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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 24.04.2007
Aktenzeichen: 2 Ws (Reha) 3/07
Rechtsgebiete: StrRehaG, StPO, StGB


Vorschriften:

StrRehaG § 7
StrRehaG § 7 Abs. 1 Nr. 2
StrRehaG § 14 Abs. 1
StPO § 361 Abs. 2
StGB § 77a
StGB § 194 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

2 Ws (Reha) 3/07 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In dem Rehabilitierungsverfahren

betreffend O... D...,

hat der 2. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts als besonderer Beschwerdesenat für Rehabilitierungssachen durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Pisal, den Richter am Oberlandesgericht Tscheslog und die Richterin am Landgericht Prüfer

am 24. April 2007

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der Kammer für Rehabilitierungsverfahren des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 27. November 2006 wird als unbegründet verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben.

Gründe:

I.

Der Antragsteller ist ein eingetragener Verein. Er beantragte vor dem Landgericht die strafrechtliche Rehabilitierung der bereits 1961 verstorbenen Betroffenen.

Zur Begründung führte der Antragsteller aus, er sehe in Übereinstimmung mit den Zielen des Einigungsvertrages die politische, historische und justizielle Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Erfahrungen der "zweiten deutschen Diktatur" seien neben den Forschungsprojekten der Universitäten und Hochschulen über Projektförderungen durch die im Ergebnis des Einigungsvertrages entstandenen speziellen Institutionen, wie der Bundesbeauftragten und der Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, auch zur gesellschaftlichen Aufgabe von Vereinen der Opferbetreuung, Aufarbeitungsinitiativen und Einzelpersonen geworden. Die Begleitung von Verfolgungsopfern in Verfahren der straf- und verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung, eingeschlossen Wiederaufnahmeverfahren, mit dem Schwerpunkt der (wirtschafts-) politischen Verfolgung würden zu einem Segment der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit durch den Antragsteller gehören. Das Ziel der angestrebten Rehabilitierung der Betroffenen sei die Aufklärung des Wirkens der "Klassenjustiz" in der Frühphase der DDR-Diktatur bei der Neuordnung der Produktionsverhältnisse auf dem Land und der Schaffung einer neuen Eigentumsordnung im Sinne des leninschen Genossenschaftsplanes. Der Bodenreform sei der Kampf gegen das Großbauerntum gefolgt. Die Einführung der Pflichtablieferung sei Mittel zum Zweck geworden. Über das so genannte Ablieferungssoll, das graduelle Verschärfungen kraft Gesetzes vorgesehen habe, sei die wirtschaftliche Existenz der Bauernwirtschaften angegriffen worden. Die bisherigen Recherchen zum Strafverfolgungs- und Enteignungsfall der Betroffenen würden alle dahingehenden Indizien enthalten. Das Einzelschicksal der Betroffenen sei durch seine zeitliche Nähe zum 17. Juni 1953 auf besondere Weise geeignet, die Anwendung der Wirtschaftsstrafverordnung von 1948 und der Rechtsvorschriften über die Pflichtablieferung vor und nach diesem Ereignis zu untersuchen. Ein Erkenntnisgewinn zu diktaturprägenden Repressionen im Bereich der Landwirtschaft der DDR sei von generellem bildungspolitischem Interesse. Hieraus folge ein berechtigtes Interesse des Beschwerdeführers an der strafrechtlichen Rehabilitierung der Betroffenen gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG.

Eine Vollmacht für die Vertretung eines antragsberechtigten Angehörigen der verstorbenen Betroffenen konnte der Antragsteller nicht vorlegen.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht den Rehabilitierungsantrag als unzulässig zurückgewiesen, weil ein berechtigtes Interesse des Antragstellers an der strafrechtlichen Rehabilitierung der Betroffenen nicht ersichtlich sei.

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seinem in zulässiger Weise eingelegten Rechtsmittel, mit dem er geltend macht, das Landgericht habe die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG zu eng ausgelegt. Zur Verwirklichung des Rechtsstaatsprinzips und der Zielsetzungen des Einigungsvertrags sei die Durchführung von Rehabilitierungsverfahren zu Gunsten Verstorbener, die von Vereinen betrieben würden, zulässig; die zeitnahe Erschließung von Staats- und Justizwillkür der Diktaturen sei ein berechtigtes Interesse für die politische Bildung und das Bildungswesen.

II.

Das Rechtsmittel des Antragstellers hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht den von ihm gestellten Rehabilitierungsantrag als unzulässig verworfen, weil der Antragsteller nicht antragsberechtigt ist.

Nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG kann der Rehabilitierungsantrag nach dem Tode des Betroffenen von seinem Ehegatten, seinen Verwandten in gerader Linie, seinen Geschwistern oder von Personen, die ein berechtigtes Interesse an der Rehabilitierung des von der rechtsstaatswidrigen Entscheidung Betroffenen haben, gestellt werden. Eine obergerichtliche Entscheidung, die sich mit der Auslegung dieser Vorschrift befasst, ist - soweit ersichtlich - bisher noch nicht ergangen.

1. Der Wortlaut des § 7 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG schließt juristische Personen, wie es der Antragsteller ist, nicht aus dem Kreis der nach dem Tode des Betroffenen Antragsberechtigten aus. Soweit neben die nahen Verwandten des verstorbenen Betroffenen "Personen, die ein berechtigtes Interesse an der Rehabilitierung des von der rechtsstaatswidrigen Entscheidung Betroffenen haben", gestellt werden, lässt diese Formulierung offen, ob es sich dabei um natürliche Personen handeln muss. Dem Gesetzeswortlaut zu entnehmen ist indes, dass diese Antragsteller ein eigenes Interesse an der Rehabilitierung des verstorbenen Betroffenen haben müssen, das zudem berechtigt, das heißt von der Rechtsordnung gebilligt sein muss.

2. Die historische Betrachtung der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergibt, dass der Gesetzgeber bei deren Einführung als "berechtigte Interessen" ausschließlich Vermögensinteressen natürlicher Personen im Blick hatte. In der Begründung zum Regierungsentwurf zu § 7 StrRehaG (BT-Drucks. 12/1608, S. 20, zu § 7 Nr. 5) ist ausgeführt, dass die in § 7 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG vorgesehene Erweiterung von Antragsbefugnissen über den Kreis der (im Wiederaufnahmeverfahren) in § 361 Abs. 2 StPO genannten Angehörigen im Hinblick auf sozialrechtlich gebotene Härteregelungen für erforderlich gehalten wurde. In Härtefällen sollten unter engen Voraussetzungen Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz auch für Lebensgefährten des Betroffenen (sog. Bräuteversorgung) gewährt werden. Um dies zu ermöglichen, sollte diesen Personen ein Antragsrecht im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren eröffnet werden. Weiter ausgeführt ist, dass ein "berechtigtes Interesse" auch dann angenommen werden sollte, wenn eine Person potenziell Vorteile von einer möglichen Rückübertragung oder Rückgabe von im Urteil eingezogenen Vermögenswerten hätte.

3. Bei systematischer Betrachtung ergibt sich aus dem Umstand, dass die antragsberechtigten Personen, die ein berechtigtes Interesse an der Rehabilitierung des Betroffenen haben, neben die antragsberechtigten nahen Verwandten gestellt werden, dass an Ausmaß und Ernsthaftigkeit des erforderlichen Interesses der antragsberechtigten Dritten eher hohe Anforderungen zu stellen sind. Bei nahen Verwandten ist deren Interesse an der Antragstellung zu Gunsten des verstorbenen Betroffenen evident; es erschließt sich aus der engen familiären Beziehung. Wenn Dritten die gleiche Rechtsposition eingeräumt werden soll, so ist zumindest zu verlangen, dass deren Interesse an der Rehabilitierung des verstorbenen Betroffenen vergleichbar sein muss; es kann daher nicht jedes Interesse an der Rehabilitierung des verstorbenen Betroffenen genügen, sondern nur ein solches, das aus einer echten Verknüpfung mit dem Lebensschicksal des Betroffenen herrührt.

4. Die teleologische Auslegung der Vorschrift führt zu dem gleichen Ergebnis. Mit dem gesetzlichen Erfordernis des berechtigten Interesses, das dritte Personen erfüllen müssen, wird der Kreis der antragsberechtigten Personen über die nahen Angehörigen hinaus nicht nur erweitert, sondern auch begrenzt. Die Begrenzung des Kreises der antragsberechtigten Personen ist erforderlich, um Popularklagen auszuschließen, die dem deutschen Verfahrensrecht grundsätzlich fremd sind. Der Ausschluss von Popularklagen bedeutet hier, dass nur derjenige fremde Interessen vor Gericht wahrnehmen darf, der hierfür auf Grund einer Vollmacht oder kraft Gesetzes berechtigt ist. Um Popularklagen wirksam ausschließen zu können, darf die erforderliche Berechtigung zur Vertretung des Betroffenen nicht vom Antragsteller selbst geschaffen werden können, indem er sich etwa selbst entsprechende satzungsmäßige Aufgaben setzt. Soweit es sich danach - wie hier - um eine satzungsmäßige Interessenvertretung handelt, kann das daraus folgende eigene Interesse des Antragstellers kein taugliches Kriterium zum Ausschluss der Popularklage sein. Zu verlangen ist vielmehr eine originäre, nicht selbst definierte Verknüpfung der Verbandsinteressen mit dem Schicksal des Betroffenen (so Bruhns in Bruhns/Schröder/Tappert, StrRehaG, 1993, § 7 Rn. 25 und 26, der eine "wesensmäßige" Verknüpfung der Verbandsinteressen mit dem Schicksal des Betroffenen annimmt, wenn die politische Verfolgung des Betroffenen gerade wegen seiner Verbandsmitgliedschaft oder seiner Tätigkeit für den Verband erfolgt ist; im Potsdamer Kommentar zum StrRehaG, 2. Aufl., 1997, § 7 Rn. 11 ist diese Frage nicht problematisiert).

Ein weiteres Argument für eine derartige Auslegung des § 7 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG findet sich schließlich im Vergleich mit anderen Rechtsvorschriften, mit denen im Strafrecht der Kreis antragsberechtigter Personen über die Betroffenen oder deren nahe Angehörige hinaus erweitert wird. Soweit in den §§ 77a, 194 Abs. 3 StGB das Recht zur Stellung eines Strafantrags auch für Dienstvorgesetzte von Amtsträgern, für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten, Soldaten bzw. Trägern von Ämtern der Kirchen und anderen Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts eröffnet wird, folgt dies aus der Einordnung der Betroffenen in öffentliche Dienstverhältnisse. Das öffentliche Dienstverhältnis schafft hier eine auch im oben genannten Sinne originäre Verknüpfung zwischen den antragsberechtigten öffentlichen Stellen und dem Schicksal der jeweils Betroffenen.

5. Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist die vom Landgericht getroffene Wertung, der Antragsteller sei nicht antragsberechtigt im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG, nicht zu beanstanden. Das Anliegen des Antragstellers, die politische, historische und justizielle Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu betreiben, berechtigt ihn nicht, fremde Rehabilitierungsverfahren zu betreiben.

III.

Die Entscheidung zur Kostenfreiheit des Beschwerdeverfahrens folgt aus § 14 Abs. 1 StrRehaG.

Ende der Entscheidung

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