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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 18.04.2007
Aktenzeichen: 4 U 142/06
Rechtsgebiete: BGB, EGBGB


Vorschriften:

BGB § 195
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 3
BGB § 767 Abs. 1 Satz 1
EGBGB Art. 229 § 6 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

4 U 142/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 18.04.2007

Verkündet am 18.04.2007

In dem Rechtsstreit

hat der vierte Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 07.03.2007 durch

die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Dr. Chwolik-Lanfermann die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Schäfer und die Richterin am Amtsgericht Dr. Lammer

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil der 17. Zivilkammer des Landgericht Frankfurt (Oder) vom 25.08.2006 wird auf die Berufung des Beklagten dahingehend geändert, dass die Klage abgewiesen wird, soweit der Beklagte zu einer Zahlung von über 11.100, 37 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.11.2005 verurteilt wurde.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu 66 % und der Beklagte zu 44 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt den Beklagten aus einer Bürgschaftsverpflichtung vom 22.11.1994 in Höhe eines Teilbetrages von 25.000,- € in Anspruch. Die Bürgschaft wurde zur Sicherung aller bestehenden, künftigen und bedingten Ansprüche der Bank ... (... Bank AG) gegen die Firma S...gesellschaft mbH gewährt.

Mit Schreiben vom 31.12.1998 kündigte die ... Bank AG die Darlehensverträge und erstellte unter dem gleichen Datum eine Schlussrechnung.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der ... Bank AG. Er hat am 10.12.2004 den Erlass eines Mahnbescheides gegen den Beklagten beantragt. Der Mahnbescheid wurde dem Beklagten am 21.12.2004 zugestellt. In dem Mahnbescheid wurde die geltend gemachte Hauptforderung wie folgt bezeichnet:

Bürgschaft gem. BÜRGSCHAFT/RESTFORDERUNG vom 22.11.1994 221.318, 17 €.

Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 25.000,- € zuzüglich Rechtshängigkeitszinsen verurteilt. Es ist der Ansicht, die Forderung sei nicht verjährt. Die Verjährung, die am 31.12.2004 eingetreten wäre, sei durch den Mahnbescheidsantrag vom 10.12.2004 gehemmt worden.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte, soweit er durch das Landgericht zu einer Zahlung von mehr als 11.100,37 € verurteilt worden ist. Er macht geltend, für die Verjährungshemmung durch Zustellung eines Mahnbescheides sei es notwendig, die mit diesem geltend gemachten Forderungen zu individualisieren. Dies sei hier jedoch nicht erfolgt.

Der Beklagte beantragt,

teilweise abändernd die Klage abzuweisen, soweit der Beklagte zur Zahlung von mehr als 11.100, 37 € nebst Zinsen verurteilt worden ist.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das Urteil des Landgerichts. Der Anspruch des Klägers sei nicht verjährt. Im Mahnbescheid sei eine hinreichende Individualisierung der Forderung erfolgt. Für den Beklagten sei bei Zustellung des Mahnbescheides erkennbar gewesen, aus welchen Forderungen sich die geltend gemachte Hauptforderung zusammen gesetzt habe, da ihm die Darlehensverbindlichkeiten der Hauptschuldnerin aus dem ersten Teilklageverfahren, jedenfalls aber aus dem Schriftverkehr mit der P... GmbH, bekannt gewesen seien.

II.

Die zulässige Berufung hat in vollem Umfang Erfolg.

Der Beklagte kann die Zahlung von 13.899, 63 € verweigern, da die Forderung des Klägers verjährt ist (§ 214 Abs. 1 BGB).

Sowohl die gesicherte Hauptforderung als auch die Bürgschaftsforderung sind gem. § 195 BGB n.F. i.V.m. Art. 229 § 6 Abs. 4 EGBGB am 31.12.2004 verjährt.

1. Die Verjährung wurde nicht durch die Zustellung des Mahnbescheides gem. § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB gehemmt.

a) Zwar erfolgte die Zustellung bereits am 21.12.2004 und damit vor dem Verjährungseintritt. Der Mahnbescheid hatte jedoch keine verjährungshemmende Wirkung, da die mit diesem geltend gemachten Forderungen hierin nicht hinreichend individualisiert wurden.

aa) Der Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides hat nur dann Auswirkungen auf die Verjährung, wenn der geltend gemachte Anspruch in der Weise bezeichnet ist, dass er Grundlage eines Vollstreckungstitels sein und der Schuldner erkennen kann, welcher Anspruch gegen ihn geltend gemacht wird (BGH vom 18.05.1995, VII ZR 191/94, juris 1. LS). Übertragen auf die Geltendmachung von Bürgschaftsansprüchen heißt dies, dass eine Hemmung der Verjährung durch Zustellung des Mahnbescheides bei einer auf mehrere Darlehensverträge bezogenen einheitlichen Bürgschaftsverpflichtung nur eintritt, wenn aus dem Mahnbescheid erkennbar ist, auf welche konkrete Darlehensschuld der Bürge in Anspruch genommen wird (LG Stendal vom 14.12.2005, 23 O 303/05, LS).

(1) Der Schuldner muss nämlich erkennen können, welcher Anspruch oder welche Ansprüche gegen ihn geltend gemacht werden, damit er beurteilen kann, ob und in welchem Umfang er sich zur Wehr setzen will. Bei der Geltendmachung einer Mehrzahl von Einzelforderungen muss deren Bezeichnung im Mahnbescheid dem in Anspruch Genommenen ermöglichen, die Zusammensetzung des verlangten Gesamtbetrages aus für ihn unterscheidbaren Ansprüchen zu erkennen (BGH v. 17.10.2000, XI ZR 312/99, juris Rn. 17).

Der Kläger beruft sich ohne Erfolg darauf, die Urteile des BGH vom 17.10.2000 und des LG Stendhal vom 14.12.2005 (jeweils a.a.O.) könnten hier nicht herangezogen werden, da ihnen keine vergleichbaren Sachverhalte zu Grunde gelegen hätten. Maßgeblich ist, dass beide Entscheidungen auf der grundsätzlichen Wertung beruhen, dass ein Bürge, der sich für mehrere Darlehen verbürgt hat, erkennen können muss, in welcher Höhe er für welche konkrete Hauptforderung in Anspruch genommen wird.

(2) Der Kläger kann nicht für sich fruchtbar machen, dass im Mahnbescheid konkret angegeben worden ist, der Beklagte werde aus der Bürgschaft vom 22.11.2004 in Anspruch genommen. Die bloße Bezugnahme auf die Bürgschaftsverpflichtung genügt nicht, um die geltend gemachte Forderung hinreichend zu individualisieren. Gemäß § 767 Abs. 1 Satz 1 BGB gilt der Grundsatz der strengen Akzessorietät zwischen Bürgschaftsverpflichtung und Hauptforderung. Ließe man im Fall einer Inanspruchnahme eines Bürgen die konkrete Bezeichnung der Bürgschaftsverpflichtung genügen, ohne dass eine Aufschlüsselung hinsichtlich der geltend gemachten Hauptforderungen erforderlich wäre, würde das Akzessorietätsprinzip ad absurdum geführt. Denn hätte sich der Mahnantrag gegen die Hauptschuldnerin gerichtet, wäre zur Hemmung der Verjährung eine Individualisierung der sich auf einzelne Darlehensverträge beziehenden Teilforderungen erforderlich gewesen.

(b) Für den Beklagten war aufgrund der Formulierung des Mahnantrages nicht erkennbar, aus welchen Kreditverträgen und in jeweils welcher Höhe er im Rahmen der Bürgschaft in Anspruch genommen wird.

aa) Aufgrund der Bezugnahme auf das Datum der Bürgschaftsverpflichtung war es dem Beklagten zwar möglich, sich gegen die Inanspruchnahme aus der Bürgschaft allgemein zu verteidigen. Es war ihm jedoch nicht möglich, das Bestehen von Einwendungen gegen die Hauptforderung zu prüfen. Insbesondere wurde er nicht in die Lage versetzt, Einwände gegen die konkrete Höhe der Forderung geltend zu machen (vgl. LG Stendal, a.a.O., Rn. 30).

(bb) Welche Einzelforderungen dem Mahnantrag zu Grunde lagen, war für den Beklagten auch nicht aufgrund sonstiger Umstände erkennbar. Insbesondere hat der Kläger vor Stellung des Mahnantrages den Beklagten nicht unter Aufschlüsselung der einzelnen Teilbeträge aus den verschiedenen Darlehensverbindlichkeiten aufgefordert, 221.318,17 € zu zahlen. (1) Soweit der Kläger sich darauf beruft, dass der Beklagte aufgrund des Verfahrens vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) zu dem Az.: 18 O 414/99 die Zusammensetzung der geltend gemachten Hauptforderung gekannt habe, kann dem nicht gefolgt werden. Ausweislich des Tatbestandes des Urteils des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 20.09.2000 betrug per 15.06.2000 die Gesamtforderung 416.890, 35 DM (Seite 8 des Urteils). Dieser Betrag entspricht 213.152, 65 € und damit nicht der mit dem Mahnbescheid geltend gemachten Forderungshöhe. Zudem räumt der Kläger in seinem Schriftsatz vom 20.03.2007 selbst ein, dass sich die Gesamtforderung aufgrund von Tilgungsleistungen und des Anfallens weiterer Zinsen verändert. Daher konnte die Information über den Gesamtforderungsbetrag per 15.06.2000 dem Beklagten keinen Aufschluss über die Höhe der Gesamtforderung per 10.12.2004 geben.

Es mag zutreffen, dass der Beklagte bereits aufgrund des Vorverfahrens Kenntnis darüber hatte, auf welche Darlehen sich seine Bürgenhaftung erstrecken sollte. Dies ist jedoch nicht erheblich. Denn es genügt nicht, dass der Bürge weiß, aus welchen Darlehen er dem Grunde nach in Anspruch genommen wird, entscheidend ist, dass er auch nachvollziehen kann, in welcher Höhe er jeweils aus den verschiedenen Darlehen zur Zahlung verpflichtet sein soll.

Hinzu kommt, dass die mit dem Mahnbescheid geltend gemachte Gesamtforderung für den Beklagten auch deshalb nicht nachvollziehbar war, weil für ihn nicht erkennbar war, ob in den geltend gemachten 221.318, 17 € die bereits durch das Versäumnisurteil des 12. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 19.07.2001 titulierten 50.000 DM (= 25.564, 59 €) enthalten waren.

(2) Der Beklagte konnte auch nicht aufgrund der Vorkorrespondenz mit der P... GmbH erkennen, aus welchen Einzelforderungen sich die Hauptforderung aus dem Mahnbescheid zusammensetzt. Das von dem Kläger als Anlage BB 2 eingereichte Schreiben vom 17.01.2003 bezieht sich ausschließlich auf den bereits titulierten Betrag von 50.000,- DM und die hierauf aufgelaufenen Zinsen. Angaben zu weiteren Forderungen gegen den Beklagten werden hierin nicht gemacht.

Das als Anlage BB 3 eingereichte Schreiben vom 28.10.2004 informierte den Beklagten zwar darüber, dass er aus der Bürgschaft einen Gesamtbetrag von 255.642, 38 € schulde. Der Beklagte erhielt jedoch auch in diesem Schreiben keinen Aufschluss darüber, wie sich dieser Betrag zusammensetzen sollte. Hinzu kommt, dass - wie der Kläger selbst einräumt - in diesem Betrag 11.221, 89 € enthalten waren, die von der Bürgschaftsforderung nicht umfasst waren. Soweit der Kläger vorträgt, mit dem Mahnbescheid sei der um diesen Betrag bereinigte Gesamtbetrag geltend gemacht worden, lässt er unberücksichtigt, dass auch dieser Vorgang für den Beklagten nicht nachvollziehbar blieb. Denn weder der Kläger noch die P... GmbH haben den Beklagten zwischen der Versendung des Schreibens vom 28.10.2004 und der Zustellung des Mahnbescheides darüber informiert, dass sich die ursprünglich beanspruchte Gesamtforderung um 11.221, 89 € reduziere, da in dieser Höhe eine Zahlung unberechtigt beansprucht worden sei. Dass mit der Formulierung im Mahnbescheid "Bürgschaft/Restforderung" dieser Korrekturvorgang gemeint gewesen ist, war ohne Kenntnis dieser Hintergründe aus Sicht des Beklagten nicht zu verstehen.

Der Beklagte konnte auch aufgrund der als Anlage BB 4 eingereichten Kontenübersicht nicht darauf schließen, aus welchen Teilforderungen sich die Hauptforderung aus dem Mahnbescheid zusammengesetzt hat.

Zum einen hat der Kläger nicht vorgetragen, wann dem Beklagten diese Kontenübersicht zur Verfügung gestellt wurde. Als Anlage zu dem Schreiben vom 28.10.2004 kann ihm diese Aufstellung nicht übermittelt worden sein, denn es wurden hierin Zahlungen berücksichtigt, die nach dem 28.10.2004 erfolgt sind. Ob dem Beklagten die Informationen aus der Kontoübersicht bei Zustellung des Mahnbescheides zur Verfügung gestanden haben, ist offen. Da es dem Kläger obliegt, darzulegen, dass aufgrund besonderer Umstände dem Beklagten trotz der unzureichenden Individualisierung der Einzelforderungen im Mahnbescheid erkennbar war, wie sich die hierin beanspruchte Gesamtforderung zusammensetzt, ginge diese Unklarheit zu seinen Lasten.

Entscheidend ist jedoch, dass auch diese Kontenübersicht keinen Aufschluss darüber gibt, aus welchen Einzelforderungen sich der Gesamtbetrag zusammensetzt. Denn hierin wird lediglich aufgeschlüsselt, wie sich die Gesamtforderung im Zeitraum 12.01.2004 bis zum 01.12.2004 aufgrund von Tilgungen und Zinsen entwickelt hat.

c) Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er die Zusammensetzung der im Mahnbescheid geltend gemachten Forderung durch die Anspruchsbegründung vom 09.11.2005 aufgeschlüsselt habe. Zum einen wird hier der Zahlungsanspruch per 02.06.2005 in Höhe von 261.939, 77 € und nicht per 10.12.2004 in Höhe von 221.318, 17 € darlegt. Zum anderen wirkt eine Aufschlüsselung der Gesamtforderung nicht rückwirkend. Denn die Individualisierung wirkt lediglich ex nunc.

Zwar hat der VIII. Zivilsenat des BGH am 03.04.1996 entschieden, dass ein Mahnbescheid die Verjährung auch dann unterbreche, wenn erst im Laufe des Verfahrens aufgegliedert werde, aus welchen Forderungen und Teilbeträgen von Forderungen sich die geltend gemachte Klagesumme zusammensetze (VIII ZR 315/94 juris Rn. 9). Diese Entscheidung bezieht sich jedoch nicht auf die Problematik der Verjährungsunterberechung von Bürgschaftsforderungen.

In einer jüngeren Entscheidung hat der BGH indes gerade zur Verjährung von Bürgschaftsforderungen ausgeführt, dass die Individualisierung der dem Bürgschaftsanspruch zu Grunde liegenden Kreditforderungen durch den Kläger im Laufe des Prozesses nicht zu einer rückwirkenden Hemmung der eingetretenen Verjährung führe (BGH v. 17.10.2000, a.a.O., Rn. 20; ebenso: LG Stendal, a.a.O., Rn. 32, Palandt-Heinrichs, BGB, 66. Aufl., § 204 BGB, Rn. 18).

2. Die Zustellung der Anspruchsbegründung erfolgte erst am 16.11.2005 und damit nach Verjährungseintritt.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung aufweist, noch die Entscheidung des Revisionsgerichts zum Zwecke der Rechtsvereinheitlichung oder Rechtsfortbildung erforderlich ist (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 Nr. 2 ZPO).

Der Streitwert wird für die Berufungsinstanz auf 13.899, 63 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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