Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 21.09.2005
Aktenzeichen: 4 U 174/04
Rechtsgebiete: BGB, ZGB, BbgBauO


Vorschriften:

BGB § 183
BGB § 184
BGB § 185
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2
BGB § 912
BGB § 912 Abs. 1
BGB § 1004
BGB § 1004 Abs. 1 Satz 1
BGB § 1004 Abs. 2
ZGB § 56 Abs. 3
ZGB § 320 Abs. 1
BbgBauO § 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

4 U 174/04 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 21.09.2005

Verkündet am 21.09.2005

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 27.04.2005 durch

die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter am Amtsgericht ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Versäumnisurteil des 4. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 27.04.2005 wird aufrechterhalten.

Die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten als Grundstücksnachbarn um die Verpflichtung der Beklagten zum Rückbau eines im Bereich der rückwärtigen Grundstücksgrenze errichteten Schutzhauses nebst Vogelvoliere. Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem am 10.09.2004 verkündeten Urteil verwiesen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

In dem angegriffenen Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, den Klägern stehe gegen die Beklagte kein Rückbauanspruch aus § 1004 BGB zu, da sie zur Duldung der Baulichkeit auf dem Grundstück der Beklagten verpflichtet seien. Die Duldungspflicht folge wegen Nichteinhaltung der in der Brandenburgischen Bauordnung vorgesehenen Abstandsflächen aus der entsprechenden Anwendung des § 912 Abs. 1 BGB. Nichts anderes ergebe sich zudem unter Anwendung der Grundsätze des nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses. Eine mehr als allenfalls geringfügige Beeinträchtigung der Kläger durch die Nichteinhaltung der Abstandsflächen sei nicht erkennbar.

Mit der Berufung verfolgen die in der I. Instanz unterlegenen Kläger ihren Beseitigungsantrag nebst dem zugehörigen Hilfsantrag in konkretisierter Form weiter und stellen - klageerweiternd - einen weiteren Hilfsantrag auf Zahlung einer jährlichen Rente in Höhe von 570,00 €. Die Kläger rügen die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Bei dem Urteil handele es sich um eine Überraschungsentscheidung, da die analoge Anwendung des § 912 BGB mit den Parteien nicht erörtert worden sei. Entgegen der Auffassung des Landgerichts lägen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 912 BGB nicht vor, insbesondere hätte die Beklagte die Bauten illegal errichtet. Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 912 BGB seien zudem aus dogmatischen Gründen nicht gegeben. Die Nichteinhaltung der Abstandsfläche durch die Beklagte beeinträchtige die Bebaubarkeit des Grundstücks der Kläger. Für den Fall, dass der Senat auf eine Duldungspflicht erkennen wolle, begründen sie ihren klageerweiternden zweiten Hilfsantrag mit der Notwendigkeit einer Entschädigung für die Beeinträchtigung der Bebaubarkeit des Grundstücks, die Verletzung ihres ästhetischen Empfindens durch die "krasse Grenzbebauung" und die dauerhafte Beeinträchtigung der Aussicht.

Der Senat hat auf die Berufung der Kläger durch Versäumnisurteil vom 27.04.2005 die Beklagte dazu verurteilt, das an der rückwärtigen Grundstücksgrenze des Grundstücks..., Flurstück ... der Gemarkung..., befindliche Bauwerk in einer Länge von 19 m und einer Breite von 2,93 m an der Nordseite bzw. von 2,54 m an der Südseite entsprechend der im anliegenden Lageplan farbig markierten Fläche auf eigene Kosten zu beseitigen. Gegen dieses, ihr am 03.05.2005 zugestellte Versäumnisurteil hat die Beklagte am 17.05.2005 Einspruch eingelegt.

Die Kläger beantragen,

das Versäumnisurteil des Senats vom 27.04.2005 aufrecht zu erhalten.

Die Beklagte beantragt,

das am 27.04.2005 verkündete Versäumnisurteil aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie ist der Auffassung, die vorgesehenen Abstandsflächen weder vorsätzlich noch fahrlässig überschritten zu haben. Hierzu vertritt sie die Ansicht, für die Frage des Vorsatzes oder der groben Fahrlässigkeit im Sinne des § 912 BGB komme es auf das Vorliegen einer Zustimmung nach § 56 Abs. 3 ZGB nicht an. Zudem schließe auch die Zustimmung des damaligen Pächters A... eine grobe Fahrlässigkeit aus.

Nach einem rechtlichen Hinweis des Senats behauptet die Beklagte zu den tatsächlichen Voraussetzungen einer Zustimmung nach § 56 Abs. 3 ZGB, im Februar 1989 habe sich ihr damaliger Vorgesetzter, Herr P..., bei einer Grundstücksbesichtigung - ohne Anwesenheit der Beklagten selbst - von dem Lebensgefährten der Beklagten, dem Zeugen A... M..., das geplante Bauvorhaben im einzelnen schildern lassen. Herr P... habe während des Gesprächs - an dem auch der Nachbar der Beklagten, der Zeuge D... L..., teilgenommen habe - erklärt, die Beklagte könne sich die erforderliche Zustimmungserklärung kraft ihres Amtes ja selbst ausfertigen. Dies könne ihr der Zeuge M... ausrichten. Der Zeuge M... habe die Beklagte sodann unmittelbar im Anschluss an das Gespräch über die Zustimmung ihres Vorgesetzten unterrichtet. Schließlich habe Herr P... dem Zeugen M... in der Folgezeit sogar bei der Errichtung des Fundaments des Gebäudes geholfen. Im übrigen behauptet die Beklagte, in ihrer Eigenschaft als Außenstellenleiterin der Kommunalen Wohnungsverwaltung generell bevollmächtigt gewesen zu sein, Zustimmungen für Bebauungen von Grundstücken zu erteilen. Es sei weder notwendig noch üblich gewesen, dass von übergeordneter Stelle daneben noch eine konkrete bzw. einzelfallbezogene Vollmacht erteilt worden sei.

Der Senat hat auf der Grundlage des Beweisbeschlusses vom 24.08.2005 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen M... und L.... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24.08.2005 verwiesen.

II.

Der zulässige, insbesondere form- und fristgerechte Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil des Senats vom 27.04.2005 hat in der Sache keinen Erfolg.

1.

Die Kläger können von der Beklagten hinsichtlich des auf ihrem Grundstück errichteten Schutzhauses mit Vogelvoliere auf der Grundlage des § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die mit dem Hauptantrag begehrte Beseitigung aus dem Bereich der Abstandsfläche verlangen.

a) In Übereinstimmung mit dem Landgericht ist wegen der zwischen den Parteien unstreitigen Nichteinhaltung der Abstandsfläche - auch ohne das Vorliegen eines Überbaus - eine Eigentumsverletzung im Sinne der §§ 1004 Abs. 1 Satz 1, 823 Abs. 1, Abs. 2 i. V. m. § 6 BbgBauO zu bejahen, da die Vorschriften der Landesbauordnungen über den Bauwich nachbarschützenden Charakter haben (vgl. hierzu OLG Celle, Urteil vom 18.09.1998, OLGR 1999, 285; Palandt-Bassenge, BGB, § 1004 Rn. 11 m. w. N.).

b) Die Kläger sind allerdings nicht gemäß §§ 1004 Abs. 2, 912 Abs. 1 BGB analog zur Duldung dieser Eigentumsverletzung verpflichtet.

aa) Im Ansatz zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Vorschrift des § 912 Abs. 1 BGB in Fällen der Bauwichverletzung entsprechend anzuwenden ist.

Wenn der Eigentümer eines Nachbargrundstücks unter bestimmten Voraussetzungen dessen Überbauung mit einem Gebäude dulden muss, so kann er keine weitergehenden Rechte haben, wenn unter den Voraussetzungen des § 912 Abs. 1 BGB gar nicht in sein Grundstück eingegriffen, sondern lediglich gegen eine den Bauabstand von der Grundstücksgrenze regelnde Vorschrift verstoßen wurde (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 09.09.1992, NJW-RR 1993, 665; OLG Celle, Urteil vom 03.07.1998, OLGR 1999, 101, 102; OLG Koblenz, Urteil vom 17.12.1998, NJW-RR 1999, 1394; OLG Köln, Urteil vom 15.11.2002, NJW-RR 2003, 376; so auch der erkennende Senat, Urteil vom 25.08.2004, Az.: 4 U 26/04, Seite 9).

Soweit sich die Kläger zur Begründung ihrer gegenteiligen Rechtsauffassung zu der Vorschrift des § 912 BGB auf die in dem angegriffenen Urteil erwähnte Entscheidung des Reichsgerichts (RGZ 87, 371 ff.) stützen und diese verteidigen, übersehen sie, dass die dort vertretene Rechtsauffassung zum Ausnahmecharakter der Vorschrift, der eine entsprechende Anwendung auf andere Sachverhalte ausschließe, spätestens seit dem Urteil des 5. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 09.01.1963 (BGHZ 39, 5, 11) überholt ist. In dieser Entscheidung hat der BGH die Rechtsprechung des Reichsgerichts im Ergebnis aufgegeben und eine analoge Anwendung des § 912 BGB jedenfalls für den Bereich der Beeinträchtigung einer Grunddienstbarkeit eröffnet und eine weitere analoge Anwendung bei der Verletzung einer nachbarschützenden Vorschrift des öffentlichen Baurechts über den Grenzabstand nicht ausgeschlossen (vgl. auch BGH, Urteil vom 06.05.1966, MDR 1966, 748, 749).

bb) Nach den Feststellungen des Senats fehlt es jedoch an den tatsächlichen Voraussetzungen für eine Duldungspflicht analog § 912 Abs. 1 BGB, so dass aus diesem Grund eine Duldungspflicht der Kläger ausscheidet.

(1) Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 912 Abs. 1 BGB ist dem Landgericht darin zuzustimmen, dass es sich bei dem "Schutzhaus nebst Vogelvoliere" um ein Gebäude im Sinne des § 912 Abs. 1 BGB handelt. Der Senat hat keine Zweifel an der Richtigkeit dieser tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts, die auf der Durchführung eines Ortstermins am 24.10.2003 beruhen. Vielmehr bestätigt der Augenschein des mit dem Schriftsatz vom 06.08.2003 als Anlage K 18 vorgelegten Farbfotos und des von dem Sachverständigen O... am 06.04.2003 als Anlage 10 seines Gutachtens erstellten Lageplans die erstinstanzlichen Feststellungen. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf die Ausführungen auf Seite 6 des angegriffenen Urteils verwiesen.

Das Schutzhaus kann angesichts der zwischen den Parteien in technischer Hinsicht unstreitigen Bauweise keineswegs leicht versetzt werden, so dass der von den Klägern in der Berufungsbegründung angestellte Vergleich mit einem Carport nicht greift, da es sich hierbei typischerweise um einen überdachten, jedoch seitlich offenen Pkw-Abstellplatz handelt (so auch bei OLG Karlsruhe, Urteil vom 09.09.1992, aaO.). Gleiches gilt für die Bezugnahme auf eine zu einer Begrenzungsmauer ergangene Entscheidung des 2. Zivilsenats des hiesigen Oberlandesgerichts vom 17.04.1997 (OLGR Brandenburg 1997, 226, 227). Schließlich kommt es für die Gebäudeeigenschaft auch nicht auf die heutige objektive Werthaltigkeit des Gebäudes an. Auch ein - nach dem Vorbringen der Kläger - wertloser einfacher Ziegelbau mit Asbestwelldach, dessen Restnutzungsdauer abgelaufen ist, unterfällt dem von dem Landgericht zutreffend angewendeten Gebäudebegriff.

(2) Die Duldungspflicht analog § 912 Abs. 1 BGB scheitert jeddoch daran, dass der Beklagte im Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit der Nachweis gelungen ist, dass ihr bei der Veranlassung der Bauabstandsverletzung im Jahr 1989 weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit zur Last fallen.

(a) Aus dem Vorbringen der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten ergibt sich, dass sie mit ihrem Bauvorhaben bewusst und damit vorsätzlich die Abstandsvorschriften nicht eingehalten hat.

Die Beklagte hat als Bestandteil ihres Antrags auf Zustimmung vom 15.03.1989 eine Erklärung des damaligen Verwalters des benachbarten Grundstücks, VEB ...-, vorgelegt, in der dieser in dem Feld "7.4. Stellungnahmen des Grundstücksnachbarn, wenn das Bauwerk weniger als drei Meter von der Grundstücksgrenze entfernt ist" erklärt, dass eine Behinderung des Nachbarn nicht gegeben sei. Damit hat die Beklagte hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass ihr zum damaligen Zeitpunkt bekannt war, dass mit einem Bauwerk ein Abstand zu der Grenze des Nachbargrundstücks von drei Metern einzuhalten war und dass das von ihr geplante Schutzhaus diesen Abstand nicht beachtete.

Den durch die Zustimmung des Rates der Gemeinde ... vom 05.04.1989 bestätigten Antragsunterlagen der Beklagten ist zu entnehmen, dass unter Berücksichtigung der bereits seit 1984 in dem hinteren Grundstücksteil vorhandenen Baulichkeit ein einheitliches Gebäude mit einer Gesamtlänge an der Grundstücksgrenze von 17,00 m entstehen wird. In Kenntnis dieses Umfangs ist die Baumaßnahme von dem Rat der Gemeinde genehmigt worden, ohne der Beklagten hierbei zugleich eine Ausnahme oder Befreiung von den Abstandsvorschriften, die eine Eigentumsverletzung ausschließen und damit die Prüfung der Verschuldensfrage erübrigen würde, zu erteilen.

(b) Der Senat vermag nicht festzustellen, dass die Beklagte bei ihrem Bauvorhaben

"Vogelvoliere mit Schutzhaus" von dem Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes für die Nichteinhaltung der Abstandsflächen ausgehen durfte, so dass ihr durch ihre Sorgfaltswidrigkeit im konkreten Fall zumindest eine grob fahrlässige Eigentumsverletzung zur Last fällt.

Hierbei sind für den Senat folgende Gesichtspunkte maßgeblich:

(aa) Bereits auf der Grundlage der von dem Landgericht veranlassten Vermessung des Schutzhauses steht fest, dass das heutige Gesamtgebäude eine Länge von mindestens 18,85 m hat und damit die am 05.04.1989 genehmigte Gesamtlänge um jedenfalls 1,85 m überschreitet. Demnach hat sich die Beklagte bei der tatsächlichen Bauausführung gerade nicht an den Umfang der erteilten Genehmigung gehalten. Hinsichtlich des Maßes der Inanspruchnahme des Bauwichs kann sie angesichts dieser illegalen Vergrößerung des Schutzhauses als nicht schutzwürdig angesehen werden.

(bb) Die Beklagte hat sich - ungeachtet der gemäß § 320 Abs. 1 ZGB durchaus vergleichbaren dinglichen Rechtslage in der DDR bei einem Überbau und einer Grenzbebauung - auch nicht darum bemüht, das Einverständnis des Eigentümers zu der von ihr beabsichtigten Grenzbebauung einzuholen.

(aaa) Zwar kann ihr angesichts der besonderen tatsächlichen Verhältnisse in der DDR nicht als grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden, dass sie sich vor der Errichtung des Schutzhauses nicht um das Einverständnis der "Westeigentümer" bemüht hat; nach den gesellschaftlichen und rechtlichen Verhältnissen in der DDR musste sie jedoch um so sorgfältiger darauf bedacht sein, eine wirksame Einwilligung der mit einer eigentümerähnlichen Verfügungsbefugnis ausgestatteten kommunalen Wohnungsverwaltung (VEB ...) zu erhalten.

(bbb) Nach den Feststellungen des Senats liegt jedoch für die durch die Baumaßnahme der Beklagten verursachte Verletzung der Abstandsfläche keine wirksame Einwilligung des VEB ... vor.

Die damals von der Beklagten in dem Zustimmungsverfahren vorgelegte Stellungnahme des Grundstücksnachbarn weist die "Besonderheit" auf, dass auch für den VEB ... die dort beschäftigte Beklagte selbst unterschrieben hat. Die Beklagte soll zwar in ihrer Eigenschaft als Außenstellenleiterin des VEB ... generell bevollmächtigt gewesen sein, Zustimmungen für Bebauungen von Grundstücken zu erteilen. Im Unterschied zu den im Berufsalltag der Beklagten offenbar regelmäßig erforderlichen nachbarrechtlichen Zustimmungen zu fremden Bauvorhaben liegt die Besonderheit der Zustimmung zu dem eigenen Bauvorhaben jedoch darin, dass die Wirksamkeit der insoweit abgegebenen Erklärungen gemäß § 56 Abs. 3 ZGB gerade an ein besonderes Zustimmungserfordernis geknüpft war. § 56 Abs. 3 ZGB verlangt die Zustimmung des Vertretenen zu einem Rechtsgeschäft, das der Vertreter - wie hier - mit sich selbst abschließt. Hintergrund dieser Regelung ist, dass das Zivilgesetzbuch der DDR -anders als das Bürgerliche Gesetzbuch in § 181 - ein Insichgeschäft des Vertreters nicht grundsätzlich verbot. Die Interessen des Vertretenen wurden statt dessen durch das Erfordernis seiner Zustimmung gewahrt. Eine solche Zustimmung zu einem Insichgeschäft konnte entweder konkret für den Einzelfall oder auch vorab für einen bestimmten Kreis von Geschäften erteilt werden (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 12.05.2000, VIZ 2000, 493, 494).

Die Beklagte hat eine ihr erteilte generelle Zustimmung zu Insichgeschäften nicht behauptet. Eine Berechtigung zu der erfolgten Unterschrift in eigener Sache ergab sich auch nicht unmittelbar aus ihrer beruflichen Stellung als Außenstellenleiterin des VEB ... in ... mit der Zuständigkeit für den Bereich "Unbebaute Grundstücke", so dass es für die Wirksamkeit ihrer selbst erteilten nachbarrechtlichen Einwilligung darauf ankommt, ob ihr für diesen konkreten Einzelfall eine Zustimmung im Sinne des § 56 Abs. 3 ZGB erteilt worden ist.

Der Beklagten ist im Berufungsverfahren jedoch nicht der Nachweis gelungen, dass sie die erforderliche Zustimmung ihres damaligen Arbeitgebers zu dem "Insichgeschäft" bei der Errichtung des Schutzhauses erhalten hat.

Die von dem Senat vernommenen Zeugen M... und L... haben nicht bestätigen können, dass -wie von der Beklagten behauptet - mit dem damaligen Vorgesetzten der Beklagten, Herrn Direktor O... P..., im Februar 1989 bei einer Grundstücksbesichtigung über Fragen des Grenzabstandes oder des Bauwichs gesprochen worden ist und dieser hierbei eine Zustimmung dazu erteilt hat, dass die Beklagte die für die Durchführung der Baumaßnahme notwendige Einverständniserklärung des Nachbarn namens des VEB ... persönlich in eigener Sache unterzeichnen darf. Dieses von der Beklagten behauptete Einverständnis geht damit deutlich über eine reine Zustimmung des Herrn P... zu dem Bauvorhaben selbst hinaus.

Nach den Bekundungen der beiden Zeugen hat das Gespräch, dessen zeitliche Einordnung durch die Zeugen jedenfalls mit ausreichender Sicherheit für die ersten Monate des Jahres 1989 vorgenommen wurde, zwar die Errichtung einer neuen Vogelvoliere - insbesondere die "Detaildinge" des Aufbaus - zum Gegenstand gehabt; eine Zustimmung des Direktors zu künftigen Erklärungen der Beklagten für den VEB ... war hierbei jedoch offensichtlich nicht Gesprächsgegenstand. Vielmehr hat Herr P... in dem von den beiden Zeugen geschilderten Gespräch lediglich sein Einverständnis mit der Baumaßnahme selbst erklärt. Soweit nach den Bekundungen des Zeugen M... auch davon die Rede gewesen ist, dass er "der B... Bescheid" sagen soll, "sie möchte den Antrag stellen, damit beim Bau des Vogelhauses alles seine Ordnung" habe, steht diese Äußerung in dem Zusammenhang mit dem für die Errichtung des Gebäudes erforderlichen Bauantrag. Eine Erklärung des Herrn P... mit einem Genehmigungswert nach § 56 Abs. 3 ZGB kann der Äußerung hingegen nicht entnommen werden. Nach Bekundung des Zeugen L..., der sich wegen der durch die beabsichtigte Grenzbebauung ausgelöste Betroffenheit des von ihm genutzten, angrenzenden Grundstücks besonders gut an das damalige Gespräch mit Herrn P... erinnern konnte, ist das Thema Grenzbebauung in diesem Gespräch nicht erörtert worden. Auch aus der Aussage des Zeugen M... ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass Fragen des Grenzabstandes oder des Bauwichs in Bezug auf das klägerische Grundstück mit Herrn P... besprochen worden sein könnten.

Letztlich sprechen auch außerhalb der Zeugenaussagen liegende Umstände dafür, dass es die Beklagte im Zusammenhang mit der Errichtung des Schutzhauses unterlassen hat, die Zustimmung ihres Vorgesetzten für die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks einzuholen. In der persönlichen Anhörung der Beklagten im Senatstermin am 27.04.2005 hat die Beklagte das später von ihr behauptete Gespräch aus dem Februar 1999 nicht ansatzweise erwähnt. Statt dessen hat sie für den Senat überzeugend erklärt, vor der Unterschrift habe der im März 1989 urlaubsabwesende Direktor von ihr nicht gefragt werden können. Eine Kollegin habe sie um die Unterschrift nicht bitten können, da dies ja wie Mauschelei ausgesehen hätte. Der Versuch einer Erklärung dieser Äußerung in ihrer weiteren Anhörung am 24.08.2005 dahin, dass (nur) der Zeuge M... eine Erinnerung an das damalige Gespräch gehabt habe, wirkt auf den Senat hingegen eher konstruiert. Vor dem Hintergrund der Äußerung der Beklagten im Termin am 27.04.2005 ist die von der Beklagten im Zusammenhang mit der Einspruchsbegründung behauptete Äußerung des Direktors, die gerade eine Zustimmung in diesem Einzelfall beinhalten soll, nicht recht plausibel.

Da der Senat im Ergebnis der Beweisaufnahme davon ausgeht, dass in dem von den Zeugen geschilderten Gespräch mit Herrn P... letztlich nur die Baumaßnahme selbst Gesprächsgegenstand war, führt auch die von der Beklagten hilfsweise vorgebrachte spätere Mitarbeit des Direktors P... an der Errichtung ihres Bauwerks zu keiner konkludenten Zustimmungserklärung im Hinblick auf die hierdurch bewirkte Verletzung des Grenzabstands. Von der Beklagten sind keine Umstände dargelegt, die der Mitarbeit bei der Errichtung des Fundaments als rein tatsächlicher Handlung des Herrn P... den für eine Zustimmung im Rahmen des § 56 Abs. 3 ZGB erforderlichen Genehmigungswillen und das zugehörige Erklärungsbewusstsein verleihen könnten.

(cc) Das von der Beklagten als Nachweis ihrer fehlenden groben Fahrlässigkeit behauptete Einverständnis des damaligen Nutzers des heutigen Grundstücks der Kläger, Herrn A..., könnte sie nicht entlasten, da dessen Zustimmung mangels dinglicher Verfügungsbefugnis ohnehin unbeachtlich wäre. Auch das weitere Vorbringen der Beklagten, keiner der damaligen Nachbarn habe sich durch die Anlage gestört gefühlt, ist in diesem Zusammenhang unbeachtlich.

(dd) Bei einer Gesamtschau der festgestellten Umstände geht der Senat davon aus, dass die Beklagte bei der erheblichen Bauwichverletzung im Jahr 1989 der verkehrsübliche Sorgfalt in schwerwiegender Weise außer acht gelassen hat und damit jedenfalls grob fahrlässig handelte. Insbesondere im Hinblick auf das Fehlen einer wirksamen Einwilligung der an dem Nachbargrundstück Berechtigten (Eigentümer oder Verwalter) musste der Beklagten, die sogar hauptberuflich in leitender Funktion in der örtlichen Grundstücksverwaltung tätig war, - ungeachtet der erteilten Zustimmung zu der Baumaßnahme durch den Rat der Gemeinde - klar sein, dass sei bei der Verletzung des Bauwichs nicht das Recht auf ihrer Seite hatte.

c) Dem Beseitigungsanspruch der Kläger steht nicht entgegen, dass die Beklagte zum Zeitpunkt des "Überbaus" in den Bauwich nur Pächterin des Grundstücks und (noch) nicht Eigentümerin war. Zwischen den Parteien ist hierzu unstreitig, dass die Beklagte erst am 10.08.2001 als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen worden ist.

Zwar kann bei Baumaßnahmen des Pächters der Grundstückseigentümer nur in Anspruch genommen werden, wenn der Eigentümer dem Überbau entsprechend §§ 183-185 BGB zugestimmt hat. Unabhängig von der Zustimmung des damaligen Eigentümers, wird eine solche Zustimmung jedoch spätestens in dem Moment als erteilt gelten, in dem der frühere "Überbauer" selbst Eigentümer des Grundstücks wird. Der Beklagten ist zudem aus Gründen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) die Berufung darauf verwehrt, dass sie zum Zeitpunkt des "Überbaus" nur Pächter und damit kein grob fahrlässig handelnder Eigentümer gewesen sei.

d) Angesichts der festgestellten groben Fahrlässigkeit der Beklagten kommt es bei der analogen Anwendung des § 912 Abs. 1 BGB für die Entscheidung nicht mehr auf die Klärung der Frage an, ob die Kläger bzw. ihre Rechtsvorgänger der rechtswidrigen Verletzung der Abstandsfläche durch die Baumaßnahme der Beklagten in ausreichender Schnelligkeit widersprochen haben.

e) In zivilrechtlicher Hinsicht ist es für den Ausspruch der Beseitigung des Gebäudes ohne Bedeutung, dass in baurechtlicher Hinsicht der Teil der Baulichkeit, der bereits aus dem Jahr 1984 stammt, gemäß § 11 Abs. 3 der Verordnung über Bevölkerungsbauwerke vom 08.11.1984 (GBl. I DDR Nr. 36 S. 433) nach dem Ablauf von fünf Jahren seit der Fertigstellung materiellen Bestandsschutz genießt. Da - wie das Landgericht in anderem Zusammenhang zutreffend festgestellt hat - selbst eine Baugenehmigung nicht genügt, um eine zivilrechtliche Duldungspflicht auszulösen, kann auch eine bauordnungsrechtliche Bestandsschutzregelung keine weitergehende Legitimitätswirkung haben. Ebenso steht die im Jahr 1989 für den Erweiterungsbau erteilte Baugenehmigung nicht dem zivilrechtlichen Beseitigungsanspruch der Kläger entgegen.

2.

Die Kostenentscheidung für den Rechtsstreit erster Instanz beruht auf §§ 91a Abs. 1, 92 Abs. 1, 100 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens ergibt sich aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

Zurück