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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 14.10.2008
Aktenzeichen: 2 U 7/08
Rechtsgebiete: ZPO, BbgBO, StHG, BGB, GG, VwVfG


Vorschriften:

ZPO § 148
BbgOBG § 6
BbgOBG § 6 Abs. 2
BbgOBG § 6 Abs. 5
BbgOBG § 38 Abs. 1 lit. b
StHG § 1
BGB § 254
BGB § 839
BGB § 839 Abs. 3
GG Art. 34 Satz 1
VwVfG § 48
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor: Auf die Berufung des Beklagten wird das am 16. Januar 2008 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Cottbus - Az.: 5 O 78/06 - teilweise abgeändert und unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der ihr durch die erteilte und aufgehobene Baugenehmigung vom 25. Juli 1994 wegen der Bebauung ihres Grundstücks S. Allee 7a, S., Flurstück 71/2, Flur 10 der Gemarkung S., entstanden ist bzw. künftig entstehen wird, soweit der Schaden auf Investitionen und Baumaßnahmen der Klägerin bis einschließlich zum 28. Februar 1995 beruht und es sich nicht um Schäden handelt, für welche die Klägerin auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag bzw. eine früher vorhandene Ersatzmöglichkeit durch die Inanspruchnahme ihrer damaligen Anwälte wegen Pflichtverletzung des Anwaltvertrages schuldhaft versäumt hat und zwar des Rechtsanwaltes G. L. im Zusammenhang mit dessen Tätigwerden beim 1. Baustopp im Jahr 1994 und der Rechtsanwältin S. H. im Zusammenhang mit deren Tätigwerden beim 2. Baustopp im Jahr 1995.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beiden Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand: I.

Die Klägerin begehrt im Wege einer Teilklage - nach einer eingeschränkten Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch das Landgericht - von dem beklagten Landkreis Schadensersatz wegen der am 25. Juli 1994 erfolgten Erteilung einer rechtswidrigen Baugenehmigung. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und der erstinstanzlichen Antragstellung wird zunächst auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und den hierzu ergangenen Berichtigungsbeschluss vom 28. März 2008 verwiesen. Für das Berufungsverfahren ist noch Folgendes zu ergänzen:

Nachdem die Klägerin am 11. Oktober 1994 mündlich und am 19. Oktober 1994 schriftlich Widerspruch gegen die Baueinstellungsverfügung vom 6. Oktober 1994 eingelegt hatte, erließ das Verwaltungsgericht Cottbus auf ihren Antrag am 3. November 1994 (Az.: 1 L 348/94) eine einstweilige Verfügung zu ihren Gunsten. Daraufhin hob der Beklagte mit Wirkung zum 18. November 1994 seine Baueinstellungsverfügung zunächst mündlich auf. Mit dem stattgebenden Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 1995 erfolgte sodann auch eine schriftliche Aufhebung der Baueinstellungsverfügung durch den Beklagten.

Hinsichtlich des von dem Beklagten zum damaligen Zeitpunkt noch nicht beschiedenen Nachbarwiderspruchs vom 2. September 1994 ordnete das Verwaltungsgericht Cottbus am 21. Februar 1995 (Az.: 1 L 6/95) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs an. In der Folge erließ der Beklagte am 28. Februar 1995 eine mündliche und am 3. März 1995 eine schriftliche Baueinstellungsverfügung. Zugleich erteilte er der Klägerin ein Betretungsverbot und untersagte ihr die Nutzung des Gebäudes. Durch die von der Klägerin am 8. März 1995 erwirkte einstweilige Verfügung des Verwaltungsgerichts Cottbus (Az.: 1 L 73/95) wurde zwar die Nutzungsuntersagung in wesentlichen Teilen aufgehoben; die Baueinstellungsverfügung blieb jedoch in Kraft.

Mit Schreiben vom 28. Dezember 1995 zeigte die Klägerin dem Beklagten die Fertigstellung des Bauvorhabens zum 16. Januar 1995 an und verwies hierbei auf eine Baubesichtigung vom 28. Februar 1995, bei der sich ein Mitarbeiter des Beklagten von der Fertigstellung überzeugt haben soll. Der tatsächliche Zeitpunkt der baulichen Fertigstellung ist zwischen den Parteien im Streit.

Gegen das ihm am 21. Januar 2008 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit einem am 18. Februar 2008 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und das Rechtsmittel nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 17. April 2008 mit einem an diesem Tag eingegangenen Schriftsatz begründet. Er ist der Auffassung, ein Anspruch der Klägerin entfalle bereits auf Tatbestandsebene, weil es an einer ausreichenden Verlässlichkeitsgrundlage für die getätigten Investitionen gefehlt habe. Die Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung habe sich für die Klägerin vielmehr von vorneherein aufgedrängt. Ein Anspruch sei auch ausgeschlossen, da sie es schuldhaft unterlassen habe, gegen die für einen - möglichen - Schaden kausale Abrissverfügung einen Rechtsbehelf zu gebrauchen. Im Übrigen habe das Landgericht nicht erkannt, dass der Klägerin das Mitverschulden der von ihr beauftragten Rechtsanwälte zuzurechnen sei. Die im Zahlungstenor enthaltenen vermeintlichen Schadensersatzpositionen seien zudem bereits unberechtigt, da es sich um Sowieso-Kosten der Klägerin handele. Schließlich ist der Beklagte der Auffassung, der Klägerin sei solange noch kein Schaden entstanden, wie der Abriss ihres Gebäudes nicht vollzogen ist oder - zumindest - mit Sicherheit in unmittelbarer Zukunft vollzogen werden wird. Ein Schadensrisiko sei inzwischen so gut wie ausgeschlossen, nachdem das Gesetz zur Änderung der Brandenburgischen Bauordnung vom 14. Juli 2008 am 1. August 2008 in Kraft getreten ist.

Der Beklagte beantragt in prozessualer Hinsicht,

das Berufungsverfahren im Hinblick auf die Vorgreiflichkeit des Vollstreckungsabwehrklageverfahrens bei dem VG Cottbus (3 K 745/05) bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss auszusetzen.

In der Sache beantragt er,

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach näherer Maßgabe ihrer Berufungserwiderungsschrift und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Entscheidungsgründe: II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat sie teilweise Erfolg. Das Landgericht hat allerdings im Ergebnis zu Recht die Ersatzpflicht des Beklagten für die Schäden ausgesprochen, die der Klägerin infolge der rechtswidrigen Erteilung der Baugenehmigung vom 25. Juli 1994 entstanden sind und noch entstehen, soweit der Schaden auf Investitionen und Baumaßnahmen der Klägerin bis einschließlich zum 28. Februar 1995 beruht.

1. Ein Grund zur Aussetzung des Berufungsverfahrens im Sinne des § 148 ZPO liegt - wie das Landgericht für das erstinstanzliche Verfahren bereits zutreffend erkannt hat - nicht vor.

Der von dem Beklagten im Berufungsverfahren erneuerte Aussetzungsantrag bezieht sich auf ein vor dem Verwaltungsgericht Cottbus begonnenes Verfahren (Az.: 3 K 745/05), in dem der Beklagte - inzwischen nach erfolgloser erster Instanz gegenüber dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg - die Vollstreckbarkeit des Urteils vom 23. Oktober 2003 angreift. Dieses Urteil betrifft jedoch nicht das Bestehen eines Rechtsverhältnisses, von dem die Entscheidung in diesem Amtshaftungsprozess abhängt. Gegenstand des Urteils vom 23. Oktober 2003 ist vielmehr ausschließlich die Frage, ob der Beklagte dazu verpflichtet ist, über einen Antrag des Nachbarn auf Erlass einer Abrissverfügung bejahend zu entscheiden. Der Erlass einer Abrissverfügung an sich stellt im Verhältnis der Parteien dieses Prozesses nur eine Vorfrage für einen Teil des geltend gemachten Schadensersatzanspruches dar, da der Klägerin ein einklagbarer Schaden größeren Umfangs erst durch den Erlass und Vollzug einer Nutzungsbeschränkung oder Beseitigungsverfügung entstehen wird. Die zwischen dem Nachbarn und dem Beklagten streitige Frage der Verpflichtung zum Erlass einer Beseitigungsverfügung ist daher für das streitgegenständliche Verhältnis nicht vorgreiflich.

2. Soweit sich die Berufung gegen den Feststellungsausspruch des Landgerichts wendet, hat sie teilweise Erfolg.

a) Der von der Klägerin gestellte Feststellungsantrag ist zulässig, da sich ihr etwaiger Schaden durch die rechtswidrige Erteilung der Baugenehmigung noch in der Entwicklung befindet. Dies gilt ungeachtet dessen, dass der Anspruch - hier im Hinblick auf die Kosten der Baugrunduntersuchung und Statikprüfung - schon teilweise beziffert worden ist (vgl. auch Zöller-Greger, § 256 ZPO, Rn. 7 a m. w. N.). Die von der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorgelegte Schadensaufstellung gibt im Wesentlichen einen möglichen künftigen Schaden nach Abriss des Gebäudes wieder. Da ein Abriss des Gebäudes derzeit - insbesondere nach dem Vorbringen des Beklagten zu der erneuten Änderung der Bauordnung - nicht (mehr) zu erwarten steht, bleibt jedoch unklar, ob ein solcher Schaden künftig überhaupt entstehen wird. Ist aber ein Schaden in seinen wesentlichen Positionen noch nicht entstanden, ist der Feststellungsantrag zweifellos dann zulässig, wenn bereits - wie vorliegend seit dem 28. Dezember 2006 - eine Abrissverfügung durch die zuständige Behörde erlassen worden ist.

b) Der Feststellungsantrag der Klägerin ist teilweise begründet. Die Voraussetzungen der Haftungstatbestände in § 38 Abs. 1 lit. b BbgOBG, § 1 StHG sowie § 839 BGB i. V. m. Art. 34 Satz 1 GG sind erfüllt.

aa) Die Erteilung der Baugenehmigung am 25. Juli 1994 war objektiv rechtswidrig. Die Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung steht durch das rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 25. März 1999 für den Senat bindend fest. Damit hat der Beklagte eine ihm der Klägerin gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt.

bb) Der Beklagte hat auch schuldhaft gehandelt. Zwar stellt nicht jede unrichtige Rechtsanwendung eine schuldhafte Amtspflichtverletzung dar; vielmehr ist für eine ordnungsgemäße Amtshandlung ausreichend, aber auch erforderlich, dass der Amtswalter auf der Grundlage einer sorgfältigen tatsächlichen und rechtlichen Prüfung zu einer Rechtsansicht kommt, die als vertretbar angesehen werden kann. Diesen Anforderungen genügt der Erlass der Baugenehmigung im Streitfall jedoch nicht. Die Aufhebung durch das Verwaltungsgericht ist auf einen Verstoß gegen die Regelungen zur Tiefe der Abstandsflächen in § 6 Abs. 2, Abs. 5 BbgBO gestützt worden, mithin auf eine zentrale bauordnungsrechtliche Vorschrift, deren Anwendung durch eine Fachbehörde grundsätzlich keine rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten bereiten dürfte. Die dortigen Regelungen sind in Verkennung der nachbarlichen Interessen in nicht vertretbarer Weise missachtet worden. Im Übrigen kommt es im Rahmen einer Haftung nach § 38 Abs. 1 lit. b OBG , der auf die Erteilung einer Baugenehmigung anwendbar ist (vgl. erkennender Senat, Urteil vom 30. Januar 2007, Az.: 2 U 13/06), auf ein Verschulden nicht an.

cc) Die Baugenehmigung vom 25. Juli 1994 war für die Klägerin bis einschließlich zum 28. Februar 1995 eine ausreichende Verlässlichkeitsgrundlage für ihre Investitionen.

(1) Unzweifelhaft liegt der von der Klägerin erlittene oder noch zu befürchtende Schaden innerhalb des Schutzzwecks der verletzten Amtspflicht, da die Rechtswidrigkeit der Genehmigung den Kern der bauplanungsrechtlichen Prüfung und damit die ureigene Aufgabe der Genehmigungsbehörde, nämlich die Vereinbarkeit des Vorhabens mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften festzustellen, betrifft.

(2) Auch rechtfertigen die weiteren Umstände nicht von vorneherein die Annahme, der Anspruch sei schon auf Tatbestandsebene ausgeschlossen. Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass nicht nur objektive, sondern auch subjektive Gesichtspunkte der Annahme eines haftungsrechtlich schutzwürdigen Vertrauens bereits in einer den Haftungstatbestand als solchen ausschließenden Weise entgegenstehen können (vgl. BGH, NZBau 2004, 103 f.). Solche subjektiven Kenntnisse und sich aufdrängende Erkenntnismöglichkeiten sind etwa in Betracht zu ziehen, wenn der Verwaltungsakt mit Mängeln behaftet ist, die nach § 48 VwVfG seine entschädigungslose Rücknahme rechtfertigten (a.a.O.).

(a) Ohne Erfolg beruft sich der Beklagte darauf, die Klägerin habe schon deshalb nicht auf die Rechtmäßigkeit ihrer Baugenehmigung vertrauen dürfen, weil ihr die ablehnende Haltung und der angekündigte Widerstand des Nachbarn Ho. bestens bekannt gewesen seien.

Die Kenntnis vom Nachbarwiderstand allein rechtfertigt keinen Totalverlust des Anspruchs auf Tatbestandsebene. Wie das Landgericht auf der Grundlage der BGH-Entscheidung in NZBau 2004, 103 ff. richtig erkannt hat, vermag allein die Kenntnis davon, dass ein Nachbar Widerspruch einlegen werde, die Verlässlichkeitsgrundlage einer Baugenehmigung nicht in einem Maße zu erschüttern, das es rechtfertigen würde, allein den Bauherrn mit dem Risiko ihres Bestandes zu belasten. Die Kammer geht weiter zutreffend davon aus, dass auch die Einlegung eines Rechtsbehelfs das schutzwürdige Vertrauen nicht vollständig in Wegfall bringt, sondern nur zu einer größeren Eigenverantwortung des Bauherrn führt, der über § 254 BGB Rechnung zu tragen ist. Der Senat hat sich diese Einschätzung der Risikoverteilung bereits in dem oben genannten Parallelfall zu Eigen gemacht und sieht keinen Anlass zu einer Änderung seiner Rechtsprechung.

Maßgeblich war in dem vorliegenden Genehmigungsverfahren mit § 6 BbgBO die Prüfung einer zentralen Norm des Bauordnungsrechts. Da es kraft ihrer gesetzlichen Aufgaben gerade der Baugenehmigungsbehörde obliegt, die Normen des Bauplanungs- und Bauordnungsrechts richtig anzuwenden, ist es nicht gerechtfertigt, das Rechtsanwendungsrisiko einseitig auf den Adressaten der Baugenehmigung zu verlagern (BGH a.a.O.). Die nicht zu leugnenden Schwierigkeiten, die mit den im Rahmen der Rechtsanwendung zu treffenden Wertungen verbunden sind, stehen dem nicht entgegen, sondern sprechen gerade dafür, die Behörde nicht auf Kosten der Klägerin zu entlasten. Gerade bei Vorhaben, die baurechtlich "schwierig" sind und auf Widerstand stoßen, besteht ein evidentes Interesse des Bauherrn daran, dass durch die Erteilung der Baugenehmigung die Rechtmäßigkeit des Vorhabens geklärt und verbindlich festgestellt wird. Eine solche Sichtweise trägt auch dem Umstand Rechnung, dass es sich bei der Baugenehmigungspflicht um ein präventives Verbot mit Genehmigungsvorbehalt handelt. Liegen die Voraussetzungen vor, besteht ein auch grundrechtlich (Art. 14 GG) verbürgter Anspruch auf Genehmigung. Werden aber der Baufreiheit Grenzen durch eine Genehmigungspflicht gesetzt, so geht es nicht an, das Risiko einer Fehlbeurteilung auf den Bauherrn abzuwälzen. Dies gilt jedenfalls durchgängig, wenn die Fehlbeurteilung den Kernbereich des Baurechts betrifft.

(b) Der Klägerin kann auch nicht angelastet werden, dass sie angesichts ihrer Kenntnis aller relevanten tatsächlichen Umstände von Beginn an die Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung habe erkennen müssen.

(aa) Die Erteilung der Baugenehmigung am 25. Juli 1994 begründete zunächst zu Gunsten der Klägerin vielmehr einen Vertrauenstatbestand dahin, dass sie ihr Bauvorhaben nunmehr verwirklichen könne, ohne mit öffentlich-rechtlichen Hindernissen rechnen zu müssen.

(bb) Diese berechtigte Vertrauensgrundlage ist nicht durch die Einlegung des Nachbarwiderspruchs und die hierauf folgende Baueinstellungsverfügung der Beklagten vom 6. Oktober 1994 erschüttert worden.

Zwar ist die Baueinstellungsverfügung inhaltlich unter Hinweis auf die Abstandsflächenproblematik mit dem Schutz der nachbarlichen Interessen des Herrn Ho. begründet worden, sodass auch das Landgericht erwogen hat, ob diese Zäsur im Bauablauf das Vertrauen der Klägerin auf die Rechtmäßigkeit der erteilten Baugenehmigung hat beenden können. Das Landgericht hat jedoch in diesem Zusammenhang zutreffend erkannt, dass der Beklagte unter anderem durch seine Schreiben an die Klägerin ihre mögliche Bedenken selbst ausgeräumt hat - hiermit wird im Wesentlichen der für die Klägerin günstige Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 1995 gemeint sein, durch den die Einstellungsverfügung vom 6. Oktober 1994 endgültig aufgehoben worden ist. Über die schriftlichen Äußerungen hinaus ist aus Sicht des Senats zudem beachtlich, dass das Verwaltungsgericht Cottbus in einer Eilentscheidung vom 3. November 1994 bereits auf die vorläufige Aufhebung der Baueinstellungsverfügung erkannt hatte. Nachdem auf dieser Grundlage der Beklagte am 18. November 1994 den verhängten Baustopp schon mündlich aufgehoben hatte und damit die sofortige Vollziehbarkeit der Baugenehmigung zeitnah mit gerichtlicher Hilfe wiederhergestellt worden war, darf der Klägerin - in Übereinstimmung mit der landgerichtlichen Argumentation - die weitere Ausführung des von dem Beklagten genehmigten Bauvorhabens zunächst nicht angelastet werden.

(3) Die Baugenehmigung vom 25. Juli 1994 war für die Klägerin erst nach dem 28. Februar 1995 keine ausreichende Verlässlichkeitsgrundlage mehr für weitere Investitionen, sodass ab diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch bereits auf Tatbestandsebene nicht mehr gegeben sind.

Nachdem mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 21. Februar 1995 die aufschiebende Wirkung des Nachbarwiderspruchs wiederhergestellt worden war und der Beklagte der Klägerin gegenüber erneut mündlich und schriftlich einen Baustopp - diesmal sogar mit Betretensverbot und Nutzungsuntersagung - verfügt hatte, war das Vertrauen der Klägerin aufgrund der nun eingetretenen besonderen Umstände - immerhin hielt inzwischen auch die ihr in der ersten Entscheidung im November 1994 noch "wohl gesonnene" Recht sprechende Gewalt die Rechtmäßigkeit der ihr erteilten Baugenehmigung für zweifelhaft - derart erschüttert, dass sie auf die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung nicht mehr vertrauen durfte. Im Laufe des 28. Februar 1995 verlor die ihr erteilte Baugenehmigung durch die mündliche Baueinstellungsverfügung des Beklagten erneut die sofortige Vollziehbarkeit - diesmal im Unterschied zu den Geschehnissen im Oktober 1994 jedoch auf der Grundlage einer gerichtlichen Anordnung zu ihren Lasten. Da es der Klägerin auch durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 8. März 1995 nicht mehr gelang, die sofortige Vollziehbarkeit ihrer Baugenehmigung wieder herzustellen, durfte sie ab dem Zeitpunkt der inhaltlichen Kenntnis des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 21. Februar 1995 - der Senat geht auf der Grundlage der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung davon aus, dass die Klägerin spätestens mit der mündlichen Baueinstellungsverfügung ausreichende Kenntnis von der Entscheidung des Verwaltungsgerichts erlangt hat - nicht mehr auf die Rechtsbeständigkeit der Baugenehmigung vertrauen (vgl. zu einem ähnlichen Fall des Nachbarwiderspruchs: OLG Rostock, Urteil vom 10. Oktober 2002, Az.: 1 U 207/00).

Soweit die Klägerin nach dem 28. Februar 1995 noch weitergebaut haben sollte - der Umfang der damaligen Fertigstellung des Bauvorhabens ist zwischen den Parteien streitig -, geschah dies in Ermangelung einer ausreichenden Vertrauensgrundlage auf ihr eigenes Risiko. Den Teil des möglichen künftigen Schadens, der ihr durch den Weiterbau nach diesem Datum zusätzlich entstanden ist, wird sie daher grundsätzlich selbst tragen müssen. Für den Fall, dass die Klägerin ab dem 1. März 1995 nur noch geringfügige wirtschaftliche Aufwendungen zur Nutzbarmachung der Baulichkeit getätigt haben sollte, ist in einem künftigen Betragsverfahren im Hinblick auf den seit mehr als dreizehn Jahren von der Klägerin gezogenen Nutzungsvorteil - entsprechend der diesbezüglichen Überlegung des Landgerichts - im Verhältnis zu dem Beklagten eine Schadensminderung durch Fertigstellung in Erwägung zu ziehen.

(4) Schließlich kann der Klägerin auf der Tatbestandebene nicht - wie von der Berufung erwogen - gemäß § 839 Abs. 3 BGB angelastet werden, dass sie keinen Rechtsbehelf gegen die Abrissverfügung des Beklagten eingelegt hat. Die Nichteinlegung eines Rechtsbehelfs begründet angesichts des Verhaltens des Beklagten in den letzten Jahren nicht einmal den Vorwurf der Fahrlässigkeit, da der Beklagte offensichtlich selbst versucht hat, mit allen legalen Mitteln einen Abriss des Gebäudes (auch) im Interesse der Klägerin zu verhindern.

dd) Soweit das Landgericht den Feststellungstenor inhaltlich im Hinblick auf mögliche Ersatzansprüche gegen zwei Rechtsanwälte begrenzt hat, entspricht dies der erstinstanzlichen Antragstellung der Klägerin, beschwert den Beklagten nicht und steht für den Senat damit nicht zur Überprüfung an.

ee) Das Landgericht hat zutreffend ein Mitverschulden der Klägerin (§§ 254 BGB, 39 Abs. 4 BbgOBG, 2 StHG) insgesamt abgelehnt.

Auf der Grundlage der Feststellungen des Senats zu der zeitlich beschränkten Verlässlichkeitsgrundlage kommt ein Mitverschulden ohnehin nur für den Zeitraum vom Baubeginn am 29. August 1994 bis zum 28. Februar 1995 in Betracht. Aus dem Vorbringen des Beklagten ergeben sich jedoch keine hinreichenden Umstände für ein haftungsrechtlich relevantes eigenes Mitverschulden der Klägerin oder des von ihr beauftragten Rechtsanwalts L. bis Ende Februar 1995. Vielmehr durften die Klägerin und ihr Bevollmächtigter der überlegenen Sachkenntnis des Beklagten solange vertrauen, bis das Verwaltungsgericht Cottbus durch die Entscheidung vom 21. Februar 1995 die Vollziehbarkeit der Baugenehmigung vorläufig beendete. Bis dahin musste die fachfremde Klägerin nicht "klüger" sein als die zuständige Fachbehörde und durfte grundsätzlich und uneingeschränkt auf den Bestand der ihr erteilten Baugenehmigung vertrauen. Von der Klägerin konnte keine eigene Kenntnis der bauordnungsrechtlichen Probleme erwartet werden, erst recht keine bessere Kenntnis als die der Fachleute des Beklagten. Allein der angekündigte Widerstand in der Nachbarschaft rechtfertigt ebenfalls nicht die Annahme, sie habe das Bauvorhaben überhaupt nicht in Angriff nehmen dürfen. Der Senat legt seiner Entscheidung daher auf der Ebene des Mitverschuldens eine volle Haftung des Beklagten zu Grunde.

3. Der Angriff der Berufung gegen die Verurteilung zur Zahlung von 2.149,37 € ist insgesamt berechtigt. Der Leistungsausspruch des Landgerichts ist aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen.

Der Klägerin steht derzeit - jedenfalls hinsichtlich der Kosten für die Statik und die Baugrunduntersuchung - kein abschließend bezifferbarer Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten zu, da bisher ein Abriss des Gebäudes nicht feststeht und sich ihr Schaden damit (allenfalls) in der Entwicklung befindet. Ungeachtet der Rechtswidrigkeit der im Jahr 1994 erteilten Baugenehmigung ist es nach wie vor nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin das errichtete Bauwerk weiterhin nutzen darf, sodass die von ihr für die Statik und die Baugrunduntersuchung aufgewendeten Kosten "nützlich" bleiben und keinen wirtschaftlichen Schaden darstellen können. Soweit das Landgericht auf Seite 10 des Urteils beide Zahlungspositionen als Schaden zuspricht, wird diese Auffassung - unausgesprochen - von der Überlegung getragen, dass in jedem Fall der Abriss des erstellten Gebäudes erfolgen wird. Diese Annahme ist jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus tatsächlichen Gründen nicht gerechtfertigt und kann daher die Zahlung von Schadensersatz nicht begründen. Auf die weitere rechtliche Frage, ob die von der Klägerin selbst in ihrer prognostischen Schadensaufstellung eingeräumten Nutzungsvorteile nicht auch auf diese beiden Schadenspositionen zu verrechnen sind, kommt es mithin nicht an.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO. Hierbei geht der Senat angesichts des bisher streitigen Vorbringens der Parteien davon aus, dass der Umfang der Fertigstellung des Bauvorhabens der Klägerin Ende Februar 1995 noch aufklärungsbedürftig ist, sodass der Umfang des Unterliegens der Klägerin durch die zeitliche Einschränkung des Feststellungsantrags unklar ist. Wenn weiter berücksichtigt wird, dass der wesentliche Teil der dem Feststellungsantrag der Klägerin zu Grunde liegenden (künftigen) Schadenspositionen der Höhe nach zweifelhaft erscheint - zu nennen sind hier vor allem der vermeintliche Gewinnausfall für fünf Jahre und der behauptete Gebäudewert -, ist eine Aufhebung der Kosten beider Instanzen gerechtfertigt.

5. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

6. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die mit diesem Verfahren verbundenen grundsätzlichen Rechtsfragen sind durch die obergerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt. Im Übrigen handelt es sich um die Entscheidung eines Einzelfalls, ohne dass die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache oder andere in § 543 Abs. 2 ZPO genannte Gründe eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordern würden.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird - in Übereinstimmung mit der erstinstanzlichen Festsetzung vom 10. Dezember 2007 - auf 402.149,37 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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