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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 14.11.2006
Aktenzeichen: 2 Ws (Reha) 19/06
Rechtsgebiete: StGB/DDR, StrRehaG, StPO


Vorschriften:

StGB/DDR § 64
StGB/DDR § 141 Abs. 1
StGB/DDR § 158 Abs. 1
StGB/DDR § 159 Abs. 1
StGB/DDR § 178 Abs. 1
StGB/DDR § 213
StGB/DDR § 213 Abs. 1
StGB/DDR § 213 Abs. 2
StGB/DDR § 213 Abs. 3
StGB/DDR § 249 Abs. 1
StrRehaG § 1 Abs. 1 Nr. 2
StrRehaG § 14 Abs. 4
StPO § 473 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

2 Ws (Reha) 19/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In dem Rehabilitierungsverfahren

hat der 2. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts als besonderer Beschwerdesenat für Rehabilitierungssachen durch

die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Pisal, den Richter am Oberlandesgericht Tscheslog und die Richterin am Landgericht Prüfer

am 14. November 2006

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss der Kammer für Rehabilitierungsverfahren bei dem Landgericht Frankfurt (Oder) vom 20. Juni 2006 wird als unbegründet verworfen.

Die notwendigen Auslagen des Betroffenen im Beschwerdeverfahren trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.

Der Betroffene wurde am 16. März 1978 durch das Kreisgericht Eberswalde zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten als (einheitliche) Hauptstrafe gemäß § 64 StGB/DDR verurteilt, die er in der Zeit vom 15. Mai 1978 bis zum 29. November 1979 teilweise verbüßte. Der Schuldspruch dieses Urteils umfasst insgesamt sechs Taten:

- versuchter ungesetzlicher Grenzübertritt in Tateinheit mit Verstoß gegen die Verordnung zum Schutze der Staatsgrenze der DDR gemäß §§ 213 Abs. 1 und 3 StGB/DDR, 6 Abs. 1 Ziff. 2 und Abs. 2 der Verordnung zum Schutze der Staatsgrenze der DDR, weil der Betroffene am 14. November 1977 mit dem Zug von Eberswalde nach Schleiz gefahren war, dort in einer Pension übernachtet und sich am nächsten Tag, dem 15. November 1977, mit einer Landkarte und einem Kompass zu Fuß in Richtung der Grenze zur Bundesrepublik Deutschland begeben hatte, wo er nahe Haidefeld von Grenzsoldaten festgenommen worden war;

- Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten in Tateinheit mit Diebstahl zum Nachteil sozialistischen Eigentums gem. §§ 249 Abs. 1, 158 Abs. 1 StGB/DDR, weil der Betroffene in der Zeit vom 5. Oktober bis zum 15. November 1977 nicht der Arbeit nachgegangen war und am 9. November 1977 in einer HO-Kaufhalle eine Flasche Schnaps zum Preis von 10,80 Mark entwendet hatte;

- Verletzung der Unterhaltspflicht gem. § 141 Abs. 1 StGB/DDR, weil der Betroffene in den Monaten Oktober und November 1977 den Unterhalt für seine beiden Kinder aus geschiedener Ehe in Höhe von jeweils 150 Mark nicht gezahlt hatte;

- Betrug zum Nachteil sozialistischen Eigentums gem. § 159 Abs. 1 StGB/DDR, weil der Betroffene am 6. November 1977 in einer HO-Gaststätte eine Zeche von 25,61 Mark nicht bezahlt hatte;

- zwei Fälle des Betrugs zum Nachteil persönlichen Eigentums gem. § 178 Abs. 1 StGB/DDR, weil der Betroffene sich am 10. November 1977 von einem Bekannten 40,00 Mark geliehen hatte, die er diesem nicht zurückzahlen wollte, und

- weil sich der Betroffene am 14. November 1977 in Vorbereitung seines Fluchtversuches in der Pension in Schleiz eingemietet hatte in der Absicht, die dort anfallende Miete von 12,80 Mark nicht zu bezahlen.

Mit Beschluss vom 20. Juni 2006 hat die Rehabilitierungskammer - neben einer weiteren, nicht beschwerdefähigen Rehabilitierungsentscheidung - das vorgenannte Urteil für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben, soweit der Betroffene wegen versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts in Tateinheit mit Verstoß gegen die Verordnung zum Schutze der Staatsgrenze der DDR und soweit er zu mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.

Hiergegen richtet sich die in zulässiger Weise eingelegte Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die auf die Anfechtung der Rehabilitierungsentscheidung zur Höhe der für rechtsstaatswidrig erklärten und aufgehobenen Freiheitsstrafe beschränkt ist. Die Staatsanwaltschaft ist der Auffassung, die Rehabilitierungskammer habe den Teil der auf den aufgehobenen Schuldspruch entfallenden Strafe zu hoch angesetzt; eine Reduzierung der Strafe um sechs Monate bei einem verbleibenden Rest von einem Jahr und zwei Monaten Freiheitsstrafe sei ausreichend. Zu Unrecht sei die Rehabilitierungskammer bei ihrer Entscheidung davon ausgegangen, die Mindeststrafe für die versuchte Republikflucht, für die der Betroffene verurteilt wurde, habe ein Jahr Freiheitsstrafe betragen.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg tritt dem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft bei.

II.

Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg. Die Entscheidung der Rehabilitierungskammer ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Ist - wie hier - eine Verurteilung wegen mehrerer Taten erfolgt und kommt eine vollständige Aufhebung der Entscheidung nicht in Betracht, ist nur der rechtsstaatswidrige Schuldspruch und die auf ihn entfallende Strafe aufzuheben (§ 1 Abs. 4 StrRehaG). Ist gegen den Betroffenen eine Freiheitsstrafe als Hauptstrafe gemäß § 64 StGB/DDR - mithin als einheitliche Rechtsfolge, die Einzelstrafen nicht ausweist - verhängt worden, muss die Höhe des auf den rechtsstaatswidrigen Schuldspruch entfallenden Strafanteils von den Rehabilitierungsgerichten unter Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen bestimmt werden, insbesondere den Ausführungen zur Strafzumessung im Urteil selbst, des Ablaufes des Strafverfahrens, soweit sich daraus eine Gewichtung der gegen den Betroffenen erhobenen Vorwürfe entnehmen lässt, der im Zeitpunkt der Verurteilung geltenden Strafrahmen sowie der Erfahrungswerte bezüglich der für den aufgehobenen Schuldspruch in der ehemaligen DDR üblicherweise verhängten Strafen (vgl. zu letzterem KG Berlin VIZ 1993, Seite 319 f.). Da der aufgehobene Schuldspruch aus heutiger Sicht gerade rechtsstaatswidrig ist, kann die Bestimmung des auf ihn entfallenden Anteils der verhängten Freiheitsstrafe nur aus Sicht der Strafjustiz der ehemaligen DDR erfolgen.

Als gedankliches Korrektiv kann hierbei die Frage dienen, welche Rechtsfolgen für die verbleibenden, nicht aufgehobenen Schuldsprüche aus rechtsstaatlicher Sicht noch hinnehmbar sind, ohne das Übermaßverbot des § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG zu verletzen. Durch diese Überlegung wird jedoch nur die Obergrenze dessen bestimmt, was an Rechtsfolgen gegen den Betroffenen bestehen bleiben kann.

Unter Anwendung dieser Maßstäbe ergibt sich hier das Folgende:

Aus den äußerst knappen Ausführungen des verfahrensgegenständlichen Urteils gegen den Betroffenen ergibt sich nichts zur Gewichtung des gegen ihn erhobenen Vorwurfs des versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts oder zur Höhe des darauf entfallenden Strafanteils. Aus den Strafakten ist jedoch zu ersehen, dass der Betroffene nur wegen dieses Vorwurfs in Untersuchungshaft genommen wurde und erst in der Folgezeit die weiteren, in die Verurteilung eingeflossenen Tatvorwürfe gegen ihn erhoben wurden. Allgemein bekannt ist, dass die Strafjustiz der ehemaligen DDR gegen Personen, die versuchten, in die Bundesrepublik Deutschland zu fliehen, besonders harte Strafen verhängte, um diese als vermeintlich politische Gegner zu verfolgen und Andere von Fluchtversuchen abzuschrecken. Verhängt wurden regelmäßig Freiheitsstrafen, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurden und deren Dauer ein Jahr oder mehr betrug. Unter diesem Gesichtspunkt erweist sich die von der Rehabilitierungskammer vorgenommene Gewichtung, den Anteil der auf den rechtsstaatswidrigen Schuldspruch entfallenden Strafe auf ein Jahr und zwei Monate Freiheitsstrafe zu bestimmen, als lebensnah.

Ohne Bedeutung bleibt es daher, dass die Rehabilitierungskammer offenbar irrtümlich - worauf die Staatsanwaltschaft zu Recht hinweist - davon ausgegangen ist, der Betroffene sei wegen versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts in einem schweren Fall verurteilt worden. Die Vorschrift des § 213 Abs. 3 StGB/DDR, die im verfahrensgegenständlichen Urteil aufgeführt ist, normierte zum Zeitpunkt der Verurteilung des Betroffenen die Strafbarkeit der Vorbereitung und des Versuchs des ungesetzlichen Grenzübertritts, während zu dieser Zeit die Strafschärfung für schwere Fälle des ungesetzlichen Grenzübertritts noch in § 213 Abs. 2 StGB/DDR geregelt war. Erst mit Einfügung eines weiteren Straftatbestandes als neuem Abs. 2 des § 213 StGB/DDR durch das dritte Strafrechtsänderungsgesetz vom 28. Juni 1979 (GBl./DDR I Nr. 17 Seite 139) wurde die Strafschärfung für schwere Fälle des ungesetzlichen Grenzübertritts in Abs. 3 des § 213 StGB/DDR gerückt. Der danach für den Betroffenen in Anwendung gebrachte Strafrahmen des Grundtatbestands des ungesetzlichen Grenzübertritts nach § 213 Abs. 1 StGB/DDR sah Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren vor und wurde - wie bereits ausgeführt - aus politischen Gründen regelmäßig im oberen Bereich ausgeschöpft.

III.

Die Auslagenentscheidung folgt aus § 14 Abs. 4 StrRehaG i. V. m. § 473 Abs. 2 Satz 1 StPO.

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