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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 07.07.2004
Aktenzeichen: 4 U 192/03
Rechtsgebiete: BGB, ZPO
Vorschriften:
BGB § 314 Abs. 1 n.F. | |
BGB § 488 Abs. 1 | |
EGBGB Art. 229 § 5 Satz 2 | |
ZPO § 156 |
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil
4 U 192/03 Brandenburgisches Oberlandesgericht
Anlage zum Protokoll vom 07.07.2004
verkündet am 07.07.2004
in dem Rechtsstreit
hat der 4. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juni 2004 durch
die Vorsitzende Richterin die Richterin den Richter
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 16. Oktober 2003 wie folgt abgeändert:
Das Versäumnisurteil vom 17. April 2003 wird aufgehoben; die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, mit Ausnahme der durch die Säumnis der Beklagten im Termin vom 17. April 2003 entstandenen Kosten, die der Beklagten zur Last fallen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
I.
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Rückzahlungsansprüche aus einem von der Beklagten am 3. April 1993 unterzeichneten Darlehensvertrag geltend. Die Beklagte wandte gegen ihre Inanspruchnahme ein, sie sei nicht passiv legitimiert, weil nicht sie, sondern ihr Ehemann die Gaststätte betrieben habe. Der Kreditvertrag sei in Anbetracht ihrer seinerzeit geringen Einkünfte sittenwidrig, ein Anspruch der Klägerin jedenfalls verwirkt.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes wird mit den folgenden Ergänzungen auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils verwiesen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO):
Die Rechtsvorgängerin der Klägerin erwirkte über die Darlehensforderung am 1. Juni 1994 einen Mahnbescheid. Gegen diesen legte die Beklagte am 20. Juni 1994 Widerspruch ein. Das Verfahren wurde auf Antrag der Klägerin vom 11. November 2002 am 9. Dezember 2002 an das Landgericht Potsdam abgegeben.
Mit Urteil vom 16. Oktober 2003 hat das Landgericht das zuvor - am 17. April 2003 - erlassene Versäumnisurteil, mit dem die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung verurteilt worden war, aufrechterhalten. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Darlehensvertrag sei wirksam mit der Beklagten zustande gekommen. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte nicht im eigenen Namen habe handeln wollen, seien nicht dargetan. Der Vertrag sei auch nicht nichtig, insbesondere sei die vom Bundesgerichtshof zur Ehegattenbürgschaft entwickelte Rechtsprechung auf einen Kreditvertrag mit dem Kreditnehmer nicht anwendbar. Der Rückzahlungsanspruch sei auch der Höhe nach begründet. Verwirkung sei nicht eingetreten. Es könne dahinstehen, ob ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden sei, jedenfalls fehle es an dem erforderlichen Zeitmoment. Die bis zum Weiterbetreiben des gerichtlichen Verfahrens vergangene Zeitspanne von 8 Jahren könne ein Vertrauen, die Forderung werde nicht mehr geltend gemacht, nicht begründen.
Gegen dieses Urteil richtet sich - nach Rücknahme einer zunächst gegen das Versäumnisurteil vom 17. April 2003 eingelegten Berufung - die Berufung der Beklagten. Sie meint, das erstinstanzliche Urteil stütze sich auf eine fehlerhafte Tatsachengrundlage, weil die Darlehensauszahlung unstreitig an ihren Ehemann erfolgt und sie deshalb nicht zur Rückzahlung verpflichtet sei. Ihr Vorbringen zu der späten Geltendmachung der vermeintlichen Zahlungsansprüche habe zudem dahin verstanden werden müssen, dass auch die Einrede der Verjährung erhoben sei. Diese werde vorsorglich nochmals ausdrücklich erhoben. Schließlich habe die Kammer die Verwirkung nicht mit der Begründung verneinen dürfen, das Zeitmoment liege nicht vor; der Anspruch sei vielmehr verwirkt.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt mit näheren Ausführungen das angefochtene Urteil und tritt insbesondere dem Verwirkungseinwand entgegen.
II.
Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
Die Beklagte kann dem Darlehensrückzahlungsanspruch der Klägerin aus den §§ 488 Abs. 1, 314 Abs. 1 BGB n.F. i.V.m. Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB und § 7 Nr. 2 des Vertrages vom 3./13. April 1993 mit Erfolg den Einwand der Verwirkung (§ 242 BGB) entgegenhalten. Die Ausführungen der Beklagten in ihrer Gegenvorstellung vom 14. Juni 2004 zum Prozeßkostenhilfebeschluß vom selben Tage bedürfen keiner Erörterung, ihnen kommt für die Beurteilung der Verwirkung keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu.
Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit nicht geltend gemacht hat und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat, und sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten auch darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde, so dass die Geltendmachung zum jetzigen Zeitpunkt als illoyal und damit gegen Treu und Glauben verstoßend erscheint (BGH WM 1985, 1271). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Zwischen der erstmaligen Inanspruchnahme der Beklagten auf Rückzahlung des Darlehens einschließlich der rückständigen Zinsen und dem Zeitpunkt, zu dem die Klägerin ihren Anspruch weiter verfolgte, liegt ein ungewöhnlich langer Zeitraum.
Nach der Kündigung des Darlehensvertrages mit der Beklagten erwirkte die Klägerin am 1. Juni 1994 einen Mahnbescheid. Das Mahnverfahren betrieb sie nach Einlegung des Widerspruchs am 20. Juni 1994 durch die Beklagte nicht weiter. Sie unternahm auch keine anderweitigen Tätigkeiten, um ihren Rückzahlungsanspruch gegenüber der Beklagten durchzusetzen. Erst fast 8 Jahre später, mit Schriftsatz vom 18. März 2002, forderte sie die Beklagte nach deren nicht bestrittenen Vorbringen in der Berufungsinstanz zur Zahlung auf.
Damit ist das für eine Verwirkung erforderliche Zeitmoment gegeben. Die Klägerin weist mit Schriftsatz vom 24. Juni 2004 zutreffend darauf hin, dass sich dies allerdings nicht mit einem Hinweis auf bisher ergangene Rechtsprechung zur Verwirkung von Darlehensansprüchen - etwa des Landgerichts Trier (NJW-RR 1993, 55) - begründen läßt. Für die Bemessung der für die Verwirkung erforderlichen Zeitspanne gibt es keine starren, nach Anspruchsarten gegliederten Grenzen; es kommt vielmehr auf die Gesamtumstände des Einzelfalls an. Zeit- und Umstandsmoment können zudem nicht voneinander unabhängig betrachtet werden, sondern stehen in einer Wechselwirkung. Die zeitlichen wie die sonstigen Umstände des Falles müssen in ihrer Gesamtheit die Beurteilung tragen, daß Treu und Glauben dem Gläubiger die Verfolgung des Anspruchs verwehren, mit dessen Geltendmachung der Schuldner nicht mehr rechnen mußte. Je länger aber der Gläubiger untätig bleibt, obwohl eine Geltendmachung seiner Rechte zu erwarten wäre, desto mehr wird der Schuldner in seinem Vertrauen schutzwürdig, der Gläubiger werde ihn nicht mehr in Anspruch nehmen (BGH ZIP 2001, 670). Umgekehrt kann der Zeitraum der Untätigkeit umso kürzer sein, je stärker der vom Berechtigten geschaffene Vertrauenstatbestand und die Schutzbedürftigkeit der Verpflichteten ist.
Hier war durch das nicht Weiterbetreiben des gerichtlichen Mahnverfahrens ein so erheblicher Vertrauenstatbestand geschaffen worden, dass sich die Beklagte nach Ablauf von nahezu 8 Jahren nach Beendigung des Mahnverfahrens darauf einstellen konnte, sie werde wegen der Rückzahlungsansprüche aus dem Darlehen nicht mehr in Anspruch genommen.
Die nicht unverzügliche Überleitung in das streitige Verfahren nach Einlegung des Widerspruchs ließ sich erkennbar weder auf rechtliche Unerfahrenheit der Klägerin zurückführen noch lagen tatsächliche Hindernisse vor, aufgrund derer die Beklagte annehmen mußte, die Klägerin werde sie deshalb lediglich vorläufig nicht in Anspruch nehmen. Die Klägerin verfügte ausweislich ihres Kündigungsschreibens vom 17. Januar 1994 über eine eigene Rechtsabteilung, die den Vorgang auch weiter bearbeitete, so dass die Beklagte erwarten konnte, dass das gesamte Verhalten der Klägerin juristisch überprüft und abgestimmt war. Auch im Hinblick auf die Höhe des Rückzahlungsbetrages von mehr als 17.000,00 € konnte die Beklagte damit rechnen, dass die Klägerin dessen gerichtliche Geltendmachung bewußt und nicht lediglich aus Nachlässigkeit nicht weiter betrieben hat. Soweit die Umwandlung der Klägerin von einer Aktiengesellschaft in eine GmbH im Jahre 1995 - auch bereits im Vorfeld - betriebsinterne Veränderungen mit sich gebracht haben mag, die den Fortgang der Rechtsverfolgung zeitweilig behinderten, handelt es sich um Umstände, die der Beklagten nicht bekannt waren.
Es kommt hinzu, dass die Klägerin bereits mit der Kündigung vom 17. Januar 1994 für den Fall der Nichtbegleichung der Darlehensschuld gerichtliche Schritte angekündigt und mit dem Hinweis auf die freihändige Verwertung des Sicherungsgutes ihre Absicht, den Rückzahlungsanspruch durchzusetzen, bekräftigt hatte. Unter diesen Umständen mußte die Beklagte die Beendigung des gerichtlichen Verfahrens und das anschließende Untätigsein der Klägerin über mehrere Jahre hinweg dahin verstehen, dass die Klägerin sich aus dem Sicherungsgut befriedigt hatte. Dass sie von der Korrespondenz und den Schwierigkeiten Kenntnis hatte, die hinsichtlich der Verwertung des sicherungsübereigneten Gaststätteninventars zwischen den beiden Brauereien entstanden waren, die die Gaststätte "Zur A." belieferten, ist nicht dargetan. Die Klägerin konnte auch erkennen, dass ein juristischer Laie wie die Beklagte aus dem Unterlassen der (weiteren) Rechtsverfolgung den Schluß ziehen würde, die Sache sei insgesamt erledigt.
Die Beklagte hat sich schließlich auch darauf eingerichtet, dass sie von der Klägerin nicht mehr in Anspruch genommen werden würde. Dieses Umstandsmoment ist zwar regelmäßig erfüllt, wenn der Verpflichtete im Hinblick auf die Nichtgeltendmachung des Rechts Vermögensdispositionen getroffen hat (BGH NJW 1984, 1684). Auch ohne solche konkreten "Vertrauensinvestitionen" kann die verspätete Geltendmachung wegen des geschaffenen Vertrauenstatbestandes als eine mit Treu und Glauben unvereinbare Härte erscheinen (vgl. BGHZ 103, 65, 71). So war es hier.
Die Beklagte nahm zwei Darlehen über insgesamt 71.000,00 DM auf, um die Gaststätte "Zur A." überhaupt betreiben zu können; über Vermögensgegenstände in nennenswerter Höhe verfügte die Beklagte nicht, insbesondere war sie nicht Eigentümerin des Gaststättengebäudes, sondern hatte die Gaststätte angemietet. Es ist daher davon auszugehen, dass sie ihre Lebensführung ihren Einkünften und auch ihren Darlehensverpflichtungen angepasst und Geldmittel hierfür zurückgelegt hätte, wenn sie mit ihrer Inanspruchnahme gerechnet hätte.
Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 ZPO, wie von der Klägerin angeregt, ist nicht veranlasst. Die mündliche Verhandlung ist ohne Verfahrensfehler geschlossen worden. Der Senat hat weder das Vorbringen der Beklagten aus dessen Gegenvorstellung vom 14. Juni 2004 zu Lasten der Klägerin verwertet - der Vortrag eines vermeintlichen Gespräches mit Frau Ar. im Jahre 2001 ist im übrigen nicht zulassungsfähig -, noch wurden der Klägerin durch die Anberaumung des Verkündungstermins Rechte in unzulässiger Weise beschnitten. Der Senat hat einzig aufgrund besserer Erkenntnis seine vorläufige Rechtsauffassung aus dem Prozeßkostenhilfebeschluß vom 14. Juni 2004, bei gleichbleibender Tatsachengrundlage, geändert. Die Klägerin hatte in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2004 bis zum Verkündungstermin vom 7. Juli 2004 hinreichend Gelegenheit, ihren Rechtsstandpunkt darzustellen und weiter auszuführen - wovon sie mit den Schriftsätzen vom 23. und 24. Juni 2004 auch Gebrauch gemacht hat.
Aus diesem Grund kommt auch die von der Klägerin angeregte Verlegung des Verkündungstermins nicht in Betracht. Die Klägerin ist durch die Änderung der im Beschluß vom 14. Juni 2004 geäußerten Rechtsauffassung nicht schlechter gestellt, als wenn sie im Verhandlungstermin erstmalig die vorläufige Rechtsansicht des Senats mitgeteilt bekommen hätte.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1, 344 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO n.F.) und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO n.F.). Der erhobene Verwirkungseinwand warf keine grundsätzlichen Rechtsfragen auf; zu prüfen hatte der Senat ausschließlich, ob die gegebenen konkreten Umstände zur Verwirkung des Rechts der Klägerin geführt haben oder nicht.
Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird gemäß den §§ 12, 14 GKG auf 17.037,73 € festgesetzt.
Ende der Entscheidung
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