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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 10.01.2007
Aktenzeichen: 7 U 77/06
Rechtsgebiete: InsO, ZPO


Vorschriften:

InsO § 17 Abs. 2 S. 2
InsO § 131
InsO § 131 Abs. 1
InsO § 131 Abs. 1 Nr. 2
InsO § 139 Abs. 1
ZPO § 287 Abs. 1
ZPO § 804 Abs. 3
ZPO § 845 Abs. 2 S. 1
ZPO § 930 Abs. 1 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

7 U 77/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 10.01.2007

Verkündet am 10.01.2007

in dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Boiczenko, den Richter am Oberlandesgericht Hein und den Richter am Oberlandesgericht Fischer

auf die mündliche Verhandlung am 29.11.2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 23.03.2006 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern der Beklagte nicht vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe:

I.

Die Klägerin mandatierte den Beklagten mit der gerichtlichen Durchsetzung einer Forderung gegen die S... GmbH (Schuldnerin) in Höhe von 34.056,92 DM (17.413,03 €). Der Beklagte erwirkte daraufhin das Versäumnisurteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Dessau vom 10.01.2000. Mit diesem wurde die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 34.056,92 DM nebst 5 % Zinsen aus 31.783,32 DM seit dem 15.11.1999 und aus 2.273,60 DM seit dem 14.12.1999 zu zahlen.

Der Beklagte vereinbarte daraufhin mit der Schuldnerin eine Ratenzahlung. Die Vereinbarung erfolgte mit Zustimmung der Klägerin. Gemäß der Ratenzahlungsvereinbarung mit der Schuldnerin sollte diese eine erste Rate bis zum 10.02.2000 zahlen. Zugleich wurde vereinbart, dass die Schuldnerin im Wege der Zwangsvollstreckung in Anspruch genommen werden würde, wenn sie - die Schuldnerin - mit einer Ratenzahlung länger als 14 Tage in Verzug geriete.

Nachdem die Schuldnerin keine Zahlungen leistete, beantragte der Beklagte bei dem Amtsgericht Wittenberge am 01.03.2000 den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses. Dessen Ausfertigung verzögerte sich, weil die Klägerin in der Ausfertigung des Versäumnisurteils vom 10.01.2000 nicht richtig bezeichnet worden war. Nachdem der Beklagte dem Amtsgericht Wittenberge mit Schreiben vom 03.05.2000 eine berichtigte Ausfertigung des Versäumnisurteils übersandte, erließ dieses am 23.05.2000 den beantragten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, der der Schuldnerin am 29.05.2000 zugestellt wurde. Die Schuldnerin zahlte den zu vollstreckenden Betrag am 09.06.2000. Mit Schreiben vom 16.06.2000, das am 19.06.2000 bei dem Amtsgericht Dessau einging, stellte der Geschäftsführer der Schuldnerin den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Das Insolvenzverfahren wurde am 17.10.2000 eröffnet.

Nachfolgend hat der Insolvenzverwalter die Klägerin im Wege des Anfechtungsprozesses auf Rückgewähr des durch die Zwangsvollstreckung des Versäumnisurteils erlangten Betrages von insgesamt 36.031,71 DM in Anspruch genommen und obsiegt. Die Berufung der Klägerin gegen das stattgebende Urteil des Landgerichts Potsdam vom 11.09.2001 wurde von dem 8. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts mit Urteil vom 13.05.2002 zurückgewiesen.

Die Klägerin hat den Beklagten auf Zahlung des zurückgewährten Betrages sowie der Kosten für den Rechtsstreit und die Zurückgewähr nebst Zinsen, insgesamt auf einen Betrag von 28.879,77 € in Anspruch genommen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 28.879,77 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 17.07.2002 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Rechtsauffassung vertreten, er habe keine Pflichten verletzt. Im Übrigen sei der Klägerin durch eine eventuelle Pflichtverletzung seinerseits kein Schaden entstanden. Hierzu hat er behauptet, die Schuldnerin sei bereits am 19.03.2000 zahlungsunfähig gewesen.

Das Landgericht hat Beweis erhoben zu der Behauptung der Beklagten, die Schuldnerin sei bereits seit dem 19.03.2000 zahlungsunfähig gewesen und hätte im Falle früherer Pfändungsmaßnahmen der Klägerin auch früher einen Insolvenzantrag gestellt, durch Vernehmung des damaligen Geschäftsführers der Schuldnerin M... S....

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Der Beklagte habe es zwar pflichtwidrig unterlassen, auf eine Berichtigung der Ausfertigung des Versäumnisurteils hinzuwirken. Die Klägerin habe durch diese Pflichtverletzung jedoch keinen Schaden erlitten. Auch bei pflichtgemäßer Veranlassung der Korrektur sei eine Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses erst am 20.03.2000 wahrscheinlich gewesen. Der bei der Klägerin festzustellende Vermögensschaden sei auch nicht darauf zurückzuführen, dass es der Beklagte unterlassen habe, eine Vorpfändung auszubringen. Diese diene lediglich zur Sicherung der nachfolgenden Pfändung. Werde die Pfändung mit Erfolg insolvenzrechtlich angefochten, könne die Vorpfändung keine Wirkung zugunsten des die Zwangsvollstreckung betreibenden Gläubigers entfalten.

Das Urteil vom 23.03.2006 ist der Klägerin am 12.04.2006 zugestellt worden. Die Klägerin hat gegen das Urteil am 19.04.2006 Berufung eingelegt, die sie am 02.06.2006 begründet hat.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihre bisherigen Ansprüche weiter. Sie beanstandet vor allem, dass das Landgericht in der Unterlassung einer Vorpfändung keine Pflichtverletzung des Beklagten gesehen habe. Des Weiteren habe das Landgericht zu Unrecht angenommen, die Unterlassung einer rechtzeitigen Berichtigung der Ausfertigung des Versäumnisurteils sei nicht kausal für ihren Rückgewähranspruch gewesen.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Potsdam vom 23.03.2006 zu verurteilen, an die Klägerin 28.879,77 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.07.2002 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

Die Klage ist nicht begründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen Schlechterfüllung (pVV) des Geschäftsbesorgungsantrages der Parteien mit dem Gegenstand der Geltendmachung einer Forderung von 34.056,92 DM gegenüber der Schuldnerin.

1.

Der Beklagte hat seine anwaltliche Sorgfaltspflicht in Ausübung des streitbefangenen Mandates allerdings dadurch verletzt, dass er nach Zustellung der vollstreckbaren Ausfertigung des Versäumnisurteils des Landgerichts Dessau vom 10.01.2000 nicht zeitnah die Richtigkeit des Rubrums des Versäumnisurteils überprüfte und bei dem Landgericht Dessau auf die Erteilung einer richtigen vollstreckbaren Ausfertigung antrug. Hierzu kann auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts unter Ziffer I. 2. der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen werden. Der Beklagte ist dieser Feststellung des Landgerichts mit der Berufungserwiderung nicht entgegengetreten.

Die vorstehend ausgeführte Pflichtverletzung des Beklagten führt jedoch nicht zu einem Schadensersatzanspruch der Klägerin, weil die Ursächlichkeit dieser Pflichtverletzung für den Eintritt des Vermögensschadens der Klägerin nicht festgestellt werden kann. Die Klägerin ist insoweit beweisfällig.

Eine Kausalität der Unterlassung der frühzeitigen Berichtigung der vollstreckbaren Ausfertigung des Versäumnisurteils für den Erfolg der insolvenzrechtlichen Anfechtung der aufgrund der Pfändung des Kontos der Schuldnerin durch Zustellung am 29.05.2000 erwirkten Überweisung von diesem Konto vom 09.06.2000 kann nicht mit hinreichender Sicherheit angenommen werden.

Für die Ermittlung des Zeitraums, innerhalb dessen eine insolvenzrechtliche Anfechtung der Überweisung vom 09.06.2000 vom Konto der Schuldnerin möglich gewesen wäre, ist auf den 19.06.2000 abzustellen. An diesem Tage ist der Insolvenzantrag der Schuldnerin bei dem Insolvenzgericht eingegangen.

Anzuwenden sind Anfechtungsfristen des § 131 Abs. 1 InsO. Die durch den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 23.05.2000 von der Schuldnerin erlangte Zahlung vom 09.06.2000 ist eine inkongruente Deckung. Die Klägerin hatte die an sich geschuldete Leistung der Schuldnerin nicht in der Art zu beanspruchen, wie sie es durch Einleitung der Zwangsvollstreckung tat (Kreft in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl., § 131 Rn. 9). Hier bestimmt sich der Anfechtungszeitraum nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Danach sind Rechtshandlungen der Schuldnerin dann, wenn sie innerhalb der letzten drei Monate vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgten, anfechtbar, wenn der Schuldner zurzeit der Handlung zahlungsunfähig war. Diese Voraussetzungen einer Anfechtbarkeit lagen in Bezug auf die Schuldnerin vor.

Ausgehend von der Stellung des Antrages am 19.06.2000, begann die Frist vor dem Eröffnungsantrag nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO am 19.03.2000, § 139 Abs. 1 InsO. Zu diesem Zeitpunkt war die Schuldnerin bereits zahlungsunfähig.

Der Beklagte hat für den 19.03.2000 zwar keine Liquiditätsbilanz vorgelegt, um die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin darzutun. Dies ist jedoch nicht erforderlich, da der Beklagte hinreichende Umstände vorgetragen hat, aus denen sich eine Zahlungseinstellung ergibt. Deshalb greift zugunsten des Beklagten die gesetzliche Vermutung des § 17 Abs. 2 S. 2 InsO ein. Danach ist Zahlungsunfähigkeit in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Die Zahlungseinstellung der Schuldnerin ergibt sich hier aus folgenden Umständen.

Die Schuldnerin war bereits im Februar 2000 mit Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 14.722,35 DM in Rückstand. Am 10.03.2000 fällige Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 18.185,00 DM wurden ebenfalls nicht gezahlt. Hinzu kommen Zahlungsrückstände bei der DAK zum 15.03.2000 in Höhe von 8.435,10 DM.

Weiterhin befand sich die Schuldnerin am 19.03.2000 bei der Bau-Berufsgenossenschaft Hannover im Zahlungsrückstand mit 10.594,40 DM. Es handelte sich um einen Vorschuss auf die Umlage 1999, die ausweislich der Zahlungsaufforderung der Bau-Berufsgenossenschaft Hannover vom 27.07.2000 - vom Beklagten als Anlage K 18 zu den Akten gereicht - eine Wertstellung zum 01.01.2000 erfahren hatte.

Schließlich ergibt sich aus dem von dem Beklagten in Bezug genommenen Vortrag des Insolvenzverwalters in seinem Verfahren auf Rückgewähr der Zahlung der Schuldnerin an die Klägerin vom 09.06.2000, dass zum 19.03.2000 bereits offene Forderungen der Gläubiger der Schuldnerin in Höhe von 231.839,92 DM bestanden.

Die vorstehend angesprochenen Zahlungsrückstände sind unstreitig. Sie reichen zur Darlegung der Zahlungseinstellung der Schuldnerin aus. Zahlungseinstellung ist dasjenige äußerliche Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise eine Zahlungsunfähigkeit ausdrückt. Es muss sich daraus für die beteiligten Verkehrskreise berechtigte Eindruck aufdrängen, dass die Nichtzahlung trotz Fälligkeit eines nicht unerheblichen Teils der Verbindlichkeiten gerade auf einem objektiven Mangel an Geldmitteln beruht, der länger als zwei bis drei Wochen andauert (Kirchhof in Heidelberger Kommentar zur InsO, 4. Aufl., § 17 Rn. 25).

Der Annahme der Zahlungseinstellung steht das Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Landgericht zu der Behauptung des Beklagten, die Schuldnerin sei bereits am 19.03.2000 zahlungsunfähig gewesen, nicht entgegen.

Der hierzu vernommene Zeuge S... hat bekundet, er glaube, er hätte im März 2000 noch keinen Insolvenzantrag für die Schuldnerin gestellt, weil die Auftragslage der späteren Schuldnerin zu diesem Zeitpunkt nicht schlecht gewesen sei. Das Unternehmen habe von der Hoffnung gelebt, dass Zahlungen eingehen und das Ganze schon weitergehen werde. Diese Aussage lässt nicht erkennen, dass die Schuldnerin im März 2000 noch in der Lage war, ihre fälligen Verbindlichkeiten noch zu wenigstens 90 % zu erfüllen. Auf die Nachfrage des Beklagten, ob die Schuldnerin konkret am 19.03.2000 zahlungsunfähig gewesen sei, antwortete der Zeuge, das könne er aufgrund seiner Erinnerung nicht mit Sicherheit sagen. Aussagen hierzu könne er nur anhand entsprechend der Unterlagen treffen. Der Zeuge hat mit diesen Bekundungen zu erkennen gegeben, dass er letztendlich keine konkrete Daten zur Zahlungssituation der Schuldnerin im fraglichen Zeitraum nennen könne.

Gegen die Annahme einer Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin bereits im März 2000 steht auch nicht die von dem Zeugen S... gemachte Angabe, zum Zeitpunkt der tatsächlichen Stellung des Insolvenzantrages seien noch 50.000,00 DM bis 60.000,00 DM auf dem Geschäftskonto gewesen. Zum einen hat der Zeuge diese Aussage dahin eingeschränkt, dass er dies lediglich meine, sich dessen zum Zeitpunkt der Aussage aber nicht absolut sicher sei. Es sei damals ein Auf und Ab gewesen. Die Schuldnerin habe Außenstände gehabt. Er sei der Hoffnung gewesen, dass weiteres Geld eingehe. Zum anderen steht der Annahme einer Zahlungsunfähigkeit nicht entgegen, dass der Schuldner noch einzelne, sogar beträchtliche Zahlungen leistet, sofern die nicht unerfüllt gebliebenen Verbindlichkeiten nicht unwesentlich sind (Kirchhof, a.a.O., Rn. 20). Gleiches gilt aber auch für ein eventuell nicht unbeträchtliches Kontoguthaben, wenn die unerfüllt gebliebenen Verbindlichkeiten dieses deutlich überschreiten. Dies ist hier, wie vorstehend dargelegt, der Fall.

Ist somit von dem Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit am 19.03.2000 auszugehen, so hat die Klägerin nicht beweisen können, dass sie im Falle des Vorliegens einer mangelfreien Ausfertigung des Versäumnisurteils zum Zeitpunkt der Beantragung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses am 01.03.2000 eine insolvenzrechtlich unanfechtbare Befriedigung ihrer Forderung erhalten hätte.

Das Landgericht hat die Kausalität des pflichtwidrigen Unterlassens des Beklagten auf der Grundlage eines hypothetischen Geschehensablaufes für den Fall pflichtgemäßen Handelns geprüft. Diese Vorgehensweise ist eine Beweiserleichterung zugunsten der beweisbelasteten Partei, die nach § 287 Abs. 1 ZPO zulässig ist. Es ist zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bei pflichtgemäßem Handeln des Beklagten erst am 20.03.2000, also nach Beginn des maßgeblichen Anfechtungszeitraums, bewirkt worden wäre. Wie schon das Landgericht in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ausgeführt hat und von der Klägerin mit der Berufungsbegründung geltend gemacht wird, sind auch andere hypothetische Verfahrensabläufe denkbar, die zu einer frühzeitigeren Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses hätten führen können, so dass eine insolvenzrechtlich nicht anfechtbare Befriedigung der Klägerin möglich gewesen wäre. Diese Wahrscheinlichkeit sieht der Senat jedoch nicht als höher an, als die, dass sich das hypothetische Verfahren um den Erlass und die Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses solange wie vom Landgericht errechnet oder länger hingezogen hätte. Der von der Klägerin behauptete hypothetische Geschehensverlauf steht deshalb nicht zur Überzeugung des Senats fest.

Die Darlegungs- und Beweislast für die Vermeidung des eingetretenen Schadens liegt jedoch im Falle einer pflichtwidrigen Unterlassung bei dem Gläubiger des Schadensersatzanspruches, hier also der Klägerin. Auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt hat der Senat in der mündlichen Verhandlung hingewiesen. Die Klägerin ist mithin beweisfällig geblieben.

2.

Der von der Klägerin verfolgte Schadensersatzanspruch kann ferner nicht darauf gestützt werden, dass der Beklagte die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil vom 10.01.2000 erstmalig mit dem Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses am 01.03.2000 beantragte. Zu einem entsprechenden Antrag bestand - wesentlich - früher kein Anlass.

Der Beklagte vereinbarte am 03.02.2000 mit Genehmigung der Klägerin mit der Schuldnerin eine Ratenzahlung hinsichtlich des mit dem Versäumnisurteil titulierten Betrages. Die erste Rate sollte am 10.02.2000 fällig werden. Mit dem Schreiben an die Schuldnerin, mit dem der Beklagte im Namen der Klägerin dem Ratenzahlungsvorschlag der Schuldnerin zustimmte, teilte er der Schuldnerin zugleich mit, dass Zwangsvollstreckungsmaßnahmen eingeleitet würden, falls die Schuldnerin mit einer Ratenzahlung länger als 14 Tage in Verzug gerate. Die Klägerin - vertreten durch den Beklagten - schloss mithin mit der Schuldnerin ein Stillhalteabkommen. Es ist nicht erkennbar, dass dieser befristete Verzicht auf eine Zwangsvollstreckung nicht dem Willen der Klägerin entsprach und deshalb pflichtwidrig erfolgt sein könnte. Aus dem Schriftsatz der Klägerin vom 30.06.2003 ergibt sich vielmehr, dass sie die Stillhalteregelung in dem Vergleich billigte. Sie hält dem Beklagten unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Regelung vor, dass er es versäumt habe, nach Ablauf der 14-Tage-Frist bereits unter dem 25.02.2000 die Zwangsvollstreckung einzuleiten.

Der Klägerin hätte tatsächlich aufgrund des Vergleiches mit der Schuldnerin bereits am 25.02.2000 die Möglichkeit offen gestanden, einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zu beantragen. Dies ist nicht geschehen. Hieraus kann dem Beklagten jedoch kein Vorwurf gemacht werden. Der Beklagte hat zur Begründung dafür, dass er am 25.02.2000 keine Zwangsvollstreckungsmaßnahme einleitete, darauf verwiesen, dass er sich zunächst bei der Klägerin habe vergewissern müssen, ob dort Zahlungseingänge zu verzeichnen gewesen seien. Die Klägerin ist dieser Einlassung nicht entgegengetreten. Es kann deshalb zugunsten des Beklagten angenommen werden, dass er die nachfolgenden Tage bis zum 01.03.2000 noch für die von ihm vorgetragene Vergewisserung benötigte. Da der 25.02.2000 ein Freitag war, standen dem Kläger für die vorgesehene Prüfung eines Zahlungseinganges bei der Klägerin insgesamt lediglich drei Werktage (Schaltjahr!) zur Verfügung. Eine pflichtwidrige Verzögerung der Zwangsvollstreckung ist deshalb zu verneinen.

3.

Schließlich kann ein Schadensersatzanspruch der Klägerin auch nicht auf den Vorwurf der Unterlassung einer Vorpfändung im Hinblick auf die beabsichtigte Pfändung des Kontos der Schuldnerin angenommen werden. Es kann dahinstehen, ob es grundsätzlich Ausdruck pflichtgemäßer anwaltlicher Vorsorge ist, einer beabsichtigten Pfändung eines Kontos eine Vorpfändung vorausgehen zu lassen. Im vorliegenden Falle wäre eine entsprechende Pflichtverletzung jedenfalls für den eingetretenen Schaden nicht kausal. Der Senat folgt der vom Landgericht bereits unter Ziffer I. 4. der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils ausgeführten Rechtsauffassung.

Fällt die Hauptpfändung in die "kritische Zeit" und ist sie nach § 131 InsO anfechtbar, verliert eine zuvor ausgebrachte Vorpfändung ihre Wirkung. Ein Vorrang des Vorpfändenden nach §§ 845 Abs. 2 S. 1, 930 Abs. 1 S. 2, 804 Abs. 3 ZPO ist insolvenzrechtlich nur gerechtfertigt, wenn zurzeit der Hauptpfändung das Prioritätsprinzip gilt. Das ist hier nicht der Fall. In der "kritischen" Zeit tritt die Befugnis des Gläubigers, sich im Wege hoheitlichen Zwangs eine rechtsbeständige Sicherung oder Befriedigung für eine Forderung zu verschaffen, hinter dem Schutz der Gläubigergesamtheit zurück. Mit diesem Grundsatz ist es nicht zu vereinbaren, die Pfändungsankündigung, bei der es sich - für sich genommen - lediglich um eine private Nachricht des Gläubigers handelt, durch hoheitliche Zwangsmaßnahmen Einzelner, die in die Gläubigergesamtheit besonders schützend in den Zeitraum fallen, zu einer rechtsbeständigen Sicherung aufzuwerten (BGH ZIP 2006, 916, 918).

IV.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Anlass zur Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO besteht nicht.

Ende der Entscheidung

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