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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 09.06.2004
Aktenzeichen: 4 U 171/00
Rechtsgebiete: EGBGB, ZPO, BDO, StPO


Vorschriften:

EGBGB Art. 233 §§ 11 ff.
EGBGB Art. 233 § 11 Abs. 3 Satz 1
ZPO § 307
ZPO § 580
ZPO § 580 Nr. 1
ZPO § 580 Nr. 2
ZPO § 580 Nr. 3
ZPO § 580 Nr. 4
ZPO § 580 Nr. 5
ZPO § 580 Nr. 6
ZPO § 580 Nr. 7
ZPO § 580 Nr. 7 a
ZPO § 580 Nr. 7 b
ZPO § 584 Abs. 1
ZPO § 589
ZPO § 894
BDO § 97 Abs. 2 Nr. 1
StPO § 359 Nr. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

4 U 34/04 Brandenburgisches Oberlandesgericht 4 U 171/00 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 09.06.2004

verkündet am 09.06.2004

In dem Restitutionsklageverfahren

hat der 4. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 7.5.2004 durch

die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Restitutionsklage gegen das am 27.4.2001 verkündete Urteil des Senats sowie das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 22.8.2000 und das Versäumnisurteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 11.5.2000 wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Restitutionsklageverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Klägerin strebt mit ihrer am 18.2.2004 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Klage die Wiederaufnahme des Verfahrens an und möchte letztlich die Abweisung der ursprünglichen Klage erreichen, die auf Genehmigung der in einem notariell-beurkundeten Vertrag vom 7.6.1999 im Namen der jetzigen Klägerin und damaligen Beklagten abgegebenen Erklärungen gerichtet war.

Mit Versäumnisurteil vom 11.5.2000 hat das Landgericht die jetzige Klägerin und damalige Beklagte antragsgemäß verurteilt und dieses Versäumnisurteil mit Urteil vom 22.8.2000 aufrecht erhalten. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dem damals klagenden Land stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf unentgeltliche Übereignung des streitbefangenen Grundstücks in H...dorf, das ihrem Rechtsvorgänger, Herrn R... B..., im Wege der Bodenreform zugewiesen war, gemäß Art. 233 § 11 Abs. 3 Satz 1 EGBGB zu. Bei der damaligen Beklagten handelt es sich um die Erbin des Herrn R... B..., die seit dem 6.9.1991 als Eigentümerin des Grundstücks im Grundbuch eingetragen war.

Mit Urteil vom 27.4.2001 hat der Senat die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 22.8.2000 zurückgewiesen.

Die Klägerin stützt ihre Restitutionsklage auf § 580 Nr. 7 b ZPO. Sie macht geltend, bei dem Urteil der 3. Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden EGMR) vom 22.1.2004, das die Regelungen des Art. 233 § 11 ff. EGBGB als menschenrechtswidrig erachtet habe, und bei den in Folge dieses Urteils veröffentlichten Presseerklärungen der Finanzministerin des Landes Brandenburg vom 28.1.2004 und des Finanz- und Justizministeriums des Landes Brandenburg vom 6.2.2004 handele es sich um Urkunden im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO. Der Anwendbarkeit des § 580 Nr. 7 b ZPO könne nicht entgegengehalten werden, dass die genannten Urkunden erst nach Fällung der angegriffenen Urteile entstanden sein, da sie jedenfalls in dem Sinne zurückliegende Umstände widerspiegelten, als der Rechtszustand, den der EGMR festgestellt habe, von Anfang an bestanden habe. Eine Wiederaufnahme gemäß § 580 Nr. 7 b ZPO könne auch nicht nur auf solche Urkunden gestützt werden, die Tatsachen belegten; die Regelung des § 580 Nr. 7 b ZPO stelle allgemein auf Urkunden ab, die den Restitutionskläger in den Stand setzen, eine ihm günstigere Entscheidung herbeizuführen. Jedenfalls sei die Regelung des § 580 Nr. 7 b ZPO im zu entscheidenden Fall entsprechend anwendbar. Dies gelte jedenfalls deshalb, weil die Vollstreckung der der Menschenrechtskonvention widersprechenden Entscheidungen noch bevorstehe, da - was unstreitig ist - das beklagte Land bis zum 28.04.2004 lediglich einen Antrag auf Eintragung als Eigentümer bei dem zuständigen Grundbuchamt gestellt habe, dieser Antrag jedoch noch nicht vollzogen worden sei.

Darüber hinaus vertritt die Klägerin die Auffassung, das beklagte Land habe ihren Restitutionsanspruch mit Schriftsatz vom 30.4.2004 anerkannt, in dem es erklärt habe, dass das beklagte Land mit Blick auf den nach dem Urteil des EGMR vom 22.1.2004 entstandenen unsicheren Rechtszustand derzeit keinerlei Maßnahmen betreibe, den durch das Urteil des Senats vom 27.4.2001 bestätigten erstinstanzlichen Genehmigungsanspruch durchzusetzen, und keine Maßnahmen ergreifen werde, die zu vollendeten, nicht mehr rückabzuwickelnden Tatsachen führen könnten.

Die Klägerin beantragt - in erster Linie im Wege eines Anerkenntnisurteils, hilfsweise im Wege eines streitigen Urteils -,

die Klage in Abänderung der Urteile des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 22.8.2000 und des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 27.4.2001 abzuweisen.

Das beklagte Land beantragt,

die Restitutionsklage abzuweisen.

Es vertritt die Auffassung, die Entscheidung des EGMR vom 22.1.2004 stelle keinen Restitutionsgrund im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO dar; diese Regelung sei weder unmittelbar noch analog anwendbar. Ebenso wenig komme ein Restitutionsgrund im Sinne des § 580 Nr. 6 ZPO in Betracht. Ein Anerkenntnis sei in den im Schriftsatz vom 30.04.2004 abgegebenen Erklärungen nicht zu sehen.

Das beklagte Land hat in einem Parallelverfahren zum Az: 4 U 33/04 mit Schriftsatz vom 07.05.2004 mitgeteilt, dass es den Antrag auf Eigentumsumschreibung hinsichtlich des streitgegenständlichen Grundstücks mit einem Schreiben der Notarin F... an das zuständige Grundbuchamt vom 28.04.2004 zurückgenommen habe. In diesem Verfahren hat das beklagte Land darüber hinaus eine Erklärung abgegeben, wonach es bis zum Ablauf von drei Monaten nach einer Entscheidung des Gesetzgebers infolge einer endgültigen Entscheidung des EGMR von Maßnahmen im Hinblick auf das streitgegenständliche Grundstück absehen werde.

Entscheidungsgründe:

Die Restitutionsklage ist bereits nicht zulässig.

Zwar ist das Berufungsgericht gemäß § 584 Abs. 1 ZPO für die Entscheidung über die Restitutionsklage zuständig, da mit dieser Klage auch das Berufungsurteil des Senats vom 27.4.2001 angefochten wird.

Eine Entscheidung in der Sache kann jedoch weder im Wege eines Anerkenntnisurteils noch im Wege eines streitigen Urteils zugunsten der Klägerin ergehen, da die Restitutionsklage nicht statthaft ist. Zu den im Rahmen des § 589 ZPO, also bereits im Hinblick auf die Zulässigkeit, zu prüfenden unverzichtbaren Prozessvoraussetzungen einer Restitutionsklage gehört auch die Frage der Statthaftigkeit, die zumindest die schlüssige Behauptung eines Wiederaufnahmegrundes im Sinne des § 580 ZPO voraussetzt (vgl. nur: Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 589 Rn. 2).

Fehlt eine unverzichtbare Prozessvoraussetzung, so kommt auch keine Verurteilung im Wege eines Anerkenntnisurteils im Sinne des § 307 ZPO in Betracht. Auch wenn das Gericht im Falle des Vorliegens eines wirksamen Anerkenntnisses nicht mehr zu prüfen hat, ob die Klage schlüssig und begründet ist, so müssen doch auch für den Erlass eines Anerkenntnisurteils die unverzichtbaren Prozessvoraussetzungen durch das Gericht geprüft und als gegeben erachtet werden (BGHZ 10, 335; NJW 1994, 945; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 307 Rn. 4). Es kann deshalb dahinstehen, ob in den mit Schriftsatz vom 30.04.2004 abgegebenen Erklärungen des beklagten Landes inhaltlich ein Anerkenntnis gesehen werden könnte.

Aus der Entscheidung des EGMR vom 22.1.2004 oder den Presseerklärungen der Finanzministerin des Landes Brandenburg vom 28.1.2004 bzw. der Presseerklärung des Finanz- und Justizministeriums des Landes Brandenburg vom 6.2.2004 lässt sich jedoch ein Restitutionsgrund im Sinne des § 580 Nr. 1 bis 7 ZPO nicht herleiten.

1. Eine unmittelbare Anwendung des § 580 Nr. 7 b ZPO kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil es sich - entgegen der Auffassung der Klägerin - bei einer Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO um eine solche handeln muss, die neue, d.h. den angegriffenen Entscheidungen noch nicht zugrunde gelegte, Tatsachen belegt.

Zwar weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass der Wortlaut des § 580 Nr. 7 b ZPO den Begriff der Tatsache nicht verwendet, sondern lediglich auf eine Urkunde abstellt, " die eine ... günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde". Die Beschränkung des § 580 Nr. 7 b ZPO auf Urkunden, die eine von der ergangenen rechtskräftigen Entscheidung abweichende Tatsachengrundlage schaffen, ergibt sich jedoch aus dem Begriff der Urkunde und ihrer Funktion im Zivilprozess. Das Berufen auf eine Urkunde hat im Zivilprozess ausschließlich zum Zwecke der Darlegung oder zum Zwecke des Beweises von Tatsachen Bedeutung, die einer Entscheidung des Gerichts zugrunde zu legen sind. Insoweit ist zwar der Begriff der Urkunde im Rahmen des § 580 Nr. 7 b ZPO im weitesten Sinne zu verstehen (Zöller/Greger, a.a.O., § 580 Rn. 16). Dies ändert jedoch nichts daran, dass es sich um eine Urkunde handeln muss, die aufgrund ihres spezifisch urkundlichen Erkenntnis- und Beweiswertes (vgl. auch dazu nur Zöller/Greger, a.a.O., § 580 Rn. 18) hinsichtlich der dem Urteil zugrunde zu legenden Tatsachen eine für die betroffene Partei günstigere Entscheidung herbeiführen könnte. Der Umstand, dass der Tatsachenbezug einer für ein Wiederaufnahmeverfahren geeigneten Urkunde in § 580 Nr. 7 b ZPO nicht ausdrücklich erwähnt ist, erklärt sich deshalb zum Einen daraus, dass ein Tatsachenbezug dem Begriff und der Funktion einer Urkunde im Zivilprozess immanent ist und zum Anderen daraus, dass - anders als etwa im Strafrecht (§ 359 Nr. 5 StPO) - nicht jede neue bzw. neu ausfindig gemachte Tatsache und auch nicht jedes neu ausfindig gemachte Beweismittel geeignet ist, eine Wiederaufnahme zu rechtfertigen, sondern ausschließlich solche Tatsachen, die durch Urkunden belegt sind.

Neue Tatsachen ergeben sich jedoch weder aus dem Urteil des EGMR vom 22.1.2004 noch aus den Presseerklärungen vom 28.1.2004 oder vom 6.2.2004. Der EGMR hat vielmehr auf einer Tatsachengrundlage, die mit der Tatsachengrundlage der mit der Restitutionsklage angegriffenen Entscheidungen des Landgerichts Frankfurt (Oder) und des Senats übereinstimmt, lediglich die Vereinbarkeit der auch den angegriffenen Entscheidungen zugrunde liegenden rechtlichen Regelungen des Art. 233 § 11 ff. EGBGB mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (im Folgenden: EMRK) rechtlich anders beurteilt als die Gerichte der angegriffenen Entscheidungen.

Auch die Presseerklärungen vom 28.1.2004 und 6.2.2004 belegen keine neuen Tatsachen. Mit diesen Erklärungen haben die Finanzministerin des Landes Brandenburg bzw. das Finanz- und Justizministerium lediglich bekannt gegeben, dass das Land Brandenburg angesichts der Entscheidung des EGMR vom 22.1.2004 die Durchsetzung seiner Ansprüche sowohl auf Auflassung von Grundstücken als auch auf Auskehr von Kaufpreiserlösen aussetzt und Bodenreformflächen, die bereits an das Land übertragen worden sind, einem Verkaufsstop unterliegen. Damit schafft das Land aber ebenfalls keine neuen Tatsachen, sondern zieht lediglich eine - noch dazu vorläufige - Konsequenz aus der Entscheidung des EGMR.

2. Eine Wiederaufnahme ist im Hinblick auf die Entscheidung des EGMR vom 22.1.2004 auch nicht in analoge Anwendung des § 580 Nr. 7 b ZPO möglich.

Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Frage, ob die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens zulässig ist, wenn der EGMR die Konventionswidrigkeit dieses Urteils festgestellt hat, insbesondere in der juristischen Literatur seit langem diskutiert und in diesem Zusammenhang von einigen Autoren eine entsprechende Anwendung des § 580 Nr. 7 b ZPO befürwortet wird (so etwa Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., vor § 578 Rn. 58; Zöller/Geimer, a.a.O., Einleitung Rn. 136; Wieczorek/Prüttig, ZPO, 3. Aufl., Einleitung Rn. 54, Fußnote 34). Andere Autoren (so etwa Meyer-Ladewig, Handkommentar-EMRK, Art. 46 Rn. 8) erachten das Fehlen einer Wiederaufnahmeregelung für den Fall der Feststellung der Konventionswidrigkeit eines Urteils durch den EGMR rechtspolitisch für bedenklich oder stellen lediglich die Diskussion dar, ohne ausdrücklich eine eigene Position zu beziehen (MK-ZPO-Braun, vor 578 Rn. 37). Das Bundesverfassungsgericht hat demgegenüber die Ablehnung einer erweiterten Auslegung der damaligen Regelungen zur Wiederaufnahme im Rahmen der StPO jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Verfassungsrechts als unbedenklich angesehen (BVerfG NJW 1986, 1425 ff.). Das Bundesverwaltungsgericht hat eine analoge Anwendung der Wiederaufnahmeregelung des § 97 Abs. 2 Nr. 1 BDO abgelehnt (BVerwG NJW 1999, 1649).

Auch in Anbetracht dieser Diskussion sieht der Senat im vorliegenden Fall keine Möglichkeit für eine analoge Anwendung des § 508 Nr. 7 b ZPO.

a) So kann - und dies allein stünde einer erfolgreichen Restitutionsklage im vorliegenden Fall schon entgegen - die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Zivilverfahrens aufgrund eines Urteils des EGMR von vorn herein nur dann in Betracht kommen, wenn es sich um ein endgültiges Urteil des EGMR im Sinne der Art. 44, 46 EMRK handelt. Das Urteil vom 22.1.2004 ist jedoch, nachdem die Bundesrepublik Deutschland die Verweisung an die Große Kammer des EGMR beantragt hat, nicht endgültig. Eine Bindungswirkung der Entscheidung der 3. Kammer des EGMR vom 22.1.2004, die bis zur Entscheidung der Großen Kammer gelten soll, kann den Regelungen der EMRK - deren Wirkungen im Folgenden noch näher darzustellen sein werden - entgegen der Auffassung der Klägerin nicht entnommen werden.

b) Selbst wenn man von dem vorgenannten Hindernis absieht, spricht gegen eine Wiederaufnahme analog § 580 Nr. 7 b ZPO aufgrund einer Entscheidung des EGMR darüber hinaus, dass sämtliche Regelungen des § 580 ZPO als Ausnahmeregelung, die zu einer Durchbrechung der Rechtskraft von Urteilen führen, ohnehin eng auszulegen sind (vgl. nur Hartmann in Baumbach u.a., ZPO, 62. Aufl., Grundz. § 578 Rn. 4). Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass es bei einer Entscheidung des EGMR immerhin um die Frage der Menschenrechtswidrigkeit geht. Die EMRK gestattet den Vertragsstaaten gerade mit Rücksicht auf das Institut der Rechtskraft und den hohen Rang, der diesem Institut in der staatlichen Rechtsordnungen allgemein beigemessen wird, rechtskräftige Entscheidungen, von denen festgestellt worden ist, dass sie unter Verstoß gegen das Völkerrecht zustande gekommen sind, unangetastet zu lassen (BVerfG NJW 1986, 1425, 1426/1427).

c) Höchst zweifelhaft ist auch, ob eine unbewusste Regelungslücke angenommen werden kann, die rechtsdogmatisch Voraussetzung für eine Analogie wäre.

Die Frage, ob und in welchem Umfang eine Entscheidung des EGMR die Wiederaufnahme rechtskräftig abgeschlossener gerichtlicher Verfahren ermöglichen soll, ist durchaus bereits Gegenstand eines Gesetzgebungsverfahrens auf Bundesebene gewesen und hat dazu geführt, dass durch Gesetz vom 9.7.1998 mit § 359 Nr. 6 StPO im Strafverfahrensrecht eine Regelung eingeführt worden ist, wonach die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens zulässig ist, "wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht". Angesichts dieser Regelung scheint es keineswegs fernliegend, dass der Gesetzgeber damit eine bewusste Entscheidung dahin getroffen hat, dass eine Wiederaufnahme aufgrund einer Entscheidung des EGMR über die Konventionswidrigkeit eines Urteils nur im Strafverfahrensrecht, nicht aber in den Verfahrensregelungen anderer Rechtsgebiete, und damit insbesondere auch nicht im Zivilprozessrecht, möglich sein soll.

Jedenfalls kann der Diskussion über die Einführung des § 359 Nr. 6 StPO im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages entnommen werden, dass nach dem Willen des Gesetzgebers dahin differenziert werden muss, ob das konkrete Urteil, um dessen Beseitigung es in einem Wiederaufnahmeverfahren geht, vom EGMR als - etwa aufgrund von Verfahrensverstößen - konventionswidrig angesehen worden ist oder ob - wie in der Entscheidung des EGMR vom 22.1.2004 - die Entscheidung des EGMR dahingeht, dass innerstaatliche Rechtsnormen, auf denen das Urteil beruht, als konventionswidrig erachtet worden sind. Einen Antrag, den die Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen zur Ergänzung der in § 359 Nr. 6 StPO getroffenen Regelung mit dem Inhalt in den Rechtsausschuss eingebracht hatte "Dies gilt auch, wenn die Konventionswidrigkeit einer bundesdeutschen Rechtsnorm oder einer deren Regelungsgehalt entsprechenden Rechtsnorm eines anderen Signarstaates der Europäischen Konvention ... festgestellt wurde" hat die Mehrheit des Rechtsausschusses nämlich ausdrücklich abgelehnt. Daraus kann aber nur der Schluss gezogen werden, dass es jedenfalls dem bisherigen Willen des Bundesgesetzgebers entspricht, Wiederaufnahmeverfahren nur in solchen Fällen zuzulassen, in denen der EGMR das konkrete Urteil, über das er zu entscheiden hatte, als konventionswidrig beanstandet hat, nicht aber in den Fällen, in denen der EGMR inzident eine Rechtsnorm des innerstaatlichen Rechts als konventionswidrig angesehen hat.

d) Schließlich steht einer analogen Anwendung des § 580 Nr. 7 b ZPO entgegen, dass der Klägerin mit dem Wiederaufnahmeverfahren auch nicht geholfen wäre. Für diesen Fall halten jedoch auch die Befürworter der Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens im Zivilprozessrecht eine analoge Anwendung des § 580 Nr. 7 b ZPO für ausgeschlossen (Stein/Jonas/Grunsky, a.a.O., vor § 578 Rn. 58; MK-Braun, a.a.O., § 578 Rn. 37).

Die EMRK verpflichtet zwar in Art. 46 (bis zur Neufassung der EMRK durch das 11. Protokoll: Art. 53 EMRK) die Vertragsstaaten, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, ein endgültiges Urteil des Gerichtshofs zu befolgen. Die Feststellung und damit die Rechtskraft einer Entscheidung des EGMR bezieht sich jedoch auf die Konventionsverletzung durch den konkreten Verwaltungsakt oder das konkrete Urteil, das Gegenstand des Verfahrens war; das präjudizielle Rechtsverhältnis wird nicht erfasst (vgl. nur Meyer-Ladewig in Hk-EMRK Art. 46 Rn. 10). Dies bedeutet in Fällen, in denen die Konventionswidrigkeit eines Verwaltungsaktes oder eines Urteils die angewandten innerstaatlichen Rechtsnormen als solche betrifft, dass der betroffene Vertragsstaat lediglich - und dies wohl nicht einmal wegen der Wirkung des Art. 46 EMRK, sondern wegen der Bindung an die Konvention als solche gemäß Art. 1 EMRK - allgemeine Maßnahmen treffen muss, um künftige Verstöße gegen die Konvention zu verhüten, also etwa eine Änderung des innerstaatlichen Rechts vornehmen muss, wenn der EGMR eine innerstaatliche Rechtsnorm als konventionswidrig erachtet hat (Meyer-Ladewig in Hk-EMRK, a.a.O.). Solange eine solche Änderung des innerstaatlichen Rechts nicht erfolgt ist, bleibt jedoch auch eine konventionswidrige Norm geltendes Recht. Man kann deshalb allenfalls darüber diskutieren, ob ein Gericht nach einer endgültigen Entscheidung des EGMR ein Gesetz, dessen Konventionswidrigkeit der EGMR inzident festgestellt hat, noch anwenden darf (auch insoweit bejahend jedoch etwa Meyer-Ladewig in Hk-EMRK, a.a.O., Rn. 10). Solange der innerstaatliche Gesetzgeber die vom EGMR als konventionswidrig erachtete Rechtsnorm nicht geändert hat, sind die innerstaatlichen Gerichte nicht befugt, eine den weitergeltenden - wenn auch als konventionswidrig erachteten - Normen widersprechende Entscheidungen zu treffen, wie sie hier mit der Restitutionsklage durch die Klägerin angestrebt wird. Anderenfalls würden die Gerichte den Beurteilungspielraum, der dem von der Entscheidung des EGMR betroffenen Vertragsstaat gemäß Art. 41, 46 EMRK zusteht, in unzulässiger - dem im Grundgesetz festgeschriebenen Gewaltenteilungsprinzip und der Bindung der Gerichte an das Gesetz (Art. 97 GG) widersprechender Weise - einengen.

Dies wird gerade im vorliegenden Fall deutlich: Der EGMR hat in seiner Entscheidung vom 22.1.2004 die Regelungen des Art. 233 §§ 11 ff. EGBGB zwar als konventionswidrig erachtet, dies jedoch unter Ziffer 93 der Entscheidung darauf gestützt, dass die Betroffenen zur entschädigungslosen Übereignung von Grundstücken aus der Bodenreform verpflichtet sind. Selbst wenn die Große Kammer des EGMR diese Entscheidung bestätigen würde, so stehen der Bundesrepublik Deutschland verschiedene Möglichkeiten offen, die gleichermaßen geeignet sein könnten, ihrer Verpflichtung aus Artt. 1, 46 EMRK zur Verhinderung von Verstößen in Parallelfällen Rechnung zu tragen. Neben einer Verpflichtung zur Rückgabe der Grundstücke dürfte nämlich auch die Möglichkeit bestehen, den Betroffenen eine Entschädigung zu zahlen.

Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem diese Entscheidung auf der Ebene des Gesetzgebers getroffen ist, kann deshalb eine gerichtliche Entscheidung zugunsten der Klägerin in einem Restitutionsverfahren nicht getroffen werden, da es nicht in der Kompetenz der Gerichte liegt, eine Wahl zwischen verschiedenen auch in Anbetracht der Entscheidung des EGMR vom 22.1.2004 gleichermaßen mit der EMRK zu vereinbarenden Alternativen einer Befolgung des Urteils des EGMR zu treffen. Der Umstand, dass nicht nur der Gesetzgeber, sondern sämtliche Organe eines Vertragsstaates und damit auch die Gerichte an die EMRK gebunden sind, ändert nichts an der Kompetenzverteilung zwischen den verschiedenen Organen eines Vertragsstaates und damit auch nichts daran, dass ein Gericht in einem Wiederaufnahmeverfahren nicht autonom darüber entscheiden kann, welche Rechtsfolgen daran anknüpfen können, dass der EGMR inzident eine Rechtsnorm als konventionswidrig erachtet hat, die Grundlage eines rechtskräftig abgeschlossenen gerichtlichen Verfahrens war.

Hat aber der Gesetzgeber eine Entscheidung getroffen und bezieht diese auch bereits durch rechtskräftige Urteile entschiedene Fälle mit ein, so ist eine Aufhebung der bereits ergangenen Urteile in einem zivilrechtlichen Verfahren nicht mehr erforderlich, da sich ein entsprechender Anspruch der Betroffenen dann aus dieser Rechtsnorm ergeben würde und einem etwa erforderlichen neuen Klageverfahren auf dieser Rechtsgrundlage die Rechtskraft der bereits ergangenen Entscheidungen nicht entgegenstehen dürfte. Ließe der Gesetzgeber dagegen - was ihm auf der Grundlage der EMRK grundsätzlich ebenfalls möglich sein dürfte (vgl. dazu nur BVerfG NJW 1986, 1425, 1426/1427) - rechtskräftig abgeschlossene Verfahren von einer Neuregelung im Hinblick auf eine Entscheidung des EGMR unangetastet, so würde dem Betroffenen ein Wiederaufnahmeverfahren ebenfalls nicht helfen, da eine entsprechende Klage - selbst wenn man einen Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 580 Nr. 7 b ZPO annehmen wollte - dann als unbegründet abzuweisen wäre, weil das Gericht auch an diese Entscheidung des Gesetzgebers gebunden wäre.

e) Etwas anderes gilt - entgegen der Auffassung der Klägerin - im vorliegenden Fall auch nicht deshalb, weil zwar nicht eine Vollstreckung, der es gemäß § 894 ZPO hinsichtlich der mit der Restitutionsklage angegriffenen Urteile, die auf Abgabe einer Willenserklärung gerichtet waren, nicht bedarf, aber immerhin eine Vollziehung durch Eintragung des beklagten Landes ins Grundbuch noch aussteht. Zwar weist die Klägerin insoweit zutreffend darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich offen gelassen hat, ob es geboten sei, der Feststellung der Konventionswidrigkeit eines Urteils eine die Rechtskraft dieser Entscheidung beseitigende Wirkung beizumessen, wenn die weitere Vollstreckung der Entscheidung in Frage steht (BVerfG NJW 1996, 1425, 1426). Ebenso hat das Bundesverwaltungsgericht offengelassen, ob sich aus der Verpflichtung zur Beachtung einer Entscheidung des EGMR "etwa auch in Parallelfällen ein Vollstreckungsverbot ergeben kann" (BVerwG NJW 1999, 1649, 1651). Auch diese Frage kann jedoch bis zu einer Entscheidung des Gesetzgebers über Art und Reichweite der infolge einer Entscheidung des EGMR über die Konventionswidrigkeit einer innerstaatlichen Rechtsnorm zu treffenden Maßnahmen in einem Restitutionsverfahren nicht gelöst werden, da es - wie bereits ausgeführt - nicht in der Kompetenz des Gerichts liegt, eine dem fortgeltenden innerstaatlichen Recht widersprechende Entscheidung zu treffen. Nach einer Entscheidung des Gesetzgebers bedarf es aber auch im Hinblick auf eine Vollstreckung oder hier Vollziehung des rechtskräftigen Urteils - ebenfalls aus den bereits genannten Gründen - eines Restitutionsverfahrens nicht mehr.

Unter dem Gesichtspunkt der noch ausstehenden Vollziehung der zu Lasten der Klägerin angegriffenen Urteile fehlt es im Übrigen derzeit - und bis zu einer ggf. nach einer endgültigen Entscheidung der Großen Kammer des EGMR zu treffenden Entscheidung des Gesetzgebers - an dem auch für ein Restitutionsverfahren erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, da das beklagte Land nicht nur allgemein in den von der Klägerin angeführten Presseerklärungen, sondern auch konkret in Bezug auf die Klägerin persönlich in dem ebenfalls beim Senat anhängigen Parallelverfahren zum Az 4 U 33/04, mit dem die Klägerin die Wiederaufnahme eines Verfahrens über eine vorläufige Regelung bis zu einer (endgültigen) Entscheidung des EGMR beantragt hatte, eine Erklärung abgegeben hat, wonach das beklagte Land "von Maßnahmen im Hinblick auf das Grundstück nicht nur bis zum Zeitpunkt einer endgültigen Entscheidung des EGMR absehen wird, sondern auch bis zum Zeitpunkt - bzw. sogar drei Monate nach - einer gesetzlichen Regelung durch den Vertragsstaat Bundesrepublik Deutschland".

3. Auf einen anderen Restitutionsgrund als denjenigen des § 580 Nr. 7 b ZPO hat sich die Klägerin nicht gestützt. Ein anderer Restitutionsgrund, insbesondere ein Restitutionsgrund gemäß § 580 Nr. 6 ZPO, kommt aus den vom beklagten Land ausgeführten Gründen auch nicht in Betracht.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Für die Zulassung der Revision besteht kein Anlass. Auch wenn die Frage der Zulässigkeit eines Restitutionsverfahrens im Sinne des § 580 ZPO im Falle einer Entscheidung des EGMR an sich von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO sein könnte, so bietet der vorliegende Rechtsstreit doch bereits deshalb keinen hinreichenden Anlass, diese Frage dem Revisionsgericht vorzulegen, weil diese Frage nur für eine endgültige Entscheidung des EGMR zu klären ist, eine solche jedoch mit der Entscheidung vom 22.01.2004 nicht vorliegt.

Der Streitwert für das Restitutionsverfahren wird auf 7.669,38 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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