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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 30.03.2006
Aktenzeichen: 2 Ws 23/06
Rechtsgebiete: StPO, GVG


Vorschriften:

StPO § 200 Abs. 2
StPO § 243 Abs. 3 S. 1
StPO § 209a
GVG § 21e Abs. 1 S. 1
GVG § 74b
GVG § 74 Abs. 2
GVG § 74c
GVG § 74a
GVG § 74e
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht

Beschluss

2 Ws 23/06

5414 Ws 2/06 Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg

246 Js 10519/04 Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder

In der Strafsache

wegen schwerer Brandstiftung u.a.

hat der 2. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch die Richterin am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Landgericht ... am 30. März 2006 beschlossen:

Tenor:

Eine Sachentscheidung des Senats ist auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss der 3. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt/Oder vom 15. Dezember 2005 nicht veranlasst. Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft erhob unter dem 22. März 2005 gegen die Angeschuldigten Anklage zum Landgericht wegen schwerer Brandstiftung, Brandstiftung und Betruges. Das Verfahren wurde bei der seinerzeit nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständigen 3. Strafkammer des Landgerichts eingetragen. Nach Mitteilung der Anklageschrift erhob der Verteidiger des Angeschuldigten ... ... Einwendungen gegen die Fassung des konkreten Anklagesatzes, welche vom Vorsitzenden der 3. Strafkammer der Staatsanwaltschaft zur Stellungnahme zugeleitet wurden. Unter dem 29. August 2005 fertigte die Staatsanwaltschaft eine neue Anklageschrift, welche am 1. September 2005 bei dem Landgericht einging. In der Übersendungsverfügung vermerkte die Staatsanwaltschaft, dass "wegen §§ 200 Abs. 2, 243 Abs. 3 S. 1 StPO ... der Anklagesatz neu gefasst" worden sei und die Anklage vom 22.3.05 zurückgenommen werde.

Wegen Überlastung der 3. Strafkammer hatte das Präsidium des Landgerichts inzwischen durch Beschluss Nr. 7/05 vom 23. Mai 2005 die Geschäftsverteilung geändert. Die 3. Strafkammer wurde unter anderem von der Zuständigkeit für Strafsachen gegen Erwachsene, die durch Anklageerhebung anhängig werden, freigestellt, soweit diese Sachen in der Zeit vom 1. Juni bis zum 30. November 2005 beim Landgericht eingingen. Die Zuständigkeit für diese Verfahren ging, soweit die Sachen im September 2005 eingingen, auf die 2. Strafkammer über.

Nach Eingang der neu gefassten Anklageschrift vom 29. August 2005 vertrat der Vorsitzende der 3. Strafkammer die Auffassung, das Verfahren sei wie ein Neueingang zu behandeln; er ließ es austragen und der 2. Strafkammer vorlegen. Dort wurde es unter dem Aktenzeichen 22 KLs 9/05 eingetragen und der Vorsitzende der 2. Strafkammer verfügte die Mitteilung der neu gefassten Anklageschrift an die Angeschuldigten. Der Verteidiger des Angeschuldigten ... ... erhob nun Einwendungen gegen die Zuständigkeit der 2. Strafkammer; die 3. Strafkammer sei weiterhin zuständig, weil es sich nicht um eine neue, sondern um dieselbe Sache handele. "Nach reiflicher Überlegung" trat die 2. Strafkammer den Ausführungen des Verteidigers zur Zuständigkeit im Ergebnis bei und übersandte die Akten mit Verfügung vom 4. November 2005 der 3. Strafkammer. Mit Verfügung vom 14. November 2005 sandte der Vorsitzende der 3. Strafkammer die Akten mit dem Bemerken, dass diese gegebenenfalls an das Präsidium des Landgerichts zur Entscheidung weiterzuleiten seien, zurück.

Mit Beschluss vom 17. November 2005 erklärte sich die 2. Strafkammer für unzuständig. Die abgeänderte Anklageschrift beträfe denselben Verfahrensgegenstand und dieselben Angeschuldigten. Die zulässige Einreichung einer geänderten Anklageschrift habe deshalb die Anhängigkeit der Sache bei dem Landgericht unberührt gelassen, so dass es bei der Zuständigkeit der 3. Strafkammer verblieben sei. Der Zuständigkeitsstreit könne nicht durch das Präsidium des Landgerichts entschieden werden, da es hier nicht um eine Auslegung des Geschäftsverteilungsplanes gehe, sondern um eine Frage der Gesetzesauslegung, ob nämlich die Einreichung einer abgeänderten Anklageschrift bei gleichbleibendem Verfahrensgegenstand die Anhängigkeit der Sache bei Gericht beende oder unberührt lasse.

Mit Beschluss vom 15. Dezember 2005 hat die 3. Strafkammer die Übernahme des Verfahrens abgelehnt, da sie nicht zuständig sei. Die 2. Strafkammer sei für Verfahren der 3. Strafkammer zuständig geworden, die im September 2005 bei dem Landgericht eingingen. Da die Anklageschrift vom 29. August 2005 am 1. September 2005 eingegangen sei, sei mithin die 3. Strafkammer für das Verfahren nicht zuständig. Die Rücknahme der Anklageschrift versetze das Verfahren in den Stand des Ermittlungsverfahrens zurück. Die Zuständigkeit der 3. Strafkammer habe mit der Rücknahme der Anklage geendet. Dies könne auch nicht auf Grund des Umstandes, dass die Staatsanwaltschaft zeitgleich wiederum Anklage erhoben habe, anders gesehen werden.

Gegen den letztgenannten Beschluss hat die Staatsanwaltschaft unter dem 27. Dezember 2005 Beschwerde eingelegt. Der Abteilungsleiter der Staatsanwaltschaft, der der Anklageverfasser ist, hat dazu ausgeführt, er habe die Anklage insofern nachgebessert, als er einige Passagen aus der Konkretisierung gestrichen habe, die zum wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen gehörten und daher nicht vor den Schöffen hätten verlesen werden dürfen.

Mit Beschluss vom 9. Januar 2006 hat die 3. Strafkammer der Beschwerde der Staatsanwaltschaft nicht abgeholfen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Sie ist der Auffassung, die Zuständigkeit der 3. Strafkammer für diese Strafsache sei nicht entfallen und beantragt, deren Beschluss vom 15. Dezember 2005 aufzuheben.

II.

Der Senat kann auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft keine Sachentscheidung treffen, weil er zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits zwischen der 2. und der 3. Strafkammer des Landgerichts nicht berufen ist. Dieser Streit kann nur durch das Präsidium des Landgerichts entschieden werden.

Nach § 21e Abs. 1 S.1 GVG verteilt das Präsidium die Geschäfte. Es trifft diese Anordnungen vor dem Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer durch die Erstellung eines Geschäftsverteilungsplanes (§ 21e Abs. 1 S. 2 GVG). Aus dieser Kompetenz, über die Verteilung der Geschäfte selbst zu entscheiden, folgt die Zuständigkeit des Präsidiums für die Entscheidung von Streitigkeiten darüber, welche von mehreren Kammern derselben Art eine Sache nach dem Geschäftsverteilungsplan zu bearbeiten hat (BGHSt 25, S. 242 f., 244; 26, S. 191 f., 200; NJW 1975, S. 1424, 1425). Das Präsidium ist zur Entscheidung von Streitigkeiten über Zuständigkeiten nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständig, wenn etwa eine dort getroffene abstrakt-generelle Regelung den speziellen Fall nicht erfasst oder eine verschiedene Auslegung zulässt, wenn deren Sinn missverstanden wird oder wenn eine an sich eindeutige Regelung vorliegt, deren Anwendung aber im Hinblick auf besondere Umstände des Einzelfalls verneint wird (Loewe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 21e GVG Rn. 22 und 23). Nur das Präsidium selbst kann im Zweifel entscheiden, was es im Geschäftsverteilungsplan bestimmen wollte.

Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein Streit über die Zuständigkeit eines Spruchkörpers mit gesetzlicher Zuständigkeitskonzentration vorliegt. Aufgabe des Präsidiums ist es, über die

Auslegung und die Anwendung des von ihm erlassenen Geschäftsverteilungsplanes zu befinden. Dagegen obliegt es ihm nicht, über das Vorliegen von Sachentscheidungsvoraussetzungen des konkreten Verfahrens zu urteilen, wenn es sich hierbei ausschließlich um Fragen der Gesetzesauslegung handelt. Die auf Gesetz beruhende Aufgabenabgrenzung zwischen Kammern verschiedener Art ist deshalb der Disposition des Präsidiums entzogen; es ist Sache des angegangenen Spruchkörpers, über seine gerichtsinterne Zuständigkeit zu entscheiden, sofern diese unmittelbar aus dem Gesetz hergeleitet wird (BGHSt 26 a.a.O.).

Nur dann, wenn es um Streitigkeiten über die Zuständigkeit von Strafkammern verschiedener Art geht, bleibt Raum für eine Sachentscheidung durch das Beschwerdegericht, weil nur dann Gesetze - und nicht der Geschäftsverteilungsplan - die Zuständigkeiten regeln. Solche gesetzlichen Zuständigkeitskonzentrationen bestehen derzeit für die Jugendkammer nach § 74b GVG, das Schwurgericht nach § 74 Abs. 2 GVG, die Wirtschaftsstrafkammer nach § 74c GVG und die Kammer für Staatsschutzsachen nach § 74a GVG in Verbindung mit den Vorrangsregelungen in § 74e GVG und § 209a StPO. Die Fälle, in denen die Rechtsprechung bisher die Entscheidung von Zuständigkeitsstreitigkeiten durch Rechtsmittelgerichte zugelassen hat, betrafen Zuständigkeiten aus der Reihe der vorgenannten Spruchkörper (BGHSt 26, S. 191 f.: Zuständigkeitsstreit zwischen Schwurgericht und Jugendkammer auf Grundlage des § 103 Abs. 2 JGG alter Fassung, der eine Aufgabenabgrenzung zwischen allgemeinem Gericht und Jugendgericht entsprechend dem Schwerpunkt des Verfahrens vorsah; OLG Hamm, NJW 1972, S. 1909: Zuständigkeitsstreit zwischen allgemeiner Strafkammer und Jugendkammer; OLG Düsseldorf, MDR 1982, S. 689: Zuständigkeitsstreit zwischen allgemeiner Strafkammer und Wirtschaftsstrafkammer; entsprechend Kammergericht Berlin, NJW 1964, S. 2437: Zuständigkeitsstreit zwischen Einzelrichter und Jugendrichter).

Der hier zu entscheidende Zuständigkeitsstreit besteht zwischen zwei Strafkammern gleicher Art, zwei allgemeinen Strafkammern. Gesetze, die sich mit der Zuständigkeitsverteilung zwischen Strafkammern gleicher Art befassen, gibt es nicht. Aus diesem Grund kann der Senat den Zuständigkeitsstreit auch nicht entscheiden.

Daran vermag die Argumentation der 2. Strafkammer in ihrem Beschluss vom 17. November 2005 nichts zu ändern. Wie immer die dort aufgeworfene Rechtsfrage, ob die Einreichung einer abgeänderten Anklageschrift bei gleich bleibendem Verfahrensgegenstand die Anhängigkeit der Sache bei Gericht beende oder unberührt lasse, beantwortet wird, bleibt es dabei, dass sich die Zuständigkeit entweder der 2. oder der 3. Strafkammer des Landgerichts nach den vom Präsidium getroffenen Regelungen zur Geschäftsverteilung richtet. Maßgebend kann hier der Gedanke des Fortbestehens einer einmal begründeten Zuständigkeit für Sachen sein, wie er sich in den allgemeinen Grundsätzen zur Verteilung der richterlichen Geschäfte im Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts findet, oder welche Auslegung der Formulierung "Eingang der Sache" im Geschäftsverteilungsplan zukommt. Dies zu entscheiden, ist Sache des Präsidiums des Landgerichts.



Ende der Entscheidung

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