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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 23.08.2006
Aktenzeichen: 3 U 164/05
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 138
ZPO § 156 Abs. 1
ZPO § 156 Abs. 2
ZPO § 167
ZPO § 233
ZPO § 314
ZPO § 320
ZPO § 531
ZPO § 531 Abs. 2 Satz 1
BGB § 305 a.F.
BGB § 421
BGB § 607 Abs. 1
BGB § 765 Abs. 1
BGB § 773 Abs. 1 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

3 U 164/05 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 23.08.2006

verkündet am 23.08.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts unter Mitwirkung der Richterin am Oberlandesgericht Rohrbach-Rödding als Vorsitzenden sowie der Richter am Oberlandesgericht Pliester und Jalaß, auf die mündliche Verhandlung vom 26. Juli 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 20. Juli 2005 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) - 14 O 2/05 - abgeändert und der Beklagte verurteilt, der Klägerin € 182.147,73 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. ab 10. Mai 2001 zu zahlen.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils gegen ihm vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet. Als Sicherheit genügt die schriftliche unbedingte, unbefristete, unwiderrufliche und selbstschuldnerische Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Prozessparteien streiten darum, ob der Beklagte der Klägerin aufgrund seiner Erklärung über die persönliche quotale Mithaftung vom 05. Juli 1999 (Kopie Anlage K1 =GA I 6, 13) betreffend einen Darlehensvertrag zwischen der E... GmbH D... und der Klägerin vom 02. Juli 1999 (Kopie Anlage K1 = GA I 6 ff.) über einen Nennbetrag in Höhe von DM 3.750.000,00 - entsprechend seinem 9,5%-igen Geschäftsanteil an der Hauptschuldnerin - Zahlung von € 182.147,73 (DM 3.750.000,00 x 0,095 /1,95583 DM je €) nebst näher bezeichneter Zinsen schuldet. Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes und der erstinstanzlichen Prozessgeschichte wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Die Zivilkammer hat die Verjährungseinrede des Beklagten für durchgreifend erachtet und die Klage abgewiesen. Das angefochtene Urteil, auf das auch wegen der Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, ist der Klägerin am 22. Juli 2005 - zu Händen ihrer erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten - zugestellt worden. Sie hat am 22. August 2005 mit anwaltlichem Schriftsatz Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel - nach antragsgemäßer Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 24. Oktober 2005 - durch einen an diesem Tage bei dem Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangen Anwaltsschriftsatz begründet.

Die Klägerin ficht das Urteil des Landgerichts - unter anderem ihr bisheriges Vorbringen wiederholend und vertiefend - in vollem Umfange ihrer Beschwer an. Sie trägt dazu insbesondere Folgendes vor:

Die Verjährung sei - entgegen der Auffassung - der Zivilkammer durch den Eingang der Klageschrift am 31. Dezember 2004 gehemmt worden, weil die Zustellung demnächst im Sinne von § 167 ZPO stattgefunden habe. Für den Eingang genüge es, wenn das Schriftstück fristgerecht in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelange; dessen Annahmeerklärung sei dafür nicht erforderlich. Die juristisch geschulte Mitarbeiterin des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) habe auf dem Beleg des Kurierdienstes den Eingang der Sendung beim Landgericht bestätigt; der Bedeutung einer solchen Einlieferungsquittung und der Fristwahrung sei sie sich sehr wohl bewusst gewesen. Daraus ergebe sich, dass sie das Schriftstück pflichtgemäß in den entsprechenden Eingangsbriefkasten - nicht den überfüllten Nachtbriefkasten - des Landgerichts gelegt habe. Aus diesem Grunde sei auch kein Eingangsstempel des Amtsgerichts angebracht worden. Doch selbst wenn die Klage nicht mehr am 31. Dezember 2004 beim Landgericht eingegangen wäre, bliebe dies unschädlich. Auch eine bei dem unzuständigen Amtsgericht eingereichte Klage bewirke nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Verjährungshemmung. Anerkannt sei ferner, dass derjenige, der seinen Antrag an das zuständige Gericht adressiere, nicht schlechter stehen dürfe, wenn dieser - wie hier - zunächst bei einem unzuständigen Gericht eingehe. Ob die Art des Fehlers, der dem Verantwortungsbereich des Antragstellers zugerechnet werde, bekannt sei, könne - entgegen der Meinung des Landgerichts - keine maßgebliche Rolle spielen. Ihr - der Klägerin - erstinstanzlicher Prozessbevollmächtigter habe mit der rechtzeitigen Beauftragung eines professionellen Kurierdienstes alles Erforderliche getan, um für den fristgerechten Eingang der Klageschrift beim Landgericht zu sorgen, und auf die korrekte Zustellung der ordnungsgemäß adressierten Sendung vertrauen dürfen. Die Sachbehandlung im Bereich des Amtsgerichts, auf die sie - die Klägerin - keinen Einfluss habe, könne ihr nicht zugerechnet werden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Beklagten unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung zu verurteilen, an sie - die Klägerin - € 182.147,73 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank p.a. ab 10. Mai 2001 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

die gegnerische Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Er verteidigt - im Kern sein erstinstanzliches Vorbringen ebenfalls wiederholend und vertiefend - das angefochtene Urteil. Dazu trägt er insbesondere Folgendes vor:

Wenn nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin der Briefkasten des Landgerichts am 31. Dezember 2004 schon um 10:10 Uhr überfüllt gewesen sei, könne auch die Zeugin S... Ba... nichts mehr eingeworfen haben. Mit dem Vortrag einer neuen Sachverhaltsvariante sei die Klägerin gemäß § 531 ZPO ausgeschlossen. Den Nachweis des rechtzeitigen Briefkasteneinwurfs könne sie nicht erbringen. Mit den pünktlichen Eingang einer fehlerhaft eingereichten Rechtsmittelschrift dürfe die Partei nur rechnen, wenn die fristgerechte Weiterleitung an das zuständige Gericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden könne. Im Streitfall liege indes weder eine Rechtsmittelschrift vor noch sei bei Eingang am Silvestertag mit der Weiterleitung vor Ablauf der Verjährungsfrist im ordentlichen Geschäftsgang an das an diesem Tage geschlossene Landgericht zu rechnen gewesen. Da eine förmliche Verweisung an das zuständige Gericht nicht stattgefunden habe, könne sich die Klägerin auch nicht darauf berufen, dass die Klageeinreichung beim unzuständigen Gericht genüge. Der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Klägerin hätte die Klagschrift sicherheitshalber per Telefax an das Landgericht übermitteln können; von ihm sei jedoch ein offensichtlich gerichtsunerfahrener Bote eingesetzt worden, der zudem die Zustellung noch falsch dokumentiert habe. Letzteres möge Regressansprüche gegen den Kurierdienst begründen, helfe der Klägerin jedoch im vorliegenden Zivilprozess nicht weiter.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der bisherigen Prozessgeschichte wird ergänzend auf die Schriftsätze beider Parteien nebst Anlagen, auf sämtliche Terminsprotokolle und auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen. Nach dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung am 26. Juli 2006 hat der Beklagte einen weiteren Anwaltsschriftsatz vom 28. Juli 2006 eingereicht (GA I 140 ff.)

II.

A. Das Rechtsmittel der Klägerin ist zulässig; es wurde von ihr insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 517 ff. ZPO). Auch in der Sache selbst hat die Berufung Erfolg. Sie führt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung und zur antragsgemäßen Verurteilung des Beklagten. Die Klägerin hat gegen ihn einen vertraglich begründeten Anspruch auf Zahlung der Klageforderung, der entweder aus § 607 Abs. 1 i.V.m. § 421 und § 305 BGB a.F. oder aus § 765 Abs. 1 i.V.m. § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB resultiert. Mit seiner Erklärung vom 05. Juli 1999 (Kopie Anlage K1 = GA I 6, 13) hat der Beklagte - worüber zwischen den Prozessparteien kein Streit besteht - als einer der beiden Gesellschafter der Hauptschuldnerin die anteilige quotale Mithaftung für die Darlehensverbindlichkeiten der E... GmbH D... gegenüber der Klägerin übernommen. Ob dies als rechtsgeschäftlicher Schuldbeitritt oder als Bürgschaftsübernahme anzusehen ist, kann hier offen bleiben. Ein dauerndes Leistungsverweigerung infolge Verjährung, mit dem sich der Beklagten allein verteidigt, steht ihm nicht zu. Die Zinsforderung findet ihre Grundlage in Nr. 7 i.V.m. Nr. 5.2 Abs. 3 des Darlehensvertrages vom 02. Juli 1999 (Kopie Anlage K1 = GA I 6, 10 f.). Bei der Tenorierung hat der Senat berücksichtigt, dass der Basiszinssatz kein Steuerungsmittel der Europäischen Zentralbank ist, sondern eine Schöpfung des deutschen Privatrechts (arg. § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 DÜG sowie § 247 BGB n.F.). Im Einzelnen gilt Folgendes:

1. Zutreffend ist allerdings der Hinweis des Beklagten, dass die Klägerin mit ihrem neuen Vorbringen zu den tatsächlichen Verhältnissen hinsichtlich der Briefkästen beim Landgericht Frankfurt (Oder) und zur weiteren Behandlung der Sendung durch die beim Amtsgericht Frankfurt (Oder) tätige Justizangestellte S... Ba... am 31. Dezember 2004 im Berufungsrechtszug schon aus novenrechtlichen Gründen nicht mehr gehört werden kann.

a) Nach der erstinstanzlichen Sachverhaltsdarstellung durch die Klägerin verfügte das Landgericht Frankfurt (Oder) am 31. Dezember 2004 lediglich über einen Briefkasten, der bereits um 10:10 Uhr so überfüllt gewesen sei, dass weitere Sendungen - insbesondere die hiesige Klageschrift - nicht mehr hätten eingeworfen werden können (GA I 53, 55). Gemäß den Gesetzen der Logik war es dann der Justizangestellten S... Ba... ebenfalls nicht mehr möglich, am selben Tage weitere Poststücke in diesen Kasten einzulegen. Erst in zweiter Instanz - mit ihrer anwaltlichen Replik vom 12. Juli 2006 (GA I 126 f.) - hat die Klägerin dargetan, überfüllt sei allein der für fristwahrende Schriftstücke bestimmte Nachtbriefkasten gewesen; die Zeugin S... Ba... habe indes einen (herkömmlichen) Eingangsbriefkasten benutzt. Diese Sachverhaltsvariante ist gänzlich neu und sie wird vom Beklagten ausdrücklich bestritten (GA I 134, 135). Entschuldigungsgründe im Sinne von § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind klägerseits weder vorgebracht worden noch sonst für den erkennenden Senat ersichtlich.

b) Zu Unrecht meint die Klägerin, ihr Vorbringen ergebe sich ohne weiteres aus dem bisherigen Akteninhalt. Die Justizangestellte S... Ba... hat zwar am 31. Dezember 2004 den Empfang der Sendung auf einem Beleg des Kurierdienstes quittiert, der als Adressaten zweifelsfrei das Landgericht Frankfurt (Oder) ausweist (Kopie Anlage K6 = GA I 41). Dass die Weiterleitung dorthin durch das Amtsgericht erst am nächsten Werktag - also im Januar 2005 - erfolgt ist, hat die Klägerin aber erstinstanzlich mit anwaltlichem Schriftsatz vom 13. Mai 2005 selbst angenommen (GA I 53, 55). Dementsprechend wurde dies von der Vorinstanz im Tatbestand des angefochtenen Urteils explizit - mit der besonderen Wirkung gemäß § 314 ZPO - als unstreitiges Parteivorbringen festgehalten (LGU 4). Eine Berichtigung nach § 320 ZPO ist klägerseits nicht beantragt worden. Bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage im Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sich zudem ergeben, dass der neue Vortrag nicht auf weiteren Nachforschungen der Klägerin beruht, sondern lediglich eine Vermutung auf der Grundlage des bisherigen Akteninhalts darstellt.

2. Dennoch ist keine Verjährung der streitgegenständlichen Forderung eingetreten. Die Zustellung der Klageschrift an den Beklagten am 27. Januar 2005 (GA I 28R) hat gemäß § 167 ZPO Rückwirkung entfaltet, so dass die Verjährung noch rechtzeitig vor dem Fristablauf gehemmt wurde (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB i.V.m. Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB). Da die Zustellung zweifelsfrei demnächst im Sinne des Gesetzes erfolgt ist, war hierfür der Eingang der an das Landgericht adressierten Klageschrift bei dem Amtsgericht Frankfurt (Oder) ausreichend. § 167 ZPO setzt - anders als es beispielsweise für die Rechtzeitigkeit von fristgebundenen Rechtsmitteln erforderlich ist - jedenfalls für die rückwirkende Hemmung der Verjährung nicht voraus, dass der jeweilige Antrag oder die Erklärung beim örtlich und sachlich zuständigen Gericht eingeht (vgl. BGH, Urt. v. 22.02. 1978 - VIII ZR 24/77, NJW 1978, 1058 = MDR 1978, 750; BGHZ 86, 324; ferner Henrich in Bamberger/Roth, BGB, § 204 Rdn. 13; Jauernig, BGB, 10. Aufl., § 204 Rdn. 2 a.E.; Palandt/Hein-richs, BGB, 64. Aufl., § 204 Rdn. 5; jeweils m.w.N.). Gemäß der Entscheidung des BGH, Urt. v. 01.02.1990 - IX ZR 188/89 (NJW 1990, 1368 = WM 1990, 903) darf ein Gläubiger, der durch allenfalls geringfügiges Verschulden einen richtig adressierten Mahnantrag bei einem unzuständigen Gericht eingereicht hat, nicht schlechter behandelt werden als derjenige, der mit seinem Antrag das unzuständige Gericht selbst angerufen hat. Dieser Grundsatz ist - entgegen der Auffassung des Landgericht - auch im Streitfall anwendbar. Es kann deshalb dahinstehen, ob die Justizangestellte S... Ba..., was vom Senat bei der Erörterung im Termin der mündlichen Verhandlung ferner in Erwägung gezogen wurde, die Sendung unmittelbar für das Landgericht Frankfurt (Oder) angenommen hat und ob sie hierzu in einer Situation der vorliegenden Art zumindest kraft Verkehrsanschauung oder Rechtsscheins als befugt anzusehen war, also dessen Empfangsbotin gewesen ist.

a) Die Eingangsinstanz zitiert für ihre abweichende Argumentation anfangs Entscheidungen des Oberlandesgerichts Köln (Urt. v. 17.01.1989 - 22 U 165/88, NJW-RR 1989, 572 = VersR 1989, 1282) und des Kammergerichts (Urt. v. 10.12.1982 - 21 U 227/82, NJW 1983, 2709), in den Rechtsauffassungen vertreten werden, denen der Bundesgerichtshof ausdrücklich nicht gefolgt ist (vgl. BGH, Urt. v. 01. 02.1990 - IX ZR 188/89, NJW 1990, 1368 = WM 1990, 903). Für eine unterschiedliche Behandlung von Mahnantrag und Klageschrift bleibt - anders als es das Landgericht gesehen hat - bereits deshalb keinerlei Raum, weil in der Entscheidung des BGH, Urt. v. 24.01.1983 -VIII ZR 178/81 (BGHZ 86, 324), die der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes im Jahre 1990 weiterentwickelt hat, ausdrücklich Rückschlüsse vom Klage- auf das Mahnverfahren gezogen werden. Ausgangspunkt ist dort der Gedanke, dass selbst die Klageerhebung bei einem unzuständigen Gericht die Verjährung unterbricht, und zwar mit Rückwirkung. Würde man der Auffassung der Zivilkammer beitreten, wäre im Übrigen - konsequenterweise - noch zwischen Klagen im Anwaltsprozess und Klagen im Parteiprozess zu differenzieren. Dafür findet sich im Gesetz aber keinerlei Grundlage; in § 167 ZPO ist allein vom Eingang des Antrags oder der Erklärung die Rede.

b) Zu Unrecht meint das Landgericht ferner, im Streitfall könne nicht mehr von einem nur geringfügigen Verschulden gesprochen werden, weil sich die erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigte der Klägerin über die Öffnungszeiten des Landgerichts Frankfurt (Oder) am Silvestertag 2004 hätten informieren und dann den von ihnen beauftragten privaten Kurierdienst gesondert instruieren müssen. Zwar sind früher von einigen Instanzgerichten im Rahmen von § 233 ZPO besondere Anforderungen an die Darlegungslast der Partei gestellt worden, wenn sich ihr Anwalt bei der Übermittlung von fristgebunden Schriftsätzen nicht der Deutschen Post, sondern eines privaten Kurierdienstes bedient hat. Diese lassen sich aber nach der Entscheidung des BVerfG, Beschl. v. 20.12. 2001 - 2 BvR 1100/01 (NJW-RR 2002, 1005), nicht mehr aufrechterhalten. Ein tatsächliche Vermutung, wonach ein privater Kurierdienst weniger zuverlässig ist als die Deutsche Post, existiert nicht (vgl. in diesem Zusammenhang BAG, Urt. v. 08.10.1990 - 2 AR 172/90, DB 1991, 549 = NZA 1991, 305; ferner Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 233 Rdn. 23 Stichwort "Postverkehr"). Der Anwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine ordnungsgemäß adressierte Sendung nicht fehlgeleitet wird (vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 233 Rdn. 28, m.w.N.). Ebenso wenig muss er den von ihm beauftragten Kurierdienst gesondert darauf hinweisen, dass für das Landgericht bestimmte Poststücke auch am Silvestertag nicht beim Amtsgerichts abgeliefert werden dürfen. Anhand der Quittung (Kopie Anlage K6 = GA I 41) konnte der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht einmal erkennen, dass die Sendung in Wirklichkeit bei einer Mitarbeiterin des Amtsgerichts Franfurt (Oder) abgegeben worden war. Er musste sich weder per Telefon über den Posteingang vergewissern noch aus Gründen äußerster Vorsorge die Klageschrift zusätzlich per Telefax an das Landgericht Frankfurt (Oder) übermitteln. Deshalb bleibt für das - von der Zivilkammer bejahte (LGU 8) - Auswahl- und Überwachungsverschulden keine Grundlage; im vorliegenden Kontext dürfen insoweit keine strengeren Anforderungen gestellt werden als im Rahmen von § 233 ZPO.

c) Nicht beigetreten werden kann schließlich ferner der Ansicht der Vorinstanz, das Amtsgericht Frankfurt (Oder) sei im Streitfall für eine klassische Botenfunktion in Anspruch genommen worden. Die Klägerin hat erkennbar das zuständige Landgericht anrufen wollen und damit das unzuständige Amtsgericht zur Weiterleitung ihrer Klageschrift veranlasst. Ob Letzteres darauf einen Eingangsstempel angebracht und dafür ein Aktenzeichen vergeben hat oder später eine förmliche Verweisung erfolgt ist, kann für die Frage der Rückwirkung der Zustellung nach § 167 ZPO nicht maßgeblich sein. Erklärungsbote ist nur derjenige, der beauftragt wurde, dem Empfänger eine fremde Willenserklärung zu übermitteln (vgl. Jauernig aaO, § 164 Rdn. 14; Köbler, Juristisches Wörterbuch, 10. Aufl., Stichwort "Bote"). Hier war weder von der Klägerin selbst noch von ihren erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten gewollt, dass die Klageschrift zum Amtsgericht gelangt; von der Fehlleitung der Sendung durch den Kurierdienst wussten beide zunächst ebenfalls nichts. Demzufolge ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass sie die Absicht hatten, das Amtsgericht mit einer Botenaufgabe zu betrauen. Der Kurierdienstfahrer, der die Klageschrift bei der Justizangestellten S... Ba... abgegeben hat, war weder Prozessbevollmächtigter der Klägerin noch muss sich diese sonst dessen Verschulden zurechnen lassen. Aber selbst beim Fahrer, auf den es hier nicht ankommt, lässt sich kein Wille feststellen, das Amtsgericht als Boten in Anspruch zu nehmen. Für ihn war die Sendung ersichtlich mit der Übergabe an die Zeugin S... Ba..., die dem Empfang für das Landgericht quittiert hat, ordnungsgemäß beim Empfänger abgeliefert. Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass schützenswerte Interessen des Beklagten durch die Fehlleitung der Sendung nicht berührt werden; die Klageschrift hätte auch dann nicht - zumindest nicht wesentlich - eher zugestellt werden können, wenn sie vom Kurierdienstfahrer in den Nachtbriefkasten des Landgerichts eingeworfen worden wäre.

B. Das nicht nachgelassene Vorbringen des Beklagten in dem anwaltlichen Schriftsatz vom 28. Juli 2006 (GA I 140 ff.) gibt dem Senat zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 Abs. 1 ZPO keinen Anlass. Die Voraussetzungen unter denen sie nach § 156 Abs. 2 ZPO zwingend wieder zu eröffnen ist, liegen im Streitfall nicht vor. Insbesondere hat der Senat weder seine Hinweis- und Aufklärungspflicht noch den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt (§ 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Die Sach- und Rechtslage ist im Termin der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz umfassend erörtert worden. Dabei haben sich keine entscheidungserheblichen Gesichtspunkte ergeben, die nicht bereits zuvor im angefochtenen Urteil oder in den anwaltlichen Schriftsätzen der Parteien angesprochen worden sind. Deshalb war dem Beklagten auch kein Schriftsatznachlass mehr zu gewähren. Aus § 138 ZPO folgt nicht etwa die Verpflichtung des Gerichts, den Parteien bereits terminsvorbereitend anzukündigen, welche Entscheidung es voraussichtlich in der Sache treffen wird. Sind - wie hier - alle relevanten Sach- und Rechtsfragen erörtert worden, müssen beide Seiten damit rechnen, dass das Berufungsgericht auf dieser Grundlage zu einem anderen Ergebnis gelangt als die Eingangsinstanz. Die klägerische Behauptung, der Briefkasten des Landgerichts Frankfurt (Oder) sei am 31. Dezember 2004 bereits um 10:10 Uhr überfüllt gewesen, hält der Senat - entgegen der Annahme des Beklagten - keineswegs für unstreitig. Allerdings kommt es darauf für die Entscheidung des Rechtsstreits ebenso wenig an wie auf den Umstand, dass die Klägerin zu den tatsächlichen Verhältnissen hinsichtlich der Briefkästen beim Landgericht Frankfurt (Oder) und zur weiteren Behandlung der Sendung durch die beim Amtsgericht Frankfurt (Oder) tätige Justizangestellte S... Ba... am 31. Dezember 2004 mehrere Sachverhaltsvarianten vorgetragen hat.

C. Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren findet ihre Grundlage in § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO; danach hat der Beklagte als unterliegende Partei die Kosten des Rechtstreits zu tragen.

D. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des vorliegenden Urteils folgt aus § 708 Nr. 10 sowie § 711 Satz 1 und 2 i.V.m. § 709 Satz 2 ZPO. Art und Umfang der Sicherheitsleistung bestimmt der Senat gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 ZPO unter Berücksichtigung der in § 108 Abs. 1 Satz 2 ZPO und in § 239 Abs. 2 BGB enthaltenen Rechtsgedanken. Dass die Klägerin nicht für eigene Verbindlichkeiten bürgen kann, obwohl sie ein im Inland zum Geschäftsbetrieb befugtes Kreditinstituts ist, bedarf keines besonderen Ausspruchs; die notwendige Personenverschiedenheit von Bürge und Hauptschuldner ergibt sich schon aus der Natur der Bürgschaft (vgl. dazu OLG Celle, Urt. v. 18.12.1002 - 16 U 111/01, BauR 2002, 1711; OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.04.2003 - 5 U 129/02, BauR 2003, 1582 = OLG-Rp 2004, 104; ferner Jauernig/Stadler, BGB, 10. Aufl., § 765 Rdn. 2; Palandt/Sprau, BGB, 64. Aufl., Einf v § 765 Rdn. 1).

E. Die Revision wird vom Senat nicht zugelassen, weil es an den gesetzlichen Voraussetzungen nach § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO i.V.m. § 133 GVG fehlt. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes als Revisionsgericht. Das Urteil zweiter Instanz beruht im Wesentlichen auf einer Würdigung der Umstände des Einzelfalles.

F. Der Gebührenstreitwert für den zweiten Rechtszug beträgt € 182.147,73 (§ 3 ZPO i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 und § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG).

Ende der Entscheidung

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