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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 14.03.2006
Aktenzeichen: 2 Ws (Reha) 14/05
Rechtsgebiete: StrRehaG, GG, StGB/DDR


Vorschriften:

StrRehaG § 1 Abs. 1
StrRehaG § 10 Abs. 2 S. 1
GG Art. 12 Abs. 1
StGB/DDR § 249
StGB/DDR § 44
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht

Beschluss

2 Ws (Reha) 14/05

5410 Ws 13/05 Reha Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg

1450 (R) Js 32/03 Staatsanwaltschaft Cottbus

In dem Rehabilitierungsverfahren

hat der 2. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts als besonderer Beschwerdesenat für Rehabilitierungssachen durch die Richterin am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Landgericht ... am 14. März 2006 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der Rehabilitierungskammer des Landgerichts Cottbus vom 23. März 2005 teilweise aufgehoben.

Die Urteile des Kreisgerichts Weißwasser vom 6. Februar 1970 (möglicherweise vom 14. Februar 1970) - 15 S 2/70 -, vom 18. Mai 1973 - 13 S 58/73 -, vom 28. Juni 1979 - 13 S 79/79 - und vom 10. August 1981 - 13 S 103/81 - werden für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben.

Der Betroffene hat vom 27. November 1969 bis zum 31. August 1971, vom 5. April 1973 bis zum 13. Dezember 1976, vom 31. Mai 1979 bis zum 30. Mai 1981 sowie vom 19. Juli 1981 bis zum 18. November 1982 zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten.

Im Umfang der Aufhebung hat der Betroffene einen Anspruch auf Erstattung von Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen aus den vorgenannten Verurteilungen, soweit ihm diese entstanden sind.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet verworfen.

Die dem Betroffenen in beiden Rechtszügen erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse je zur Hälfte auferlegt.

Gründe:

I.

Der Betroffene wurde zwischen dem 3. Februar 1967 und dem 29. Juni 1988 insgesamt neun Mal durch Strafgerichte der ehemaligen DDR verurteilt. Näherer Ausführungen im Beschwerdeverfahren bedürfen die nachfolgend aufgeführten vier Verurteilungen des Betroffenen durch das Kreisgericht Weißwasser:

Wahrscheinlich am 6. Februar 1970 verurteilte ihn das Kreisgericht Weißwasser - 15 S 2/70 - wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten nach § 249 StGB/ DDR zur Arbeitserziehung. Zu dieser Verurteilung konnten die Strafakten nicht mehr aufgefunden werden; vorhanden sind nur noch Registerkarten und Strafnachrichten der Staatsanwaltschaft. Soweit auf einer Registerkarte das Datum der Verurteilung mit dem 14. Februar 1970 angegeben ist, handelt es sich dabei mutmaßlich um das Datum des Eintritts der Rechtskraft des Urteils, ohne dass dies anhand der vorliegenden Unterlagen zweifelsfrei geklärt werden kann. Für dieses Urteil befand sich der Betroffene vom 27. November 1969 bis zum 31. August 1971 in Haft. Ebenfalls auf Grund widersprüchlicher Eintragungen in den vorliegenden Registerkarten bleibt unklar, ob der Betroffene in der Zeit vom 5. April bis zum 30. Juni 1973 für dieses Urteil noch einen Strafrest nach Widerruf verbüßen musste oder ob er sich seit dem 5. April 1973 für das nachfolgend aufgeführte Urteil in Haft befand. Fest steht jedoch, dass sich der Betroffene seit dem 5. April 1973 wieder in Haft befand.

Am 18. Mai 1973 verurteilte ihn das Kreisgericht Weißwasser - 13 S 58/73 - wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten nach § 249 StGB/DDR wiederum zur Arbeitserziehung. Zugleich wurde auf die Zulässigkeit staatlicher Kontroll- und Erziehungsaufsicht erkannt. Für dieses Urteil befand sich der Betroffene - entweder vom 5. April 1973 oder vom 1. Juli 1973 an - bis zum 13. Dezember 1976 in Haft.

Am 28. Juni 1979 verurteilte ihn das Kreisgericht Weißwasser - 13 S 79/79 - wegen Vergehens des asozialen Verhaltens gemäß § 249 StGB/DDR unter Anwendung der strafverschärfenden Maßnahmen gemäß § 44 StGB/DDR zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Zudem wurde auf die Zulässigkeit staatlicher Kontrollmaßnahmen erkannt. Für dieses Verfahren befand sich der Betroffene vom 31. Mai 1979 bis zum 30. Mai 1981 in Haft.

Am 10. August 1981 verurteilte ihn das Kreisgericht Weißwasser wegen eines Vergehens der Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch asoziales Verhalten und Verletzung gerichtlicher Maßnahmen unter den Bedingungen des strafverschärfenden Rückfalls gemäß §§ 249, 238, 44, 63 StGB/DDR zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten. Zudem wurde auf die Zulässigkeit staatlicher Kontrollmaßnahmen durch die Deutsche Volkspolizei erkannt. Für dieses Verfahren befand sich der Betroffene vom 19. Juli 1981 bis zum 18. November 1982 in Haft.

Mit Beschluss vom 23. März 2005 hat das Landgericht den Rehabilitierungsantrag des Betroffenen, der alle neun Verurteilungen zum Gegenstand hatte, zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die in zulässiger Weise eingelegte Beschwerde des Betroffenen.

II.

1. Das Rechtsmittel ist begründet, soweit das Landgericht den Rehabilitierungsantrag des Betroffenen hinsichtlich der vorgenannten vier Verurteilungen durch das Kreisgericht Weißwasser zurückgewiesen hat. Diese Urteile des Kreisgerichts Weißwasser sind rechtsstaatswidrig und unterliegen der Aufhebung, weil sie mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar sind (§ 1 Abs. 1 StrRehaG).

a) Verurteilungen wegen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten nach § 249 StGB/DDR geben in besonderem Maße Anlass zur Prüfung des konkreten Tatvorwurfs, da eine strafrechtliche Ahndung bloßer Nichtarbeit, ohne dass der Betroffene sonst Straftaten begangen hatte oder aber der Allgemeinheit oder Dritten zur Last gefallen war, gegen das Verbot der Zwangsarbeit gemäß Art. 4 MRK und gegen das aus Art. 12 Abs. 1 GG folgende negative Freiheitsrecht, einen Beruf nur in selbst gewolltem Umfang auszuüben, verstößt und als mit wesentlichen rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar anzusehen ist (OLG Thüringen, OLG-NL 2005, 92 bis 93). Voraussetzung dafür, dass eine Verurteilung nach § 249 StGB/DDR im Rehabilitierungsverfahren Bestand haben kann, ist, dass die festgestellte Gefährdung des "gesellschaftlichen Zusammenlebens der Bürger" oder der "öffentlichen Ordnung" eine Intensität erreicht hat, bei der eine strafrechtliche Ahndung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit noch rechtsstaatlich tragbar ist (OLG Brandenburg vom 4.3.1999 - 1 Ws (Reha) 36/98 - und vom 9.2.1995, VIZ 1995, 318f). Dies ist vor allem dann anzunehmen, wenn der Betroffene Unterhaltspflichtverletzungen begangen hatte, aber auch dann, wenn er seinen allgemeinen Verpflichtungen, die Wohnungsmiete, Energiekosten und vergleichbare Verbindlichkeiten zu begleichen, nicht nachgekommen war (OLG Brandenburg a.a.O.) oder wenn die Unterstützung des Arbeitsscheuen durch Familienangehörige oder andere Personen nicht freiwillig, sondern zur Abwendung eines von dem Arbeitsscheuen drohenden, die Familienangehörigen oder andere Personen diskriminierenden Verhaltens gewährt worden war (OLG Thüringen, OLG-NL 1996, 23 - 24). Lebte der Betroffene während der verfahrensgegenständlichen Zeitspanne aber ausschließlich von eigenen Mitteln und blieb er niemandem etwas schuldig, so ist eine strafrechtliche Ahndung der Arbeitsverweigerung rechtsstaatlich nicht mehr tragbar (OLG Brandenburg vom 4. März 1999).

b) Feststellungen, die nach den vorstehenden Grundsätzen für eine Bestrafung des Betroffenen noch hinreichen würden, sind in den vorstehenden Urteilen des Kreisgerichts Weißwasser nicht enthalten.

Im Urteil vom 18. Mai 1973 ist ausgeführt, dass der Betroffene sich von seinen Eltern ernähren ließ und auch von seiner Mutter und seiner Schwester hin und wieder Geld bekam. Weiterhin lebte er zum Teil auf Kosten seiner Bekannten, die ihm jeweils die Zeche in der Gaststätte bezahlten.

Die Annahme von Nahrung und Geldbeträgen von engsten Familienangehörigen kann aber ebenso wie deren Gewährung kein strafwürdiges Unrecht begründen, weil ein solches Verhalten zum Kernbereich familiärer Beziehungen gehört. Soweit nicht sogar gesetzliche Unterhaltsverpflichtungen bestehen, ist die gegenseitige Unterstützung innerhalb der Familie jedenfalls ein natürliches menschliches Verhalten, das eher als wünschenswert denn als Sitte oder Moral zuwiderlaufend anzusehen ist. Ein strafbegründendes Unwerturteil lässt sich daran nicht knüpfen.

Dass die dem Betroffenen gewährte Unterstützung durch seine Familienangehörigen nicht freiwillig erfolgt sei, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen und im Übrigen auch fern liegend. Die Feststellung, dass Bekannte des Betroffenen diesem in der Gaststätte die Zeche bezahlten, ist ersichtlich bedeutungslos.

Im Urteil vom 28. Juni 1979 ist lediglich ausgeführt, dass der Angeklagte vom Verkauf persönlicher Sachen und von Zuwendungen seiner Mutter gelebt hat und sich teilweise in Gaststätten aushalten ließ. Für seine Ernährung sorgte ebenfalls seine Mutter. Auch hier gilt, dass die Annahme der von seiner Mutter freiwillig erbrachten Unterstützungsleistungen für den Betroffenen kein strafbares Unrecht begründet.

Das Urteil vom 10. August 1981 enthält überhaupt keine Feststellungen, die über die bloße Arbeitsverweigerung durch den Betroffenen hinausgehen.

Soweit hierin auch ein Schuldspruch wegen Verletzung gerichtlicher Maßnahmen nach § 238 StGB/DDR enthalten ist, bestehen dagegen an sich keine rechtsstaatlichen Bedenken. Dennoch ist auch dieses Urteils insgesamt aufzuheben, weil der Verstoß gegen § 238 StGB/DDR für die Anordnung der Rechtsfolgen - eine zu verbüßende Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten - von untergeordneter Bedeutung gewesen ist (§ 1 Abs. 1 StrRehaG).

Zu dem Urteil vom 6. Februar 1970 sind dessen Gründe nicht bekannt. Da dieses Urteil aber an erster Stelle der Kette der Verurteilungen des Betroffenen nach § 249 StGB/DDR steht und er bei dessen Erlass mit zwanzig Jahren und drei Monaten noch am jüngsten war, hält es der Senat für lebensnah und deshalb glaubhaft (§ 10 Abs. 2 S. 1 StrRehaG), dass der Betroffene - wie von ihm dargelegt - auch zur verfahrensgegenständlichen Zeit dieses Urteils von seinen Eltern unterhalten wurde und sonst keine Verbindlichkeiten angehäuft hatte.

2. Im Übrigen ist die Beschwerde des Betroffenen unbegründet. Der Senat verweist insoweit auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung.

III.

Die Entscheidung über die Erstattung der durch die Verurteilungen entstandenen Verfahrenskosten und notwendigen Auslagen beruht auf § 6 Abs. 1 StrRehaG, diejenige über die notwendigen Auslagen im Rehabilitierungsverfahren auf § 14 Abs. 2 und 4 StrRehaG.



Ende der Entscheidung

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