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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 14.11.2002
Aktenzeichen: 2 Ws 347/02
Rechtsgebiete: StPO, ZPO


Vorschriften:

StPO § 37 Abs. 2
StPO § 37 Abs. 1 S. 1
StPO § 329 Abs. 3
StPO § 467 Abs. 1
StPO § 473 Abs. 7
ZPO § 182 a.F.
ZPO § 190
ZPO § 191 a.F.
ZPO § 195 a.F.
ZPO § 199 a.F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

2 Ws 347/02 Brandenburgisches Oberlandesgericht 22 AR 180/02 Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg 322 Js 29285/00 Staatsanwaltschaft Neuruppin

In der Strafsache gegen wegen Diebstahls

hat der 2. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Barteides, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Kühl und den Richter am Amtsgericht Tscheslog

am 14. November 2002 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin vom 2. September 2002 aufgehoben.

Dem Angeklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht Neuruppin am 1. Februar 2002 gewährt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten im Beschwerdeverfahren trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.

Der Angeklagte wurde am 10. Mai 2001 durch das Amtsgericht wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nachdem der Angeklagte hiergegen rechtzeitig Berufung eingelegt hatte, verzog er von seiner in Deutschland befindlichen Wohnanschrift und meldete sich nach "O 22, W " in den Niederlanden ab. Zur Berufungshauptverhandlung am 1. Februar 2002 sollte der Angeklagte per Einschreiben mit Rückschein geladen werden. Das Ladungsschreiben, das an den Angeklagten am 17. Dezember 2001 abgesandt wurde, gelangte zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt vor dem 15. Januar 2002 ohne Rückschein mit dem Vermerk "nicht abgeholt" wieder zu den Gerichtsakten. Auf dem Umschlag des Ladungsschreibens befindet sich ein Aufkleber der niederländischen Post mit dem Vermerk "Kennisgeving achtergelaten" und dem Datum 21.12.02. Das Landgericht sah diese Form der Ladung des Angeklagten als ordnungsgemäß an und verwarf seine Berufung, nachdem der Angeklagte zur Berufungshauptverhandlung am 1. Februar 2002 nicht erschienen war.

Dieses Urteil sollte dem Angeklagten ebenfalls per Einschreiben mit Rückschein in die Niederlande zugestellt werden. Zwei Sendungen dieses Inhalts an den Angeklagten gelangten jeweils mit dem Vermerk "nicht abgeholt" und ohne Rückschein vor dem 15. April, bzw. vor dem 8. Mai 2002 wieder zu den Gerichtsakten, wobei sich auf beiden Briefumschlägen die vorgenannten Aufkleber der niederländischen Post mit dem Vermerk "Kennisgeving achtergelaten" und den Daten 26.02.02, bzw. 03.04.02 befinden.

Mit Schreiben vom 21. Juli 2002 hat der Angeklagte, der sich nunmehr wieder in Deutschland aufhält, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er hat vorgetragen, er habe den Termin zur Hauptverhandlung nicht wahrnehmen können, weil ihm keinerlei Ladungsschreiben vorgelegen hätten. Diesen Antrag hat das Landgericht mit Beschluss vom 2. September 2002 als unzulässig verworfen, weil der Angeklagte zur Berufungshauptverhandlung am 1. Februar 2002 unter seiner damaligen Anschrift ordnungsgemäß geladen worden sei. Das Verwerfungsurteil sei ihm am 3. April 2002 ebenfalls durch Niederlegung zugestellt worden. Der Angeklagte habe keine Umstände dargelegt oder glaubhaft gemacht, die nahelegen könnten, dass er von den Niederlegungen keine Kenntnis erlangt habe. Hiergegen richtet sich die rechtzeitig eingelegte sofortige Beschwerde des Angeklagten.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Das zulässige Rechtsmittel des Angeklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das Landgericht den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung als unzulässig verworfen.

Das Landgericht hat übersehen, dass sowohl die Ladung des Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung als auch die nachfolgenden Zustellungen des Verwerfungsurteils unwirksam waren. Aus diesem Grund ist der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässig - denn die Wochenfrist des § 329 Abs. 3 StPO für die Stellung dieses Antrages ist mangels wirksamer Zustellung des Verwerfungsurteils noch gar nicht in Lauf gesetzt worden - und auch begründet.

Nach § 37 Abs. 2 StPO kann eine Zustellung im Ausland auch durch Einschreiben mit Rückschein bewirkt werden, soweit auf Grund völkerrechtlicher Vereinbarungen Schriftstücke unmittelbar durch die Post übersandt werden dürfen. Diese Voraussetzungen lagen nach Artikel 52 Abs. 1 SDÜ sowohl für die Ladung zur Berufungshauptverhandlung als auch für die Zustellung des Verwerfungsurteils vor, denn beide vorgenannten Sendungen gehören zur Liste derjenigen Zustellungen, die nach der Erklärung der Bundesrepublik Deutschland zu Artikel 52 Abs. 1 SDÜ in die anderen Vertragspartnerländer mit der Post übersandt werden dürfen (vgl. H) Nr. 3. bzgl. der Ladung zur Berufungshauptverhandlung sowie H) Nr. 4 bzgl. der Mitteilung des Verwerfungsurteils in der vorgenannten Liste).

Eine wirksame Zustellung nach § 37 Abs. 2 StPO setzt jedoch voraus, dass der vom Empfänger unterschriebene Rückschein zu den Gerichtsakten gelangt. Bei dieser Form der Zustellung ist der Rückschein der Nachweis über den tatsächlichen Erhalt der zugestellten Sendung, weil er ein schriftliches Empfangsbekenntnis des Empfängers hierüber enthält. Dies war hier gerade nicht der Fall. Im Gegenteil steht durch die in Rücklauf gekommenen Einschreibebriefe sogar fest, dass der Angeklagte weder vom Termin der Berufungshauptverhandlung noch vom Verwerfungsurteil durch die entsprechenden Sendungen Kenntnis erlangt hat.

Eine unmittelbare oder sinngemäße Anwendung der Vorschriften über die Ersatzzustellung durch Niederlegung nach § 37 Abs. 1 S. 1 StPO in Verbindung mit § 182 ZPO a.F., auf die das Landgericht in seinem angefochtenen Beschluss möglicherweise abstellt, kommt bei der Auslandszustellung nach § 37 Abs. 2 StPO nicht in Betracht: Eine unmittelbare Anwendung dieser Vorschriften scheidet aus, weil § 37 Abs. 2 StPO einen entsprechenden Verweis auf die Ersatzzustellung durch Niederlegung nicht enthält und der in § 37 Abs. 1 S. 1 StPO enthaltene Verweis auf die Vorschriften der Zivilprozeßordnung bei der Auslandszustellung zur Anwendung des § 199 ZPO a.F. ( konsularische Zustellung) führt.

Auch eine sinngemäße Anwendung der Vorschrift des § 182 ZPO a.F. auf die Auslandszustellung durch Einschreiben mit Rückschein ist nicht möglich, weil letztere den strengeren Formerfordernissen der §§ 190, 191, 195 ZPO a.F. nicht genügt. Abgesehen davon, dass jedenfalls der Senat über das Zustellungsverfahren der niederländischen Post keine näheren Kenntnisse hat und sich deshalb über deren Verlässlichkeit und den Inhalt der für den Angeklagten zurückgelassenen Mitteilungen über die Niederlegungen der Einschreibesendungen kein Urteil erlauben kann, fehlt es hier an der zum Nachweis der Ersatzzustellung durch Niederlegung erforderlichen Zustellungsurkunde mit dem in § 191 ZPO a.F. näher bezeichneten Inhalt.

Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Ladung des Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung, so ist diesem nach herrschender Meinung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn das Gericht die Unwirksamkeit der Ladung übersehen hat (BGH NJW 87, 1776, 1777 aE; OLG Celle JR 79, 121 sowie Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 329 Rn. 41 m.w.N.). Der Senat schließt sich dieser Meinung an, weil sie vorliegend zu einem sachgerechten Ergebnis führt.

III.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung das Beschwerdeverfahren betreffend folgt aus entsprechender Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Angeklagten entgegen § 473 Abs. 7 StPO nicht zur Last, weil sie bei richtiger Sachbehandlung nicht entstanden wären (§ 8 Abs. 1 GKG).

Ende der Entscheidung

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