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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 25.11.2003
Aktenzeichen: 2 U 22/03
Rechtsgebiete: EGZPO, BGB, GG, BbgStrG, ZPO


Vorschriften:

EGZPO § 26 Nr. 5
BGB § 839
GG Art. 34
BbgStrG § 9 Abs. 4
BbgStrG § 10 Abs. 1
ZPO § 531 Abs. 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

2 U 22/03 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 25. November 2003

verkündet am 25. November 2003

In dem Rechtsstreit

des Landes Brandenburg, vertreten durch den Minister für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr, dieser vertreten durch das Brandenburgische Straßenbauamt P..., ...,

hat der 2. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... auf die mündliche Verhandlung vom 4. November 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des beklagten Landes wird das am 19. März 2003 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam - Az. 4 O 591/01 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 1.083,55 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger macht Ansprüche wegen einer Beschädigung seines Kraftfahrzeuges durch von einem Straßenbaum herabgefallene Äste geltend.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat das beklagte Land durch am 19. März 2003 verkündetes Urteil mit Ausnahme eines Teils der begehrten Zinsen antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die vom beklagten Land im November 2000 durchgeführte Baumschau entspreche nicht den Anforderungen, die der Senat in seiner Rechtsprechung aufgestellt habe. Die Zeugen W... und Sch... hätten bei der eigentlichen Baumschau lediglich die Bäume näher begutachtet, die zuvor von den Mitarbeitern der Straßenmeisterei ausgewählt worden seien. Im übrigen seien die Straßenbäume nur mit einem Mannschaftswagen abgefahren worden. Es fehle mithin an einer visuellen Sichtkontrolle jedes einzelnen Straßenbaumes im Rahmen der Baumschau. Es stehe nach der durchgeführten Beweisaufnahme auch zur Überzeugung des Gerichts fest, daß die vom Kläger geltend gemachten Schäden an seinem Fahrzeug auf das Herabfallen von Totholz zurückzuführen seien. Dies ergebe sich aus den Aussagen der Zeugen H... und Z... .

Gegen dieses Urteil wendet sich das beklagte Land mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung. Zur Begründung führt es im wesentlichen aus, es stehe nicht fest, daß die Dellen in der Motorhaube und dem Dach des Fahrzeuges des Klägers auf Totholz zurückzuführen seien, das von einem Straßenbaum herabgestürzt sei. Die Aussagen der Zeugen H... und Z... seien nicht hinreichend konkret. Auch seien die Anforderungen des Landgerichts an die Baumschau überspannt. Nach der Aussage des Zeugen W... stehe fest, daß durch die Straßenmeisterei eine visuelle Begutachtung sämtlicher Straßenbäume erfolgt sei. Diese Vorkontrolle habe, so behauptet das beklagte Land ergänzend, der Zeuge D... durchgeführt, der die notwendige Sachkunde aufgrund von Fortbildungsveranstaltungen erworben habe. Der Zeuge D... habe am streitigen Baum keine Schäden festgestellt und diesen daher nicht für die eigentliche Baumschau vorgestellt.

Das beklagte Land beantragt,

das angefochtene Urteil des Landgerichts Potsdam vom 19. März 2003 - Az.: 4 O 591/01 - teilweise zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil mit näherer Darlegung. Der Kläger ist insbesondere mit dem Landgericht der Auffassung, die durchgeführte Baumschau entspreche nicht den Anforderungen der Rechtsprechung. Die Begutachtung aus dem fahrenden Auto sei nicht ausreichend. Mit seinem neuen Vortrag sei das beklagte Land in zweiter Instanz ausgeschlossen.

Der Senat hat Beweis erhoben über die vor der eigentlichen Baumschau durchgeführten Vorschau durch Vernehmung des Zeugen D... . Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 5. November 2003 (Bl. 195 ff. d. A.) Bezug genommen.

II.

Die Berufung des beklagten Landes ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Es gilt gemäß § 26 Nr. 5 EGZPO das Berufungsrecht der ZPO in der Fassung des Zivilprozeßreformgesetzes.

Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Im Ergebnis zu Unrecht hat das Landgericht das beklagte Land zum Schadensersatz unter dem Gesichtspunkt einer Amtspflichtverletzung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG verurteilt. Ein solcher Anspruch steht dem Kläger nach der vom Senat in zweiter Instanz durchgeführten Beweisaufnahme nicht zu.

Zutreffend ist das Landgericht zunächst davon ausgegangen, daß das beklagte Land als Träger der Straßenbaulast nicht schlechthin für jede von einem Straßenbaum ausgehende Beschädigung eines Kraftfahrzeuges haftet, sondern nur im Rahmen seiner ihm gemäß §§ 9 Abs. 4, 10 Abs. 1 BbgStrG als hoheitliche Aufgabe obliegenden Verkehrssicherungspflicht. Diese Pflicht umfaßt den Schutz vor Gefahren, die von Straßenbäumen ausgehen, sei es durch Herabfallen von Teilen eines Baumes, sei es durch das Umstürzen des Baumes selbst (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. Urteil vom 16. April 2002 - 2 U 17/01 - OLGR 2002, 411, 412 m.w.N.). Zur Erfüllung dieser Pflicht ist es unumgänglich, daß der Verkehrssicherungspflichtige die Straßenbäume regelmäßig zweimal pro Jahr und zwar einmal im belaubten und einmal im unbelaubten Zustand kontrolliert. Die Untersuchung muß durch hinreichend qualifiziertes Personal durchgeführt werden. Dabei muß es sich nicht notwendigerweise um Forstfachleute handeln; die Bediensteten des Verkehrssicherungspflichtigen müssen jedoch ausreichend dahin geschult worden sein, daß sie Krankheitszeichen an Bäumen erkennen können (ständige Senatsrechtsprechung, aaO). Nach der Rechtsprechung des Senats genügt eine Begutachtung aus dem fahrenden Auto heraus jedenfalls dann nicht, wenn eine solche Begutachtung wegen der örtlichen Verhältnisse zum Auffinden von Schäden oder Gefahrenstellen nicht geeignet ist (Senat, Urteil vom 7. März 2000 - 2 U 58/99 - OLGR 2000, 169 = MDR 2000, 833: Totholz im oberen Bereich einer hohen Krone; Urteil vom 16. April 2002, aaO: dicht bestandene Straßen mit einer Vielzahl verschiedener Bäume).

Es steht zur Überzeugung des Senats fest, daß die vom beklagten Land im fraglichen Zeitraum durchgeführten Baumschauen diesen Anforderungen genügen. Dabei kann offen bleiben, ob die letzte vor dem Schadensfall am 3. Mai 2001 vom 1. bis 3. November 2000 - jedenfalls im fraglichen Bereich aus dem fahrenden Auto heraus - vorgenommene eigentliche Baumschau für sich genommen ausreichend war. Entgegen der Annahme des Landgerichts ist auch der erste Schritt der Baumschau, die "Vorschau" durch die Mitarbeiter der Straßenmeisterei, zu berücksichtigen. Es ist nach Auffassung des Senats zulässig, die Baumschau in zwei Stufen durchzuführen, nämlich in einem ersten Schritt durch zu Fuß durchgeführte visuelle Kontrolle sämtlicher Straßenbäume und in einem zweiten Schritt durch eine eingehende Kontrolle der durch die Vorschau ermittelten problematischen Fälle durch ein größeres Gremium, das zugleich über notwendige Abhilfemaßnahmen zu entscheiden hat. Eine solche Vorgehensweise ist dann nicht zu beanstanden und aus Gründen der Arbeitsökonomie auch sinnvoll, wenn bereits die "Vorschau" den Anforderungen der Rechtsprechung an eine ordnungsgemäße Baumschau genügt. Dies ist vorliegend der Fall.

Nach der in zweiter Instanz durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, daß der Zeuge D... in einem Zeitraum sechs bis acht Wochen vor der eigentlichen Baumschau Anfang November 2000 sämtliche Straßenbäume seines Zuständigkeitsbereichs und so auch in der N... Straße in F... vom Boden aus durch abschnittsweises Abgehen der Straßen kontrolliert hat. Dies ergibt sich aus der glaubhaften Aussage des Zeugen, an dessen Glaubwürdigkeit der Senat auch aufgrund seines Aussageverhaltens keine Zweifel hat. Der Ordnungsmäßigkeit dieses Vorgehens steht auch der Belaubungszustand der Straßenbäume zum Zeitpunkt der "Vorschau" im September/Oktober nicht entgegen. Der Zeuge hat hierzu glaubhaft bekundet, daß er die Bäume seines Zuständigkeitsbereiches abhängig von ihrer Lage und ihrem Belaubungszustand erst dann kontrolliert habe, als ihm ein hinreichender Einblick in die Baumkronen möglich war. Der Zeuge verfügte - wie auch durch den Inhalt seiner Aussage deutlich geworden ist - nach den von ihm besuchten Fortbildungsveranstaltungen über eine hinreichende Sachkunde für die Baumschau.

Die Berücksichtigung der Aussage des erst in zweiter Instanz benannten Zeugen ist dem Senat nach § 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO möglich, da das Landgericht die Frage, ob bereits die Vorschau den Anforderungen des Senats an eine ordnungsgemäße Baumschau genügt, erkennbar übersehen hat. Das Landgericht stellt zwar das Vorgehen des beklagten Landes einschließlich der Vorschau dar, prüft jedoch ausschließlich, ob die eigentliche Baumschau den Anforderungen des Senats genügt. Richtigerweise wäre jedoch auch die Vorschau in die Überlegungen einzubeziehen gewesen, notfalls hätte das Gericht durch Ausübung seines Fragerechts oder durch einen sachgerechten Hinweis dem beklagten Land Gelegenheit geben müssen, auch zur Vorschau näher vorzutragen. Der allgemeine Hinweis in der Verfügung vom 2. Dezember 2002 (Bl. 98 d. A.) auf die Rechtsprechung des Senats war hier nicht ausreichend, da der Hinweis nicht auf die Frage der Vorschau eingeht und das beklagte Land diesen Hinweis erkennbar nur auf die eigentliche Baumschau bezogen hat.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Der Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO n.F. bedurfte es nicht. Die Sache weist weder grundsätzliche Bedeutung auf, noch ist die Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO.

Ende der Entscheidung

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