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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 20.06.2007
Aktenzeichen: 7 U 223/04
Rechtsgebiete: BGB, VVG, HGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 566
VVG § 69
VVG § 151 Abs. 2
HGB § 899
ZPO § 543 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

7 U 223/04 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 20.06.2007

Verkündet am 20.06.2007

In dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 23. Mai 2007 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Boiczenko, den Richter am Oberlandesgericht Fischer und die Richterin am Oberlandesgericht Gieseke

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 19. November 2004 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt/Oder abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt. an den Kläger 39.369,75 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. März 2003 zu zahlen.

Die Kosten des ersten Rechtszuges werden dem Kläger zu 17 % und der Beklagten zu 83 % auferlegt. Die Kosten des Berufungsrechtszuges hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn die vollstreckende Partei nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe:

I.

Der am ....1974 geborene Kläger schloss mit der Beklagten eine Unfallversicherung mit Versicherungsbeginn zum 25.12.1998. Dem Vertragsverhältnis lagen die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 88) zugrunde.

Der Kläger trug am 06.06.2001 in der ...straße 152 in B... einen etwa 50 kg schweren Sack mit Bauschutt eine Treppe hinunter; dabei verlor er seinen Halt und stürzte.

Am 25.02.2003 unterzeichneten der Kläger und Frau M... Sch... einen an die Beklagte gerichteten Änderungsantrag (Bl. 35 d.A.). Der Änderungsantrag ging am 04.03.2003 bei der Beklagten ein. Mit Schreiben vom 06.03.2003 (Bl. 143 d.A.) verwies die Beklagte den Kläger auf den Klageweg.

Der Kläger hat behauptet, er habe infolge des Sturzes am 06.06.2001 einen cervikalen Bandscheibenvorfall erlitten; er sei dauerhaft nicht mehr in der Lage, in seinem erlernten Beruf als Tischler und in seinem zuletzt ausgeübten Beruf als Trockenbauer zu arbeiten; der Grad seiner unfallbedingten Behinderung betrage 30 %.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 47.308,80 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 06.03.2003 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei nicht sachbefugt: infolge der am 25.02.2003 beantragten Änderung des Versicherungsnehmers seien sämtliche Rechte und Pflichten, darunter auch die streitbefangene Forderung auf die neue Versicherungsnehmerin übergegangen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 30.11.2004 zugestellte Urteil am 21.12.2004 Berufung eingelegt. Seine Berufung hat er nach entsprechender Fristverlängerung am 14.03.2005 begründet.

Beide Parteien wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Der Kläger beantragt,

unter - teilweiser - Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an ihn 39.369,75 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 06.03.2003 zu zahlen. Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Akteninhalt ergänzend Bezug genommen. Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens; der Sachverständige Dr. H... hat sein schriftliches Gutachten vor dem Senat mündlich erläutert.

II.

Die Berufung ist zulässig. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

1.

Entgegen den Ausführungen des Landgerichts ist der Kläger sachbefugt.

Der Kläger war zunächst selbst der Versicherungsnehmer. Als solcher ist er noch in dem Versicherungsschein vom 26.11.2001 (Bl. 6 d.A.) bezeichnet, der nach dem hier interessierenden Unfall vom 06.06.2001 ausgefertigt wurde.

An der Eintrittspflicht der Beklagten dem Kläger gegenüber hat sich grundsätzlich nichts dadurch geändert, dass der Kläger und M... Sch... den Antrag auf Änderung des Versicherungsnehmers vom 25.02.2003 (Bl. 35 d.A.) unterzeichnet haben und die Beklagte daraufhin den Versicherungsschein vom 18.03.2003 (Bl. 37 d.A.) ausgestellt hat.

Zwar hat nach dem Wortlaut des Antrages der Kläger "alle Rechte und Pflichten aus der Versicherung" auf M... Sch... übertragen. Daraus kann indessen nicht abgeleitet werden, dass bereits entstandene Ansprüche bzw. Forderungen auf die neue Versicherungsnehmerin übergehen sollten.

Die Formulierung, "alle Rechte und Pflichten aus der Versicherung" sollen übertragen werden, ist richtiger Ansicht nach dahin zu verstehen, dass erst von dem Zeitpunkt der Änderung des Versicherungsvertrages an, die dazu geführt hat, dass M... Sch... anstelle des Klägers Versicherungsnehmerin geworden ist und die Versicherung in eine solche auf fremde Rechnung (§ 74 VVG) geändert wurde, alle Rechte und Pflichten auf die neue Versicherungsnehmerin übergehen sollten. Für dieses Verständnis spricht der Umstand, dass die bisherigen Beiträge von dem Kläger als dem bisherigen Versicherungsnehmer geschuldet und geleistet worden sind; dementsprechend gebühren ihm auch die aus dem Versicherungsvertragsverhältnis erwachsenen Ansprüche und Rechte. Folglich sollten - erst von der Änderung des Versicherungsverhältnisses an - alle Rechte und Pflichten auf den neuen Versicherungsnehmer übergehen. Es ist kein Grund ersichtlich, dass bereits entstandene Ansprüche auf den neuen Versicherungsnehmer übergehen sollten.

Die Parteien haben auf vertraglicher Grundlage - und zwar nur für die Zukunft - die Person des Versicherungsnehmers geändert. Dies entspricht auch der Interessenlage. Bei Dauerschuldverhältnissen wird in der Regel nur der Übergang derjenigen Leistungsansprüche gewollt sein, die nach dem Übernahmezeitpunkt neu entstehen (so Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Band I., Allgemeiner Teil, 14. Aufl., (1987), § 35 III, Seite 618). Auch in den Fällen des gesetzlichen Überganges eines Schuldverhältnisses ist dies nicht anders geregelt, soweit eine Vertragsübernahme bei Veräußerungen vorgeschrieben ist, nämlich in § 566 BGB (§ 571 a.F.) für den Miet- und Pachtvertrag, in § 69 VVG für die gesamte Schadensversicherung, in § 151 Abs. 2 VVG für die Haftpflicht aus Geschäftsbetrieb sowie in § 899 HGB für die Seeversicherung (Schadensversicherung).

Nicht zuletzt ist es der Beklagten auch unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich dem Kläger gegenüber auf fehlende Sachbefugnis zu berufen. Die Beklagte hat den Kläger mit Schreiben vom 06.03.2003 (Bl. 143 d.A.) auf den Klageweg verwiesen. Am 04.03.2003 war bei der Beklagten bereits der Änderungsantrag vom 25.02.2003 (Bl. 35 d.A.) eingegangen. Die Beklagte hat also in Kenntnis der beabsichtigten und später am 18.03.2003 auch verwirklichten Vertragsänderung den Kläger als denjenigen, der sich eines Forderungsrechtes aus der Unfallversicherung berühmt hat, auf den Klageweg verwiesen. Damit hat die Beklagte die Sachbefugnis des Klägers als solche anerkannt. Hieran ist sie gebunden.

Nach allem ist kein Grund ersichtlich, dass sich der Kläger seiner Ansprüche aus dem Versicherungsverhältnis begeben sollte und wollte.

2.

Dem Kläger steht aus der mit der Beklagten geschlossenen Unfallversicherung ein Anspruch auf die Versicherungsleistung in der nunmehr geltend gemachten Höhe von 39.369,75 € (Bl. 239/259 d.A.) zu.

a)

Voraussetzung für die von dem Kläger geltend gemachte Zahlung von Invaliditätsleistungen ist, dass der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper einwirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsbeschädigung erlitten hat (§ 1 Abs. 3 AUB 88 - Bl. 38 d.A.). Das ist hier der Fall.

Der Senat ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt (§ 286 ZPO), dass der Kläger bei dem Vorfall vom 06.06.2001 einen Unfall erlitten hat, der zu einem cervikalen Bandscheibenvorfall (Bandscheibenprolaps mit Zerreißung des Anulus fibrosus - Bl.357 d.A.) geführt hat. Der vom Senat beauftragte Sachverständige Dr. H... hat das Wegrutschen des Klägers auf der Treppe und den darauf folgenden Sturz als ein Unfallereignis qualifiziert (Seite 8 des Gutachtens vom 09.06.2006 - Bl. 356 d.A.).

Der Sachverständige Dr. H... konnte die Beurteilung des Unfallhergangs allerdings nur eingeschränkt vornehmen. Dies hat er sowohl in seinem schriftlichen Gutachten auf Seite 6 (Bl. 354 d.A.) wie auch bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 23.05.2007 vor dem Senat beschrieben (Bl. 464 d.A.). Aus den Ausführungen des Sachverständigen ergibt sich jedoch zur Überzeugung des Senats, dass der Kläger bei dem Vorfall vom 06.06.2001, bei dem er beim Heruntertragen von Bauschutt auf einer Treppe gestürzt ist, so mit dem Halsbereich aufschlug, dass er infolge des Sturzes den - später bei der MRT-Untersuchung vom 10.01.2002 festgestellten - Bandscheibenprolaps im Bereich des Zwischenwirbelraumes HWK 5/6 (Bl. 8/351 d.A.) erlitt. Das hat ungeachtet der Tatsachen zu gelten, dass die Beklagte die Behauptung des Klägers bestritten hat, er sei bei dem Sturz mit dem Hals aufgeschlagen.

Dies ergibt sich aus den folgenden Feststellungen des Sachverständigen:

Der Sachverständige Dr. H..., der als Chefarzt einer chirurgischen Abteilung besonders fachlich ausgewiesen ist, hat an Hand der von ihm anlässlich der Untersuchung des Klägers angefertigten Röntgenbilder vom 05.04.2006 (Hülle Bl. 359 d.A.) festgestellt, dass beim Kläger sich - noch immer - kein Hinweis auf degenerative Veränderungen findet.

Der Sachverständige Dr. H... hat im Senatstermin seine Röntgenaufnahmen nochmals in Augenschein genommen und bestätigt, dass er dort degenerative Veränderungen nicht erkennen kann (Seite 3 der Sitzungsniederschrift vom 23.05.2007 - Bl. 465 d.A.). Der am ....1974 geborene Kläger war zum Unfallzeitpunkt (06.06.2001) 26 Jahre alt, also in einem Alter, in welchem nach den Ausführungen des Sachverständigen degenerative Veränderungen der Wirbelsäule eher selten anzutreffen sind (Seite 2 der Sitzungsniederschrift vom 23.05.2007 - Bl. 464 d.A.).

Es gibt keine Anhaltspunkte für eine Vorschädigung des Klägers in dem hier fraglichen Bereich. Die ... Ersatzkasse hat mit Schreiben vom 26.01.2007 (Bl. 462 d.A.) dem Kläger bestätigt, dass nach ihren Unterlagen sowie den Mitteilungen der zuständigen Berufsgenossenschaft kein ursächlicher Zusammenhang mit einer Vorerkrankung vor dem 06.06.2001 besteht. Die Beklagte hat diesen Befund nicht tauglich in Zweifel gestellt.

Der Sachverständige Dr. H... hat bei seiner Anhörung vor dem Senat die unterschiedlichen Folgen im Hinblick auf eine Schädigung des Halswirbelbereichs erläutert, die bei einem Sturz auftreten können. Bei einer axialen Stauchung der Wirbelsäule, die z.B. bei einem Sturz auf das Steißbein erfolgt, ist ein Bandscheibenvorfall eher unwahrscheinlich, während eine asynchrone Bewegung, die zu einer Abscherbelastung im Bereich der Halswirbelsäule führt, eine Schädigung der Bandscheiben die Folge sein kann (Seite 2 der Sitzungsniederschrift vom 23.05.2007 - Bl. 468 d.A.).

Der Sachverständige ist aufgrund der gesamten Umstände des Unfalls von einer Abscherbelastung, mit der Folge einer Bandscheibenschädigung im Halswirbelbereich des Klägers ausgegangen. Zu diesem Befund ist der Sachverständige insbesondere aufgrund der Tatsache gelangt, dass der Kläger bei dem Sturz einen Sack mit Bauabfällen getragen hat, was zu einer Zwangshaltung und dazu geführt hat, dass der Kläger längs aufgeschlagen ist, mit der Folge, dass sodann die Schädigung der Bandscheibe eingetreten ist.

Der Sachverständige Dr. H... hat für das Vorliegen einer unfallbedingten Schädigung der Bandscheiben im Halswirbelbereich des Klägers als weiteren Umstand angeführt, dass die Beschwerden bei dem Kläger sofort nach dem Unfall aufgetreten sind (Bl. 350, 357, 468 d.A.).

Schließlich ist anlässlich der MRT-Untersuchung vom 10.01.2002 und bei der nachfolgenden Operation des Klägers ein Bandscheibenprolaps mit Zerreißung des Anulus fibrosus festgestellt worden, der die beim Kläger unmittelbar nach dem Unfall aufgetretenen Schmerzen erklärt.

Der Sachverständige Dr. H... hat bei seiner Anhörung vor dem Senat schließlich darauf hingewiesen, was nicht protokolliert wurde, dass die Berufsgenossenschaften sehr streng prüfen und Arbeitsunfälle nicht ohne weiteres anerkennen. Beim Kläger wurde der Arbeitsunfall vom 06.06.2001 indessen anerkannt, wie der Sachverständige auf Seite 4 seines Gutachtens des Sachverständigen (Bl. 352 d.A.) festgehalten hat.

Nach allem ist der Senat davon überzeugt (§ 286 ZPO), dass der Kläger unfallbedingt am 06.06.2001 die bei der MRT-Untersuchung festgestellte Schädigung der Bandscheibe im Halswirbelbereich erlitten hat.

Der Umstand, dass der Kläger zunächst noch weiter gearbeitet hat, führt zu keiner anderen Beurteilung, zumal der Kläger dies damit erklärt hat, dass er aus Furcht vor dem Verlust seiner gerade angetretenen Arbeitsstelle sich so verhalten hat.

b)

Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. H... ist der jetzige Zustand des Klägers, der sich in Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule, in Nackenschmerzen, in Kopfschmerzen und einer neurologischen Symptomatik im Bereich des linken Armes ausdrückt, auf den Bandscheibenprolaps, den der Kläger beim Unfall vom 06.06.2001 erlitten hat, zurückzuführen (Seite 7 des Gutachtens - Bl. 355 d.A.).

Den unfallbedingten Grad der Behinderung hat der Sachverständige Dr. H... mit 30 % beschrieben (a.a.O.). Der Kläger hat bei seiner Anhörung im Senatstermin vom 23.05.2007 angegeben, dass er wegen seiner Schmerzen täglich auf Schmerztabletten angewiesen ist.

c)

Dem Kläger steht eine Versicherungsleistung in Höhe von 39.369,75 €, berechnet (Bl. 259 d.A.) aufgrund der von der Beklagten vorgetragenen Versicherungssumme von 112.485,00 € (Bl. 27 d.A.), zu. Die Beklagte hat den Anspruch zur Höhe - in ihrer Berufungserwiderung - nicht weiter in Frage gestellt.

3.

Der geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich aus Verzug, nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 06.03.2003 (Bl. 143 d.A.) eine Zahlung abgelehnt und den Kläger auf den Klageweg verwiesen hat (§§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB).

III.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die dafür in § 543 Abs. 2 ZPO aufgestellten Voraussetzungen nicht vorliegen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Streitwert im Berufungsrechtszug: 39.369,75.

Ende der Entscheidung

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