Ansicht in Fällen gleichsam durchgängiger Erwerbstätigkeit führt - dass der Aufenthalt, nicht aber die Einreise unerlaubt wäre - ist widersprüchlich und aufgrund dieses Widerspruchs mit dem Zweck der ausländerrechtlichen Regelung von Einreise und Aufenthalt nicht zu vereinbaren.

Dem Beschluss des Oberlandesgerichts Bremen vom 4. Juni 2002 - Ss 12/02 - (StV 2002, 552), auf den die Generalstaatsanwaltschaft ihren Antrag stützt, liegt keine andere Auffassung zugrunde. Dort hatte das Amtsgericht festgestellt, dass der Angeklagte bei der Einreise die Absicht hatte, eine Arbeit im Bundesgebiet aufzunehmen, und ihn wegen unerlaubter Einreise verurteilt. Diesen Schuldspruch beurteilte das Oberlandesgericht Bremen als rechtsfehlerhaft; diese Bewertung stimmt mit der auch vom Senat geteilten Auffassung überein, dass § 1 Abs. 1 DVAuslG im objektiven Sinne auszulegen ist. Zu der Frage hingegen, ob nur eine im Bundesgebiet aufgenommene Erwerbstätigkeit die Befreiung nach § 1 Abs. 1 DVAuslG wieder entfallen lässt, musste das Oberlandesgericht Bremen in jenem Fall nicht Stellung nehmen.

2. Das Amtsgericht hat jedoch zu Unrecht eine vollendete unerlaubte Einreise angenommen; es liegt hier aber nur ein - strafbarer (§ 92 Abs. 2 a AuslG) - Versuch der unerlaubten Einreise vor.

An einer zugelassenen Grenzübergangsstelle ist ein Ausländer erst eingereist, wenn er die Grenze überschritten und die Grenzübergangsstelle passiert hat (§ 59 Abs. 2 Satz 1 AuslG). Über die Zulassung (und Schließung) von Grenzübergangsstellen entscheidet das Bundesministerium des Innern im Benehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen und gibt diese Entscheidung im Bundesanzeiger bekannt (§ 61 Abs. 1 BGSG); dies ist für die Grenzübergangsstelle ... - Autobahn geschehen (Bundesanzeiger Nr. 216 a vom 17. November 1998).

Der Angeklagte wurde an der Kontrollstelle des Zolls gestellt; nach den Feststellungen des Amtsgerichts ist die Kontrollstelle des Bundesgrenzschutzes derjenigen des Zolls "vorgelagert". Nach Auffassung des Amtsgerichts reiste der Angeklagte bereits in das Bundesgebiet ein, als er die Kontrollstelle des Bundesgrenzschutzes passierte; bei der Zollkontrolle sei die Einreise schon vollendet gewesen.

Damit hat das Amtsgericht § 59 Abs. 2 Satz 1 AuslG zu eng ausgelegt. Liegen an einem Grenzübergang die Kontrollstellen von Grenzschutz und Zoll räumlich auseinander, so sind sie zusammen als "Grenzübergangsstelle" (§ 59 Abs. 2 Satz 1 AuslG) anzusehen, so dass die Einreise erst vollendet ist, wenn der Einreisende die letzte Kontrollstelle passiert hat (Westphal in Huber, Handbuch des Ausländer- und Asylrechts, Rn. 29 zu § 59; Stoppa, ebenda, Rn. 153 zu § 92). Das Gesetz spricht in § 59 Abs. 2 Satz 1 AuslG nicht von Grenzschutz oder grenzpolizeilicher Kontrolle wie in der Aufgabenbestimmung für den Grenzschutz in § 2 BGSG, sondern verwendet das allgemeine Wort "Grenzübergangsstelle". Außerdem können durch ministerielle Entscheidungen Beamte der Zollverwaltung mit der Wahrnehmung von Aufgaben der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs betraut werden, wodurch sie zugleich dieselben Befugnisse wie Beamte des Bundesgrenzschutzes erhalten (§ 66 BGSG), wie auch umgekehrt Beamte des Bundesgrenzschutzes mit der Wahrnehmung von Aufgaben der Zollverwaltung betraut werden können, wodurch sie zugleich auch deren Befugnisse erhalten (§ 67 BGSG). Auch diese Ermächtigung spricht dafür, die Kontrollstellen von Zoll und Bundesgrenzschutz zusammen als "Grenzübergangsstelle" anzusehen.

Im Übrigen wäre bei einem engeren Verständnis jenes Wortes, also seiner Identifikation mit der Kontrollstelle des Bundesgrenzschutzes, zu berücksichtigen, dass die Einreise erst vollendet ist, wenn der Einreisende die Grenzübergangsstelle "passiert" hat. Dies ist der Fall, "wenn der Ausländer den eigentlichen Kontrollpunkt bereits hinter sich gelassen hat, so dass unter normalen Umständen mit weiteren Überprüfungen nicht mehr zu rechnen ist" (Hailbronner a. a. O., Rn. 17 zu § 59), "er sich also frei Richtung Inland bewegen kann" (Stoppa a. a. O., Rn. 153 zu § 92). Für diese Auslegung spricht der Zusammenhang der Legaldefinition der Einreise (§ 59 Abs. 2 Satz 1 AuslG) mit der Befugnis zur Zurückweisung des Ausländers (§ 60 AuslG). Eine Zurückweisung ist nur bis zur Einreise möglich (wie ein Vergleich mit § 61 Abs. 1 Satz 1 AuslG ergibt), so dass es systematisch sinnvoll ist, die Vollendung der Einreise, also das "Passieren" der Grenzübergangsstelle, an die Möglichkeit weiterer grenzpolizeilicher Kontrollen zu binden. Hiervon gehen auch die Gesetzesmaterialien aus: Eine Einreise sei erst mit dem Passieren der Kontrollstelle beendet, "weil bis zur Grenzkontrolle die aufenthaltsverhindernde Maßnahme der Zurückweisung möglich ist und möglich sein muss" (BT-Drs. 11/6321, Seite 77).

Diese Möglichkeit besteht offenbar auch dann noch, wenn sich der Einreisende schon in einer der Kontrollstellen des Bundesgrenzschutzes nachgelagerten Kontrollstelle des Zolls befindet, und zwar unabhängig davon, ob im Einzelfall der zuständige Minister von der erwähnten Ermächtigung zur Erweiterung der Aufgaben - und damit auch der Befugnisse - des Zolls Gebrauch gemacht hat oder nicht, nämlich aufgrund der Verpflichtung zur Amtshilfe und der faktischen Verbindung beider Kontrollstellen.

3. Doch das Urteil beruht nicht auf diesem Rechtsfehler (2), weil es ausgeschlossen erscheint, dass das Amtsgericht eine andere Strafe zugemessen hätte, wenn es das Handeln des Angeklagten als Versuch statt als Vollendung der unerlaubten Einreise beurteilt hätte (§ 337 StPO).

Auch als vollendete unerlaubte Einreise bewertet war das Unrecht dieser Tat eher gering, wurde der Angeklagte doch beim Zollamt gestellt, und diese Bewertung erscheint von derjenigen unter dem Gesichtspunkt des Versuchs kaum unterscheidbar. Hinzu kommt, dass das Amtsgericht bei der Strafzumessung den Strafrahmen der Steuerhinterziehung zugrunde legen musste (§ 52 Abs. 2 StGB) und zwei wesentliche Strafzumessungsgesichtspunkte - ein nicht unerheblicher Steuerschaden und die Benutzung eines professionellen Verstecks - der Bewertung dieses Delikts entstammen. Die Erwägung des Amtsgerichts, dass der Angeklagte durch sein Verhalten zwei Straftatbestände verwirklicht hat, wäre auch richtig gewesen, wenn es von einem Versuch der unerlaubten Einreise ausgegangen wäre.

4. Andere Rechtsfehler enthalten die Urteilsgründe nicht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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