Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 04.08.2004
Aktenzeichen: 5 U 78/03
Rechtsgebiete: BGB, VermG, VerteidigungsG-DDR, GVG


Vorschriften:

BGB § 138
BGB § 138 Abs. 1
BGB § 894
BGB § 985
VermG § 1
VermG § 1 Abs. 1 lit. c)
VermG § 1 Abs. 3
VerteidigungsG-DDR § 10
VerteidigungsG-DDR § 10 Abs. 1
GVG § 17 a Abs. 2
GVG § 17 a Abs. 3
GVG § 17 a Abs. 4 S. 4
GVG § 17 a Abs. 4 S. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

5 U 78/03 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... am 4. August 2004

beschlossen:

Tenor:

Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist zulässig.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin macht einen Anspruch auf Grundbuchberichtigung nach § 894 BGB geltend mit der Begründung, der Kaufvertrag des staatlichen Verwalters vom 27. Juni 1962 mit dem Rat der Gemeinde ... über das im ehemaligen sog. "Todesstreifen" gelegene Grundstück Flur 15, Flurstück 14/1, eingetragen im Grundbuch von ... Blatt 146, sei sittenwidrig und damit nichtig.

Das Landgericht hat die Klage bereits als unzulässig abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin mache zwar formal einen Grundbuchberichtigungsanspruch geltend, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (Urteil des Senats vom 14. Februar 2002, Az. 5 U 107/01) könne jedoch nicht stets dann ein Grundbuchberichtigungsanspruch geltend gemacht werden, wenn zivilrechtliche Mängel im Raume stünden. Ein vermögensrechtlicher Restitutionsanspruch nach § 1 Abs. 1 lit. c) VermG oder § 1 Abs. 3 VermG schließe zivilrechtliche Ansprüche vielmehr dann aus, wenn das Erwerbsgeschäft zwar unter einem Mangel leide, der bei zivilrechtlicher Betrachtung jedoch in einem engen inneren Zusammenhang mit dem vom Vermögensgesetz tatbestandlich erfassten staatlichen Unrecht stehe. In einem solchen Fall werde ein möglicher zivilrechtlicher Grundbuchberichtigungsanspruch durch das Vermögensgesetz verdrängt. Auch wenn die Klägerin ein im Verwaltungsrechtsstreit nur am Rande erörtertes, dort nicht wesentliches Argument aufgreife und die grundsätzliche Sittenwidrigkeit der Sperranlagen zur Begründung des zivilrechtlichen Berichtigungsanpruches heranziehe, so liege doch der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit in einem Sachverhalt, der grundsätzlich dem Vermögensgesetz unterfalle. Diese Einschätzung ändere sich auch nicht dadurch, dass das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung bei einer Enteignung oder einem der drohenden Enteignung zuvorkommenden Verkauf nach § 10 VerteidigungsG-DDR in der Sache eine unlautere Machenschaft nach § 1 Abs. 3 VermG verneine, weil die Inanspruchnahme der sog. Mauergrundstücke für die Errichtung von Grenzanlagen jedenfalls nach dem damals geltenden DDR-Recht erfolgt sei. Die dieser Rechtsprechung zugrundeliegende Wertung vermöge nämlich nichts daran zu ändern, dass dieser Problemkreis aufgrund untrennbarer Verknüpfung mit dem Vermögensgesetz nach dem Willen des Gesetzgebers den Verwaltungsgerichten zur Prüfung zugewiesen worden sei. Eine Verweisung des Rechtsstreits komme nicht in Betracht, weil ein solcher bereits bei den Verwaltungsgerichten anhängig sei.

Gegen das ihr am 16. Juni 2003 zugestellte Urteil des Landgerichts Potsdam hat die Klägerin mit am 26. Juni 2003 bei dem Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 1. August 2003 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Sie vertritt weiterhin die Ansicht, der Rechtsweg zu den Zivilgerichten sei eröffnet, weil sie sich auf einen zivilrechtlichen Mangel berufe, der in keinem inneren Zusammenhang mit dem vom Vermögensgesetz geregelten staatlichen Unrecht stehe. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Beschluss vom 3. August 1999 (ZOV 1999, 343) eindeutig den Weg zu den Zivilgerichten als einschlägig bezeichnet. Die Sittenwidrigkeit des Kaufvertrages stelle neben dem rechtsmissbräuchlichen Handeln des staatlichen Verwalters einen zivilrechtlich selbständigen Mangel dar.

Die Beklagte ist weiterhin der Auffassung, zivilrechtliche Ansprüche seien durch die vorrangigen Regelungen des Vermögensgesetzes ausgeschlossen und der ordentliche Rechtsweg sei demgemäß nicht eröffnet.

II.

1. Aus den Gründen des Beschlusses vom 13. Mai 2004, auf den insoweit Bezug genommen wird, war über die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den Zivilgerichten vorab durch Beschluss gemäß § 17 a Abs. 2, 3 GVG zu entscheiden.

2. Der Rechtsweg zu den Zivilgerichten ist für den mit der Klage verfolgten Anspruch eröffnet.

Die Klägerin macht der Form nach einen rein zivilrechtlichen Anspruch, nämlich einen auf § 894 BGB gestützten Anspruch auf Grundbuchberichtigung geltend, über den grundsätzlich die Zivilgerichte zu entscheiden haben (§ 13 GVG).

Bedenken hinsichtlich des eingeschlagenen Rechtsweges können sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes allein aus Überschneidungen mit dem Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes ergeben. Bereits das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung der Vorrang des Vermögensgesetzes, der zur Wahrung eines sozialverträglichen Ausgleichs und zum Schutz des redlichen Erwerbs zu respektieren ist, dort seine Grenzen findet, wo der fehlerhafte Erwerb auch im System des funktionierenden Sozialismus keinen Bestand gehabt hätte (zuletzt BGH, Urteil vom 25. Juli 2003 - V ZR 362/02, S. 8 des Urteilsumdrucks; BGH VIZ 2000, 494, 495). Dieser besondere Schutz findet dort seine Grenzen, wo der fehlerhafte Erwerb auch im System des funktionierenden Sozialismus keinen Bestand gehabt hätte. In solchen Fällen ist der Erwerb mit dem allgemeinen Verkehrsrisiko belastet, das derjenige, der seinen Erwerb auf eine Unrechtshandlung zurückführt, mit jedem anderen teilt, der am Rechtsverkehr in der DDR teilgenommen hatte (BGHZ 120, 204; BGH VIZ 2000, 494, 495). Zivilrechtlich unbeachtlich bleiben damit nur Mängel, die wegen ihres Zusammenhangs mit dem staatlichen Unrecht und weil sie typischerweise hierbei aufgetreten sind, den Bestand des Erwerbs nicht gefährdet hätten (BGH VIZ 2000, a.a.O). Umgekehrt schließt ein vermögensrechtlicher Anspruch nach § 1 VermG zivilrechtliche Ansprüche dann aus, wenn das Erwerbsgeschäft unter einem Mangel leidet, der zwar bei zivilrechtlicher Betrachtung zur Unwirksamkeit des Erwerbs geführt hätte, der jedoch bei wertender Betrachtung in einem engen inneren Zusammenhang mit dem vom Vermögensgesetz tatbestandlich erfassten staatlichen Unrecht steht (BGH VIZ 1995, 590; BGHZ 120, 204).

3. Von diesem rechtlichen Ausgangspunkt aus ist auch das Landgericht - zutreffend - ausgegangen, hat jedoch im Sinne der Rechtsprechung des Bundegerichtshofs einen engeren inneren Zusammenhang mit dem vom Vermögensgesetz tatbestandlich erfassten staatlichen Unrecht bejaht und - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - die Klage als unzulässig abgewiesen.

a) Wegen des streitgegenständlichen Grundstückes hat die Klägerin bereits mit Schriftsatz vom 5. April 2001 Klage zum Verwaltungsgericht Potsdam erhoben mit dem Ziel, die Rückübertragung des Grundstückes zu erreichen. In der Klageschrift macht die Klägerin ausdrücklich geltend, der Kaufvertrag vom 27. Juni 1962 erfülle sowohl den Tatbestand des § 1 Abs. 1 lit. c) VermG als auch den Tatbestand des § 1 Abs. 3 VermG. Sie stützt den Anspruch in diesem Zusammenhang im Wesentlichen auf zwei Sachverhalte: Zum einen soll der 1962 vereinbarte Kaufpreis hinsichtlich der Zinsen hinter der nach dem AufbauG vom 6. September 1950 (GBl. I S.965) und dem EntschädigungsG zum AufbauG vom 25. April 1960 (GBl. I S. 257) im Falle einer Enteignung zu gewährenden Entschädigung zurückgeblieben sein; zum anderen soll der staatliche Verwalter veranlasst haben, dass der Kaufpreis auf sein eigenes Konto eingezahlt wird.

b) Demgegenüber stützt die Klägerin die vorliegende Klage allein darauf, dass der Kaufvertrag vom 27. Juni 1962 unabhängig von den konkreten Handlungen des staatlichen Verwalters nach § 138 BGB sittenwidrig und damit nichtig gewesen ist. Die Grenzanlagen hätten nicht der Grenzsicherung im Sinne des VerteidigungsG gedient, sondern allein dem Zweck, die Bevölkerung am Verlassen der DDR zu hindern. Die Anlegung des Todesstreifens habe auch nach den in der DDR geltenden anerkannten moralischen Anschauungen nicht im Sinne des Gemeinwohls der DDR gestanden und habe nicht dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden entsprochen.

c) Das Bundesverwaltungsgericht vertritt nun zwar in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, Enteignungen nach dem VerteidigungsG und rechtsgeschäftliche Übertragungen zur Vermeidung solcher Enteignungen erfüllten insbesondere nicht den Tatbestand der unlauteren Machenschaften nach § 1 Abs. 3 VermG. Diese Vorschrift betreffe nur Vorgänge, bei denen im Einzelfall in manipulativer, sittlich anstößiger Weise auf bestimmte Vermögenswerte zugegriffen worden sei. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen sei von den in der DDR geltenden Rechtsvorschriften und den sie tragenden ideologischen Grundvorstellungen auszugehen. Da § 10 Abs. 1 VerteidigungsG nach der Auslegung, die die Vorschrift in der Rechtspraxis der DDR erfahren habe, die Enteignung der sogenannten Mauergrundstücke zugelassen habe, sei auch die Veräußerung eines solchen Grundstücks im Vorfeld der Enteignung von der Rechtsordnung der DDR gedeckt gewesen (BverwG VIZ 1997, 684 f.; VIZ 1995, 161; ZOV 2002, 55).

d) Damit sind aber mit der Geltendmachung unlauterer Machenschaften im Sinne des VermG und der generellen Sittenwidrigkeit von Übertragungen sogenannter Mauergrundstücke unterschiedliche Rechtsfragen angesprochen. Das Bundesverwaltungsgericht verneint grundsätzlich die Anwendbarkeit des VermG auf Enteignungen nach dem VerteidigungsG, sofern nicht im Einzelfall unlautere Machenschaften hinzukommen. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob Übertragungen von Grundstücken, die der Errichtung der Mauer dienen sollten, grundsätzlich wegen eines Verstoßes gegen § 138 Abs. 1 BGB nichtig sind. Die Klägerin beruft sich im vorliegenden Verfahren darauf, der Erwerb der Mauergrundstücke sei auch nach den im Rahmen des funktionierenden Sozialismus geltenden Maßstäben generell, also unabhängig von unlauteren Machenschaften im konkreten Einzelfall, fehlerhaft gewesen und habe danach keinen Bestand besessen. Damit ist aber ein Sachverhalt angesprochen, der von den Regelungen des Vermögensgesetzes nicht erfasst wird und für den der Rechtsweg zu den Zivilgerichten eröffnet ist.

Dieses Ergebnis entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hat sich in seinem Beschluss vom 3. August 1999 (ZOV 1999, 343) in einem obiter dictum mit dieser Frage auseinandergesetzt. Im Zusammenhang mit der Frage, ob das MauerG gegen Art. 14 GG verstoße, hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, eine solche Verletzung sei im vorliegenden Verfahren nicht gerügt. Wenn eine solche Rüge erfolgt wäre, so stünde dem jedoch die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen, weil der Rechtsweg nicht ausgeschöpft sei. Es sei die Sache der "allgemeinen Gerichte", die Frage zu beantworten, ob Enteignungen nach dem VerteidigungsG wirksam waren und die betroffenen Eigentümer ihr Eigentum verloren haben.

Zwar wird man - entgegen der Auffassung der Klägerin - den Verweis auf die "allgemeinen Gerichte" nicht ohne weiteres mit der ordentlichen Gerichtsbarkeit gleichsetzen können. Allerdings verweist das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf eine Vorklärung im Rahmen einer Klage der früheren Eigentümer oder ihrer Rechtsnachfolger auf Grundbuchberichtigung nach § 894 BGB oder auf Herausgabe nach § 985 BGB. In diesem Rahmen solle dann auch geprüft werden, ob gegebenenfalls die Nichtigkeit der seinerzeitigen Enteignungen dem Übergang der Grundstücke in Bundeseigentum entgegenstehe und welche Auswirkungen sich daraus auf die Anwendbarkeit des MauergrundstücksG ergeben könnten. Damit ist aber der Weg zu den ordentlichen Gerichten im Ergebnis vorgezeichnet.

4. Der Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Zivilgerichten im vorliegenden Fall steht die Entscheidung des Senats vom 14. Februar 2002 - Az. 5 U 107/01 - nicht entgegen. In der genannten Entscheidung hat der Senat den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten in einem Fall für unzulässig erklärt, in dem ebenfalls die Wirksamkeit eines Übertragungsvertrages über Mauergrundstücke in Frage stand. Allerdings hatte sich die Klägerin in diesem Verfahren allein darauf berufen, die Kaufverträge seien schon deswegen unwirksam, weil keine Kaufvertragsverhandlungen stattgefunden hätten, die entsprechenden Urkunden seien "getürkt". Damit hat sie sich aber dem Schwerpunkt nach eindeutig auf unlautere Machenschaften bezogen, für die die Regelungen des Vermögensgesetzes einschlägig sind. Davon unterscheidet sich die vorliegende Fallkonstellation, bei der zumindest auch ein typisch zivilrechtlicher Mangel geltend gemacht wird.

5. Der Senat misst der Frage, ob für die Geltendmachung der Sittenwidrigkeit der Übertragung sogenannter Mauergrundstücke der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist und der Vorrang des Vermögensgesetzes insoweit nicht eingreift, grundsätzliche Bedeutung zu. Danach war nach § 17 a Abs. 4 S. 4 und 5 GVG die Beschwerde zum Bundesgerichtshof zuzulassen.

Ende der Entscheidung

Zurück