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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 16.12.2003
Aktenzeichen: 2 U 18/03
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 540 |
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil
2 U 18/03 Brandenburgisches Oberlandesgericht
Anlage zum Protokoll vom 16.12.2003
verkündet am 16.12.2003
In dem Rechtsstreit
hat der 2. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 18. November 2003 durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Landgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 24. Februar 2003 verkündete Urteil des Landgerichts Potsdam (Az.: 4 O 289/99) abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreites werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt Zahlung von Schadensersatz wegen Verletzung einer Amtspflicht im Zusammenhang mit einem Baumschaden. Am 24.08.1998 brach gegen 14.45 Uhr ein großer belaubter Ast auf einem baumbestandenen Grünstreifen zwischen der ...-Allee und der parallel geführten Straßenbahntrasse in ..., für den die Beklagte verkehrssicherungspflichtig ist, und riß einen weiteren, unmittelbar am Straßenrand stehenden Baum um. Dieser fiel auf das Fahrzeug der Klägerin und verursachte einen wirtschaftlichen Totalschaden. Die Klägerin selbst erlitt eine Stauchung der Beckenwirbelsäule und eine Rippenprellung. An der Bruchstelle des Astes befand sich ein Druckzwiesel, der bei der im Februar/März durchgeführten Baumschau erkennbar war.
Die Klägerin behauptet, der Druckzwiesel habe einen Riß und Fäulnis aufgewiesen. Diese Baumschäden seien bei ordnungsgemäß durchgeführter Baumschau erkennbar gewesen. Die Beklagte habe - insoweit unstreitig - allerdings nur eine Kontrolle vom Boden aus durchgeführt. Diese Kontrolle genüge den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Baumschau nicht.
Die Beklagte ist der Auffassung, allein das Vorliegen eines Druckzwiesels erfordere noch keine eingehendere Untersuchung des Baumes. Vom Boden aus seien die behaupteten Baumschäden Fäulnis und Riß des Zwiesels - deren Vorliegen unterstellt - nicht erkennbar gewesen und deshalb auch keine Amtspflichtverletzung gegeben. Nutzungsausfallentschädigung wäre nicht zu gewähren, da der Nutzungswille nicht hinreichend dargelegt sei.
Das Landgericht hat der Klage i.H. eines materiellen Schadensbetrages von 4.254,90 € und eines Schmerzensgeldes von 400,00 € stattgegeben. Zur Begründung führt es aus, der Druckzwiesel sei bereits Anlaß für eine eingehendere Prüfung des Baumes, da es sich um eine potentielle Gefahrenstelle handelt. Bei einer ordnungsgemäßen Baumschau hätte die Gefahr erkannt und behoben werden können.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Ausführungen wird gemäß § 540 ZPO auf das landgerichtliche Urteil verwiesen.
Die Beklagte hat gegen das am 28.02.2003 zugestellte Urteil mit einem am 21.03.2003 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Fristverlängerung am 28.05.2003 begründet. Die Beklagte begehrt die Abweisung der Klage. Sie ist der Auffassung, das Landgericht habe die Anforderungen an eine Baumschau überspannt. Ein Druckzwiesel stelle nach herrschender Meinung in der Fachliteratur keine von vornherein gefährliche Stelle dar. Er müsse deshalb auch nicht gesondert untersucht werden. Im übrigen würde die eingehendere Untersuchung eines häufig vorkommenden Druckzwiesels die technischen, personellen und finanziellen Möglichkeiten der Beklagten übersteigen. Eine Nutzungsausfallentschädigung sei nicht zuzusprechen, da nach wie vor der Nutzungswille nicht ausreichend vorgetragen sei.
Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil und wiederholt das erstinstanzliche Vorbringen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg.
Zunächst hat das Landgericht zutreffend und von der Berufung nicht beanstandet die Beklagte als Verkehrssicherungspflichtige festgestellt, den Unfallhergang und die Kausalität zwischen dem Astabbruch und dem von der Klägerin geltend gemachten Kfz- und Gesundheitsschaden angenommen sowie die Grundsätze über die Art und den Umfang einer vorgeschriebenen Baumschau dargestellt. Auf die Ausführungen des Landgerichts wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
Im Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme ist jedoch - entgegen der Auffassung der Klägerin - eine Pflichtverletzung der Beklagten, jedenfalls aber die Kausalität zwischen einer möglichen Pflichtverletzung und dem Astabbruch nicht bewiesen.
Im Rahmen der von der Beklagten durchgeführten Besichtigung des Baumes nach den Grundsätzen der VTA-Methode war im Bereich der späteren Bruchstelle vom Boden aus lediglich das Vorhandensein eines Druckzwiesels erkennbar. Druckzwiesel treten in erster Linie in waldartigen Beständen auf. Ursache dafür ist, daß der Baum im dichten Bestand neben konkurrierenden Nachbarbäumen seine Stämmlinge eng beieinander zum Licht recken muß. Der Druckzwiesel ist daher eine natürliche Reaktion des Baumes auf seine Umweltbedingungen. Das enge Aufstreben der Stämmlinge und das natürliche Dickenwachstum führen zu einem verstärkten Druck der Stämmlinge gegeneinander. Die Teilstämme werden faktisch aneinander gepreßt. Der Baum reagiert auf den Druck durch sekundäres Dickenwachstum. Naturgemäß kommt es bei der Zwieselbildung zum Einschluß von Rinde, die zwar Drücke aufnehmen, Zugbelastungen jedoch kaum Widerstand leisten kann. Im günstigsten Fall bildet der Baum zwieselumschließende Jahresringe aus, die eine Stabilisierung auch gegen Zug ergeben. Die umschließenden Jahresringe bestimmen damit wesentlich die Festigkeit des Zwiesels. Zwiesel sind in zweifacher Hinsicht als potentiell gefährlich einzustufen: Die eingeschlossene Rinde neigt dazu, Faultaschen zu bilden. Es besteht die Möglichkeit, daß Krankheitserreger eindringen und so die Stabilität des Baumes einschränken. Zum anderen kann die Wirkung des Reaktionsholzes nachlassen und insbesondere durch mehr Seitenwachstum des Stammes die Zugfestigkeit leiden. Sind im letztgenannten Fall zu wenig umschließende Jahresringe vorhanden, kann es zum Bruch kommen. Optisch erkennbar sind gefährliche Zwiesel durch "Rippen" bzw. Zwiesel mit "großen Ohren". Diese haben viel Rinde eingeschlossen und weisen regelmäßig wenig umschließende Jahrsringe auf. Die Zugfestigkeit ist dann erheblich geringer als bei einem Zwiesel mit wenig Rindeneinschluß und "kleinen Ohren".
Wenn danach Zwiesel zwar grundsätzlich ein Gefahrenpotential aufweisen und ein Warnsig-nal für potentielle Schwachstellen des Baumes darstellen, kann diese natürliche Reaktion des Baumes auf seine Umweltbedingungen jedoch nicht dazu führen, daß Bäume mit Zwieseln grundsätzlich gefällt oder gegurtet werden müssen. Ein solches Verfahren würde dem Grundgedanken des Naturschutzes widersprechen und das Sicherheitsbedürfnis der Straßenverkehrsteilnehmer weit überspannen. Im Rahmen der VTA-Methode ist den Zwieseln gleichwohl erhöhtes Augenmerk zu widmen. Allerdings erst dann, wenn sich Anhaltspunkte für eine besondere Gefährlichkeit des Zwiesels - wie z. B. Fäulnis, Rißbildung, Fremdbewuchs am Zwiesel oder gefährliche Wachstumsanomalien ("große Ohren") - ergeben, bedarf es weitergehender Schutzmaßnahmen (vgl. OLG Celle Nds.Rpfl. 2000, 361; OLG Hamm NZV 2003, 527).
Ob die Beklagte im vorliegenden Fall den Anforderungen an die zu stellende Sichtprüfung nach der VTA-Methode gerecht wurde, kann im Ergebnis dahingestellt bleiben, da nach den Aussagen der sachverständigen Zeugen R... und K... solche Anhaltspunkte für eine besondere Gefährlichkeit des Zwiesels nicht festgestellt werden können.
Der sachverständige Zeuge K... hat den unfallverursachenden Baum zeitnah besichtigt. Im Ergebnis dessen hat er bereits in seiner privatgutachterlichen Stellungnahme ausgeführt, es sei keine Fäulnis, kein - über den Rindeneinschluß hinausgehender - Riß an der Bruchstelle oder "große Ohren" sichtbar gewesen. Er habe besondere Gefahrenzeichen nicht festgestellt. Diese Ausführungen hat der sachverständige Zeuge in seiner Aussage vor dem Senat nachvollziehbar und überzeugend wiederholt und vertieft. Zu diesem Ergebnis kommt letztlich auch der sachverständige Zeuge R... . Zwar führt er noch in seiner privatgutachterlichen Stellungnahme vom 07.01.1999 aus, Riß und Fäulnis seien vorhanden gewesen. Diese Feststellungen bestätigt der sachverständige Zeuge in seiner im Beweistermin vor dem Senat gemachten Aussage allerdings nicht. So führt er aus, mit "Riß" meine er nicht "etwas abgerissenes". Vielmehr handele es sich hier um den für den Druckzwiesel nicht untypischen Rindeneinschluß, der unter zusätzlichen, von der Klägerin allerdings nicht näher vorgetragenen Umweltbedingungen wie ein Riß wirken könne. Der Umfang des Rindeneinschlusses sei auch vor dem Abriß des Teilstammes äußerlich nicht erkennbar gewesen. Auch konkrete Fäulnis hat der sachverständige Zeuge nicht festgestellt. Die Ausführungen in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 07.01.1999 bezogen sich - so der Sachverständige - lediglich auf die eingeschlossene Rinde, die "zur Fäulnis neigen wird" und stellt damit eine wertende, mit Tatsachen nicht unterlegte Feststellung dar. Die Aussagen der sachverständigen Zeugen belegen damit allein das Vorhandensein eines "normalen" Zwiesels mit zusätzlichem Dickenwachstum ohne besondere Begleitumstände. Eine Handlungspflicht für die Beklagte läßt sich daraus nicht herleiten.
Dem stehen auch die Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen J... in seinem Gutachten vom 23.03.2002 und den anschließenden mündlichen Ausführungen vor der Kammer des Landgerichts nicht entgegen. Einen Riß nimmt der Sachverständige lediglich "als möglich" an. Fäulnis stellt er unter Betrachtung des vorliegenden Fotomaterials zwar fest. Damit setzt sich der Sachverständige jedoch in Widerspruch zu den Ausführungen der sachverständigen Zeugen R... und K... . Da dem Sachverständigen lediglich Fotomaterial vorlag und die zeitnahe Besichtigung der Bruchstelle des Baumes allein durch die sachverständigen Zeugen erfolgte, ist das Gutachten und die Erläuterungen nicht geeignet, die für eine Verurteilung notwendige Entscheidungsgrundlage zu bilden.
Eine Haftung der Beklagten kommt deshalb nicht in Betracht.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen gemäß § 543 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 7 EGZPO nicht vorliegen. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache nicht zu. Auch ist die Zulassung nicht zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die Entscheidung beruht allein auf der Würdigung der Umstände des vorgetragenen Einzelfalls.
Streitwert: 4.654,90 €
Ende der Entscheidung
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