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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 29.09.2009
Aktenzeichen: 6 W 105/08
Rechtsgebiete: RVG, ZPO


Vorschriften:

RVG § 15
RVG § 15 Abs. 2
RVG § 16 ff.
RVG § 16 Abs. 4
RVG § 16 Nr. 4
RVG § 33 Abs. 8 S. 2
RVG § 44
ZPO § 623 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die weitere Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 16. Mai 2008 (7 T 174/07) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Auf die sofortige Beschwerde des Bezirksrevisors wird der Beschluss des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 27. September 2007 (53 UR II 805/07) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Auf die Erinnerung der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 6. Juni 2007 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die der Antragstellerin aus der Staatskasse zu zahlende Beratungshilfevergütung wird über die bereits festgesetzte Vergütung hinaus auf weitere 35,70 € festgesetzt.

Im Übrigen werden die Vergütungsfestsetzungsanträge der Antragstellerin zurückgewiesen.

Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.

Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.

Im Übrigen wird die weitere Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Herr H... W... beauftragte die Antragstellerin am 2.4.2007 mit der Beratung wegen Ansprüchen aus Gesamtschuldnerschaft, Trennungsunterhalts und der Aufhebung des Miteigentums an einer Immobilie. Die Antragstellerin beriet Herrn H... W... auf Grund dessen am 2.4.2007.

Unter dem Datum 2.4.2007 reichte die Antragstellerin drei Kostenrechnungen für Herrn H... W... bei dem Amtsgericht Brandenburg an der Havel ein und zwar betreffend Ansprüche aus Gesamtschuldnerschaft, Ehegattenunterhalt/Nutzungsentschädigung und Aufhebung Miteigentum Immobilie. Die Antragstellerin beantragte jeweils, eine Gebühr gemäß Nr. 2501 VV RVG in Höhe von 30,00 € zuzüglich der Umsatzsteuer, mithin insgesamt einen Betrag von jeweils 35,70 € festzusetzen.

Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle setzte die Vergütung der Antragstellerin für die Beratung des Herrn H... W... in der Angelegenheit "Regelungen während des Getrenntlebens" auf insgesamt 35,70 € fest und wies die Anträge im Übrigen zurück. Die Rechtspflegerin ging dabei davon aus, dass die Antragstellerin Herrn H... W... in nur einer Angelegenheit im Sinne der §§ 15 II, 16 Nr. 4, 44 RVG beraten habe. Der Antragstellerin stehe deshalb die Gebühr gemäß Nr. 2501 VV RVG insgesamt nur einmal zu. Für die Vergütung der Antragstellerin im Rahmen der Beratungshilfe sei auf die Definition der Angelegenheit im Sinne der §§ 16 ff. RVG abzustellen.

Die Antragstellerin legte gegen diese Entscheidung Erinnerung ein, mit der sie die Festsetzung der Vergütung entsprechend ihren drei Anträgen erreichen wollte. Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts half der Erinnerung durch Beschluss vom 29.8.2007 nicht ab und legte sie zur Entscheidung dem Abteilungsrichter des Amtsgerichts vor.

Der Abteilungsrichter des Amtsgerichts änderte durch Beschluss vom 27.9.2007 den Beschluss der Rechtpflegerin des Amtsgerichts vom 29.8.2007 ab und setzte die der Antragstellerin aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf insgesamt 107,10 € fest. Zur Begründung führte er aus: Die Antragstellerin habe Herrn H... W... nicht in derselben Angelegenheit beraten, sondern in drei verschiedenen Angelegenheiten. Für die Bestimmung der Angelegenheit der Beratungshilfe sei nicht auf § 16 Nr. 4 RVG abzustellen. Der Abteilungsrichter ließ gegen seine Entscheidung die sofortige Beschwerde zu.

Gegen diese ihm formlos am 29.10.2007 übersandte Entscheidung legte der Bezirksrevisor am 12.11.2007 bei dem Landgericht Potsdam sofortige Beschwerde ein.

Der Abteilungsrichter des Amtsgerichts half durch Beschluss vom 21.11.2007 der sofortigen Beschwerde nicht ab und legte die Sache dem Landgericht zur Entscheidung vor.

Die Einzelrichterin des Landgerichts übertrug durch Beschluss vom 16.5.2008 das Verfahren der Kammer des Beschwerdegerichts wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache gemäß § 33 VIII 2 RVG.

Die Zivilkammer des Landgerichts änderte durch Beschluss vom 16.5.2008 auf die sofortige Beschwerde des Bezirksrevisors des Landgerichts den Beschluss des Amtsgerichts vom 27.9.2007 dahin ab, dass die Erinnerung der Antragstellerin vom 27.8.2007 gegen den Beschluss vom 6.6.2007 zurückgewiesen wurde. Zur Begründung führte das Landgericht aus, es könne dahinstehen, ob die Angelegenheit im Sinne der Beratungshilfe in familienrechtlichen Angelegenheiten unter Anwendung von § 16 Nr. 4 RVG zu bestimmen sei. Auch ohne Rückgriff auf diese Bestimmung seien die Scheidung und die dazugehörigen Folgesachen als dieselbe Angelegenheit im Sinne von § 15 RVG anzusehen. Die dafür maßgeblichen Kriterien des gleichzeitigen Auftrages, des gleichartigen Verfahrens (gleichen Rahmens) und des inneren Zusammenhanges der Beratungsgegenstände seien erfüllt. Diese Auslegung genüge verfassungsrechtlichen Vorgaben. Das Landgericht ließ die weitere Beschwerde gegen seine Entscheidung zu.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit der weiteren Beschwerde. Sie ist unverändert der Auffassung, sie habe Herrn H... W... in drei verschiedenen Angelegenheiten beraten und deshalb die vom Landgericht bestimmte Vergütung nicht nur einmal, sondern dreimal verdient.

Das Landgericht hat der weiteren Beschwerde durch Beschluss vom 10.6.2008 nicht abgeholfen und sie dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die zulässige weitere Beschwerde ist teilweise begründet, im Übrigen unbegründet. Die Antragstellerin hat die Vergütung für die Beratung von Herrn H... W... nicht in einer, sondern in zwei Angelegenheiten verdient. Die Antragstellerin hat die Vergütung jedoch nicht für die Beratung in drei Angelegenheiten verdient.

1. Mit dem Landgericht kann es der Senat dahingestellt sein lassen, ob § 16 Nr. 4 RVG bei der Bestimmung der Angelegenheit im Sinne des Beratungshilfegesetzes anzuwenden ist oder nicht. In beiden Fällen hat die Antragstellerin die Vergütung für die Beratungshilfe in zwei Angelegenheiten verdient.

a) Die Scheidung und die dazugehörigen Folgesachen wie Gütersachen sind ohne Rückgriff auf § 16 Nr. 4 RVG bereits im Sinne von § 15 RVG als dieselbe Angelegenheit sowie der Ehegattentrennungsunterhalt und vermögensrechtliche Regelungen während des Getrenntlebens als davon verschiedene Angelegenheit anzusehen.

aa) Der Senat folgt dem Landgericht darin, dass der gebührenrechtliche Begriff der "Angelegenheit" im Sinne der §§ 15 ff. RVG auch für die Bestimmung des Begriffs der "Angelegenheit" im Sinne des Beratungshilfegesetzes als Grundlage für die Festsetzung der Vergütung des Beratungshilfe leistenden Rechtsanwaltes maßgebend ist (so auch OLG München, MDR 1988, 330 zur vergleichbaren Rechtslage nach der BRAGO). Gemäß § 44 RVG erhält der Rechtsanwalt für die Tätigkeit im Rahmen der Beratungshilfe eine Vergütung nach dem RVG. Das bezieht sich nicht nur auf die in der Anlage zum RVG geregelten Festgebühren, sondern auch auf den gebührenrechtlichen Begriff der Angelegenheit i.S.d. RVG, der für die Höhe der Vergütung des Beratungshilfe leistenden Rechtsanwaltes maßgeblich ist.

bb) Aus den überzeugenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, auf die der Senat verweist, leistete die Antragstellerin unabhängig von § 16 Nr. 4 RVG wegen der mit der Scheidung zusammenhängenden eventuellen Ansprüche aus Güterrecht bzw. zu Fragen der Aufhebung der ehelichen Gütergemeinschaft und des Gesamtschuldnerausgleichs in derselben Angelegenheit Beratungshilfe, nämlich bereits im Sinne des § 15 RVG. Denn Herr H... W... ließ sich aus Anlass des Entschlusses zur Ehescheidung über notwendig zu regelnde rechtliche Folgen der Umsetzung dieses einen Entschlusses beraten, nämlich wegen der Aufhebung der ehelichen Gütergemeinschaft und eines eventuellen Gesamtschuldnerausgleichs.

Die Regelung von Trennungsunterhaltsansprüchen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten während des Getrenntlebens bei noch bestehender Ehe wird davon jedoch nicht erfasst. Denn das Getrenntleben der Ehegatten und die beabsichtigte Ehescheidung stellen zwei unterschiedliche Lebenssachverhalte dar. Die Trennung haben die Eheleute bereits vollzogen. Der Trennung von Eheleuten mag deren Scheidung zwar im Allgemeinen folgen, jedoch ist dies nicht zwangsläufig so. Vielmehr muss sich mindestens einer der Eheleute zur Ehescheidung entschließen. Dieser Entschluss kann unabhängig von einer bereits vollzogenen Trennung der Eheleute gefasst werden.

b) Selbst wenn man § 16 Nr. 4 RVG für die Bestimmung der Angelegenheit einer Beratung nach dem Beratungshilfegesetz heranzieht, gelangt man hier ebenfalls zu zwei verschiedenen Angelegenheiten, in denen die Antragstellerin beraten hat.

Das OLG Stuttgart hat in seinem Beschluss vom 4.10.2006, 8 W 360/06 (Rn. 19, - zitiert nach juris) folgendes ausgeführt:

"Nach § 16 Nr. 4 RVG sind dieselbe Angelegenheit eine Scheidungssache und die Folgesachen (§ 621 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, § 623 Abs. 1 bis 3, Abs. 5 ZPO). Von dieser Begriffsbestimmung ausgehend kann hierunter die Regelung des Zeitraums der Trennung vor der Ehescheidung nicht fallen. Die Trennungszeit wird nicht von der Scheidungssache umfasst und ihre Regelung gehört nicht zu den Folgesachen, in denen eine Entscheidung für den Fall der Scheidung zu treffen ist. Als Folgesachen kommen in Betracht: Ehegattenunterhalt (nicht Trennungsunterhalt), Versorgungsausgleich, Ehewohnung und Hausrat, Güterrecht, Kindesunterhalt, elterliche Sorge, Umgangsrecht. Aus dem Wort "Folgesachen" und aus der Formulierung in § 623 Abs. 1 ZPO: "soweit eine Entscheidung für den Fall der Scheidung zu treffen ist", ergibt sich, dass damit nur Scheidungsfolgen gemeint sind, für die auch das Verbundverfahren vorgesehen ist. Damit zieht das Gesetz eine zeitliche Grenze: Regelungen für die Zeit vor Rechtskraft der Scheidung können nicht mit dem Scheidungsausspruch verbunden werden. So kann Unterhalt für die Zeit vor Rechtskraft der Scheidung nicht als Folgesache geltend gemacht werden. Im Verbundverfahren kann ein Ehegatte vom anderen nur Unterhalt für die Zeit ab Rechtskraft der Scheidung verlangen (§§ 1569 ff. BGB). Ebenso ist auch die Regelung der Benutzung des Hausrats und der Ehewohnung für die Dauer der Trennung keine Folgesache, weil sie die Zeit vor Rechtskraft der Scheidung betrifft (...). Wenn aber die Regelungen für die Zeit der Trennung weder unter den Begriff der "Scheidungssache" noch der "Folgesachen" i. S. des § 16 Abs. 4 RVG zu subsumieren sind, ist es auch nicht gerechtfertigt, sie als dieselbe Angelegenheit wie die Scheidungssache und deren Folgesachen anzusehen (...)."

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an. Sie treffen auch im hier zu entscheidenden Fall zu.

4. Wie das Landgericht ebenfalls bereits ausgeführt hat, genügt diese Auslegung verfassungsrechtlichen Vorgaben. Das hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (Beschluss vom 31.10.2001, 1 BvR 1720/01, NJW 2002, 429).

5. Die Antragstellerin hat danach Herrn H... W... in zwei verschiedenen Angelegenheiten, nämlich in der Angelegenheit "Ehescheidung und Folgesachen" sowie in der Angelegenheit "Ehegattentrennungsunterhalt" beraten. Dementsprechend hat die Antragstellerin die Vergütung für zwei Beratungen verdient. Einen weitergehenden Vergütungsanspruch hat das Landgericht zu Recht verneint.

Einer Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bedarf es nicht. Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 56 II RVG).

Ende der Entscheidung

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